213. Die Ahnfrau auf Greiffenstein.

Auf der Burg Greiffenstein ließ sich sonst, ebenso wie auf andern alten Schlössern, eine Ahnfrau sehen. Es war eine hagere Gestalt mit bleichem Antlitz, in ein weißes Gewand gekleidet und von einem langen Schleier bedeckt. Sie wandelte des Nachts durch alle Gänge der Burg, namentlich vor der Kapelle, und verschwand endlich stets in der sogenannten blauen Kammer, einem düstern Gemache, aus dessen Fenster aber in der Nacht gewöhnlich ein blaues Licht hervorglänzte. Sie ging still und schwermüthig einher und that Niemandem etwas zu Leide, wer es aber versuchte, sie etwa zu necken, dem begegnete sicher bald darauf ein Unglück. Wenn aber einem der Besitzer der Burg ein Unglück drohte, dann sah man sie händeringend auf- und niedergehen, hörte sie wohl auch schluchzen. Wer sie eigentlich war, wußte jedoch Niemand, nur über ihre Wirksamkeit im Schlosse gab es viele Sagen.

[239] Einst hatte ein Burgvogt auf Greiffenstein eine sehr schöne Tochter, die besonders in Gunst bei dieser Ahnfrau zu stehen schien, weil sie ihr gewöhnlich, wenn sie ihr begegnete, zuzunicken pflegte. Nun war ein fremder Ritter für längere Zeit Gast auf der Burg, diesem stach das schöne Mädchen gewaltig in die Augen, allein dieselbe wollte von seiner Huldigung nichts hören, und darum mußte er seine Nachstellungen auf unbemerkte Weise einrichten. Er lauerte ihr auf, wenn sie spät des Abends über die Gänge ging und so glückte es ihm eines Abends, sie in der Nähe seines Schlafzimmers zu erwischen, er faßte sie am Arme und zog sie in sein Zimmer und dort wäre es ihm jedenfalls leicht geworden, über ihre Unschuld Herr zu werden, hätte das Mädchen nicht laut um Hilfe gerufen. Auf einmal stand die Ahnfrau mitten in dem verschlossenen Zimmer, gleichzeitig ertönte ein furchtbarer Donnerschlag, der Ritter ließ bis zum Tode erschreckt das Mädchen los, die Ahnfrau öffnete ihr die verschlossene Thüre und als am andern Morgen der Ritter sich nicht sehen ließ und man ihn suchte, fand man ihn todt auf dem Boden des Zimmers liegen.

Einst war ein neuer Koch auf Greiffenstein angenommen worden, er hatte gerade ein großes Gastmahl vorzurichten, denn es fand eine Tauf-Ceremonie in der Schloßcapelle statt. Da hörte er von einem Diener, die Ahnfrau habe sich in der Nähe der letztern gezeigt, neugierig ließ dieser Alles stehen und liegen, und lief fort um dieselbe zu sehen. Als er aber zurückkehrte, waren indessen alle seine Gerichte angebrannt und verdorben. Statt zu fluchen, warf er sich jedoch auf die Kniee, und betete inbrünstig, die Ahnfrau möge ihm doch zu Hilfe kommen. Kaum hatte er sein Gebet geendigt, da flog ein blauer Lichtschein durch den Küchenraum und alle seine Speisen waren wieder in so gutem Zustande wie vorher.

Einst kehrten während der Abwesenheit des Burgherrn einige Ritter auf der Burg ein, wilde und gottlose Gesellen, welche über Alles ihren Spott und Muthwillen trieben. Einer von ihnen hatte sogar die Frechheit, den Burgvogt zu fragen, ob er nicht die Ahnfrau zur Schlafgenossin bekommen könne. Derselbe verwies ihm solchen Uebermuth, allein vermochte doch nicht ihn von der Gefährlichkeit seiner Spöttereien zu überzeugen. Als sie nun beisammen in dem ihnen angewiesenen Gastzimmer saßen, brachte einer der Knappen eine Schüssel mit Speise herein, kaum aber hatte er die Schwelle überschritten, stürzte er auch über seine eigenen Beine und warf die Schüssel hin. Sie schickten nun unter Fluchen und Schimpfen denselben nach einer neuen Auflage von Lebensmitteln hinab in die Küche, als derselbe aber mit einem großen Servirbrett zurückkehrte und dasselbe auf den Tisch setzen wollte, da hatte sich der Schinken, der darauf lag, sammt dem Brode in Stein verwandelt, der gebratene Truthahn erhob sich aus der Schüssel, schlug mit den Flügeln und flog auf und davon, der Wein aber verwandelte sich in stinkendes Wasser. Nun fingen die Ritter aber an noch toller zu schimpfen und zu fluchen, da fühlten sie sich die Sessel unter den Füßen weggezogen und stürzten auf den Boden, von wo sie sich nicht wieder erheben konnten, die Kerzen verlöschten, und auf einmal öffnete sich unter schweren Donnerschlägen der Fußboden, und alle stürzten tief hinab in ein Gewölbe, wo sie erst am andern Tage mit halbgebrochenen Gliedern wieder aufgefunden wurden.

