25) Die drei Blutstropfen zu Berlin. 1
Auf der Lindenstraße zu Berlin hat im 17. Jahrhundert ein Brauhaus gestanden, das wegen des daselbst gebrauten und ausgeschenkten Bieres eines großen Zuspruchs genoß, obgleich der Besitzer desselben, ein gewisser Wolff (?) sich nicht des besten Rufes erfreute und sowohl als Familienvater wie als Staatsbürger durchaus nicht seine Schuldigkeit that. Derselbe hatte nun aber eine Baierin, die Tochter seines ehemaligen Lehrherrn, der aber verarmt war, als Schenkmädchen in sein Haus aufgenommen, allein wie dieselbe durch ihre Schönheit und liebreizendes Wesen der Gäste immer mehrere in das Brauhaus zog, so gewann sie auch wider ihren Willen leider gar bald die Zuneigung ihres Herrn, der ohne an die Pflichten zu denken, die er als verheiratheter Mann und Vater gegen seine Familie zu erfüllen hatte, gar bald dem Mädchen seine Leidenschaft bekannte, aber auch von derselben entschieden zurückgewiesen ward. Wie dies aber bei allen Wüstlingen, namentlich wenn sie schon in reifern Jahren stehen, zu geschehen pflegt, Widerstand gegen ihre Lüste giebt ihrer Leidenschaft stets neue Nahrung, statt dieselbe abzukühlen, und so war es auch hier. Der Brauherr drang eines Abends in die Kammer des Mädchens und versuchte sie erst durch Versprechungen und schöne Worte zu seinem Willen zu bringen, und als dies nicht gelang, ging er zu Drohungen und Gewaltthätigkeiten über, allein das resolute Mädchen entriß sich seinen Armen, erreichte das zufällig offen stehende Fenster und sprang durch dieses auf den Hof hinab, von wo aus es ihr gelang, die auf die Straße führende Thüre zu öffnen und zu einer Freundin zu flüchten. Der durch das Fehlschlagen seiner Hoffnungen in Wuth versetzte Brauherr eilte zuerst in den Hof hinab, um zu sehen, was aus dem Mädchen geworden sey, allein er fand denselben leer und die auf die Straße führende Thür offen, was ihm natürlich sofort klar machte, was aus dem Mädchen geworden sey. Verletzt konnte sie sich bei ihrem Sprung auch nicht haben, denn er erblickte nur 3 kleine Blutstropfen auf den weißen Fliesen, womit der Hof gepflastert war.
Der Brauherr beschloß nun, sich an dem Mädchen für die ihm nach seiner Ansicht angethane Beschimpfung bitter zu rächen; er rief am andern [38] Morgen seine Leute zusammen und erklärte, in der vergangenen Nacht sey sein Geldkasten erbrochen und bestohlen worden. Die Lage der Sache war so, daß nur ein Bekannter der Thäter sein konnte; die Kammer des Schenkmädchens war leer, man fand unter ihren Sachen verschiedene Goldstücke, die freilich der Brauherr selbst im Laufe der übrigen Nacht hinein versteckt hatte, brachte natürlich ihre Abwesenheit mit dem Diebstahl in Verbindung und so konnte es nicht fehlen, daß auch das Gericht sich durch den Schein täuschen ließ und ihre Verhaftung verfügte. Es hielt natürlich nicht schwer, die Unschuldige aufzufinden; dieselbe leugnete freilich Alles und erzählte, sie sey zwar des Nachts durch ihr Kammerfenster entsprungen, allein nicht um den Raub in Sicherheit zu bringen, sondern einzig um ihre Person den Nachstellungen ihres Brotherrn zu entziehen. Zwar sprachen die drei Blutstropfen, die sich nicht hatten wegschaffen lassen, für den einen Theil ihrer Aussage, allein gerade die Hauptsache, der Grund ihrer Flucht blieb unbewiesen, denn ihr Herr leugnete Alles hartnäckig und da er früher bei seinen Liebesbewerbungen stets wohlweislich Zeugen zu vermeiden gewußt hatte, konnte sie nicht einmal Jemanden namhaft machen, der ihre Beschuldigungen gegen den Brauherrn auch nur im Entferntesten bestätigt hätte. Das Gericht ging von dem Grundsatze aus, sie habe diese Geschichte nur erfunden, um ihren Diebstahl zu bemänteln, und verurtheilte sie nach der damaligen Strenge des Gesetzes zum Tode, welchen sie auch standhaft erlitt, nachdem sie noch vorher aufs heiligste ihre Unschuld betheuert und versichert hatte, ihr Blut werde nach ihrem Tode über ihren Ankläger kommen.
Nun ließ aber das Gewissen dem Brauherrn keine Ruhe, zumal da auch viele Bürger laut an der Gerechtigkeit des gefällten Urtheils zweifelten; er beschloß also, die Fliesen, aus denen sich die drei Flecken nicht vertilgen ließen, ganz wegnehmen zu lassen, theils um dem Gerede ein Ende zu machen, theils um nicht länger durch den Anblick derselben an sein Verbrechen erinnert zu werden. Allein kaum war dies geschehen, so entstand ein Volksauflauf vor seinem Hause, denn siehe da, jene drei Blutstropfen zeigten sich auf einmal auf der weißen Vorderwand desselben, so daß sie ein Jeder von der Straße aus sehen konnte. Die Volksstimme erklärte dies für das Gericht Gottes wegen des unschuldig vergossenen Blutes, und wahrscheinlich wäre es dem Hause und seinem Besitzer schlecht gegangen, hätte sich nicht die Behörde eingemischt und die drohenden Volkshaufen entfernen lassen. Wolff aber wagte sich nicht mehr auf die Straße, er stellte sich krank, um sein Zimmer nicht verlassen zu dürfen, allein die Strafe des Himmels ereilte ihn früher, als die irdische Gerechtigkeit Hand an ihn legen konnte, seine Gewissensbisse ließen ihm nicht eher Ruhe, bis ihn Wahnsinn aus Furcht vor der Strafe ergriff, er mußte bewacht werden, und doch wußte er eines Nachts seinen Wächtern zu entschlüpfen, stieg durch das Fenster auf einen am Hause befindlichen Vorsprung, über welchem man die Blutflecken bemerkte, und begann unter fürchterlichem Geheul die drei Blutflecke abzukratzen, welche jedoch nicht schwinden wollten. Ein vorüber gehender Nachtwächter, der ihn erkannte, rief ihn beim Namen, er erschrack aber so sehr darüber, daß er das Gleichgewicht verlor, auf das Steinpflaster herabstürzte und nach wenig Augenblicken seine schwarze Seele aushauchte. Wie sehr sich auch seine Erben bemühten, die Blutflecke am Hause zu vertilgen, es war umsonst, so oft dasselbe neu angestrichen [39] wurde, die drei Blutstropfen wurden nach einiger Zeit immer wieder sichtbar, bis endlich das Denkmal der Blutschuld mit dem Hause verschwand, das ein Nachkomme Wolff's weggreißen ließ.
Fußnoten
1 Nach Cosmar, Sagen und Miscellen aus Berlins Vorzeit. Bd. II. S. 1-20, metrisch behandelt von W. Ziehnert, Preußische Volkssagen. Bd. I. S. 1-12.