Johann Wolfgang Goethe
Tag- und Jahreshefte

[7] Von 1749 bis 1764

Bei zeitig erwachendem Talente, nach vorhandenen poetischen und prosaischen Mustern, mancherlei Eindrücke kindlich bearbeitet, meistens nachahmend, wie es gerade jedes Muster andeutete. Die Einbildungskraft wird mit heiteren Bildern beschäftigt, die sich selbstgefällig an Persönlichkeit und die nächsten Zustände anschlossen. Der Geist näherte sich der wirklichen, wahrhaften Natur durch Gelegenheitsgedichte; daher entstand ein gewisser Begriff von menschlichen Verhältnissen mit individueller Mannigfaltigkeit: denn besondere Fälle waren zu betrachten und zu behandeln. Vielschreiberei in mehreren Sprachen, durch frühzeitiges Diktieren begünstigt.

Von 1764 bis 1769

Aufenthalt in Leipzig. Bedürfnis einer beschränkten Form zu besserer Beurteilung der eigenen Produktionen wird gefühlt; die griechisch-französische, besonders der Dramen, als anerkannt, ja gesetzlich, wird aufgenommen. Ernstere, unschuldige, aber schmerzliche Jugendempfindungen drängen sich auf, werden betrachtet und ausgesprochen, indessen der Jüngling mancherlei Verbrechen innerhalb des übertünchten Zustandes der bürgerlichen Gesellschaft gewahret. Von Arbeiten ersterer Art ist »Die Laune des Verliebten« und einige Lieder, von der zweiten »Die Mitschuldigen« übriggeblieben, denen man bei näherer Betrachtung ein fleißiges Studium der Molièrischen Welt nicht absprechen wird; daher aber auch das Fremdartige der Sitten, wodurch das Stück lange Zeit vom Theater ausgeschlossen blieb.

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Von 1769 bis 1775
Fernere Einsicht ins Leben

Ereignis, Leidenschaft, Genuß und Pein. Man fühlt die Notwendigkeit einer freiern Form und schlägt sich auf die englische Seite. So entstehen »Werther«, »Götz von Berlichingen«, »Egmont«. Bei einfacheren Gegenständen wendet man sich wieder zur beschränkteren Weise: »Clavigo«, »Stella«, »Erwin und Elmire«, »Claudine von Villa Bella«, beide letztere prosaischer Versuch, mit Gesängen durchwebt. Hieher gehören die Lieder an Belinden und Lili, deren manche so wie verschiedene Gelegenheitsstücke, Episteln und sonstige gesellige Scherze verlorengegangen.

Inzwischen geschehen kühnere Griffe in die tiefere Menschheit; es entsteht ein leidenschaftlicher Widerwille gegen mißleitende, beschränkte Theorien; man widersetzt sich dem Anpreisen falscher Muster. Alles dieses, und was daraus folgt, war tief und wahr empfunden, oft aber einseitig und ungerecht ausgesprochen. Nachstehende Produktionen:»Faust«, die Puppenspiele, »Prolog zu Bahrdt«, sind in diesem Sinne zu beurteilen; sie liegen jedermann vor Augen. Dagegen waren die Fragmente des »Ewigen Juden« und »Hanswursts Hochzeit« nicht mitzuteilen. Letzteres erschien darum heiter genug, weil die sämtlichen deutschen Schimpfnamen in ihren Charakteren persönlich auftraten. Mehreres dieser frechen Art ist verlorengegangen; »Götter, Helden und Wieland« erhalten.

Die Rezensionen in den »Frankfurter Gelehrten Anzeigen« von 1772 und 1773 geben einen vollständigen Begriff von dem damaligen Zustand unserer Gesellschaft und Persönlichkeit. Ein unbedingtes Bestreben, alle Begrenzungen zu durchbrechen, ist bemerkbar.

Die erste Schweizer Reise eröffnete mir mannigfaltigen Blick in die Welt; der Besuch in Weimar umschlang mich mit schönen Verhältnissen und drängte mich unversehens auf einen neuen, glücklichen Lebensgang.

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Bis 1780

An allen vorgemeldeten, nach Weimar mitgebrachten, unvollendeten Arbeiten konnte man nicht fortfahren; denn da der Dichter durch Antizipation die Welt vorwegnimmt, so ist ihm die auf ihn losdringende wirkliche Welt unbequem und störend; sie will ihm geben, was er schon hat, aber anders, das er sich zum zweiten Male zueignen muß.

Bei Gelegenheit eines Liebhabertheaters und festlicher Tage wurden gedichtet und aufgeführt: »Lila«, »Die Geschwister«, »Iphigenia«, »Proserpina«, letztere freventlich in den »Triumph der Empfindsamkeit« eingeschaltet und ihre Wirkung vernichtet; wie denn überhaupt eine schale Sentimentalität überhandnehmend manche harte realistische Gegenwirkung veranlaßte. Viele kleine Ernst-, Scherz- und Spottgedichte, bei größeren und kleineren Festen, mit unmittelbarem Bezug auf Persönlichkeiten und das nächste Verhältnis, wurden von mir und andern, oft gemeinschaftlich, hervorgebracht. Das meiste ging verloren; ein Teil, z.B. »Hans Sachs«, ist eingeschaltet oder sonst verwendet. Die Anfänge des »Wilhelm Meister« wird man in dieser Epoche auch schon gewahr, obgleich nur kotyledonenartig: die fernere Entwicklung und Bildung zieht sich durch viele Jahre.

Dagegen wurde manche Zeit und Mühe auf den Vorsatz, das Leben Herzog Bernhards zu schreiben, vergebens aufgewendet. Nach vielfachem Sammeln und mehrmaligem Schematisieren ward zuletzt nur allzu klar, daß die Ereignisse des Helden kein Bild machen. In der jammervollen Iliade des Dreißigjährigen Krieges spielt er eine würdige Rolle, läßt sich aber von jener Gesellschaft nicht absondern. Einen Ausweg glaubte ich jedoch gefunden zu haben: ich wollte das Leben schreiben wie einen ersten Band, der einen zweiten notwendig macht, auf den auch schon vorbereitend gedeutet wird; überall sollten Verzahnungen stehenbleiben, damit jedermann bedaure, daß ein frühzeitiger Tod den Baumeister verhindert habe, sein Werk zu vollenden. Für mich war diese Bemühung nicht unfruchtbar; denn wie das Studium zu »Berlichingen« [9] und »Egmont« mir tiefere Einsicht in das funfzehnte und sechzehnte Jahrhundert gewährte, so mußte mir diesmal die Verworrenheit des siebzehnten sich, mehr als sonst vielleicht geschehen wäre, entwickeln.

Ende 1779 fällt die zweite Schweizer Reise. Aufmerksamkeit auf äußere Gegenstände, Anordnung und Leitung unserer geselligen Irrfahrt ließen wenig Produktivität aufkommen. Übriggeblieben ist davon als Denkmal die »Wanderung von Genf auf den Gotthard«.

Die Rückreise, da wir wieder in die flächere Schweiz gelangten, ließ mich »Jery und Bätely« ersinnen; ich schrieb das Gedicht sogleich und konnte es völlig fertig mit nach Deutschland nehmen. Die Gebirgsluft, die darinnen weht, empfinde ich noch, wenn mir die Gestalten auf Bühnenbrettern zwischen Leinwand und Pappenfelsen entgegentreten.

Bis 1786

Die Anfänge »Wilhelm Meisters« hatten lange geruht. Sie entsprangen aus einem dunkeln Vorgefühl der großen Wahrheit: daß der Mensch oft etwas versuchen möchte, wozu ihm Anlage von der Natur versagt ist, unternehmen und ausüben möchte, wozu ihm Fertigkeit nicht werden kann; ein inneres Gefühl warnt ihn abzustehen, er kann aber mit sich nicht ins klare kommen und wird auf falschem Wege zu falschem Zwecke getrieben, ohne daß er weiß, wie es zugeht. Hiezu kann alles gerechnet werden, was man falsche Tendenz, Dilettantismus usw. genannt hat. Geht ihm hierüber von Zeit zu Zeit ein halbes Licht auf, so entsteht ein Gefühl, das an Verzweiflung grenzt, und doch läßt er sich wieder gelegentlich von der Welle, nur halb widerstrebend, fortreißen. Gar viele vergeuden hiedurch den schönsten Teil ihres Lebens und verfallen zuletzt in wundersamen Trübsinn. Und doch ist es möglich, daß alle die falschen Schritte zu einem unschätzbaren Guten hinführen: eine Ahnung, die sich im »Wilhelm Meister« [10] immer mehr entfaltet, aufklärt und bestätigt, ja sich zuletzt mit klaren Worten ausspricht: »Du kommst mir vor wie Saul, der Sohn Kis', der ausging, seines Vaters Eselinnen zu suchen, und ein Königreich fand.«

Wer die kleine Oper »Scherz, List und Rache« mit Nachdenken lesen mag, wird finden, daß dazu mehr Aufwand als billig gemacht worden. Sie beschäftigte mich lange Zeit; ein dunkler Begriff des Intermezzo verführte mich, und zugleich die Lust, mit Sparsamkeit und Kargheit in einem engen Kreise viel zu wirken. Dadurch häuften sich aber die Musikstücke dergestalt, daß drei Personen sie nicht zu leisten vermögen. Sodann hat der freche Betrug, wodurch ein geiziger Pedant mystifiziert wird, für einen rechtlichen Deutschen keinen Reiz, wenn Italiener und Franzosen sich daran wohl ergötzen möchten; bei uns aber kann die Kunst den Mangel des Gemüts nicht leicht entschuldigen. Noch einen Grundfehler hat das Singspiel, daß drei Personen, gleichsam eingesperrt, ohne die Möglichkeit eines Chors, dem Komponisten, seine Kunst zu entwickeln und den Zuhörer zu ergötzen, nicht genugsame Gelegenheit geben. Dessenungeachtet hat mir mein Landsmann Kayser, in Zürich sich aufhaltend, durch seine Komposition manchen Genuß verschafft, viel zu denken gegeben und ein gutes Jugendverhältnis, welches sich nachher in Rom erneuerte, immerfort lebendig erhalten.

»Die Vögel« und andere, verlorengegangene Festspiele für Ettersburg mögen hier noch genannt werden. Die zwei Akte von »Elpenor« wurden 1783 geschrieben. Zu Ende dieser Epoche reifte der Entschluß, meine sämtlichen Arbeiten bei Göschen herauszugeben. Die Redaktion der vier ersten Bände war Michael 1786 vollendet.

1787 bis 1788

Die vier letzten Bände sollten sodann nur meistens angelegte und unvollendete Arbeiten enthalten; auf Herders Anregung [11] jedoch wird deren fernere Bearbeitung unternommen. Von Ausführung des einzelnen findet sich viel in den zwei Bänden der »Italienischen Reise«. »Iphigenie« ward abgeschlossen noch vor der sizilianischen Fahrt. Als ich, bei meiner Rückkehr nach Rom, »Egmont« bearbeitete, fiel mir auf, in den Zeitungen lesen zu müssen, daß in Brüssel die Szenen, die ich geschildert, sich fast wörtlich erneuerten, so daß auch hier die poetische Antizipation wieder in Betracht kam. In die eigentliche italienische Opernform und ihre Vorteile hatte ich mich, bei meinem Aufenthalte in dem musikalischen Lande, recht eingedacht und eingeübt; deshalb unternahm ich mit Vergnügen, »Claudine von Villa Bella« metrisch zu bearbeiten, ingleichen »Erwin und Elmire«, und sie dem Komponisten zu freudiger Behandlung entgegenzuführen. Nach der Rückkehr aus Italien im Jahre 1788 wurde »Tasso« erst abgeschlossen, aber die Ausgabe bei Göschen dem Publikum vollständig überliefert.

1789

Kaum war ich in das weimarische Leben und die dortigen Verhältnisse, bezüglich auf Geschäfte, Studien und literarische Arbeiten, wieder eingerichtet, als sich die Französische Revolution entwickelte und die Aufmerksamkeit aller Welt auf sich zog. Schon im Jahr 1785 hatte die Halsbandgeschichte einen unaussprechlichen Eindruck auf mich gemacht. In dem unsittlichen Stadt-, Hof- und Staatsabgrunde, der sich hier eröffnete, erschienen mir die greulichsten Folgen gespensterhaft, deren Erscheinung ich geraume Zeit nicht loswerden konnte; wobei ich mich so seltsam benahm, daß Freunde, unter denen ich mich eben auf dem Lande aufhielt, als die erste Nachricht hievon zu uns gelangte, mir nur spät, als die Revolution längst ausgebrochen war, gestanden, daß ich ihnen damals wie wahnsinnig vorgekommen sei. Ich verfolgte den Prozeß mit großer Aufmerksamkeit, bemühte mich in Sizilien um Nachrichten von Cagliostro und seiner Familie und verwandelte [12] zuletzt, nach gewohnter Weise, um alle Betrachtungen loszuwerden, das ganze Ereignis unter dem Titel »Der Großkophta« in eine Oper, wozu der Gegenstand vielleicht besser als zu einem Schauspiele getaugt hätte. Kapellmeister Reichardt griff sogleich ein, komponierte mehreres einzelne, als: die Baßarie »Lasset Gelehrte sich zanken und streiten etc.«, »Geh, gehorche meinen Winken etc.«.

Diese reine Opernform, welche vielleicht die günstigste aller dramatischen bleibt, war mir so eigen und geläufig geworden, daß ich manchen Gegenstand darin behandelte. Ein Singspiel, »Die ungleichen Hausgenossen«, war schon ziemlich weit gediehen. Sieben handelnde Personen, die aus Familienverhältnis, Wahl, Zufall, Gewohnheit auf einem Schloß zusammen verweilten oder von Zeit zu Zeit sich daselbst versammelten, waren deshalb dem Ganzen vorteilhaft, weil sie die verschiedensten Charaktere bildeten, in Wollen und Können, Tun und Lassen völlig einander entgegen standen, entgegen wirkten und doch einander nicht loswerden konnten. Arien, Lieder, mehrstimmige Partien daraus verteilte ich nachher in meine lyrischen Sammlungen und machte dadurch jede Wiederaufnahme der Arbeit ganz unmöglich.

Gleich nach meiner Rückkunft aus Italien machte mir eine andere Arbeit viel Vergnügen. Seit Sternes unnachahmliche »Sentimentale Reise« den Ton gegeben und Nachahmer geweckt, waren Reisebeschreibungen fast durchgängig den Gefühlen und Ansichten des Reisenden gewidmet. Ich dagegen hatte die Maxime ergriffen, mich soviel als möglich zu verleugnen und das Objekt rein, als nur zu tun wäre, in mich auf zunehmen. Diesen Grundsatz befolgte ich getreulich, als ich dem römischen Karneval beiwohnte. Ausführlich ward ein Schema aller Vorkommenheiten aufgesetzt, auch fertigten gefällige Künstler charakteristische Maskenzeichnungen. Auf diese Vorarbeiten gründete ich meine Darstellung des »Römischen Karnevals«, welche, gut aufgenommen, geistreiche Menschen veranlaßte, auf ihren Reisen gleichfalls das Eigentümlichste der Völkerschaften und Verhältnisse klar und rein auszudrücken; [13] wovon ich nur den talentvollen, früh verschiedenen Friedrich Schulz nennen und seine Beschreibung eines polnischen Reichstags in Erinnerung bringen will.

1790

Meine frühern Verhältnisse zur Universität Jena, wodurch wissenschaftliche Bemühungen angeregt und begünstigt worden, eilte ich sogleich wieder anzuknüpfen. Die dortigen Museen fernerhin unter Mitwirkung vorzüglicher sachkundiger Männer vermehrt aufzustellen, zu ordnen und zu erhalten war eine so angenehme als lehrreiche Beschäftigung, und ich fühlte mich beim Betrachten der Natur, beim Studium einer weitumhergreifenden Wissenschaft für den Mangel an Kunstleben einigermaßen entschädigt. »Die Metamorphose der Pflanzen« ward als Herzenserleichterung geschrieben. Indem ich sie abdrucken ließ, hoffte ich ein Specimen pro loco den Wissenden darzulegen. Ein botanischer Garten ward vorbereitet.

Malerische Farbengebung war zu gleicher Zeit mein Augenmerk, und als ich auf die ersten physischen Elemente dieser Lehre zurückging, entdeckte ich zu meinem großen Erstaunen: die Newtonische Hypothese sei falsch und nicht zu halten. Genaueres Untersuchen bestätigte mir nur meine Überzeugung, und so war mir abermals eine Entwickelungskrankheit eingeimpft, die auf Leben und Tätigkeit den größten Einfluß haben sollte.

Angenehme häuslich-gesellige Verhältnisse geben mir Mut und Stimmung, die »Römischen Elegien« auszuarbeiten und zu redigieren. Die »Venezianischen Epigramme« gewann ich unmittelbar darauf. Ein längerer Aufenthalt in der wunderbaren Wasserstadt, erst in Erwartung der von Rom zurückkehrenden Herzogin Amalia, sodann aber ein längeres Verweilen daselbst im Gefolge dieser alles um sich her, auswärts und zu Hause, belebenden Fürstin, brachten mir die größten Vorteile. [14] Eine historische Übersicht der unschätzbaren venezianischen Schule ward mir anschaulich, als ich erst allein, sodann aber mit den römischen Freunden, Heinrich Meyer und Bury, nach Anleitung des höchst schätzbaren Werkes »Della pittura Veneziana«, 1771, von den damals noch unverrückten Kunstschätzen, insofern sie die Zeit verschont hatte und wie man sie zu erhalten und herzustellen suchte, vollständige Kenntnis nahm.

Die verehrte Fürstin mit dem ganzen Gefolge besuchte Mantua und ergötzte sich an dem Übermaß dortiger Kunstschätze. Meyer ging nach seinem Vaterlande, der Schweiz, Bury nach Rom zurück; die weitere Reise der Fürstin gab Genuß und Einsicht.