[240] Ein anderes Mal kam ein feister heuchlerischer Mönch auf die Burg und forderte Nachtherberge. Während des Abends fand er Gelegenheit mit der jungen verliebten Frau des alten Burgvogts seine frühere Bekanntschaft zu erneuern. Er verabredete mit ihr, daß sie ihn des Nachts besuchen sollte, hatte aber, um allen Verdacht zu vermeiden, die Schlauheit, sich zum Schlafgemach die von Allen gefürchtete blaue Kammer zu erbitten, weil er glaubte, daß kein Geist sich an ihn als einen geweihten Priester wagen werde. Kaum hatte er das Zimmer betreten und eine geweihte Kerze angezündet, so verwandelte sich auch schon der Wein, den er daselbst zum Nachttrunk in einem Becher hingestellt vorfand, beim Kosten in widerliches Salzwasser. Aergerlich erwartete er nun seine Buhlerin, die auch bald mit einem Kruge Weins erschien, allein kaum hatte er dieselbe in seine Arme geschlossen, da stand auch schon die Ahnfrau vor ihnen, mit drohender Miene schaute selbige die beiden Frevler unverwandten Auges an, sie sanken beide in die Kniee und in dieser Stellung fand sie der alte Burgvogt am nächsten Morgen, als er kam um seine Frau zu suchen. Er jagte den Mönch mit Schlägen aus dem Hause, seine Frau aber starb nach wenigen Tagen an den Folgen des Schreckens.

Bei einem Festmahle, welches einst der Burgherr Johann von Schaffgotsch abhielt, lud einer der Knappen die Ahnfrau ein, ihn auf morgen zum Kindtaufschmause besuchen zu wollen. Plötzlich stand dieselbe vor ihm und sagte, sie nehme die Einladung an. Am andern Tage hatte er die muthwillige Einladung wieder vergessen, als er aber am Abend mit seinen Gevattern beim fröhlichen Mahle saß, erscholl plötzlich ein lautes Getöse vor der Thüre und herein trat zum allgemeinen Entsetzen die gefürchtete Ahnfrau. Alles wollte aufspringen und davonlaufen, allein sie machte ein Zeichen, man solle sitzen bleiben, setzte sich mit an den Tisch, ließ sich einen Becher Wein reichen und trank denselben auf die Gesundheit des Säuglings und der Wöchnerin aus, dann stand sie auf, lud den Kindtaufsvater zu sich über acht Tage ein und verschwand. Mit Angst und Zagen erwartete derselbe den bestimmten Abend; unter Donner und Blitz trat die Ahnfrau richtig zur angegebenen Stunde in sein Gemach und forderte ihn durch eine Handbewegung auf, ihr zu folgen. Halbtodt schritt er hinter ihr drein; sie führte ihn über die Gänge des Schlosses bis zu dem Grabgewölbe der Familie, wo sie verschwand und den unglücklichen Knappen mitten unter den Särgen zurückließ. Plötzlich hoben sich aber die Deckel derselben ab, die darin liegenden Gerippe erhoben sich, stiegen heraus und streckten ihre Knochenarme aus, um ihn zu umarmen. Endlich erschien der Morgen, da kam aber auch die Ahnfrau wieder und führte den in Todesschweiß Gebadeten wieder hinauf nach seiner Wohnung, wo er aber sofort in ein hitziges Fieber verfiel, von dem er erst nach langer Zeit wieder genaß.

Von der Familie Schaffgotsch erfreute sich namentlich eine gewisse Magdalena von Schaffgotsch, geborene von Zedlitz, ihrer Gunst; wenn sie im Wochenbett lag, wachte sie bei ihr, beruhigte das Kind, wenn es unruhig wurde, und reichte es seiner Mutter, um ihm zu trinken zu geben. Auch den unglücklichen Hans Ulrich II. von Schaffgotsch hatte sie in ihr Herz geschlossen; sie zeigte ihm im Traume das Bild seiner künftigen Gattin, der Prinzessin Barbara Agnes von Liegnitz, und von dem Tage an, wo sein [241] Haupt zu Regensburg durch Henkershand fiel 1, trug sie schwarze Trauerkleider und zertrümmerte den kaiserlichen Adler über der Burgkapelle und alle kaiserlichen Wappen. Erst mit dem Einzuge Christoph Leopolds von Schaffgotsch legte sie wieder ihr weißes Gewand an und zeigte ihm auch einst die Stelle, wo er seinen Trauring verloren hatte. Wenn fremde Kriegsvölker auf der Burg waren, ließ sie sich nie sehen; aber obwohl sie endlich einem frommen Pilger, der den Muth hatte sie anzureden und zu befragen, auf welche Weise es möglich sei, ihrem Geiste Ruhe zu verschaffen, die Stelle im Burgverließe zeigte, wo ihre Gebeine noch unbegraben in ungeweihter Erde schliefen und dieselben dann von dort herausgenommen und in geweihtem Boden bestattet wurden, blieb sie doch deshalb noch nicht weg, sondern kam immer wieder, bis sie endlich für immer verschwand, als die heilige Messe zum letzten Male in der verfallenden Burgkapelle gelesen ward.

Fußnoten

1 Den 23. Juli 1635 ward er als Anhänger Waldsteins hier hingerichtet.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Zweiter Band. Schlesien und die Niederlausitz. 213. Die Ahnfrau auf Greiffenstein. 213. Die Ahnfrau auf Greiffenstein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4EE3-0