[14] 8) Die Sage von der weißen Frau.

Nachdem Graf Otto von Orlamünde gar jung verstorben, warf die hinterlassene Wittwe (Kunigunde, nach Anderen Beatrix oder Agnes), so zu Plassenburg wohnete, ihre Liebe auf den schönen Burggrafen Albrecht von Hohenzollern; man brachte ihr aber vor, es habe der Burggraf sich vernehmen lassen: Wenn nicht vier Augen im Wege wären, wolle er mit dieser Wittwe zu Plassenburg eine Heirath anschlagen (womit er seine Eltern meinte und nicht ihre zwei Kinder), worauf sie ihren beiden Kindern, deren das eine zwei Jahre alt gewesen, eine große Nadel oben auf den Kopf durch die Hirnschale gestoßen und sie also ohne Anzeig einer Wunden getödtet. 1 Doch hat endlich göttliche Rache den Mord an den Tag gebracht und sein die beiden Kinder in das Kloster Himmelscron begraben, die Kindermörderin aber zum Hoff in ewige Gefängniß verurtheilt worden; derer Kinder Grab wird noch in Himmelscron fremden Leuten vorgezeiget. 2

Nach andern Berichten hätte Burggraf Albrecht der Gräfin Orlamünde die Plassenburg abgekauft und ihr dagegen Schloß und Dorf Gründlach überlassen. Die Einnahme von Gründlach hätte sie nach ihrer Rückkehr von einer Pilgerfahrt gen Rom, und nachdem sie als Buße für ihr Verbrechen auf den Knieen von Plassenburg nach dem Thale von Berneck gerutscht, zur Stiftung oder Dotirung des Klosters Himmelscron, wo sie später als Aebtissin gestorben, verwendet. In der Klosterkirche daselbst zeigt man als Erinnerung an jene Sage noch heute die Grabsteine der Mörderin, Gräfin Kunigunde von Orlamünde, ihres Verehrers, des Burggrafen Albrecht von Nürnberg und der getödteten Kinder. In ihrem Kerker soll nun aber die Gräfin den Wunsch geäußert haben, nach ihrem Tode dem hohenzollerschen Hause als eine todanzeigende weiße Frau zu erscheinen, was denn auch geschehen. Zuerst sei sie in Franken in der Festung Plassenburg und in Bayreuth erschienen und dann mit dem markgräflichen Hause in die Mark Brandenburg und in das Schloß zu Berlin eingezogen.

Die erste Erscheinung der weißen Frau soll nun aber im Jahre 1486 nach dem Tode des Churfürsten Albrecht Achilles stattgefunden haben. Man behauptet jedoch, dies sei nicht die echte weiße Frau gewesen, sondern eine Hofdame, ein Fräulein von Rosenau, welches die Rolle derselbigen gespielt. Das früher auf der Plassenburg befindliche alte Gemälde der weißen Frau, welches die Söhne des unglücklichen, angeblich schwachsinnigen Markgrafen Friedrich ihrem Vater als einzigen Zimmerschmuck in der Kammer ließen, in der er unter vielfachen Entbehrungen zwölf ganzer Jahre lang gefangen gehalten ward, soll auch die Züge jener Rosenau getragen haben. Jenes Bild ist jetzt verschwunden, an der Stelle desselben zeigt man aber im dritten Stockwerke des westlichen Flügels in einer Bettnische ein bis zur Unkenntlichkeit übertünchtes Relief, welches die besagte Gräfin vorstellen soll.

Nachdem das Gespenst lange nichts von sich hören lassen, erschien dasselbe [15] zuerst wieder im J. 1540 in der Plassenburg. Markgraf Albrecht der Krieger, ein beherzter, unerschrockener Fürst, wollte aber nicht an diese Erscheinung glauben, bevor er sie selbst gesehen; er verbarg sich also in dem langen, 36 Fuß breiten und 150 Fuß langen Fürstensaale, den man passiren mußte, wenn man aus einem Flügel des Schlosses in den andern gelangen wollte, und erwartete die Erscheinung. Nach Mitternacht öffnete sich die mit dem östlichen, zur Beamtenwohnung benutzten Flügel in Verbindung stehende Thüre, eine verhüllte hohe Gestalt trat ein und schlich leise nach der entgegengesetzten Seite auf die zur Wohnung des Markgrafen führenden Stufen zu. Albrecht sprang vor, umfaßte mit kräftigen Armen die Erscheinung, schleppte sie trotz heftigen Sträubens bis zur steilen, in den Schönhof führenden Wendeltreppe und stürzte sie mit gewaltigem Stoße kopfüber hinab. Auf seinen Ruf erschienen nun Diener mit Licht; man stieg hinunter und fand den Kanzler Christoph Straß mit gebrochenem Genick, bei ihm einen Dolch und Briefe, welche auf ein Einverständniß mit dem Bischoff von Bamberg und auf die Absicht des letzteren deuteten, den Markgrafen heimlich morden zu lassen.