Kaum nach Hause gelangt, ward ich nach Schlesien gefordert, wo eine bewaffnete Stellung zweier großen Mächte den Kongreß von Reichenbach begünstigte. Erst gaben Kantonierungsquartiere Gelegenheit zu einigen Epigrammen, die hie und da eingeschaltet sind. In Breslau hingegen, wo ein soldatischer Hof und zugleich der Adel einer der ersten Provinzen des Königreichs glänzte, wo man die schönsten Regimenter ununterbrochen marschieren und manövrieren sah, beschäftigte mich unaufhörlich, so wunderlich es auch klingen mag, die vergleichende Anatomie, weshalb mitten in der bewegtesten Welt ich als Einsiedler in mir selbst abgeschlossen lebte. Dieser Teil des Naturstudiums war sonderbarlich angeregt worden. Als ich nämlich auf den Dünen des Lido, welche die venezianischen Lagunen von dem Adriatischen Meere sondern, mich oftmals erging, fand ich einen so glücklich geborstenen Schafschädel, der mir nicht allein jene große, früher von mir erkannte Wahrheit: die sämtlichen Schädelknochen seien aus verwandelten Wirbelknochen entstanden, abermals betätigte, sondern auch den Übergang innerlich ungeformter organischer Massen durch Aufschluß nach außen zu fortschreitender Veredelung höchster Bildung und Entwicklung in die vorzüglichsten Sinneswerkzeuge vor Augen stellte und zugleich meinen alten, durch Erfahrung bestärkten Glauben wieder auffrischte, welcher sich fest darauf begründet, daß die Natur kein Geheimnis [15] habe, was sie nicht irgendwo dem aufmerksamen Beobachter nackt vor die Augen stellt.

Da ich nun aber einmal mitten in der bewegtesten Lebensumgebung zum Knochenbau zurückgekehrt war, so mußte meine Vorarbeit, die ich auf den Zwischenknochen vor Jahren verwendet, abermals rege werden. Loder, dessen unermüdliche Teilnahme und Einwirkung ich immerfort zu rühmen habe, gedenkt derselben in seinem »Anatomischen Handbuch« von 1788. Da aber die dazugehörige kleine Abhandlung, deutsch und lateinisch, noch unter meinen Papieren liegt, so erwähne ich kürzlich nur soviel: Ich war völlig überzeugt, ein allgemeiner, durch Metamorphose sich erhebender Typus gehe durch die sämtlichen organischen Geschöpfe durch, lasse sich in allen seinen Teilen auf gewissen mittlern Stufen gar wohl beobachten und müsse auch noch da anerkannt werden, wenn er sich auf der höchsten Stufe der Menschheit ins Verborgene bescheiden zurückzieht.

Hierauf waren alle meine Arbeiten, auch die in Breslau, gerichtet; die Aufgabe war indessen so groß, daß sie in einem zerstreuten Leben nicht gelöst werden konnte.

Eine Lustfahrt nach den Salinen von Wieliczka und ein bedeutender Gebirgs- und Landritt, über Adersbach, Glatz usw. unternommen, bereicherte mit Erfahrung und Begriffen. Einiges findet sich aufgezeichnet.

1791

Ein ruhiges, innerhalb des Hauses und der Stadt zugebrachtes Jahr! Die freigelegenste Wohnung, in welcher eine geräumige dunkle Kammer einzurichten war, auch die anstoßenden Gärten, woselbst im Freien Versuche jeder Art angestellt werden konnten, veranlaßten mich, den chromatischen Untersuchungen ernstlich nachzuhängen. Ich bearbeitete vorzüglich die prismatischen Erscheinungen, und indem ich die subjektiven derselben ins unendliche vermannigfaltigte, ward ich [16] fähig, das erste Stück »Optischer Beiträge« herauszugeben, die mit schlechtem Dank und hohlen Redensarten der Schule beiseite geschoben wurden.

Damit ich aber doch von dichterischer und ästhetischer Seite nicht allzu kurz käme, übernahm ich mit Vergnügen die Leitung des Hoftheaters. Eine solche neue Einrichtung ward veranlaßt durch den Abzug der Gesellschaft Bellomos, welche seit 1784 in Weimar gespielt und angenehme Unterhaltung gegeben hatte. Sie war aus Oberdeutschland gekommen, und man hatte sich mit jenem Dialekt im Dialog, um des guten Gesangs willen, befreundet. Nun waren die Stellen der Abziehenden desto leichter zu ersetzen, weil man die Theater von ganz Deutschland zur Auswahl vor sich sah. Breslau und Hannover, Prag und Berlin sendeten uns tüchtige Mitglieder, die sich in kurzer Zeit ineinander einspielten und einsprachen und gleich von Anfang viele Zufriedenheit gewährten. Sodann blieben auch von jener abziehenden Gesellschaft verdienstvolle Individuen zurück, von welchen ich nur den unvergeßlichen Malcolmi nennen will. Kurz vor der Veränderung starb ein sehr schätzbarer Schauspieler, Neumann; er hinterließ uns eine vierzehnjährige Tochter, das liebenswürdigste, natürlichste Talent, das mich um Ausbildung anflehte.

Nur wenig Vorstellungen zum Eintritt wurden in Weimar gegeben. Die Gesellschaft hatte einen großen Vorteil, sommers in Lauchstädt zu spielen; ein neues Publikum, aus Fremden, aus dem gebildeten Teil der Nachbarschaft, den kenntnisreichen Gliedern einer nächstgelegenen Akademie und leidenschaftlich fordernden Jünglingen zusammengesetzt, sollten wir befriedigen. Neue Stücke wurden nicht eingelernt, aber die ältern durchgeübt, und so kehrte die Gesellschaft mit frischem Mute im Oktober nach Weimar zurück. Mit der größten Sorgfalt behandelte man nun die Stücke jeder Art; denn bei der neu zusammentretenden Gesellschaft mußte alles neu eingelernt werden.

Gar sehr begünstigte mich jene Neigung zur musikalischen Poesie. Ein unermüdlicher Konzertmeister, Kranz, und ein [17] immer tätiger Theaterdichter, Vulpius, griffen lebhaft mit ein. Einer Unzahl italienischer und französischer Opern eilte man deutschen Text unterzulegen, auch gar manchen schon vorhandenen zu besserer Singbarkeit umzuschreiben. Die Partituren wurden durch ganz Deutschland verschickt. Fleiß und Lust, die man hiebei aufgewendet, obgleich das Andenken völlig verschwunden sein mag, haben nicht wenig zur Verbesserung deutscher Operntexte mitgewirkt.

Diese Bemühungen teilte der aus Italien mit gleicher Vorliebe zurückkehrende Freund von Einsiedel, und so waren wir von dieser Seite auf mehrere Jahre geborgen und versorgt, und da die Oper immer ein Publikum anzuziehen und zu ergötzen das sicherste und bequemste Mittel bleibt, so konnten wir, von dieser Seite beruhigt, dem rezitierenden Schauspiel desto reinere Aufmerksamkeit widmen. Nichts hinderte, dieses auf eine würdige Weise zu behandeln und von Grund aus zu beleben.

Bellomos Repertorium war schon von Bedeutung. Ein Direktor spielt alles, ohne zu prüfen; was fällt, hat doch einen Abend ausgefüllt, was bleibt, wird sorgfältig benutzt. Dittersdorfische Opern, Schauspiele aus Ifflands bester Zeit fanden wir und brachten sie nach. »Die theatralischen Abenteuer«, eine immer erfreuliche Oper, mit Cimarosas und Mozarts Musik, ward noch vor Ende des Jahrs gegeben; »König Johann« aber, von Shakespeare, war unser größter Gewinn. Christiane Neumann als Arthur, von mir unterrichtet, tat wundervolle Wirkung; alle die übrigen mit ihr in Harmonie zu bringen mußte meine Sorge sein. Und so verfuhr ich von vorneherein, daß ich in jedem Stück den Vorzüglichsten zu bemerken und ihm die andern anzunähern suchte.

1792

So war der Winter hingegangen, und das Schauspiel hatte schon einige Konsistenz gewonnen. Wiederholung früherer wertvoller und beliebter Stücke, Versuche mit aller Art von [18] neueren gaben Unterhaltung und beschäftigten das Urteil des Publikums, welches denn die damals neuen Stücke aus Ifflands höchster Epoche mit Vergnügen anzuschauen sich gewöhnte. Auch Kotzebues Produktionen wurden sorgfältig aufgeführt und, insofern es möglich war, auf dem Repertorium erhalten.

Dittersdorfs Opern, dem singenden Schauspieler leicht, dem Publikum anmutig, wurden mit Aufmerksamkeit gegeben, Hagemeisteriche und Hagemeisterische Stücke, obgleich hohl, doch für den Augenblick Teilnahme erregend und Unterhaltung gewährend, nicht verschmäht. Bedeutendes aber geschah, als wir schon zu Anfange des Jahrs Mozarts »Don Juan« und bald darauf »Don Carlos« von Schiller aufführen konnten. Ein lebendiger Vorteil entsprang aus dem Beitritt des jungen Vohs zu unserm Theater. Er war von der Natur höchst begünstigt und erschien eigentlich jetzt erst als bedeutender Schauspieler.

Das Frühjahr belebte meine chromatischen Arbeiten, ich verfaßte das zweite Stück der »Optischen Beiträge« und gab es, von einer Tafel begleitet, heraus. In der Mitte des Sommers ward ich abermals ins Feld berufen, diesmal zu ernsteren Szenen. Ich eilte über Frankfurt, Mainz, Trier und Luxemburg nach Longwy, welches ich den 28. August schon eingenommen fand; von da zog ich mit bis Valmy sowie auch zurück bis Trier; sodann, um die unendliche Verwirrung der Heerstraße zu vermeiden, die Mosel herab nach Koblenz. Mancherlei Naturerfahrungen schlangen sich für den Aufmerksamen durch die bewegten Kriegsereignisse. Einige Teile von Fischers »Physikalischem Wörterbuche« begleiteten mich; manche Langweile stockender Tage betrog ich durch fortgesetzte chromatische Arbeiten, wozu mich die schönsten Erfahrungen in freier Welt aufregten, wie sie keine dunkle Kammer, kein Löchlein im Laden geben kann. Papiere, Akten und Zeichnungen darüber häuften sich.

Bei meinem Besuch in Mainz, Düsseldorf und Münster konnte ich bemerken, daß meine alten Freunde mich nicht recht [19] wiedererkennen wollten, wovon uns in Hubers Schriften ein Wahrzeichen übriggeblieben, dessen psychische Entwicklung gegenwärtig nicht schwerfallen sollte.

1793

Eben dieser widerwärtigen Art, alles Sentimentale zu verschmähen, sich an die unvermeidliche Wirklichkeit halb verzweifelnd hinzugeben, begegnete gerade»Reineke Fuchs« als wünschenswertester Gegenstand für eine zwischen Übersetzung und Umarbeitung schwebende Behandlung. Meine dieser unheiligen Weltbibel gewidmete Arbeit gereichte mir zu Hause und auswärts zu Trost und Freude. Ich nahm sie mit zur Blockade von Mainz, der ich bis zum Ende der Belagerung beiwohnte; auch darf ich zu bemerken nicht vergessen, daß ich sie zugleich als Übung im Hexameter vornahm, den wir freilich damals nur dem Gehör nachbildeten. Voß, der die Sache verstand, wollte, solange Klopstock lebte, aus Pietät dem guten alten Herrn nicht ins Gesicht sagen, daß seine Hexameter schlecht seien; das mußten wir Jüngeren aber büßen, die wir von Jugend auf uns in jene Rhythmik eingeleiert hatten. Voß verleugnete selbst seine Übersetzung der »Odyssee«, die wir verehrten, fand an seiner »Luise« auszusetzen, nach der wir uns bildeten, und so wußten wir nicht, welchem Heiligen wir uns widmen sollten.

Auch die »Farbenlehre« begleitete mich wieder an den Rhein, und ich gewann in freier Luft, unter heiterm Himmel, immer freiere Ansichten über die mannigfaltigen Bedingungen, unter denen die Farbe erscheint.

Diese Mannigfaltigkeit, verglichen mit meiner beschränkten Fähigkeit des Gewahrwerdens, Auffassens, Ordnens und Verbindens, schien mir die Notwendigkeit einer Gesellschaft herbeizuführen. Eine solche dachte ich mir in allen ihren Gliedern, bezeichnete die verschiedenen Obliegenheiten und deutete zuletzt an, wie man, auf eine gleichwirkende Art handelnd, [20] baldigst zum Zweck kommen müßte. Diesen Aufsatz legte ich meinem Schwager Schlosser vor, den ich nach der Übergabe von Mainz, dem siegreichen Heere weiter folgend, in Heidelberg sprach; ich ward aber gar unangenehm überrascht, als dieser alte Praktikus mich herzlich auslachte und versicherte: in der Welt überhaupt, besonders aber in dem lieben deutschen Vaterlande, sei an eine reine, gemeinsame Behandlung irgendeiner wissenschaftlichen Aufgabe nicht zu denken. Ich dagegen, obgleich auch nicht mehr jung, widersprach als ein Gläubiger, wogegen er mir manches umständlich voraussagte, welches ich damals verwarf, in der Folge aber, mehr als billig, probat gefunden habe.

Und so hielt ich für meine Person wenigstens mich immer fest an diese Studien wie an einem Balken im Schiffbruch; denn ich hatte nun zwei Jahre unmittelbar und persönlich das fürchterliche Zusammenbrechen aller Verhältnisse erlebt. Ein Tag im Hauptquartiere zu Hans und ein Tag in dem wiedereroberten Mainz waren Symbole der gleichzeitigen Weltgeschichte, wie sie es noch jetzt demjenigen bleiben, der sich synchronistisch jener Tage wieder zu erinnern sucht.

Einem tätigen, produktiven Geiste, einem wahrhaft vaterländisch gesinnten und einheimische Literatur befördernden Manne wird man es zugute halten, wenn ihn der Umsturz alles Vorhandenen schreckt, ohne daß die mindeste Ahnung zu ihm spräche, was denn Besseres, ja nur anderes daraus erfolgen solle. Man wird ihm beistimmen, wenn es ihn verdrießt, daß dergleichen Influenzen sich nach Deutschland erstrecken und verrückte, ja unwürdige Personen das Heft ergreifen. In diesem Sinne war »Der Bürgergeneral« geschrieben, ingleichen »Die Aufgeregten« entworfen, sodann die »Unterhaltungen der Ausgewanderten«. Alles Produktionen, die dem ersten Ursprung, ja sogar der Ausführung nach meist in dieses und das folgende Jahr gehören.

»Der Bürgergeneral« ward gegen Ende von 1793 in Weimar aufgeführt. Ein im Fach der Schnäpse höchst gewandter Schauspieler, Beck, war erst zu unserm Theater getreten, auf [21] dessen Talent und Humor vertrauend ich eigentlich die Rolle schrieb.

Er und der Schauspieler Malcolmi gaben ihre Rollen aufs vollkommenste; das Stück ward wiederholt, aber die Urbilder dieser lustigen Gespenster waren zu furchtbar, als daß nicht selbst die Scheinbilder hätten beängstigen sollen.

Neu und frisch traten die Schauspieler Graff undHaide mit einiger Vorbildung zu unserm Vereine; die Eheleute Porth brachten uns eine liebenswürdige Tochter, die in muntern Rollen durchaus erfreulich wirkte und noch jetzt unter dem Namen Vohs bei allen Theaterfreunden geschätzt und beliebt ist.

1794

Von diesem Jahre durft ich hoffen, es werde mich gegen die vorigen, in welchen ich viel entbehrt und gelitten, durch mancherlei Tätigkeit zerstreuen, durch mancherlei Freundlichkeit erquicken; und ich bedurfte dessen gar sehr.

Denn persönlicher Zeuge höchst bedeutender und die Welt bedrohender Umwendungen gewesen zu sein, das größte Unglück, was Bürgern, Bauern und Soldaten begegnen kann, mit Augen gesehen, ja solche Zustände geteilt zu haben gab die traurigste Stimmung.

Doch wie sollte man sich erholen, da uns die ungeheuern Bewegungen innerhalb Frankreichs jeden Tag beängstigten und bedrohten. Im vorigen Jahre hatten wir den Tod des Königs und der Königin bedauert, in diesem das gleiche Schicksal der Prinzeß Elisabeth. Robespierres Greueltaten hatten die Welt erschreckt, und der Sinn für Freude war so verloren, daß niemand über dessen Untergang zu jauchzen sich getraute; am wenigsten, da die äußern Kriegstaten der im Innersten aufgeregten Nation unaufhaltsam vorwärtsdrängten, ringsumher die Welt erschütterten und alles Bestehende mit Umschwung, wo nicht mit Untergang bedrohten.

Indes lebte man doch in einer traumartigen, schüchternen [22] Sicherheit im Norden und beschwichtigte die Furcht durch eine halbgegrundete Hoffnung auf das gute Verhältnis Preußens zu den Franzosen.

Bei großen Begebenheiten, ja selbst in der äußersten Bedrängnis kann der Mensch nicht unterlassen, mit Waffen des Wortes und der Schrift zu kämpfen. So machte ein deutsches Heft großes Aufsehen: »Aufruf an alle Völker Europens«; es sprach den siedenden Haß gegen die Franzosen aus, in dem Augenblicke, da sich die ungebändigten Feinde mächtig gegen unsere Grenzen näherten. Um aber den Wechselstreit der Meinungen aufs höchste zu treiben, schlichen französische revolutionäre Lieder im stillen umher; sie gelangten auch zu mir durch Personen, denen man es nicht zugetraut hätte.

