53. Das wunderbare Kreuz.
(Poetisch behandelt von Kreuser bei Ziehnert Bd. III. S. 124.)
In der St. Marienkirche zu Cölln befindet sich ein wunderbares Kreuz. Es ist von ganz schwarzem Holze und soll eines Nachts aus der Wand hervorgewachsen sein, von keines Menschen Hand geschnitzt. Der Heiland neigt auf demselben wie trauernd das Haupt zur Erde nieder, die Arme aber sind weit ausgespreizt, als wolle er die ganze Welt umfassen. Man sagt, daß sich die Gestalt des Gekreuzigten auf demselben zuweilen verändere, und das Haupt einmal mehr als das andere zur Erde gesenkt erscheine. Wenn es sich aber einst ganz zum Boden senken werde, dann sei auch die Stunde des jüngsten Gerichts gekommen. In der Nacht soll es einen lichten Schein um sich verbreiten. Einst nahm sich ein Maler vor, das wunderbare Kreuzesbild zu zeichnen, da legte sich's wie ein Flor vor seine Augen, sodaß er durchaus nicht mehr die Züge des Heilandes erkennen konnte, die Hand aber, welche den Stift geführt, verdorrte und fiel ab vom Arme, der Maler selbst aber ward wahnsinnig und starb. Seit der Zeit hat kein Künstler wieder sich an das Bild gewagt.