Zwanzig Jahre nachher, als Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg die im J. 1554 in dem Kampfe der Reichstruppen wider Albrecht Alcibiades zerstörte Plassenburg hatte herstellen und neu befestigen lassen und er mit großem Gefolge einritt, um seinen Hof daselbst für längere Zeit zu halten, zeigte sich die weiße Frau wiederum. Sie schien sehr zornig zu seyn, klappernd und mit Ketten rasselnd tobte sie über alle Treppen, durch alle Gänge, schlug an die Thüren, mißhandelte mehrere Hoffräuleins und fürstliche Diener und erwürgte schließlich den Koch und Fourier des Markgrafen, was den Letztern bewog, sofort das Schloß wieder zu verlassen.

Am 26. August des Jahres 1677 ritt der tapfere Erdmann Philipp, Markgraf von Brandenburg, von der Rennbahn in Bareuth in das hochfürstliche Schloß und stürzte mitten im Schloßhofe, etliche wenige Schritte von der Stiege, mit dem Pferde, daß nach zwei Stunden Verlauff er auf seinem Bette selig verschieden, ob er schon nach dem Fall die Treppe hinaufgegangen und sich als ob der Fall nichts zu bedeuten hätte, aus Trefflichkeit seines tapfern Gemüthes angestellet. Es hatte etliche Omina vor seinem Tod im hochfürstl. Schloß gegeben und die weiße Frau (ein Phänomenon, welches dem Vorgeben nach allzeit bei bevorstehenden fürstlichen Trauerfällen zu erscheinen pflegt) auf dieses Prinzen Leibstuhl sich sehen lassen, auch das Pferd die ganze Woche sich ganz rasend und fremd angestellt, worüber dieser unvergleichliche Prinz selbst sorgfältig worden und um S. Hochfürstl. Durchlaucht, Herr Marggraf Christian Ernsten, welcher damals bei der kais. Armee sich befunden, sich bekümmert, auch ein Mehreres nicht gewünscht, als daß es nur seinen Herrn Vettern nichts Uebels bedeuten möchte. 3

In Berlin zeigte sich das Gespenst im Schlosse am 1. Januar 1598 acht Tage vor dem Tode des Churfürsten Johann Georg, 1619 am 1. December 23 Tage vor dem Tode des Churfürsten Sigismund, 1667 sah die Churfürstin Louise Henriette das Gespenst nach der damaligen Mode frisirt und in Atlas gekleidet an ihrem Schreibtische sitzen, und starb bald darauf, nachdem es sich 1659 auch gezeigt, ohne daß ein Todesfall erfolgte, und im [16] Jahre 1656 trat es dem Oberstallmeister des Fürsten von Holstein, von Bernsdorf, als derselbe die Treppe hinuntersteigen wollte, in den Weg und packte denselben, als er es ruhig anredete, am Halse und schleuderte ihn die Treppe hinab. Am folgenden Morgen trifft die Nachricht ein, daß die Mutter des Churfürsten zu Crossen und auch seine Schwester, die Herzogin von Schöningen, mit Tode abgegangen. Desgleichen erblickte der Hofprediger Brunsenius die weiße Frau ein Jahr vor dem Tode des großen Churfürsten (1688), gerade wie sein College, der Hofprediger Berger, sie zwei Jahre vor dem Ableben Johann Sigismund's gesehen hatte. König Friedrich I. erzählte, daß er selbst eine ähnliche Erscheinung erblickt, und auch vor dem Ableben des Königs Friedrich Wilhelm II. soll eine weiße Gestalt auf der Treppe des königl. Schlosses bemerkt worden sein. In den Jahren 1790-1812 ist zwar mehr als einmal von dem Erscheinen der weißen Frau im Schlosse zu Berlin Meldung gemacht worden, allein fast immer hat ein Mißverständniß, Verwechselung mit einer Gardine etc., ja selbst absichtlicher Betrug zum Grunde gelegen, zuletzt ist im April des Jahres 1850 die weiße Frau im Schweizersaale des königl. Schlosses gesehen, von einer Schildwache angerufen und angestochen worden, denn ihre Wiederkehr vor dem Tode des letzten hochsel. Königs Wilhelm IV., von der das Gerücht ebenfalls spricht, ist nicht constatirt. Nichts destoweniger war sie deshalb von Baireuth nicht ganz verschwunden, denn nicht blos erschien sie zu Anfang dieses Jahrhunderts dem Intendanten der dasigen königl. Schlösser, dem Grafen Münster, mehr als einmal, sondern sie zeigte sich auch nicht blos mehreren französischen Generalen, die im J. 1806 daselbst einquartirt lagen, drohte auch dem im J. 1809 daselbst im Quartier liegenden General Graf d'Espagne mit Erwürgen und prophezeite ihm gewissermaßen seinen in der Schlacht bei Aspern erfolgten Tod, nein, sie scheint selbst Napoleon, als derselbe am 14. Mai 1812 sich im Schlosse zu Bayreuth aufhielt, erschienen zu sein und ihn erschreckt zu haben. Seit dieser Zeit ward sie im dasigen Schlosse noch mehrmals wahrgenommen, doch nicht mehr seit dem J. 1822; bald nachher behauptete nämlich eine in Ansbach und später in Erlangen sich aufhaltende Somnambüle, sie habe in ihrem magnetischen Schlafe die Berufung bekommen, der Gräfin Cunigunde von Orlamünde Ruhe zu verschaffen, und sonderbarer Weise hörte man kurz vor der Genesung jenes Mädchens in ihrem Zimmer einen zweistimmigen Gesang, trotzdem daß sie ganz allein war, und kurz darauf behauptete die Kranke, die Seele der unglücklichen Gräfin sei nun durch sie erlöst.