Der innere Zwiespalt der Deutschen in Absicht auf Verteidigung und Gegenwirkung zeigte sich offenbar im Gange der politischen Anstalten. Preußen, ohne sich über die Absicht näher auszusprechen, verlangte Verpflegung für seine Truppen; es erschien ein Aufgebot, niemand aber wollte geben noch sich gehörig waffnen und vorsehen. In Regensburg kam eine Union der Fürsten gegen Preußen zur Sprache, begünstigt von derjenigen Seite, welche Vergrößerungsabsichten in der einseitigen Friedensverhandlung vermutete. Minister von Hardenberg versuchte dagegen, die Reichsstände zugunsten seines Königs zu erregen, und man schwankte, in Hoffnung, einen Halbfreund der Franzosen zu gewinnen, auch wohl auf diese Seite. Wer sich indessen von den Zuständen Rechenschaft gab, mochte wohl im Innern sich gestehen, daß man sich mit eiteln Hoffnungen zwischen Furcht und Sorge nur hinhalte.

Die Österreicher zogen sich über den Rhein herüber, die Engländer in die Niederlande, der Feind nahm einen größern Raum ein und erwarb reichlichere Mittel. Die Nachrichten von Flüchtigen allerorten vermehrten sich, und es war keine Familie, kein Freundeskreis, der nicht in seinen Gliedern wäre beschädigt worden. Man sendete mir aus dem südlichen und westlichen Deutschland Schatzkästchen, Spartaler, Kostbarkeiten mancher Art zum treuen Aufbewahren, die mich als [23] Zeugnisse großen Zutrauens erfreuten, während sie mir als Beweise einer beängstigten Nation traurig vor Augen standen.

Und so ruckten denn auch, insofern ich in Frankfurt angesessen war, die Besorglichkeiten immer näher und näher. Der schöne bürgerliche Besitz, dessen meine Mutter seit dem Ableben meines Vaters sich erfreute, ward ihr schon seit dem früheren Anfang der Feindseligkeiten zur Last, ohne daß sie sich es zu bekennen getraute, doch hatte ich bei meinem vorjährigen Besuch sie über ihren Zustand aufgeklärt und auf gemuntert, sich solcher Bürde zu entledigen. Aber gerade in dieser Zeit war unrätlich zu tun, was man für notwendig hielt.

Ein bei unsern Lebzeiten neuerbautes, bürgerlich bequemes und anständiges Haus, ein wohlversorgter Keller, Hausgerät aller Art und der Zeit nach von gutem Geschmack, Büchersammlungen, Gemälde, Kupferstiche und Landkarten, Altertümer, kleine Kunstwerke und Kuriositäten, gar manches Merkwürdige, das mein Vater aus Liebhaberei und Kenntnis bei guter Gelegenheit um sich versammelt hatte: es stand alles da und noch beisammen, es griff durch Ort und Stellung gar bequem und nutzhaft ineinander und hatte zusammen nur eigentlich seinen herkömmlichen Wert; dachte man sich, daß es sollte verteilt und zerstreut werden, so mußte man fürchten, es verschleudert und verloren zu sehen.

Auch merkte man bald, indem man sich mit Freunden beriet, mit Mäklern unterhandelte, daß in der jetzigen Zeit ein jeder Verkauf, selbst ein unvorteilhafter, sich verspäten müsse. Doch der Entschluß war einmal gefaßt, und die Aussicht auf eine lebenslängliche Miete in einem schön gelegenen, obgleich erst neu zu erbauenden Hause gab der Einbildungskraft meiner guten Mutter eine heitere Stimmung, die ihr manches Unangenehme der Gegenwart übertragen half.

Schwankende Gerüchte vom An- und Eindringen der Feinde verbreiteten schreckenvolle Unsicherheit. Handelsleute schafften ihre Waren fort, mehrere das beweglich Kostbare, und so wurden auch viele Personen aufgeregt, an sich selbst zu denken. Die Unbequemlichkeit einer Auswanderung und [24] Ortsveränderung stritt mit der Furcht vor einer feindlichen Behandlung; auch ward mein Schwager Schlosser in diesem Strudel mit fortgerissen. Mehrmals bot ich meiner Mutter einen ruhigen Aufenthalt bei mir an, aber sie fühlte keine Sorge für ihre eigene Persönlichkeit; sie bestärkte sich in ihrem alttestamentlichen Glauben und, durch einige zur rechten Zeit ihr begegnende Stellen aus den Psalmen und Propheten, in der Neigung zur Vaterstadt, mit der sie ganz eigentlich zusammengewachsen war; weshalb sie denn auch nicht einmal einen Besuch zu mir unternehmen wollte.

Sie hatte ihr Bleiben an Ort und Stelle entschieden ausgesprochen, als Frau von Laroche sich bei Wieland anmeldete und ihn dadurch in die größte Verlegenheit setzte. Hier waren wir nun in dem Fall, ihm und uns einen Freundschaftsdienst zu erweisen. Angst und Sorge hatten wir schon genug, dazu aber noch obendrein die Wehklage zu erdulden schien ganz unmöglich. Gewandt in solchen Dingen, wußte meine Mutter, selbst so vieles ertragend, auch ihre Freundin zu beschwichtigen und sich dadurch unsern größten Dank zu verdienen.

Sömmerring mit seiner trefflichen Gattin hielt es in Frankfurt aus, die fortwährende Unruhe zu ertragen. Jacobi war aus Pempelfort nach Wandsbek geflüchtet, die Seinigen hatten andere Orte der Sicherheit gesucht. Max Jacobi war in meiner Nähe als der Medizin Beflissener in Jena.

Das Theater, wenn es mich auch nicht ergötzte, unterhielt mich doch in fortwährender Beschäftigung; ich betrachtete es als eine Lehranstalt zur Kunst mit Heiterkeit, ja als ein Symbol des Welt- und Geschäftslebens, wo es auch nicht immer sanft hergeht, und übertrug, was es Unerfreuliches haben mochte.

Schon zu Anfang des Jahres konnte »Die Zauberflöte« gegeben werden, bald darauf »Richard Löwenherz«, und dies wollte zu jener Zeit, unter den gegebenen Umständen schon etwas heißen. Dann kamen einige bedeutende Ifflandische Schauspiele an die Reihe, und unser Personal lernte sich immer besser und reiner in diese Vorträge finden. Das Repertorium[25] war schon ansehnlich, daher denn kleinere Stücke, wenn sie sich auch nicht hielten, immer einigemal als Neuigkeit gelten konnten. Die Schauspielerin Beck, welche in diesem Jahre antrat, füllte das in Ifflandischen und Kotzebueschen Stücken wohlbedachte Fach gutmütiger und bösartiger Mütter, Schwestern, Tanten und Schließerinnen ganz vollkommen aus. Vohs hatte die höchst anmutige, zur Gurli geschaffene Porth geheiratet, und es blieb in dieser mittlern Region wenig zu wünschen übrig. Die Gesellschaft spielte den Sommer über einige Monate in Lauchstädt, daher man wie immer den doppelten Vorteil zog, daß eingelernte Stücke fortgeübt wurden, ohne dem weimarischen Publikum verdrießlich zu fallen.

Nunmehr gegen Jena und die dortigen Lehrbühnen die Aufmerksamkeit lenkend, erwähne ich folgendes:

Nach Reinholds Abgang, der mit Recht als ein großer Verlust für die Akademie erschien, war mit Kühnheit, ja Verwegenheit, an seine Stelle Fichte berufen worden, der in seinen Schriften sich mit Großheit, aber vielleicht nicht ganz gehörig über die wichtigsten Sitten- und Staatsgegenstände erklärt hatte. Es war eine der tüchtigsten Persönlichkeiten, die man je gesehen, und an seinen Gesinnungen in höherm Betracht nichts auszusetzen; aber wie hätte er mit der Welt, die er als seinen erschaffenen Besitz betrachtete, gleichen Schritt halten sollen?

Da man ihm die Stunden, die er zu öffentlichen Vorlesungen benutzen wollte, an Werkeltagen verkümmert hatte, so unternahm er sonntags Vorlesungen, deren Einleitung Hindernisse fand. Kleine und größere daraus entspringende Widerwärtigkeiten waren kaum, nicht ohne Unbequemlichkeit der obern Behörden, getuscht und geschlichtet, als uns dessen Äußerungen über Gott und göttliche Dinge, über die man freilich besser ein tiefes Stillschweigen beobachtet, von außen beschwerende Anregungen zuzogen. In Kursachsen wollte man von gewissen Stellen der Fichteschen Zeitschrift nicht das Beste denken, und freilich hatte man alle Mühe, dasjenige, was in Worten etwas stark verfaßt war, durch andere Worte leidlich [26] auszulegen, zu mildern und, wo nicht geltend, doch verzeihlich zu machen.

Professor Göttling, der nach einer freisinnigen Bildung durch wissenschaftliche Reisen unter die allerersten zu zählen ist, die den allerdings hohen Begriff der neuern französischen Chemie in sich aufnahmen, trat mit der Entdeckung hervor, daß Phosphor auch in Stickluft brenne. Die deshalb entstehenden Hin – und Widerversuche beschäftigten uns eine Zeitlang.

Geheimerat Voigt, ein getreuer Mitarbeiter auch im mineralogischen Felde, kam von Karlsbad zurück und brachte sehr schöne Tungsteine, teils in größeren Massen, teils deutlich kristallisiert, womit wir späterhin, als dergleichen seltener vorkamen, gar manchen Liebhaber erfreuen konnten.

Alexander von Humboldt, längst erwartet, von Bayreuth ankommend, nötigte uns ins Allgemeinere der Naturwissenschaft. Sein älterer Bruder, gleichfalls in Jena gegenwärtig, ein klares Interesse nach allen Seiten hin richtend, teilte Streben, Forschen und Unterricht.

Zu bemerken ist, daß Hofrat Loder eben die Bänderlehre las, den höchst wichtigen Teil der Anatomie: denn was vermittelt wohl Muskeln und Knochen als die Bänder? Und doch ward durch eine besondere Verrücktheit der medizinischen Jugend gerade dieser Teil vernachlässigt. Wir Genannten, mit Freund Meyern, wandelten des Morgens im tiefsten Schnee, um in einem fast leeren anatomischen Auditorium diese wichtige Verknüpfung aufs deutlichste nach den genauesten Präparaten vorgetragen zu sehen.

Der treffliche, immerfort tätige, selbst die kleinsten Nachhülfen seines Bestrebens nicht verschmähendeBatsch ward in diesem Jahre in einen mäßigen Teil des obern Fürstengartens zu Jena eingesetzt. Da aber ein dort angestellter, auf Nutzung angewiesener Hofgärtner im Hauptbesitz blieb, so gab es manche Unannehmlichkeiten, welche zu beseitigen man diesmal nur Plane für die Zukunft machen konnte.

Auch in diesem Jahre, gleichsam zu guter Vorbedeutung, ward die Nachbarschaft des gedachten Gartens heiterer und [27] freundlicher. Ein Teil der Stadtmauer war eingefallen, und um die Kosten der Wiederherstellung zu vermeiden, beschloß man die Ausfüllung des Grabens an dieser Stelle; dann sollte die gleiche Operation sich auf den übrigen Teil nach und nach erstrecken.

Gegen die großen, immer gesteigerten Forderungen der Chromatik fühlte ich mehr und mehr meine Unzulänglichkeit. Ich ließ daher nicht ab, fortwährend Gemütsfreunde heranzuziehen. Mit Schlossern gelang es mir nicht; denn selbst in den friedlichsten Zeiten würde er diesem Geschäft seine Aufmerksamkeit nicht zugewendet haben. Der sittliche Teil des menschlichen Wesens unterlag seinen Betrachtungen, und von dem Innern zu dem Äußern überzugehen ist schwerer, als man denkt. Sömmerring dagegen setzte seine Teilnahme durch alle die verworrenen Schicksale fort. Geistreich war sein Eingreifen, fördernd selbst sein Widerspruch, und wenn ich auf seine Mitteilungen recht aufmerkte, so sah ich immer weiter.

Von allen Unbilden dieses Jahres nahm die Natur ihrer Gewohnheit gemäß nicht die geringste Kenntnis. Alle Feldfrüchte gediehen herrlich, alles reifte einen Monat früher, alles Obst gelangte zur Vollkommenheit, Aprikosen und Pfirschen, Melonen und auch Kastanien boten sich dem Liebhaber reif und schmackhaft dar, und selbst in der Reihe vortrefflicher Weinjahre finden wir 1794 mit aufgezählt.

Von literarischen Arbeiten zu reden, so war der»Reineke Fuchs« nunmehr abgedruckt; allein die Unbilden, die aus Versendung der Freiexemplare sich immer hervortun, blieben auch diesmal nicht aus. So verdarb eine Zufälligkeit mir die frische Teilnahme meiner gothaischen Gönner und Freunde. Herzog Ernst hatte mir verschiedene physikalische Instrumente freundlichst geborgt, bei deren Rücksendung ich die Exemplare des Scherzgedichtes beipackte, ohne derselben in meinem Briefe zu erwähnen, ich weiß nicht, ob aus Übereilung oder eine Überraschung beabsichtigend. Genug, der mit solchen Geschäften Beauftragte des Fürsten war abwesend, und die Kiste blieb lange Zeit unausgepackt; ich aber, eine teilnehmende [28] Erwiderung so werter und sonst so pünktlicher Freunde mehrere Wochen entbehrend, machte mir tausend Grillen, bis endlich nach Eröffnung der Kiste nur Entschuldigungen, Anklagen, Bedauernisse, wiederholt ausgedrückt, mir statt einer heitern Aufnahme unglücklicherweise zuteil wurden.

Von der beurteilenden Seite aber waren Vossens rhythmische Bemerkungen nicht tröstlich, und ich mußte nur zufrieden sein, daß mein gutes Verhältnis zu den Freunden nicht gestört wurde, anstatt daß es sich hätte erhöhen und beleben sollen. Doch setzte sich alles bald wieder ins gleiche: Prinz August fuhr mit seinen literarischen Scherzen fort, Herzog Ernst gewährte mir unausgesetzt ein wohlgegründetes Vertrauen, indem ich besonders seiner Kunstliebhaberei gar manche angenehme Besitzung zuführte. Auch Voß konnte mit mir zufrieden sein, indem ich, auf seine Bemerkungen achtend, mich in der Folge nachgiebig und bildsam erwies.

Der Abdruck des ersten Bandes von »Wilhelm Meister« war begonnen, der Entschluß, eine Arbeit, an der ich noch so viel zu erinnern hatte, für fertig zu erklären, war endlich gefaßt, und ich war froh, den Anfang aus den Augen zu haben, wenn mich schon die Fortsetzung sowie die Aussicht auf eine nunmehrige Beendigung höchlich bedrängte. Die Notwendigkeit aber ist der beste Ratgeber.

In England erschien eine Übersetzung der »Iphigenia«; Unger druckte sie nach; aber weder ein Exemplar des Originals noch der Kopie ist mir geblieben.

An dem Bergbaue zu Ilmenau hatten wir uns schon mehrere Jahre herumgequält; eine so wichtige Unternehmung isoliert zu wagen war nur einem jugendlichen, tätig-frohen Übermut zu verzeihen. Innerhalb eines großen, eingerichteten Bergwesens hätte sie sich fruchtbarer fortbilden können; allein mit beschränkten Mitteln, fremden, obgleich sehr tüchtigen, von Zeit zu Zeit herbeigerufenen Offizianten konnte man zwar ins klare kommen, dabei aber war die Ausführung weder umsichtig noch energisch genug, und das Werk, besonders bei [29] einer ganz unerwarteten Naturbildung, mehr als einmal im Begriff zu stocken.

Ein ausgeschriebener Gewerkentag ward nicht ohne Sorge von mir, und selbst von meinem Kollegen, dem geschäftsgewandteren Geheimerat Voigt, mit einiger Bedenklichkeit bezogen; aber uns kam ein Sukkurs, von woher wir ihn niemals erwartet hätten. Der Zeitgeist, dem man soviel Gutes und soviel Böses nachzusagen hat, zeigte sich als unser Alliierter: Einige der Abgeordneten fanden gerade gelegen, eine Art von Konvent zu bilden und sich der Führung und der Leitung der Sache zu unterziehen. Anstatt daß wir Kommissarien also nötig gehabt hätten, die Litanei von Übeln, zu der wir uns schon vorbereitet hatten, demütig abzubeten, ward sogleich beschlossen, daß die Repräsentanten selbst sich Punkt für Punkt an Ort und Stelle aufzuklären und ohne Vorurteil in die Natur der Sache zu sehen sich bemühen sollten.

Wir traten gern in den Hintergrund, und von jener Seite war man nachsichtiger gegen die Mängel, die man selbst entdeckt hatte, zutraulicher auf die Hülfsmittel, die man selbst erfand, so daß zuletzt alles, wie wir es nur wünschen konnten, beschlossen wurde; und da es denn endlich an Gelde nicht fehlen durfte, um diese weisen Ratschläge ins Werk zu setzen, so wurden auch die nötigen Summen verwilligt, und alles ging mit Wohlgefallen auseinander.

Ein wundersamer, durch verwickelte Schicksale nicht ohne seine Schuld verarmter Mann hielt sich durch meine Unterstützung in Ilmenau unter fremdem Namen auf. Er war mir sehr nützlich, da er mir in Bergwerks- und Steuersachen durch unmittelbare Anschauung als gewandter, obgleich hypochondrischer Geschäftsmann mehreres überlieferte, was ich selbst nicht hätte bis auf den Grad einsehen und mir zu eigen machen können.

Durch meine vorjährige Reise an den Niederrhein hatte ich mich an Fritz Jacobi und die Fürstin Gallitzin mehr angenähert; doch blieb es immer ein wunderbares Verhältnis, dessen Art und Weise schwer auszusprechen und nur durch den [30] Begriff der ganzen Klasse gebildeter, oder vielmehr der sich erst bildenden Deutschen einzusehen.

