1026. An Grete Meyer
1026. An Grete Meyer
Wiedensahl 1. Pfingsttag 1895.
Meine liebe Grete!
Sei bedankt für deinen hübschen Brief. – Daß unserm Wippsteert irgendwo, also diesmal in Markoldendorf, ein kleines Reisemalörchen paßiren würde, ließ sich ja voraussehn. Oh, wie pünktlich, sozusagen unfehlbar, bin ich dagegen! Mein Wagen hielt bereits am Bahnhof, als ich ankam. – Respekt vor dem Onkel!
Unsere Staare sind ausgeflogen. Einer, der's noch nicht recht gekonnt, war herunter gefallen aus dem Kastanienbaum, und Tante, die es gesehn, hat ihn herein geholt, obwohl er grimmig um sich gebißen, und hat ihm dann glücklich zum Fliegen verholfen hoch oben aus der Bodenluke. Grad wie Hermann der hattorfer Schwalbe. – Verständige Menschen müßen wirklich immer in Angst und Sorge sein, wenn die Jugend auf Reisen geht. –
Im Garten gedieh alles nach Wunsch. Der Hopfen ist ganz am Bändel hinauf geklettert. Die ersten Rosen haben sich aufgethan. Am Freitag rochen wir Moordampf; gestern umbullerten uns zwei Gewitter; heute, zur Verherrlichung des Festes rieselt ein milder Landregen hernieder.
Auf Mitwoch (Überübermorgen) hat sich Otto angemeldet, ohne jedoch über die Dauer seines Besuches etwas zu bemerken. So lange er bleibt, bleibe ich auch natürlich. Darnach komm ich nach Lüethorst, worauf sich sehr freut
Dein Onkel Wilhelm.
Von ihm und Tante die herzlichsten Grüße an Großvater und an Dich, mein liebs Gretel! In Betreff des letztern grüßt auch Fräulein Kather mit.
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