In neuester Zeit ist nun aber nicht blos die ganze Erscheinung der weißen Frau im Allgemeinen, sondern auch ihr Zusammenhang mit der obgedachten Gräfin von Orlamünde und mit der Familie der Hohenzollern überhaupt in Frage gestellt worden. 4 Namentlich ist behauptet worden, jene drei Leichensteine im Kloster Himmelcron deckten weder die schuldige Gräfin noch Albrecht den Schönen noch endlich jene zwei unglücklichen Kinder 5, allein so richtig wie dies in der That ist, so wenig wird dadurch bewiesen, denn aus zwei sichern Quellen ist nachzuweisen, daß jene Leichen sich früher hier befunden haben, [17] aber dann weggebracht worden sind. Es erzählt nämlich der bekannte Brusch in seiner Geschichte der deutschen Klöster hierüber Folgendes 6: »In dieser Klosterkirche ruhen zwei Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, Kinder eines Grafen von Orlamünde und einer Herzogin von Meran, welche auf jämmerliche und grausame Weise von ihrer eigenen Mutter, der Meraner Herzogin, die sich damals zu Blassenburg aufhielt, vor fast nun 200 Jahren, als sie noch kaum zwei Monate alt waren, ermordet wurden ... Diese unglücklichen Märtyrer habe ich mit meinen Händen berührt und mit eigenen Augen gesehen. Das Mädchen ist noch so unversehrt erhalten, daß man denken könnte, sie sey noch kein Jahr todt, so wenig sieht man an ihr die gewöhnlichen Spuren der Verwesung; die Brust des Knaben dagegen ist durch die Feuchtigkeit und das Wasser, welches von der Wand der durch die Kälte ausschlagenden Kirche in den nahe an der Wand stehenden Sarg gelaufen ist, einigermaßen beschädigt und fängt an zu Wasser zu werden, allein Kopf, Schultern und Beine sind unversehrt und durchaus nicht verändert.« Hieran schließt sich folgende Stelle aus Müllner's Annalen der Stadt Nürnberg (S. 853), wo es heißt: »Der Kinder todte Leichnam sein lange Zeit im Kloster Himmelcron in steinernen Särgen gelegen und dem Ansehen nach über zwei oder drei Jahre alt gewest, im Marggräflichen Krieg aber A. 1552 sein sie für Heiligthum gen Bamberg transferiert worden«, wo sie vermuthlich noch sind.

Hinsichtlich der Persönlichkeit der weißen Frau selbst hat man sich jedoch nicht auf die Gräfin von Orlamünde beschränkt, sondern man hat auch andere Personen in ihr sehen wollen, namentlich eine Gräfin von Leiningen, Hofdame am Hofe Joachims I., oder Anna Sydow, die schöne Wittwe des Stückgießers Dietrich, die Geliebte des Churfürsten Joachims II. Ja Mullerus in seinen Curiositäten geht noch weiter und erzählt, es sei unter König Friedrich I. beim Abreißen eines Schloßflügels in Berlin in einer Luftröhre ein Gerippe gefunden und auf Befehl des Königs auf dem Domkirchhofe begraben worden. Aus der Zärtlichkeit desselben zu schließen, sei es das weiße Frauengerippe gewesen, weil bei den Todesfällen Sophie Charlottens, Erbprinzessin von Hessen-Cassel, des Markgrafen Philipp Wilhelm von Schwedt, zweier Prinzen von Oranien und des Königs Friedrichs selbst sothanes Gespenst nicht wieder zum Vorschein gekommen.