Dem besten Teil der Nation war ein Licht aufgegangen, das sie aus der öden, gehaltlosen, abhängigen Pedanterie als einem kümmerlichen Streben herauszuleiten versprach. Sehr viele waren zugleich von demselben Geist ergriffen, sie erkannten die gegenseitigen Verdienste, sie achteten einander, fühlten das Bedürfnis, sich zu verbinden, sie suchten, sie liebten sich, und dennoch konnte keine wahrhafte Einigung entstehen. Das allgemeine Interesse, sittlich, moralisch, war doch ein vages, unbestimmtes, und es fehlte im ganzen wie im einzelnen an Richtung zu besondern Tätigkeiten. Daher zerfiel der große unsichtbare Kreis in kleinere, meist lokale, die manches Löbliche erschufen und hervorbrachten; aber eigentlich isolierten sich die Bedeutenden immer mehr und mehr.

Es ist zwar dies die alte Geschichte, die sich bei Erneuerung und Belebung starrer, stockender Zustände gar oft ereignet hat, und mag also für ein literarisches Beispiel gelten dessen, was wir in der politischen und kirchlichen Geschichte so oft wiederholt sehen.

Die Hauptfiguren wirkten ihrem Geist, Sinn und Fähigkeit nach unbedingt; an sie schlossen sich andere, die sich zwar Kräfte fühlten, aber doch schon gesellig und untergeordnet zu wirken nicht abgeneigt waren.

Klopstock sei zuerst genannt. Geistig wendeten sich viele zu ihm; seine keusche, abgemessene, immer Ehrfurcht gebietende Persönlichkeit aber lockte zu keiner Annäherung. An Wieland schlossen sich gleichfalls wenige persönlich: das literarische Zutrauen aber war grenzenlos – das südliche Deutschland, besonders Wien, sind ihm ihre poetische und prosaische Kultur schuldig; unübersehbare Einsendungen jedoch brachten ihn oft zu heiterer Verzweiflung.

Herder wirkte später. Sein anziehendes Wesen sammelte nicht eigentlich eine Menge um ihn her, aber einzelne gestalteten sich an und um ihn, hielten an ihm fest und hatten zu ihrem größten Vorteile sich ihm ganz hingegeben. Und so hatten sich [31] kleine Weltsysteme gebildet. Auch Gleim war ein Mittelpunkt, um den sich viele Talente versammelten. Mir wurden viele Sprudelköpfe zuteil, welche fast den Ehrennamen eines Genies zum Spitznamen herabgebracht hätten.

Aber bei allem diesen fand sich das Sonderbare, daß nicht nur jeder Häuptling, sondern auch jeder Angeordnete seine Selbständigkeit festhielt und andere deshalb an und nach sich in seine besonderen Gesinnungen heranzuziehen bemüht war: wodurch denn die seltsamsten Wirkungen und Gegenwirkungen sich hervortaten.

Und wie Lavater forderte, daß man sich nach seinem Beispiel mit Christo transsubstantiieren müsse, so verlangte Jacobi, daß man seine individuelle, tiefe, schwer zu definierende Denkweise in sich aufnehmen solle. Die Fürstin hatte in der katholischen Sinnesart, innerhalb der Ritualitäten der Kirche, die Möglichkeit gefunden, ihren edlen Zwecken gemäß zu leben und zu handeln. Diese beiden liebten mich wahrhaft und ließen mich im Augenblick gewähren, jedoch immer mit stiller, nicht ganz verheimlichter Hoffnung, mich ihren Gesinnungen völlig anzueignen; sie ließen sich daher manche von meinen Unarten gefallen, die ich oft aus Ungeduld und, um mir gegen sie Luft zu machen, vorsätzlich ausübte.

Im ganzen war jedoch jener Zustand eine aristokratische Anarchie, ungefähr wie der Konflikt jener eine bedeutende Selbständigkeit entweder schon besitzenden oder zu erringen strebenden Gewalten im Mittel alter. Auch war es eine Art Mittelalter, das einer höheren Kultur voranging, wie wir jetzt wohl übersehen, da uns mehrere Einblicke in diesen nicht zu beschreibenden, vielleicht für Nachlebende nicht zu fassenden Zustand eröffnet worden. Hamanns Briefe sind hiezu ein unschätzbares Archiv, zu welchem der Schlüssel im ganzen wohl möchte gefunden werden, für die einzelnen geheimen Fächer vielleicht nie.

Als Hausgenossen besaß ich nunmehr meinen ältesten römischen Freund, Heinrich Meyer. Erinnerung und Fortbildung italienischer Studien blieb tägliche Unterhaltung. Bei dem letzten [32] Aufenthalt in Venedig hatten wir uns aufs neue von Grund aus verständigt und uns nur desto inniger verbunden.

Wie aber alles Bestreben, einen Gegenstand zu fassen, in der Entfernung vom Gegenstande sich nur verwirrt oder, wenn man zur Klarheit vorzudringen sucht, die Unzulänglichkeit der Erinnerung fühlbar macht und immerfort eine Rückkehr zur Quelle des Anschauens in der lebendigen Gegenwart fordert, so war es auch hier. Und wer, wenn er auch mit wenigerem Ernst in Italien gelebt, wünscht nicht immer, dorthin zurückzukehren!

Noch aber war der Zwiespalt, den das wissenschaftliche Bemühen in mein Dasein gebracht, keinesweges ausgeglichen: denn die Art, wie ich die Naturerfahrungen behandelte, schien die übrigen Seelenkräfte sämtlich für sich zu fordern.

In diesem Drange des Widerstreits übertraf alle meine Wünsche und Hoffnungen das auf einmal sich entwickelnde Verhältnis zu Schiller; von der ersten Annäherung an war es ein unaufhaltsames Fortschreiten philosophischer Ausbildung und ästhetischer Tätigkeit. Zum Behuf seiner »Horen« mußte ihm sehr angelegen sein, was ich im stillen gearbeitet, angefangen, unternommen, sämtlich zu kennen, neu anzuregen und zu benutzen; für mich war es ein neuer Frühling, in welchem alles froh nebeneinander keimte und aus aufgeschlossenen Samen und Zweigen hervorging. Die nunmehr gesammelten und geordneten beiderseitigen Briefe geben davon das unmittelbarste, reinste und vollständigste Zeugnis.

1795

Die »Horen« wurden ausgegeben, »Episteln«, »Elegien«, »Unterhaltungen der Ausgewanderten« von meiner Seite beigetragen. Außerdem überlegten und berieten wir gemeinsam den ganzen Inhalt dieser neuen Zeitschrift, die Verhältnisse der Mitarbeiter und was bei dergleichen Unternehmungen sonst vorkommen mag. Hiebei lernte ich Mitlebende kennen, ich[33] ward mit Autoren und Produktionen bekannt, die mir sonst niemals einige Aufmerksamkeit abgewonnen hätten. Schiller war überhaupt weniger ausschließend als ich und mußte nachsichtig sein als Herausgeber.

Bei allem diesem konnt ich mich nicht enthalten, anfangs Juli nach Karlsbad zu gehen und über vier Wochen daselbst zu verweilen. In jüngern Jahren ist man ungeduldig bei den kleinsten Übeln, und Karlsbad war mir schon öfters heilsam gewesen. Vergebens aber hatt ich mancherlei Arbeiten mitgenommen, denn die auf gar vielfache Weise mich berührende große Masse von Menschen zerstreute, hinderte mich, gab mir freilich aber auch manche neue Aussicht auf Welt und Persönlichkeiten.

Kaum war ich zurück, als von Ilmenau die Nachricht einlief, ein bedeutender Stollenbruch habe dem dortigen Bergbau den Garaus gemacht. Ich eilte hin und sah nicht ohne Bedenken und Betrübnis ein Werk, worauf so viel Zeit, Kraft und Geld verwendet worden, in sich selbst erstickt und begraben.

Erheiternd war mir dagegen die Gesellschaft meines fünfjährigen Sohnes, der diese Gegend, an der ich mich nun seit zwanzig Jahren müde gesehen und gedacht, mit frischem kindlichem Sinn wieder auffaßte, alle Gegenstände, Verhältnisse, Tätigkeiten mit neuer Lebenslust ergriff und viel entschiedener, als mit Worten hätte geschehen können, durch die Tat aussprach: daß dem Abgestorbenen immer etwas Belebtes folge und der Anteil der Menschen an dieser Erde niemals erlöschen könne.

Von da ward ich nach Eisenach gefordert; der Hof weilte daselbst mit mehreren Fremden, besonders Emigrierten. Bedenkliche Kriegsbewegungen riefen jedermann zur Aufmerksamkeit: Die Österreicher waren sechzigtausend Mann über den Main gegangen, und es schien, als wenn in der Gegend von Frankfurt die Ereignisse lebhaft werden sollten. Einen Auftrag, der mich dem Kampfplatze genähert hätte, wußte ich abzulehnen; ich kannte das Kriegsunheil zu sehr, als daß ich es hätte aufsuchen sollen.

[34] Hier begegnete mir ein Fall, an welchen ich öfters zu denken im Leben Ursache hatte. Graf Dumanoir, unter allen Emigrierten ohne Frage der am meisten Gebildete, von tüchtigem Charakter und reinem Menschenverstand, dessen Urteil ich meist unbefangen gefunden hatte – er begegnete mir in Eisenach vergnügt auf der Straße und erzählte, was in der Frankfurter Zeitung Günstiges für ihre Angelegenheiten stehe. Da ich doch auch den Gang des Weltwesens ziemlich vor mir im Sinne hatte, so stutzte ich, und es schien mir unbegreiflich, wie dergleichen sich sollte ereignet haben. Ich eilte daher, mir das Blatt zu verschaffen, und konnte beim Lesen und Wiederlesen nichts Ähnliches darin finden, bis ich zuletzt eine Stelle gewahrte, die man allenfalls auf diese Angelegenheit beziehen konnte, da sie denn aber gerade das Gegenteil würde bedeutet haben.

Früher hatte ich schon einmal ein Stärkeres, aber freilich auch von einem Emigrierten vernommen. Die Franzosen hatten sich bereits über der ganzen Oberfläche ihres Vaterlandes auf alle Weise gemordet; die Assignate waren zu Mandaten und diese wieder zu nichts geworden; von allem dem war umständlich und mit großem Bedauern die Rede, als ein Marquis mit einiger Beruhigung versetzte: dies sei zwar ein großes Unglück, nur befürchte er, es werde noch gar der bürgerliche Krieg ausbrechen und der Staatsbanquerutt unvermeidlich sein.

Wem dergleichen von Beurteilung unmittelbarer Lebensverhältnisse vorgekommen, der wird sich nicht mehr wundern, wenn ihm in Religion, Philosophie und Wissenschaft, wo des Menschen abgesondertes Innere in Anspruch genommen wird, ebensolche Verfinsterung des Urteils und der Meinung am hellen Mittag begegnet.

In derselben Zeit ging Freund Meyer nach Italien zurück; denn obgleich der Krieg in der Lombardei schon heftig geführt wurde, so war doch im übrigen alles noch unangetastet, und wir lebten im Wahn, die Jahre von 87 und 88 wiederholen zu können. Seine Entfernung beraubte mich alles Gesprächs [35] über bildende Kunst, und selbst meine Vorbereitung, ihm zu folgen, führte mich auf andere Wege.

Ganz abgelenkt und zur Naturbetrachtung zurückgeführt ward ich, als gegen Ende des Jahrs die beiden Gebrüder von Humboldt in Jena erschienen. Sie nahmen beiderseits in diesem Augenblick an Naturwissenschaften großen Anteil, und ich konnte mich nicht enthalten, meine Ideen über vergleichende Anatomie und deren methodische Behandlung im Gespräch mitzuteilen. Da man meine Darstellungen zusammenhängend und ziemlich vollständig erachtete, ward ich dringend aufgefordert, sie zu Papier zu bringen, welches ich auch sogleich befolgte, indem ich an Max Jacobi das Grundschema einer vergleichenden Knochenlehre, gegenwärtig, wie es mir war, diktierte, den Freunden Gnüge tat und mir selbst einen Anhaltepunkt gewann, woran ich meine weiteren Betrachtungen knüpfen konnte.

Alexander von Humboldts Einwirkungen verlangen besonders behandelt zu werden. Seine Gegenwart in Jena fördert die vergleichende Anatomie; er und sein älterer Bruder bewegen mich, das noch vorhandene allgemeine Schema zu diktieren. Bei seinem Aufenthalt in Bayreuth ist mein briefliches Verhältnis zu ihm sehr interessant.

Gleichzeitig und verbunden mit ihm tritt Geheimerat Wolf von einer andern Seite, doch im allgemeinen Sinne mit in unsern Kreis.

Die Versendung der Freiexemplare von »Wilhelm Meisters« erstem Teil beschäftigte mich eine Weile. Die Beantwortung war nur teilweise erfreulich, im ganzen keineswegs förderlich; doch bleiben die Briefe, wie sie damals einlangten und noch vorhanden sind, immer bedeutend und belehrend. Herzog und Prinz von Gotha, Frau von Frankenberg daselbst, von Thümmel, meine Mutter, Sömmerring, Schlosser, von Humboldt, von Dalberg in Mannheim, Voß, die meisten, wenn man es genau nimmt, se defendendo, gegen die geheime Gewalt des Werkes sich in Positur setzend. Eine geistreiche geliebte Freundin aber brachte mich ganz besonders in Verzweiflung [36] durch Ahnung manches Geheimnisses, Bestreben nach Enthüllung und ängstliche Deutelei, anstatt daß ich gewünscht hätte, man möchte die Sache nehmen, wie sie lag, und sich den faßlichen Sinn zueignen.

Indem nun Unger die Fortsetzung betrieb und den zweiten Band zu beschleunigen suchte, ergab sich ein widerwärtiges Verhältnis mit Kapellmeister Reichardt. Man war mit ihm, ungeachtet seiner vor – und zudringlichen Natur, in Rücksicht auf sein bedeutendes Talent in gutem Vernehmen gestanden; er war der erste, der mit Ernst und Stetigkeit meine lyrischen Arbeiten durch Musik ins Allgemeine förderte, und ohnehin lag es in meiner Art, aus herkömmlicher Dankbarkeit unbequeme Menschen fortzudulden, wenn sie mir es nicht gar zu arg machten, alsdann aber meist mit Ungestüm ein solches Verhältnis abzubrechen. Nun hatte sich Reichardt mit Wut und Ingrimm in die Revolution geworfen; ich aber, die greulichen unaufhaltsamen Folgen solcher gewalttätig aufgelösten Zustände mit Augen schauend und zugleich ein ähnliches Geheimtreiben im Vaterlande durch und durch blickend, hielt ein für allemal am Bestehenden fest, an dessen Verbesserung, Belebung und Richtung zum Sinnigen, Verständigen ich mein Leben lang bewußt und unbewußt gewirkt hatte, und konnte und wollte diese Gesinnung nicht verhehlen.

Reichardt hatte auch die Lieder zum »Wilhelm Meister« mit Glück zu komponieren angefangen, wie denn immer noch seine Melodie zu »Kennst du das Land« als vorzüglich bewundert wird. Unger teilte ihm die Lieder der folgenden Bände mit, und so war er von der musikalischen Seite unser Freund, von der politischen unser Widersacher, daher sich im stillen ein Bruch vorbereitete, der zuletzt unaufhaltsam an den Tag kam.

Über das Verhältnis zu Jacobi habe ich hiernächst Besseres zu sagen, ob es gleich auch auf keinem sichern Fundament gebaut war. Lieben und Dulden und von jener Seite Hoffnung, eine Sinnesveränderung in mir zu bewirken, drücken es am kürzesten aus. Er war, vom Rheine wegwandernd, nach Holstein gezogen und hatte die freundlichste Aufnahme zu [37] Emkendorf in der Familie des Grafen Reventlow gefunden; er meldete mir sein Behagen an den dortigen Zuständen aufs reizendste, beschrieb verschiedene Familienfeste zur Feier seines Geburtstags und des Grafen anmutig und umständlich, worauf denn auch eine wiederholte dringende Einladung dorthin erfolgte.

Dergleichen Mummereien innerhalb eines einfachen Familienzustandes waren mir immer widerwärtig, die Aussicht darauf stieß mich mehr ab, als daß sie mich angezogen hätte; mehr aber noch hielt mich das Gefühl zurück, daß man meine menschliche und dichterische Freiheit durch gewisse konventionelle Sittlichkeiten zu beschränken gedachte, und ich fühlte mich hierin so fest, daß ich der dringenden Anforderung, einen Sohn, der in der Nähe studiert und promoviert hatte, dorthin zu geleiten, keineswegs Folge leistete, sondern auf meiner Weigerung standhaft verharrte.

Auch seine Briefe über »Wilhelm Meister« waren nicht einladend; dem Freunde selbst sowie seiner vornehmen Umgebung erschien das Reale, noch dazu eines niedern Kreises, nicht erbaulich; an der Sittlichkeit hatten die Damen gar manches auszusetzen, und nur ein einziger tüchtiger, überschauender Weltmann, Graf Bernstorff, nahm die Partei des bedrängten Buches. Um so weniger konnte der Autor Lust empfinden, solche Lektionen persönlich einzunehmen und sich zwischen eine wohlwollende, liebenswürdige Pedanterie und den Teetisch geklemmt zu sehen.

Von der Fürstin Gallitzin erinnere ich mich nicht etwas über »Wilhelm Meister« vernommen zu haben, aber in diesem Jahre klärte sich eine Verwirrung auf, welche Jacobi zwischen uns gewirkt hatte, ich weiß nicht, ob aus leichtsinnigem Scherz oder Vorsatz; es war aber nicht löblich, und wäre die Fürstin nicht so reiner Natur gewesen, so hätte sich früh oder spät eine unerfreuliche Scheidung ergeben. Auch sie war von Münster vor den Franzosen geflohen; ihr großer, durch Religion gestärkter Charakter hielt sich aufrecht, und da eine ruhige Tätigkeit sie überallhin begleitete, blieb sie mit mir in wohlwollender Verbindung, [38] und ich war froh, in jenen verworrenen Zeiten ihren Empfehlungen gemäß manches Gute zu stiften.

Wilhelm von Humboldts Teilnahme war indes fruchtbarer; aus seinen Briefen geht eine klare Einsicht in das Wollen und Vollbringen hervor, daß ein wahres Fördernis daraus erfolgen mußte.

Schillers Teilnahme nenne ich zuletzt, sie war die innigste und höchste; da jedoch seine Briefe hierüber noch vorhanden sind, so darf ich weiter nichts sagen, als daß die Bekanntmachung derselben wohl eins der schönsten Geschenke sein möchte, die man einem gebildeten Publikum bringen kann.

Das Theater war ganz an mich gewiesen; was ich im ganzen übersah und leitete, ward durch Kirms ausgeführt; Vulpius, dem es zu diesem Geschäft an Talent nicht fehlte, griff ein mit zweckmäßiger Tätigkeit. Was im Laufe dieses Jahrs geleistet wurde, ist ungefähr folgendes:

Die »Zauberflöte« gewährte noch immer ihren früheren Einfluß, und die Opern zogen mehr an als alles übrige. »Don Juan«, »Doktor und Apotheker«, »Cosa Rara« »Das Sonnenfest der Brahminen« befriedigten das Publikum. Lessings Werke tauchten von Zeit zu Zeit auf, doch waren eigentlich Schröderische, Ifflandische, Kotzebuesche Stücke an der Tagesordnung. Auch Hagemann und Großmann galten etwas. »Abällino« ward den Schillerischen Stücken ziemlich gleichgestellt; unsere Bemühung aber, alles und jedes zur Erscheinung zu bringen, zeigte sich daran vorzüglich, daß wir ein Stück von Maier, den »Sturm von Boxberg«, aufzuführen unternahmen, freilich mit wenig Glück; indessen hatte man doch ein solches merkwürdiges Stück gesehen und sein Dasein wo nicht beurteilt, doch empfunden.

Daß unsere Schauspieler in Lauchstädt, Erfurt, Rudolstadt von dem verschiedensten Publikum mit Freuden aufgenommen, durch Enthusiasmus belebt und durch gute Behandlung in der Achtung gegen sich selbst gesteigert wurden, gereichte nicht zum geringen Vorteil unserer Bühne und zur Anfrischung einer Tätigkeit, die, wenn man dasselbe Publikum immer vor[39] sich sieht, dessen Charakter, dessen Urteilsweise man kennt, gar bald zu erschlaffen pflegt.

Wenden sich nun meine Gedanken von diesen kleinen, in Vergleich mit dem Weltwesen höchst unwichtigen Verhältnissen zu diesem, so muß mir jener Bauer einfallen, den ich bei der Belagerung von Mainz im Bereich der Kanonen hinter einem auf Rädern vor sich hingeschobenen Schanzkorbe seine Feldarbeit verrichten sah. Der einzelne beschränkte Mensch gibt seine nächsten Zustände nicht auf, wie auch das große Ganze sich verhalten möge.

Nun verlauteten die Baseler Friedenspräliminarien, und ein Schein von Hoffnung ging dem nördlichen Deutschland auf. Preußen machte Frieden, Österreich setzte den Krieg fort, und nun fühlten wir uns in neuer Sorge befangen: denn Kursachsen verweigerte den Beitritt zu einem besondern Frieden. Unsere Geschäftsmänner und Diplomaten bewegten sich nun nach Dresden, und unser gnädigster Herr, anregend alle und tätig vor allen, begab sich nach Dessau. Inzwischen hörte man von Bewegungen unter den Schweizer Landleuten, besonders am oberen Züricher See; ein deshalb eingeleiteter Prozeß regte den Widerstreit der Gesinnungen noch mehr auf; doch bald ward unsere Teilnahme schon wieder in die Nähe gerufen. Das rechte Mainufer schien abermals unsicher, man fürchtete sogar für unsere Gegenden, eine Demarkationslinie kam zur Sprache; doppelt und dreifach traten Zweifel und Sorge hervor.

Clerfait tritt auf, wir halten uns an Kursachsen; nun werden aber schon Vorbereitungen und Anstalten gefordert, und als man Kriegssteuern ausschreiben muß, kommt man endlich auf den glücklichen Gedanken, auch den Geist, an den man bisher nicht gedacht hatte, kontribuabel zu machen; doch verlangte man nur von ihm ein Don gratuit.

In dem Laufe dieser Jahre hatte meine Mutter den wohlbestellten Weinkeller, die in manchen Fächern wohlausgerüstete Bibliothek, eine Gemäldesammlung, das Beste damaliger Künstler enthaltend, und was sonst nicht alles verkauft, und ich sah, indem sie dabei nur eine Bürde los zu sein froh war, [40] die ernste Umgebung meines Vaters zerstückt und verschleudert. Es war auf meinen Antrieb geschehen, niemand konnte damals dem andern raten noch helfen. Zuletzt blieb das Haus noch übrig; dies wurde endlich auch verkauft und die Meubels, die sie nicht mitnehmen wollte, zum Abschluß in einer Auktion vergeudet. Die Aussicht auf ein neues, lustiges Quartier an der Hauptwache realisierte sich, und dieser Wechsel gewährte zur Zeit, da nach vorüberfliegender Friedenshoffnung neue Sorge wieder eintrat, ihr eine zerstreuende Beschäftigung.

Als bedeutendes und für die Folge fruchtbares Familienereignis habe ich zu bemerken, daß Nicolovius, zu Eutin wohnhaft, meine Nichte heiratete, die Tochter Schlossers und meiner Schwester.

Außer den gedachten Unbilden brachte der Versuch, entschiedene Idealisten mit den höchst realen akademischen Verhältnissen in Verbindung zu setzen, fortdauernde Verdrießlichkeiten. Fichtens Absicht, sonntags zu lesen und seine von mehreren Seiten gehinderte Tätigkeit frei zu machen, mußte den Widerstand seiner Kollegen höchst unangenehm empfinden, bis sich denn gar zuletzt ein Studentenhaufen vors Haus zu treten erkühnte und ihm die Fenster einwarf: die unangenehmste Weise, von dem Dasein eines Nicht-Ichs überzeugt zu werden.

Aber nicht seine Persönlichkeit allein, auch die eines andern machte den Unter- und Oberbehörden viel zu schaffen. Er hatte einen denkenden jungen Mann namens Weißhuhn nach Jena berufen, einen Gehülfen und Mitarbeiter an ihm hoffend; allein dieser wich bald in einigen Dingen, das heißt für einen Philosophen in allen, von ihm ab, und ein reines Zusammensein war gar bald gestört, ob wir gleich zu den »Horen« dessen Teilnahme nicht verschmähten.

Dieser Wackere, mit den äußeren Dingen noch weniger als Fichte sich ins Gleichgewicht zu setzen fähig, erlebte bald mit Prorektor und Gerichten die unangenehmsten persönlichen Händel; es ging auf Injurienprozesse hinaus, welche zu beschwichtigen [41] man von oben her die eigentliche Lebensweisheit hereinbringen mußte.

Wenn uns nun die Philosophen kaum beizulegende Händel von Zeit zu Zeit erneuerten, so nahmen wir jeder günstigen Gelegenheit wahr, um die Angelegenheiten der Naturfreunde zu befördern. Der geistig strebende und unaufhaltsam vordringende Batsch war denn im Wirklichen doch schrittweis zufriedenzustellen; er empfand seine Lage, kannte die Mittel, die uns zu Gebote standen, und beschied sich in billigen Dingen. Daher gereichte es uns zur Freude, ihm in dem fürstlichen Garten einen festeren Fuß zu verschaffen; ein Glashaus, hinreichend für den Anfang, ward nach seinen Angaben errichtet, wobei die Aussicht auf fernere Begünstigung sich von selbst hervortat.

Für einen Teil der jenaischen Bürgerschaft ward auch gerade in dieser Zeit ein bedeutendes Geschäft beendigt. Man hatte, den alten Arm der Saale oberhalb der Rasenmühle, der durch mehrere Krümmungen die schönsten Wiesen des rechten Ufers in Kiesbette des linken verwandelte, ins Trockne zu legen, einen Durchstich angeordnet und den Fluß in gerader Linie abwärtszuführen unternommen. Schon einige Jahre dauerte die Bemühung, welche endlich gelang und den anstoßenden Bürgern, gegen geringe frühere Beiträge, ihre verlornen Räume wiedergab, indem ihnen die alte Saale und die indes zu nutzbaren Weidichten herangewachsenen Kiesräume zugemessen und sie auf diese Weise über ihre Erwartung befriedigt wurden; weshalb sie auch eine seltene Dankbarkeit gegen die Vorgesetzten des Geschäftes ausdrückten.

Unzufriedene machte man jedoch auch bei dieser Gelegenheit: denn auch solche Anlieger, die im Unglauben auf den Erfolg des Geschäftes die früheren geringen Beiträge verweigert hatten, verlangten ihren Teil an dem eroberten Boden wo nicht als Recht, doch als Gunst, die aber hier nicht statthaben konnte, indem herrschaftliche Kasse für ein bedeutendes Opfer einige Entschädigung an dem errungenen Boden zu fordern hatte.

[42] Dreier Werke von ganz verschiedener Art, welche jedoch in diesem Jahr das größte Aufsehen erregten, muß ich noch gedenken. »Dumouriez' Leben« ließ uns in die besondern Vorfallenheiten, wovon uns das Allgemeine leider genugsam bekannt war, tiefer hineinsehen, manche Charaktere wurden uns aufgeschlossen, und der Mann, der uns immer viel Anteil abgewonnen hatte, erschien uns klärer und im günstigen Lichte. Geistreiche Frauenzimmer, die denn doch immer irgendwo Neigung unterzubringen genötigt sind und den Tageshelden wie billig am meisten begünstigen, erquickten und erbauten sich an diesem Werke, das ich sorgfältig studierte, um die Epoche seiner Großtaten, von denen ich persönlich Zeuge gewesen, mir bis ins einzeln Geheime genau zu vergegenwärtigen. Dabei erfreute ich mich denn, daß sein Vortrag mit meinen Erfahrungen und Bemerkungen vollkommen übereinstimmte.

Das zweite, dem allgemeinen Bemerken sich aufdringende Werk waren Baldes Gedichte, welche nach Herders Übersetzung, jedoch mit Verheimlichung des eigentlichen Autors, ans Licht kamen und sich der schönsten Wirkung erfreuten.

Von reichem Zeitgehalt, mit deutschen Gesinnungen ausgesprochen, wären sie immer willkommen gewesen; kriegerisch verworrene Zeitläufte aber, die sich in allen Jahrhunderten gleichen, fanden in diesem dichterischen Spiegel ihr Bild wieder, und man empfand als wie von gestern, was unsere Urvorfahren gequält und geängstigt hatte.

Einen ganz andern Kreis bildete sich das dritte Werk. Lichtenbergs »Hogarth« und das Interesse daran war eigentlich ein gemachtes: denn wie hätte der Deutsche, in dessen einfachem, reinen Zustande sehr selten solche exzentrische Fratzen vorkommen, hieran sich wahrhaft vergnügen können? Nur die Tradition, die einen von seiner Nation hochgefeierten Namen auch auf dem Kontinent hatte geltend gemacht, nur die Seltenheit, seine wunderlichen Darstellungen vollständig zu besitzen, und die Bequemlichkeit, zu Betrachtung und Bewunderung seiner Werke weder Kunstkenntnis noch höheren Sinnes zu bedürfen, sondern allein bösen Willen und Verachtung der[43] Menschheit mitbringen zu können, erleichterte die Verbreitung ganz besonders, vorzüglich aber, daß Hogarths Witz auch Lichtenbergs Witzeleien den Weg gebahnt hatte.

Junge Männer, die von Kindheit auf, seit beinahe zwanzig Jahren, an meiner Seite heraufgewachsen, sahen sich nunmehr in der Welt um, und die von ihnen mir zugehenden Nachrichten mußten mir Freude machen, da ich sie mit Verstand und Tatkraft auf ihrer Bahn weiterschreiten sah. Friedrich von Stein hielt sich in England auf und gewann daselbst für seinen technischen Sinn viele Vorteile. August von Herder schrieb aus Neufchâtel, wo er sich auf seine übrigen Lebenszwecke vorzubereiten dachte.

Mehrere Emigrierte waren bei Hof und in der Gesellschaft wohl aufgenommen, allein nicht alle begnügten sich mit diesen sozialen Vorteilen. Manche von ihnen hegten die Absicht, hier wie an andern Orten durch eine löbliche Tätigkeit ihren Lebensunterhalt zu gewinnen. Ein wackerer Mann, schon vorgerückt in Jahren, mit Namen von Wendel, brachte zur Sprache, daß in llmenau bei einem gesellschaftlichen Hammerwerke der herzoglichen Kammer einige Anteile zustanden. Freilich wurde dieses Werk auf eine sonderbare Weise benutzt, indem die Hammermeister in einem gewissen Turnus arbeiteten, jeder für sich, so gut er vermochte, um es nach kurzer Frist seinem Nachfolger abermals auf dessen eigne Rechnung zu überlassen. Eine solche Einrichtung läßt sich nur in einem altherkömmlichen Zustande denken, und ein höher gesinnter, an eine freiere Tätigkeit gewöhnter Mann konnte sich hierin nicht finden, ob man ihm gleich die herrschaftlichen Anteile für ein mäßiges Pachtgeld überließ, das man vielleicht nie eingefordert hätte. Sein ordnungsliebender, ins Ganze rege Geist suchte durch erweiterte Plane seine Unzufriedenheit zu beschwichtigen; bald sollte man mehrere Teile, bald das Ganze zu akquirieren suchen: beides war unmöglich, da sich die mäßige Existenz einiger ruhigen Familien auf dieses Geschäft gründete.

Nach etwas anderem war nun der Geist gerichtet; man baute einen Reverberierofen, um altes Eisen zu schmelzen und eine [44] Gußanstalt ins Werk zu richten. Man versprach sich große Wirkung von der aufwärts konzentrierten Glut; aber sie war groß über alle Erwartung: denn das Ofengewölbe schmolz zusammen, indem das Eisen zum Fluß kam. Noch manches andere ward unternommen ohne glücklichen Erfolg; der gute Mann, endlich empfindend, daß er gänzlich aus seinem Elemente entfallen sei, geriet in Verzweiflung, nahm eine übergroße Gabe Opium zu sich, die, wenn nicht auf der Stelle, doch in ihren Folgen seinem Leben ein Ende machte. Freilich war sein Unglück so groß, daß weder die Teilnahme des Fürsten noch die wohlwollende Tätigkeit der beauftragten Räte ihn wiederherzustellen vermochte. Weit entfernt von seinem Vaterlande, in einem stillen Winkel des Thüringer Waldes, fiel auch er, ein Opfer der grenzenlosen Umwälzung.

Von Personen, deren Schicksalen und Verhältnissen bemerke folgendes:

Schlosser wandert aus und begibt sich, da man nicht an jedem Asyl verzweifeln konnte, nach Ansbach und hat die Absicht, daselbst zu verbleiben.

Herder fühlt sich von einiger Entfernung, die sich nach und nach hervortut, betroffen, ohne daß dem daraus entstehenden Mißgefühl wäre zu helfen gewesen. Seine Abneigung gegen die Kantische Philosophie und daher auch gegen die Akademie Jena hatte sich immer gesteigert, während ich mit beiden durch das Verhältnis zu Schiller immer mehr zusammenwuchs. Daher war jeder Versuch, das alte Verhältnis herzustellen, fruchtlos, um so mehr, als Wieland die neuere Lehre selbst in der Person seines Schwiegersohns verwünschte und als Latitudinarier sehr übel empfand, daß man Pflicht und Recht durch Vernunft, so wie es hieß, fixieren und allem humoristisch-poetischen Schwanken ein Ende zu machen drohte.

Traurig aber war mir ein Schreiben des höchst bedeutenden Karl von Moser. Ich hatte ihn früher auf dem Gipfel ministerieller Machtvollkommenheit gesehen, wo er, den Ehekontrakt zwischen unserm teuren fürstlichen Ehepaar aufzusetzen, nach Karlsruhe berufen ward, zu einer Zeit, wo er mir manche Gefälligkeit [45] erwies, ja einen Freund durch entschiedene Kraft und Einfluß vom Untergang errettete. Dieser war nun seit zwanzig Jahren nach und nach in seinen Vermögensumständen dergestalt zurückgekommen, daß er auf einem alten Bergschlosse Zwingenberg ein kümmerliches Leben führte. Nun wollte er sich auch einer feinen Gemäldesammlung entäußern, die er zu besserer Zeit mit Geschmack um sich versammelt hatte; er verlangte meine Mitwirkung, und ich konnte sein zartes, dringendes Verlangen leider nur mit einem freundlichhöflichen Brief erwidern. Hierauf ist die Antwort eines geistreichen, bedrängten und zugleich in sein Schicksal ergebenen Mannes von der Art, daß sie mich noch jetzt wie damals rührt, da ich in meinem Bereich kein Mittel sah, solchem Bedürfnisse abzuhelfen.

Anatomie und Physiologie verlor ich dieses Jahr fast nicht aus den Augen. Hofrat Loder demonstrierte das menschliche Gehirn einem kleinen Freundeszirkel, hergebrachterweise, in Schichten von oben herein, mit seiner ihn auszeichnenden Klarheit. Die Camperschen Arbeiten wurden mit demselben durchgesehen und durchgedacht.

Sömmerrings Versuch, dem eigentlichen Sitz der Seele näher nachzuspüren, veranlaßte nicht wenige Beobachtung, Nachdenken und Prüfung.

Brandis in Braunschweig zeigte sich in Naturbetrachtungen geistreich und belebend; auch er, wie wir, versuchte sich an den schwersten Problemen.