Endlich hat ein gewisser Nagel 7 die Behauptung aufgestellt, diese Erscheinung sei nicht der Geist einer Gräfin von Orlamünde, sondern einer Gräfin von Rosenberg, Perchta genannt, die an einen wüsten und rohen Mann, den Grafen Johann von Lichtenstein im J. 1449 verheirathet gewesen, nach ihrem Tode als guter Geist auf dem Rosenbergischen Schlosse Neuhaus in Böhmen umgegangen, zuletzt aber als die bewußte weiße Frau nach Berlin ins königl. Schloß übergesiedelt sei und dort die Todesbotin machte, weil der böhmische Oberburggraf Wilhelm von Rosenberg 1561 die Tochter des Churfürsten Joachim von Brandenburg, die allerdings schon 1564 wieder starb, zur Frau nahm und sie somit in die Verwandtschaft der Hohenzollern kam. Dieselbe Perchta soll sich nun aber überhaupt nicht blos auf den Rosenbergischen [18] Schlössern, sondern auch an den fürstlichen Höfen, in welche Rosenberge geheirathet, ja sogar an solchen, die nur mit denselben in Verwandtschaft stehen, sehen gelassen haben, und werden noch als Orte, wo sie zu erscheinen gepflegt, London, Kopenhagen, Stockholm, Zerbst, Cassel 8 und Parma genannt, bei welchen letztern aber vermuthlich Verwechselungen mit andern derartigen weißen Frauen mit unterlaufen mögen.

Noch muß hier bemerkt werden, daß heute noch in Baireuth zwei Bilder der weißen Frau vorhanden sind, die aber einander gänzlich unähnlich sind. Das eine befindet sich im neuen Residenzschlosse, das andere in der Eremitage. Das Bild in der letzteren trägt ein weißes Schäferinnenkleid, das im Schlosse dagegen einen ganz dunkeln mit Pelz besetzten Anzug und Kappe mit über die Stirne herabfallendem weißen Besatz. 9 Das letztere ist ohngefähr 100 Jahre jünger als das erstere, wird aber für uns darum wichtig, weil die weiße Frau zu Baireuth, wie sie sich zu Anfange dieses Jahrhunderts zeigte, genau dasselbe Costüm trug. Von diesem Bilde wird übrigens erzählt, es lasse sich durch keinen Nagel an der Wand befestigen, sondern man müsse es stets auf die Erde stellen. 10

Fußnoten

1 Nach dem alten Volksliede in Brentano's Wunderhorn Bd. II. S. 235 etc. that sie dies nicht selbst, sondern ein gewisser Hager, den Daumer, Geheimnisse des christl. Alterthums (Hamb. 1847) Bd. I. S. 284 etc. für einen Mönch, wahrscheinlich den Klosterkoch hält. Etwas anders ist die Sage erzählt in Hormayr's Taschenbuch 1839, S 311. und bei Grimm, Deutsche Sagen, Bd. II. S. 376 etc.

2 So nach Rentsch, S. 318 etc.

3 So Rentsch S. 714 etc.

4 Durch Jul. v. Minutoli, Die weiße Frau, gesch. Prüfung der Sage und Beobachtung dieser Erscheinung seit dem Jahre 1486 bis auf die neueste Zeit. Berlin 1850 in 8°.

5 S. Minutoli S. 5. Derselbe ist von mir gründlich widerlegt im Dresd. Journ. 1850. S. 1754 sq.

6 Brusch, Chronologia monasteriorum Germaniae. Sulsbaci 1682 in 4°. p. 133.

7 Diss. de celebri spectro quod vulgo die weiße Frau nominant. Viteb. 1743 in 4°.

8 S. Lothar, Volkssagen S. 84.

9 Sonach ist das Bild der weißen Frau in Lebensgröße, wo sie in ein großes Gewand mit Caputze eingehüllt ist, das nur den obern Theil des Gesichts frei läßt, bei Al. Cosmar, Sagen und Miscellen aus Berlins Vorzeit (Berlin 1831. Bd. 1. S. 56) jedenfalls ein lediglich der Phantasie entlehntes.

10 Die neuesten Untersuchungen über die Sagen von der weißen Frau in mythologischer Hinsicht haben Kuhn bei Mannhardt, Zeitschrift f. Deutsche Mythol. Bd. III. S. 368 etc. und N. Hocker, Die Stammsagen der Hohenzollern und Welfen, Düsseldorf 1857. in 8°. S. 3 etc. angestellt.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Die Sagen des Hauses Hohenzollern. 8. Die Sage von der weißen Frau. 8. Die Sage von der weißen Frau. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4384-D