Seit jener Epoche, wo man sich in Deutschland über den Mißbrauch der Genialität zu beklagen anfing, drängten sich freilich von Zeit zu Zeit auffallend verrückte Menschen heran. Da nun ihr Bestreben in einer dunkeln, düstern Region versierte und gewöhnlich die Energie des Handelns ein günstiges Vorurteil und die Hoffnung erregt, sie werde sich von einiger Vernünftigkeit wenigstens im Verfolg doch leiten lassen, so versagte man solchen Personen seinen Anteil nicht, bis sie denn zuletzt entweder selbst verzweifelten oder uns zur Verzweiflung brachten.

[46] Ein solcher war von Bielefeld, der sich den Cimbrier nannte, eine physisch glühende Natur, mit einer gewissen Einbildungskraft begabt, die aber ganz in hohlen Räumen sich erging. Klopstocks Patriotismus und Messianismus hatten ihn ganz erfüllt, ihm Gestalten und Gesinnungen geliefert, mit denen er denn nach wilder und wüster Weise gutherzig gebarte. Sein großes Geschäft war ein Gedicht vom Jüngsten Tage, wo sich denn wohl begreifen läßt, daß ich solchen apokalyptischen Ereignissen, energumenisch vorgetragen, keinen besonderen Geschmack abgewinnen konnte. Ich suchte ihn abzulehnen, da er, jede Warnung ausschlagend, auf seinen seltsamen Wegen verharrte. So trieb er es in Jena eine Zeitlang zu Beängstigung guter, vernünftiger Gesellen und wohlwollender Gönner, bis er endlich bei immer vermehrtem Wahnsinn sich zum Fenster herausstürzte und seinem unglücklichen Leben dadurch ein Ende machte.

Auch taten sich in Staatsverhältnissen hiernächst die Folgen einer jugendlichen Gutmütigkeit hervor, die ein bedeutendes Vertrauen auf einen Unwürdigen niedergelegt hatte. Die deshalb entstandenen Prozesse wurden diesseits von einsichtsvollen Männern mit großer Gewandtheit einem glücklichen Ausgang entgegengeführt. Indessen beunruhigte eine solche Bewegung unsre geselligen Kreise, indem nahverwandte, sonst tüchtig denkende, auch uns verbundene Personen Ungerechtigkeit und Härte sahen, wo wir nur eine stetige Verfolgung eines unerläßlichen Rechtsgangs zu erblicken glaubten. Die freundlichsten, zartesten Reklamationen von jener Seite hinderten zwar den Geschäftsgang nicht, allein bedauerlich war es, die schönsten Verhältnisse beinahe zerstört zu sehen.

1796

Die weimarische Bühne war nun schon so besetzt und befestigt, daß es in diesem Jahre keiner neuen Schauspieler bedurfte. Zum größten Vorteil derselben trat Iffland im März [47] und April vierzehnmal auf. Außer einem solchen belehrenden, hinreißenden, unschätzbaren Beispiele wurden diese Vorstellungen bedeutender Stücke Grund eines dauerhaften Repertoriums und ein Anlaß, das Wünschenswerte näher zu kennen. Schiller, der an dem Vorhandenen immer festhielt, redigierte zu diesem Zweck den »Egmont«, der zum Schluß der Ifflandischen Gastrollen gegeben ward, ungefähr wie er noch auf deutschen Bühnen vorgestellt wird.

Überhaupt finden sich hier, rücksichtlich auf das deutsche Theater, die merkwürdigsten Anfänge. Schiller, der schon in seinem »Carlos« sich einer gewissen Mäßigkeit befliß und durch Redaktion dieses Stücks fürs Theater zu einer beschränkteren Form gewöhnte, hatte nun den Gegenstand von »Wallenstein« aufgefaßt und den grenzenlosen Stoff in der »Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs« dergestalt behandelt, daß er sich als Herrn dieser Masse gar wohl empfinden mochte. Aber eben durch diese Fülle ward eine strengere Behandlung peinlich, wovon ich Zeuge sein konnte, weil er sich über alles, was er dichterisch vorhatte, mit andern gern besprach und, was zu tun sein mochte, hin und wider überlegte.

Bei dem unablässigen Tun und Treiben, was zwischen uns stattfand, bei der entschiedenen Lust, das Theater kräftig zu beleben, ward ich angeregt, den »Faust« wieder hervorzunehmen; allein, was ich auch tat, ich entfernte ihn mehr vom Theater, als daß ich ihn herangebracht hätte.

Die »Horen« gingen indessen fort, mein Anteil blieb derselbige; doch hatte Schillers grenzenlose Tätigkeit den Gedanken eines Musenalmanachs gefaßt, einer poetischen Sammlung, die jener meist prosaischen vorteilhaft zur Seite stehen könnte. Auch hier war ihm das Zutrauen seiner Landsleute günstig. Die guten, strebsamen Köpfe neigten sich zu ihm. Er schickte sich übrigens trefflich zu einem solchen Redakteur; den innern Wert eines Gedichts übersah er gleich, und wenn der Verfasser sich zu weitläuftig ausgetan hatte oder nicht endigen konnte, wußte er das Überflüssige schnell auszusondern. Ich sah ihn[48] wohl ein Gedicht auf ein Dritteil Strophen reduzieren, wodurch es wirklich brauchbar ward, ja bedeutend.

Ich selbst ward seiner Aufmunterung viel schuldig, wovon die »Horen« und Almanache vollgültiges Zeugnis abgeben. »Alexis und Dora«, »Braut von Korinth«, »Gott und Bajadere« wurden hier ausgeführt oder entworfen. Die »Xenien«, die aus unschuldigen, ja gleichgültigen Anfängen sich nach und nach, zum Herbsten und Schärfsten hinaufsteigerten, unterhielten uns viele Monate und machten, als der Almanach erschien, noch in diesem Jahre die größte Bewegung und Erschütterung in der deutschen Literatur. Sie wurden, als höchster Mißbrauch der Preßfreiheit, von dem Publikum verdammt. Die Wirkung aber bleibt unberechenbar.

Einer höchst lieb und werten, aber auch schwer lastenden Bürde entledigte ich mich gegen Ende Augusts. Die Reinschrift des letzten Buches von »Wilhelm Meister« ging endlich ab an den Verleger. Seit sechs Jahren hatte ich Ernst gemacht, diese frühe Konzeption auszubilden, zurechtzustellen und dem Drucke nach und nach zu übergeben. Es bleibt daher dieses eine der inkalkulabelsten Produktionen, man mag sie im ganzen oder in ihren Teilen betrachten; ja um sie zu beurteilen, fehlt mir beinahe selbst der Maßstab.

Kaum aber hatte ich mich durch sukzessive Herausgabe davon befreit, als ich mir eine neue Last auflegte, die jedoch leichter zu tragen oder vielmehr keine Last war, weil sie gewisse Vorstellungen, Gefühle, Begriffe der Zeit auszusprechen Gelegenheit gab. Der Plan von »Hermann und Dorothea« war gleichzeitig mit den Tagesläuften ausgedacht und ent wickelt, die Ausführung ward während des Septembers begonnen und vollbracht, so daß sie Freunden schon produziert werden konnte. Mit Leichtigkeit und Behagen war das Gedicht geschrieben, und es teilte diese Empfindungen mit. Mich selbst hatte Gegenstand und Ausführung dergestalt durchdrungen, daß ich das Gedicht niemals ohne große Rührung vorlesen konnte, und dieselbe Wirkung ist mir seit so viel Jahren noch immer geblieben.

[49] Freund Meyer schrieb fleißig aus Italien gewichtige Blätter. Meine Vorbereitung, ihm zu folgen, nötigte mich zu mannigfaltigen Studien, deren Aktenstücke mir noch gegenwärtig vielen Nutzen bringen. Als ich mich in die Kunstgeschichte von Florenz einarbeitete, ward mir Cellini wichtig, und ich faßte, um mich dort recht einzubürgern, gern den Entschluß, seine Selbstbiographie zu übersetzen, besonders weil sie Schillern zu den »Horen« brauchbar schien.

Auch die Naturwissenschaften gingen nicht leer aus. Den Sommer über fand ich die schönste Gelegenheit, Pflanzen unter farbigen Gläsern und ganz im Finstern zu erziehen sowie die Metamorphose der Insekten in ihren Einzelnheiten zu verfolgen.

Galvanismus und Chemismus drängten sich auf; die Chromatik ward zwischen allem durch getrieben; und um mir den großen Vorteil der Vergegenwärtigung zu gewähren, fand sich eine edle Gesellschaft, welche Vorträge dieser Art gern anhören mochte.

Im Auswärtigen beharrt Kursachsen auf seiner Anhänglichkeit an Kaiser und Reich und will in diesem Sinne sein Kontingent marschieren lassen. Auch unsere Mannschaft rüstet sich; die Kosten hierzu geben manches zu bedenken.

Im großen Weltwesen ereignet sich, daß die hinterbliebene Tochter Ludwigs XVI., Prinzessin Marie Theresie Charlotte, bisher in den Händen der Republikaner, gegen gefangene französische Generale ausgewechselt wird, ingleichen daß der Papst seinen Waffenstillstand teuer erkauft.

Die Österreicher gehen über die Lahn zurück, bestehen bei Annäherung der Franzosen auf dem Besitz von Frankfurt, die Stadt wird bombardiert, die Judengasse zum Teil verbrannt, sonst wenig geschadet, worauf denn die Übergabe erfolgt. Meine gute Mutter in ihrem schönen neuen Quartiere an der Hauptwache hat gerade, die Zeil hinaufschauend, den bedrohten und beschädigten Teil vor Augen; sie rettet ihre Habseligkeiten in feuerfeste Keller und flüchtet über die freigelassene Mainbrücke nach Offenbach. Ihr Brief deshalb verdient beigelegt zu werden.

[50] Der Kurfürst von Mainz geht nach Heiligenstadt, der Aufenthalt des Landgrafen von Darmstadt bleibt einige Zeit unbekannt, die Frankfurter flüchten, meine Mutter hält aus. Wir leben in einer eingeschläferten Furchtsamkeit. In den Rhein – und Maingegenden fortwährende Unruhen und Flucht. Frau von Coudenhoven verweilt in Eisenach, und so durch Flüchtlinge, Briefe, Boten, Stafetten strömt der Kriegsalarm ein und das andere Mal bis zu uns; doch bestätigt sich nach und nach die Hoffnung, daß wir in dem Augenblicke nichts zu fürchten haben, und wir halten uns für geborgen.

Der König von Preußen, bei einiger Veranlassung, schreibt von Pyrmont an den Herzog, mit diplomatischer Gewandtheit den Beitritt zur Neutralität vorbereitend und den Schritt erleichternd. Furcht, Sorge, Verwirrung dauert fort; endlich erklärt sich Kursachsen zur Neutralität, erst vorläufig, dann entschieden; die Verhandlungen deshalb mit Preußen werden auch uns bekannt.

Doch kaum scheinen wir durch solche Sicherheit beruhigt, so gewinnen die Österreicher abermals die Oberhand. Moreau zieht sich zurück, alle königisch Gesinnten bedauern die Übereilung, zu der man sich hatte hinreißen lassen; die Gerüchte vermehren sich zum Nachteil der Franzosen, Moreau wird zur Seite verfolgt und beobachtet, schon sagt man ihn eingeschlossen; auch Jourdan zieht sich zurück, und man ist in Verzweiflung, daß man sich allzu frühzeitig gerettet habe.

Eine Gesellschaft hochgebildeter Männer, welche sich jeden Freitag bei mir versammelten, bestätigte sich mehr und mehr. Ich las einen Gesang der »Ilias« von Voß, erwarb mir Beifall, dem Gedicht hohen Anteil, rühmliches Anerkennen dem Übersetzer. Ein jedes Mitglied gab von seinen Geschäften, Arbeiten, Liebhaberein beliebige Kenntnis, mit freimütigem Anteil aufgenommen. Dr. Buchholz fuhr fort, die neusten physischchemischen Erfahrungen mit Gewandtheit und Glück vorzulegen. Nichts war ausgeschlossen, und das Gefühl der Teilhaber, welches Fremde sogar in sich aufnahmen, hielt von selbst alles ab, was einigermaßen hätte lästig sein können. [51] Akademische Lehrer gesellten sich hinzu, und wie fruchtbar diese Anstalt selbst für die Universität geworden, geht aus dem einzigen Beispiel schon genugsam hervor, daß der Herzog, der in einer solchen Sitzung eine Vorlesung des Dr. Christian Wilhelm Hufeland angehört, sogleich beschloß, ihm eine Professur in Jena zu erteilen, wo derselbe sich durch mannigfache Tätigkeit zu einem immer zunehmenden Wirkungskreise vorzubereiten wußte.

Diese Sozietät war in dem Grade reguliert, daß meine Abwesenheit zu keiner Störung Anlaß gab, vielmehr übernahm Geheimerat Voigt die Leitung, und wir hatten uns mehrere Jahre der Folgen einer gemeinsam geregelten Tätigkeit zu erfreuen.

Und so sahen wir denn auch unsern trefflichen Batsch dieses Jahr in tätiger Zufriedenheit. Der edle, reine, aus sich selbst arbeitende Mann bedurfte, gleich einer saftigen Pflanze, weder vieles Erdreich noch starke Bewässerung, da er die Fähigkeit besaß, aus der Atmosphäre sich die besten Nahrungsstoffe zuzueignen.

Von diesem schönen stillen Wirken zeugen noch heut seine Schreiben und Berichte, wie er sich an seinem mäßigen Glashause begnügt und durch das allgemeine Zutrauen gleichzeitiger Naturforscher die Achtung seiner Sozietät wachsen und ihren Besitz sich erweitern sieht; wie er denn auch bei solchen Gelegenheiten seine Vorsätze vertraulich mitteilte, nicht weniger seine Hoffnungen mit bescheidener Zuversicht vortrug.

1797

Zu Ende des vorigen Jahrs machte ich eine Reise, meinen gnädigsten Herrn nach Leipzig zu begleiten, besuchte einen großen Ball, wo uns die Herren Dyk und Comp., und wer sich sonst durch die »Xenien« verletzt oder erschreckt hielt, mit Apprehension wie das böse Prinzip betrachteten. In Dessau ergötzte uns die Erinnerung früherer Zeiten; die Familie von [52] Loen zeigte sich als eine angenehme, zutrauliche Verwandtschaft, und man konnte sich der frühsten Frankfurter Tage und Stunden zusammen erinnern.

Schon in den ersten Monaten des Jahrs erfreute sich das Theater an dem Beitritt von Karoline Jagermann als einer neuen Zierde. »Oberon« ward gegeben, bald darauf »Telemach«, und manche Rollen konnten mit mehr Auswahl besetzt werden. Äußerlich führte man das Bühnenwesen zunächst in seinem gewohnten Gange fort, innerhalb aber ward manches Bedeutende vorbereitet. Schiller, der nunmehr ein wirkliches Theater in der Nähe und vor Augen hatte, dachte ernstlich darauf, seine Stücke spielbarer zu machen, und als ihm hierin die große Breite, wie er »Wallenstein« schon gedacht, abermals hinderlich war, entschloß er sich, den Gegenstand in mehreren Abteilungen zu behandeln. Dies gab in Abwesenheit der Gesellschaft den ganzen Sommer über reichliche Belehrung und Unterhaltung. Schon war der Prolog geschrieben, »Wallensteins Lager« wuchs heran.

Auch ich blieb meinerseits in vollkommener Tätigkeit: »Hermann und Dorothea« erschien als Taschenbuch, und ein neues episch-romantisches Gedicht wurde gleich darauf entworfen. Der Plan war in allen seinen Teilen durchgedacht, den ich unglücklicherweise meinen Freunden nicht verhehlte. Sie rieten mir ab, und es betrübt mich noch, daß ich ihnen Folge leistete: denn der Dichter allein kann wissen, was in einem Gegenstande liegt und was er für Reiz und Anmut bei der Ausführung daraus entwickeln könne. Ich schrieb den »Neuen Pausias« und die »Metamorphose der Pflanzen« in elegischer Form; Schiller wetteiferte, indem er seinen »Taucher« gab. Im eigentlichen Sinne hielten wir Tag und Nacht keine Ruhe; Schillern besuchte der Schlat erst gegen Morgen; Leidenschaften aller Art waren in Bewegung; durch die »Xenien« hatten wir ganz Deutschland aufgeregt, jedermann schalt und lachte zugleich. Die Verletzten suchten uns auch etwas Unangenehmes zu erweisen, alle unsere Gegenwirkung bestand in unermüdet fortgesetzter Tätigkeit.

[53] Die Universität Jena stand auf dem Gipfel ihres Flors; das Zusammenwirken von talentvollen Menschen und glücklichen Umständen wäre der treusten, lebhaftesten Schilderung wert. Fichte gab eine neue Darstellung der »Wissenschaftslehre« im »Philosophischen Journal«. Woltmann hatte sich interessant gemacht und berechtigte zu den schönsten Hoffnungen. Die Gebrüder von Humboldt waren gegenwärtig, und alles der Natur Angehörige kam philosophisch und wissenschaftlich zur Sprache. Mein osteologischer Typus von 1795 gab nun Veranlassung, die öffentliche Sammlung sowie meine eigene rationeller zu betrachten und zu benutzen. Ich schematisierte die Metamorphose der Insekten, die ich seit mehreren Jahren nicht aus den Augen ließ. Die Krausischen Zeichnungen der Harzfelsen gaben Anlaß zu geologischen Betrachtungen, galvanische Versuche wurden durch Humboldt angestellt. Scherer zeigte sich als hoffnungsvoller Chemikus. Ich fing an, die Farbentafeln in Ordnung zu bringen. Für Schillern fuhr ich fort, am »Cellini« zu übersetzen, und da ich biblische Stoffe in Absicht, poetische Gegenstände zu finden, wieder aufnahm, so ließ ich mich verführen, die Reise der Kinder Israel durch die Wüste kritisch zu behandeln. Der Aufsatz, mit beigefügter Karte, sollte jenen wunderlichen vierzigjährigen Irrgang zu einem wo nicht vernünftigen, doch faßlichen Unternehmen umbilden.

Eine unwiderstehliche Lust nach dem Land- und Gartenleben hatte damals die Menschen ergriffen. Schiller kaufte einen Garten bei Jena und zog hinaus; Wieland hatte sich in Oßmannstedt angesiedelt. Eine Stunde davon, am rechten Ufer der Ilm, ward in Oberroßla ein kleines Gut verkäuflich, ich hatte Absichten darauf.

Als Besuch erfreuten uns Lerse und Hirt. Der seltsame Reisende Lord Bristol gab mir zu einer abenteuerlichen Erfahrung Anlaß. Ich bereite mich zu einer Reise nach der Schweiz, meinem aus Italien zurückkehrenden Freunde Heinrich Meyer entgegen. Der weimarische Schloßbau nötigt zur Umsicht nach einem geistreichen Architekten und geschickten[54] Handwerkern. Auch die Zeichenschule erhält neue Anregung.

Vor meiner Abreise verbrenn ich alle an mich gesendeten Briefe seit 1772 aus entschiedener Abneigung gegen Publikation des stillen Gangs freundschaftlicher Mitteilung. Schiller besucht mich noch in Weimar, und ich reise den 30. Juli ab. Da ein geschickter Schreiber mich begleitete, so ist alles, in Akten geheftet, wohl erhalten, was damals auffallend und bedeutend sein konnte.

Da hieraus mit schicklicher Redaktion ein ganz unterhaltendes Bändchen sich bilden ließe, so sei von dem ganzen Reiseverlauf nur das Allgemeinste hier angedeutet.

Unterwegs beschäftigt mich die genaue Betrachtung der Gegenden hinsichtlich auf Geognosie und der darauf gegründeten Kultur. In Frankfurt belehrt mich Sömmerring durch Unterhaltung, Präparate und Zeichnungen. Ich werde mit manchen Persönlichkeiten bekannt, mit Öffentlichem und Besonderem; ich beachte das Theater und führe lebhafte Korrespondenz mit Schiller und andern Freunden. Österreichische Garnison, gefangene Franzosen als Gegensatz; jene von imperturbablem Ernst, diese immer von possenhafter Heiterkeit. Französische satirische Kupferstiche.

Den 25. ab von Frankfurt; über Heidelberg, Heilbronn, Ludwigsburg kam ich den 30. in Stuttgart an. Kaufmann Rapp, Dannecker, Scheffauer werden besucht; Bekanntschaft mit Professor Thouret, mit geschickten Arbeitern von Zieraten, Stukkatoren, Quadratoren, die sich aus der bewegten Regierungszeit Herzog Karls herschrieben; Unterhandlungen mit denselben, sie bei dem weimarischen Schloßbau anzustellen.

Anfang Septembers fällt »Der Junggesell und der Mühlbach«, den Zumsteeg sogleich komponiert, sodann »Der Jüngling und die Zigeunerin«. Den 9. September in Tübingen, bei Cotta gewohnt, die vorzüglichen dortigen Männer besprochen. Naturalienkabinett des Professor Storr besichtigt, das, vormals Pasquay in Frankfurt am Main gehörig, mit der liebevollsten Sorgfalt nach Tübingen transportiert worden. Den 16. September [55] von dort weg. Schaffhausen, Rheinfall, Zürich. Den 21. in Stäfa; Zusammenkunft mit Meyer, mit ihm die Reise angetreten; den 28. über Marie Einsiedeln bis auf den Gotthard. Den 8. Oktober waren wir wieder zurück. Zum dritten Male besucht ich die kleinen Kantone, und weil die epische Form bei mir gerade das Übergewicht hatte, ersann ich einen »Tell« unmittelbar in der Gegenwart der klassischen Örtlichkeit. Eine solche Ableitung und Zerstreuung war nötig, da mich die traurigste Nachricht mitten in den Gebirgen erreichte. ChristianeNeumann, verehlichte Becker, war von uns geschieden; ich widmete ihr die Elegie »Euphrosyne«. Liebreiches, ehrenvolles Andenken ist alles, was wir den Toten zu geben vermögen.

Auf dem Sankt Gotthard hatte ich schöne Mineralien gewonnen; der Hauptgewinn aber war die Unterhaltung mit meinem Freunde Meyer; er brachte mir das lebendigste Italien zurück, das uns die Kriegsläufte leider nunmehr verschlossen. Wir bereiteten uns zum Trost auf die »Propyläen« vor. Die Lehre von den Gegenständen, und was denn eigentlich dargestellt werden soll, beschäftigte uns vor allen Dingen. Die genaue Beschreibung und kennerhafte Bemerkung der Kunstgegenstände alter und neuer Zeit verwahrten wir als Schätze für die Zukunft. Nachdem ich eine Beschreibung von Stäfa versucht, die Tagebücher revidiert und mundiert waren, gingen wir den 21. Oktober von dort ab. Den 26. Oktober von: Zürich abreisend, langten wir den 6. November in Nürnberg an. In dem freundlichen Zirkel der Kreisgesandten durchlebten wir einige frohe Tage. Den 15. November von dort ab.

In Weimar hatte die Ankunft mehrerer bedeutenden Emigrierten die Gesellschaft erweitert, angenehm und unterhaltend gemacht. Nachzutragen ist noch, daß Oberappellationsrat Körner und seine liebe und hoffnungsvolle Familie uns im abgelaufenen Sommer mit ihrer Gegenwart erfreute; und doch bleibt noch manches Besondere dieses merkwürdigen Jahres zurück.

Millins antiquarische Tätigkeit begann zu wirken, den größten Einfluß aber übten Wolfs »Prolegomena«.

[56] Auf dem Theater fand ich die große Lücke; Christiane Neumann fehlte, und doch war's der Platz noch, wo sie mir soviel Interesse eingeflößt hatte. Ich war durch sie an die Bretter gewöhnt, und so wendete ich nun dem Ganzen zu, was ich ihr sonst fast ausschließlich gewidmet hatte.

Ihre Stelle war besetzt, wenigstens mit einer wohlgefälligen Schauspielerin. Auch Karoline Jagemann indessen bildete sich immer mehr aus und erwarb sich zugleich im Schauspiel allen Beifall. Das Theater war schon so gut bestellt, daß die kurrenten Stücke ohne Anstoß und Rivalität sich besetzen ließen.

Einen großen und einzigen Vorteil brachte aber dieser Unternehmung, daß die vorzüglichsten Werke Ifflands und Kotzebues schon vom Theater gewirkt und sich auf neuen, in Deutschland noch nicht betretenen Wegen großen Beifall erworben hatten. Beide Autoren waren noch in ihrem Vigor; ersterer als Schauspieler stand in der Epoche höchster Kunstausbildung.

Auch gereichte zu unserm größten Vorteil, daß wir nur vor einem kleinen, genugsam gebildeten Publikum zu spielen hatten, dessen Geschmack wir befriedigen und uns doch dabei unabhängig erhalten konnten; ja wir durften manches versuchen; uns selbst und unsere Zuschauer in einem höheren Sinne auszubilden.

Hier kam uns nun Schiller vorzüglich zu Hülfe; er stand im Begriff, sich zu beschränken, dem Rohen, Übertriebenen, Gigantischen zu entsagen; schon gelang ihm das wahrhaft Große und dessen natürlicher Ausdruck. Wir verlebten keinen Tag in der Nähe, ohne uns mündlich, keine Woche in der Nachbarschaft, ohne uns schriftlich zu unterhalten.

1798

So arbeiteten wir unermüdet dem Besuche Ifflands vor, welcher uns im April durch acht seiner Vorstellungen anfrischen sollte. Groß war der Einfluß seiner Gegenwart: denn jeder [57] Mitspielende mußte sich an ihm prüfen, indem er mit ihm wetteiferte, und die nächste Folge davon war, daß auch diesmal unsere Gesellschaft gar löblich ausgestattet nach Lauchstädt zog.

Kaum war sie abgegangen, als der alte Wunsch sieh regte, in Weimar ein besseres Lokal für die Bühne einzurichten. Schauspieler und Publikum fühlten sich eines anständigern Raumes würdig; die Notwendigkeit einer solchen Veränderung ward von jedermann anerkannt, und es bedurfte nur eines geistreichen Anstoßes, um die Ausführung zu bestimmen und zu beschleunigen.

Baumeister Thouret war von Stuttgart berufen, um den neuen Schloßbau weiter zu fördern; als Nebenzweck gab er einen sogleich beifällig aufgenommenen erfreulichen Plan zu einer neuen Einrichtung des vorhandenen Theaterlokals, nach welchem sich zu richten er die größte Gewandtheit bewies. Und so ward auch an uns die alte Bemerkung wahr, daß Gegenwart eines Baumeisters Baulust errege. Mit Fleiß und Hast betrieb man die Arbeit, so daß mit dem 12. Oktober Hof und Publikum zur Eröffnung des neuen Hauses eingeladen werden konnten. Ein Prolog von Schiller und »Wallensteins Lager« gaben dieser Feierlichkeit Wert und Würde.

Den ganzen Sommer hatte es an Vorarbeiten hiezu nicht gefehlt, denn der große Wallensteinische Zyklus, zuerst nur angekündigt, beschäftigte uns durchaus, obgleich nicht ausschließlich.

Von meinen eigenen poetischen und schriftstellerischen Werken habe ich soviel zu sagen, daß die»Weissagungen des Bakis« mich nur einige Zeit unterhielten. Zur »Achilleis« hatte ich den Plan ganz im Sinne, den ich Schillern eines Abends ausführlich erzählte. Der Freund schalt mich aus, daß ich etwas so klar vor mir sehen könnte, ohne solches auszubilden durch Worte und Silbenmaß. So angetrieben und fleißig ermahnt, schrieb ich die zwei ersten Gesänge; auch den Plan schrieb ich auf, zu dessen Fördernis mir ein treuer Auszug aus der »Ilias« dienen sollte.

[58] Doch hiervon leitete mich ab die Richtung zur bildenden Kunst, welche sich bei Meyers Zurückkunft aus Italien ganz entschieden abermals hervorgetan hatte. Vorzüglich waren wir beschäftigt, das erste Stück der »Propyläen«, welches teils vorbereitet, teils geschrieben wurde, lebhafter weiter zu fördern. »Cellinis Leben« setzt ich fort als einen Anhaltepunkt der Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts. Diderot, »Von den Farben«, ward mit Anmerkungen begleitet, welche mehr humoristisch als künstlerisch zu nennen wären, und indem sich Meyer mit den Gegenständen in dem Hauptpunkt aller bildenden Kunst gründlich beschäftigte, schrieb ich den »Sammler«, um manches Nachdenken und Bedenken in die heitere, freiere Welt einzuführen.

In der Naturwissenschaft fand ich manches zu denken, zu beschauen und zu tun. Schellings »Weltseele« beschäftigte unser höchstes Geistesvermögen. Wir sahen sie nun in der ewigen Metamorphose der Außenwelt abermals verkörpert. Alles Naturgeschichtliche, das sich uns lebendig näherte, betrachtete ich mit großer Aufmerksamkeit; fremde merkwürdige Tiere, besonders ein junger Elefant, vermehrten unsere Erfahrungen.

Hier muß ich aber auch eines Aufsatzes gedenken, den ich über pathologisches Elfenbein schrieb. Ich hatte solche Stellen angeschossener und wieder verheilter Elefantenzähne, die besonders den Kammachern höchst verdrießlich sind, wenn ihre Säge oft unvermutet auf sie stößt, seit mehreren Jahren gesammelt, an Zahl mehr denn zwanzig Stücke, woran sich in gar schöner Folge zeigen ließ, wie eine eiserne Kugel ins Innere der Zahnmasse eindringen, wohl die organische Lebendigkeit stören, aber nicht zerstören kann, indem diese sich hier auf eine eigene Weise wehrt und wiederherstellt. Ich freute mich, diese Sammlung, beschrieben und ausgelegt, dem Kabinette meines Freundes Loder, dem ich soviel Belehrung schuldig geworden, dankbar einzuverleiben.

In welcher Ordnung und Abteilung die »Geschichte der Farbenlehre« vorgetragen werden sollte, ward epochenweise [59] durchgedacht und die einzelnen Schriftsteller studiert, auch die Lehre selbst genau erwogen und mit Schillern durchgesprochen. Er war es, der den Zweifel löste, der mich lange Zeit aufhielt: worauf denn eigentlich das wunderliche Schwanken beruhe, daß gewisse Menschen die Farben verwechseln, wobei man auf die Vermutung kam, daß sie einige Farben sehen, andere nicht sehen, da er denn zuletzt entschied, daß ihnen die Erkenntnis des Blauen fehle. Ein junger Gildemeister, der eben in Jena studierte, war in solchem Falle und bot sich freundlich zu allem Hin- und Widerversuchen, woraus sich denn zuletzt für uns jenes Resultat ergab.

Ferner, um das Mentale sichtlich darzustellen, verfertigten wir zusammen mancherlei symbolische Schemata. So zeichneten wir eine Temperamentenrose, wie man eine Windrose hat, und entwarfen eine tabellarische Darstellung, was der Dilettantismus jeder Kunst Nützliches und Schädliches bringe.

Gar manche Vorteile, die wir im Naturwissenschaftlichen gewannen, sind wir einem Besuch schuldig geworden, den uns Herr van Marum gönnen wollte.

Damit aber auch von der andern Seite der Geist zur unmittelbaren gemeinen Natur zurückgezogen werde, folgte ich der damaligen landschaftlichen Grille. Der Besitz des Freiguts zu Roßla nötigte mich, dem Grund und Boden, der Landesart, den dörflichen Verhältnissen näherzutreten, und verlieh gar manche Ansichten und Mitgefühle, die mir sonst völlig fremd geblieben wären. Hieraus entstand mir auch eine nachbarliche Gemeinschaft mit Wielanden, welcher freilich tiefer in die Sache gegangen war, indem er Weimar völlig verließ und seinen Wohnort in Oßmannstedt aufschlug. Er hatte nicht bedacht, was ihm am ersten hätte einfallen sollen: daß er unsrer Herzogin Amalia und sie ihm zum Lebensumgang völlig unentbehrlich geworden. Aus jener Entfernung entstand denn ein ganz wunderbares Hin- und Widersenden von reitenden und wandernden Boten, zugleich auch eine gewisse, kaum zu beschwichtigende Unruhe.

Eine wunderbare Erscheinung war in diesem Sommer Frau [60] von Laroche, mit der Wieland eigentlich niemals übereingestimmt hatte, jetzt aber mit ihr im vollkommnen Widerspruch sich befand. Freilich war eine gutmütige Sentimentalität, die allenfalls vor dreißig Jahren, zur Zeit wechselseitiger Schonung, noch ertragen werden konnte, nunmehr ganz außer der Jahreszeit und einem Manne wie Wieland unerträglich. Ihre Enkelin Sophie Brentano hatte sie begleitet und spielte eine entgegengesetzte, nicht minder wunderliche Rolle.

1799

Den 30. Januar Aufführung von den »Piccolomini«, den 20. April von »Wallenstein«. Indessen war Schiller immer tätig. »Maria Stuart« und »Die feindlichen Brüder« kommen zur Sprache. Wir berieten uns über den Gedanken, die deutschen Stücke, die sich erhalten ließen, teils unverändert im Druck zu sammeln, teils aber verändert und ins Enge gezogen der neueren Zeit und ihrem Geschmack näherzubringen. Ebendasselbe sollte mit ausländischen Stücken geschehen, eigene Arbeit jedoch durch eine solche Umbildung nicht verdrängt werden. Hier ist die Absicht unverkennbar, den deutschen Theatern den Grund zu einem soliden Repertorium zu legen, und der Eifer, dies zu leisten, spricht für die Überzeugung, wie notwendig und wichtig, wie folgereich ein solches Unternehmen sei.

Wir waren schon gewohnt, gemeinschaftlich zu handeln, und wie wir dabei verfuhren, ist bereits im »Morgenblatt« ausführlich vorgetragen. In das gegenwärtige Jahr fällt die Redaktion von »Macbeth« und die Übersetzung von »Mahomet«.

Die Memoiren der Stephanie von Bourbon-Conti erregen in mir die Konzeption der »Natürlichen Tochter«. In dem Plane bereitete ich mir ein Gefäß, worin ich alles, was ich so manches Jahr über die Französische Revolution und deren Folgen geschrieben und gedacht, mit geziemendem Ernste niederzulegen hoffte. Kleinere Stücke schematisierte ich mit Schillern [61] gemeinschaftlich, wovon noch einiges, von Schillern eigenhändig geschrieben, übrig ist.

Die »Propyläen« wurden fortgesetzt. Im September hielten wir die erste Ausstellung der Preisbilder; die Aufgabe war Paris und Helena. Hartmann in Stuttgart erreichte den Preis.

Erwarben nun auf diese Weise die Weimarischen Kunstfreunde sich einiges Zutrauen der Außenwelt, so war auch Schiller aufgeregt, unablässig die Betrachtung über Natur, Kunst und Sitten gemeinschaftlich anzustellen. Hier fühlten wir immer mehr die Notwendigkeit von tabellarischer und symbolischer Behandlung. Wir zeichneten zusammen jene Temperamentenrose wiederholt; auch der nützliche und schädliche Einfluß des Dilettantismus auf alle Künste ward tabellarisch weiter ausgearbeitet, wovon die Blätter beidhändig noch vorliegen. Überhaupt wurden solche methodische Entwürfe durch Schillers philosophischen Ordnungsgeist, zu welchem ich mich symbolisierend hinneigte, zur angenehmsten Unterhaltung. Man nahm sie von Zeit zu Zeit wieder auf, prüfte sie, stellte sie um, und so ist denn auch das Schema der »Farbenlehre« öfters bearbeitet worden.

Und so konnte das Leben nirgends stocken in den jenigen Zweigen der Wissenschaft und Kunst, die wir als die unsrigen ansahen. Schelling teilte die Einleitung zu seinem »Entwurf der Naturphilosophie« freundlich mit; er besprach gern mancherlei Physikalisches, ich verfaßte einen allgemeinen Schematismus über Natur und Kunst.

Im August und September bezog ich meinen Garten am Stern, um einen ganzen Mondswechsel durch ein gutes Spiegelteleskop zu beobachten, und so ward ich denn mit diesem so lange geliebten und bewunderten Nachbar endlich näher bekannt. Bei aliem diesem lag ein großes Naturgedicht, das mir vor der Seele schwebte, durchaus im Hintergrund.

Während meines Gartenaufenthalts las ich Herders »Fragmente«, ingleichen Winckelmanns »Briefe« und erste Schriften, ferner Miltons »Verlornes Paradies«, um die mannigfaltigsten Zustände, Denk- und Dichtweisen mir zu vergegenwärtigen. [62] In die Stadt zurückgekehrt, studierte ich zu obengemeldeten Theaterzwecken ältere englische Stücke, vorzüglich des Ben Jonson, nicht weniger andere, welche man Shakespearen zuschreibt. Durch guten Rat nahm ich Anteil an den »Schwestern von Lesbos«, deren Verfasserin mich früher als ein höchst schönes Kind, später als ein vorzüglichstes Talent angezogen hatte. Tieck las mir seine »Cenoveva« vor, deren wahrhaft poetische Behandlung mir sehr viel Freude machte und den freundlichsten Beifall abgewann. Auch die Gegenwart Wilhelm August Schlegels war für mich gewinnreich. Kein Augenblick ward müßig zugebracht, und man konnte schon auf viele Jahre hinaus ein geistiges gemeinsames Interesse vorhersehen.

1800

Dieses Jahr brachte ich halb in Weimar, halb in Jena zu. Den 30. Januar ward »Mahomet« aufgeführt zu großem Vorteil für die Bildung unserer Schauspieler. Sie mußten sich aus ihrem Naturalisieren in eine gewisse Beschränktheit zurückziehen, deren Manieriertes aber sich gar leicht in ein Natürliches verwandeln ließ. Wir gewannen eine Vorübung in jedem Sinne zu den schwierigeren, reicheren Stücken, welche bald darauf erschienen. Von Opern will ich nur »Tarare« nennen.

Späterhin, am 24. Oktober, als am Geburtstag der Herzogin Amalia, ward im engeren Kreise »Paläophron und Neoterpe« gegeben. Die Aufführung des kleinen Stücks durch junge Kunstfreunde war musterhaft zu nennen. Fünf Figuren spielten in Masken, der Dame allein war vergönnt, uns in der eigensten Anmut ihrer Gesichtszüge zu ergötzen.

Diese Darstellung bereitete jene Maskenkomödien vor, die in der Folge eine ganz neue Unterhaltung jahrelang gewährten.

Die Bearbeitung verschiedener Stücke, gemeinschaftlich mit Schiller, ward fortgesetzt und zu diesem Zweck »Das Geheimnis der Mutter« von Horace Walpole studiert und behandelt, bei näherer Betrachtung jedoch unterlassen. Die neueren [63] kleinen Gedichte wurden an Unger abgeliefert, »Die guten Frauen«, ein geselliger Scherz, geschrieben.

Nun sollte zum nächsten, immer gefeierten 30. Januar ganz am Ende des Jahrs »Tancred« übersetzt werden, und so geschah es auch, ungeachtet einer sich anmeldenden krankhaften Unbehaglichkeit.

Als wir im August dieses Jahrs die zweite Ausstellung vorbereiteten, fanden wir uns schon von vielseitiger Teilnahme begünstigt. Die Aufgabe: Der Tod des Rhesus und Hektors Abschied von Andromache, hatten viele wackere Künstler gelockt. Den ersten Preis erhielt Hoffmann zu Köln, den zweiten Nahl zu Kassel. Der »Propyläen« drittes und letztes Stück ward, bei erschwerter Fortsetzung, aufgegeben. Wie sich bösartige Menschen diesem Unternehmen entgegengestellt, sollte wohl zum Trost unserer Enkel, denen es auch nicht besser gehen wird, gelegentlich näher bezeichnet werden.

Die Naturforschung verfolgte still ihren Gang. Ein sechsfüßiger Herschel war für unsere wissenschaftlichen Anstalten angeschafft. Ich beobachtete nun einzeln mehrere Mondwechsel und machte mich mit den bedeutendsten Lichtgrenzen bekannt, wodurch ich denn einen guten Begriff von dem Relief der Mondoberfläche erhielt. Auch war mir die Haupteinteilung der »Farbenlehre« in die drei Hauptmassen, die didaktische, polemische und historische, zuerst ganz klar geworden und hatte sich entschieden.

Um mir im Botanischen das Jussieusche System recht anschaulich zu machen, brachte ich die sämtlichen Kupfer mehrerer botanischen Oktavwerke in jene Ordnung; ich erhielt dadurch eine Anschauung der einzelnen Gestalt und eine Übersicht des Ganzen, welches sonst nicht zu erlangen gewesen wäre.

1801

Zu Anfang des Jahrs überfiel mich eine grimmige Krankheit; die Veranlassung dazu war folgende: Seit der [64] Aufführung »Mahomets« hatte ich eine Übersetzung des »Tancred« von Voltaire begonnen und mich damit beschäftigt; nun aber ging das Jahr zu Ende, und ich mußte das Werk ernstlich angreifen; daher begab ich mich Hälfte Dezembers nach Jena, wo ich in den großen Zimmern des herzoglichen Schlosses einer altherkömmlichen Stimmung sogleich gebieten konnte. Auch diesmal waren die dortigen Zustände meiner Arbeit günstig; allein die Emsigkeit, womit ich mich daran hielt, ließ mich den schlimmen Einfluß der Lokalität diesmal wie schon öfter übersehen. Das Gebäude liegt an dem tiefsten Punkte der Stadt, unmittelbar an der Mühllache; Treppe sowie Treppengebäude von Gips, als einer sehr kalten und verkältenden Steinart, an die sich bei eintretendem Tauwetter die Feuchtigkeit häufig anwirft, machen den Aufenthalt besonders im Winter sehr zweideutig. Allein, wer etwas unternimmt und leistet, denkt er wohl an den Ort, wo es geschieht? Genug, ein heftiger Katarrh überfiel mich, ohne daß ich deshalb in meinem Vorsatz irre geworden wäre.

Damals hatte das Brownische Dogma ältere und jüngere Mediziner ergriffen; ein junger Freund, demselben ergeben, wußte von der Erfahrung, daß peruvianischer Balsam, verbunden mit Opium und Myrrhen, in den höchsten Brustübeln einen augenblicklichen Stillstand verursache und dem gefährlichen Verlauf sich entgegensetze. Er riet mir zu diesem Mittel, und in dem Augenblick war Husten, Auswurf und alles verschwunden. Wohlgemut begab ich mich in Professor Schellings Begleitung nach Weimar, als gleich zu Anfange des Jahrs der Katarrh mit verstärkter Gewalt zurückkehrte und ich in einen Zustand geriet, der mir die Besinnung raubte. Die Meinigen waren außer Fassung, die Ärzte tasteten nur, der Herzog, mein gnädigster Herr, die Gefahr überschauend, griff sogleich persönlich ein und ließ durch einen Eilboten den Hofrat Stark von Jena herüberkommen. Es vergingen einige Tage, ohne daß ich zu einem völligen Bewußtsein zurückkehrte, und als ich nun durch die Kraft der Natur und ärztliche Hülfe mich selbst wieder gewahr wurde, fand ich die Umgebung des rechten [65] Auges geschwollen, das Sehen gehindert und mich übrigens in erbärmlichem Zustande. Der Fürst ließ in seiner sorgfältigen Leitung nicht nach, der hocherfahrne Leibarzt, im Praktischen von sicherm Griff, bot alles auf, und so stellte Schlaf und Transpiration mich nach und nach wieder her.

Innerlich hatte ich mich indessen schon wieder so gestaltet, daß am 19. Januar die Langeweile des Zustandes mir eine mäßige Tätigkeit abforderte, und so wendete ich mich zur Übersetzung des Theophrastischen Büchleins »Von den Farben«, die ich schon längst im Sinne gehabt. Die nächsten Freunde, Schiller, Herder, Voigt, Einsiedel und Loder, waren tätig, mich über fernere böse Stunden hinauszuheben. Am 22. war schon bei mir ein Konzert veranstaltet, und Durchlaucht dem Herzog konnt ich am 24., als am Tage, wo er nach Berlin reiste, für die bis zuletzt ununterbrochene Sorgfalt mit erheitertem Geiste danken: denn an diesem Tage hatte sich das Auge wieder geöffnet, und man durfte hoffen, frei und vollständig abermals in die Welt zu schauen. Auch konnte ich zunächst mit genesendem Blick die Gegenwart der durchlauchtigsten Herzogin Amalia und ihrer freundlich-geistreichen Umgebung bei mir verehren.

Am 29. durchging ich die Rolle der Amenaide mit Demoiselle Caspers, einer sich heranbildenden Schauspielerin. Freund Schiller leitete die Proben, und so gab er mir denn auch den 30. abends nach der Aufführung Nachricht von dem Gelingen. So ging ich ferner dieselbe Rolle mit Demoiselle Jagemann durch, deren Naturell und Verdienst als Schauspielerin und Sängerin damals ein Verehrer nach unmittelbaren Eindrücken hätte schildern sollen.

Brauchbar und angenehm in manchen Rollen war Ehlers als Schauspieler und Sänger, besonders in dieser letzten Eigenschaft geselliger Unterhaltung höchst willkommen, indem er Balladen und andere Lieder der Art zur Gitarre mit genauester Präzision der Textworte ganz unvergleichlich vortrug. Er war unermüdet im Studieren des eigentlichsten Ausdrucks, der darin besteht, daß der Sänger nach einer Melodie die verschiedenste [66] Bedeutung der einzelnen Strophen hervorzuheben und so die Pflicht des Lyrikers und Epikers zugleich zu erfüllen weiß. Hievon durchdrungen, ließ er sich's gern gefallen, wenn ich ihm zumutete, mehrere Abendstunden, ja bis tief in die Nacht hinein dasselbe Lied mit allen Schattierungen aufs pünktlichste zu wiederholen: denn bei der gelungenen Praxis überzeugte er sich, wie verwerflich alles sogenannte Durchkomponieren der Lieder sei, wodurch der allgemein lyrische Charakter ganz aufgehoben und eine falsche Teilnahme am einzelnen gefordert und erregt wird.

Schon am 7. Februar regte sich in mir die produktive Ungeduld, ich nahm den »Faust« wieder vor und führte stellenweise dasjenige aus, was in Zeichnung und Umriß schon längst vor mir lag.

Als ich zu Ende vorigen Jahrs in Jena den »Tancred« bearbeitete, ließen meine dortigen geistreichen Freunde den Vorwurf laut werden, daß ich mich mit französischen Stücken, welche bei der jetzigen Gesinnung von Deutschland nicht wohl Gunst erlangen könnten, so emsig beschäftige und nichts Eigenes vornähme, wovon ich doch so manches hatte merken lassen. Ich rief mir daher »Die natürliche Tochter« vor die Seele, deren ganz ausgeführtes Schema schon seit einigen Jahren unter meinen Papieren lag.

Gelegentlich dacht ich an das Weitere; allein durch einen auf Erfahrung gestützten Aberglauben, daß ich ein Unternehmen nicht aussprechen dürfe, wenn es gelingen solle, verschwieg ich selbst Schillern diese Arbeit und erschien ihm daher als unteilnehmend, glauben- und tatlos. Ende Dezember find ich bemerkt, daß der erste Akt der »Natürlichen Tochter« vollendet worden.

Doch fehlte es nicht an Ableitungen, besonders naturwissenschaftlichen, sowie ins Philosophische und Literarische. Ritter besuchte mich öfters, und ob ich gleich in seine Behandlungsweise mich nicht ganz finden konnte, so nahm ich doch gern von ihm auf, was er von Erfahrungen überlieferte und was er nach seinen Bestrebungen, sich ins Ganze auszubilden, getrieben [67] war. Zu Schelling und Schlegel blieb ein tätiges, mitteilendes Verhältnis. Tieck hielt sich länger in Weimar auf, seine Gegenwart war immer anmutig fördernd. Mit Paulus blieb ebenfalls ein immer gleiches Verbündnis; wie denn alle diese Verhältnisse durch die Nähe von Weimar und Jena sich immerfort lebendig erhielten und durch meinen Aufenthalt am letztern Orte immer mehr bestätigt wurden.

Von Naturhistorischem berührte mich weniges; ein krummer Elefantenzahn ward nach einem großen Regenguß in der Gelmeröder Schlucht entdeckt. Er lag höher als alle die bisherigen Reste dieser frühern Geschöpfe, welche in den Tuffsteinbrüchen, eingehüllt in dieses Gestein, wenig Fuß über der Ilm gefunden werden; dieser aber ward unmittelbar auf dem Kalkflöz unter der aufgeschwemmten Erde im Gerölle entdeckt, über der Ilm etwa zweihundert. Er ward zu einer Zeit gefunden, wo ich, dergleichen Gegenständen entfremdet, daran wenig Anteil nahm. Die Finder hielten die Materie für Meerschaum und schickten solche Stücke nach Eisenach; nur kleine Trümmer waren mir zugekommen, die ich auf sich beruhen ließ. Bergrat Werner jedoch, bei einem abermaligen belehrenden Besuche, wußte sogleich die Sache zu entscheiden, und wir erfreuten uns der von einem Meister des Fachs ausgesprochenen Beruhigung.

Auch die Verhältnisse, in die ich durch den Besitz des Freiguts zu Roßla gekommen war, forderten aufmerksame Teilnahme für einige Zeit, wobei ich jedoch die Tage, die mir geraubt zu werden schienen, vielseitig zu benutzen wußte. Der erste Pachter war auszuklagen, ein neuer einzusetzen, und man mußte die Erfahrungen für etwas rechnen, die man im Verfolg so fremdartiger Dinge nach und nach gewonnen hatte.

Zu Ende März war ein ländlicher Aufenthalt schon erquicklich genug. Ökonomen und Juristen überließ man das Geschäft und ergötzte sich einstweilen in freier Luft, und weil die Konklusion »ergo bibamus« zu allen Prämissen paßt, so ward auch bei dieser Gelegenheit manches herkömmliche und willkürliche Fest gefeiert; es fehlte nicht an Besuchen, und die Kosten [68] einer wohlbesetzten Tafel vermehrten das Defizit, das der alte Pachter zurückgelassen hatte.

Der neue war ein leidenschaftlicher Freund von Baumzucht; seiner Neigung gab ein angenehmer Talgrund von dem fruchtbarsten Boden Gelegenheit zu solchen Anlagen. Die eine buschige Seite des Abhangs, durch eine lebendige Quelle geschmückt, rief dagegen meine alte Parkspielerei zu geschlängelten Wegen und geselligen Räumen hervor; genug, es fehlte nichts als das Nützliche, und so wäre dieser kleine Besitz höchst wünschenswert geblieben. Auch die Nachbarschaft eines bedeutenden Städtchens, kleinerer Ortschaften, durch verständige Beamte und tüchtige Pächter gesellig, gaben dem Aufenthalt besondern Reiz; die schon entschiedene Straßenführung nach Eckartsberga, welche unmittelbar hinter dem Hausgarten abgesteckt wurde, veranlaßte bereits Gedanken und Plane, wie man ein Lusthäuschen anlegen und von dort an den belebenden Meßfuhren sich ergötzen wollte, so daß man sich auf dem Grund und Boden, der einträglich hätte werden sollen, nur neue Gelegenheiten zu vermehrten Ausgaben und verderblichen Zerstreuungen mit Behagen vorbereitete.

Eine fromme, fürs Leben bedeutende Feierlichkeit fiel jedoch im Innern des Hauses in diesen Tagen vor. Die Konfirmation meines Sohnes, welche Herder nach seiner edlen Weise verrichtete, ließ uns nicht ohne rührende Erinnerung vergangner Verhältnisse, nicht ohne Hoffnung künftiger freundlicher Bezüge.

Unter diesen und andern Ereignissen war der Tag hingegangen; Ärzte sowohl als Freunde verlangten, ich solle mich in ein Bad begeben, und ich ließ mich, nach dem damaligen Stärkungssystem, um so mehr für Pyrmont bestimmen, als ich mich nach einem Aufenthalt in Göttingen schon längst gesehnt hatte.

Den 5. Juni reiste ich ab von Weimar, und gleich die ersten Meilen waren mir höchst erfrischend; ich konnte wieder einen teilnehmenden Blick auf die Welt werfen, und obgleich von keinem ästhetischen Gefühl begleitet, wirkte er doch höchst [69] wohltätig auf mein Inneres. Ich mochte gern die Folge der Gegend, die Abwechselung der Landesart bemerken, nicht weniger den Charakter der Städte, ihre ältere Herkunft, Erneuerung, Polizei, Arten und Unarten. Auch die menschliche Gestalt zog mich an und ihre höchst merkbaren Verschiedenheiten; ich fühlte, daß ich der Welt wieder angehörte.

In Göttingen bei der »Krone« eingekehrt, bemerkt ich, als eben die Dämmerung einbrach, einige Bewegung auf der Straße; Studierende kamen und gingen, verloren sich in Seitengäßchen und traten in bewegten Massen wieder vor. Endlich erscholl auf einmal ein freudiges »Lebehoch!«, aber auch im Augenblick war alles verschwunden. Ich vernahm, daß dergleichen Beifallsbezeugungen verpönt seien, und es freute mich um so mehr, daß man es gewagt hatte, mich nur im Vorbeigehen aus dem Stegreife zu begrüßen. Gleich darauf erhielt ich ein Billett, unterzeichnetSchumacher aus Holstein, der mir auf eine anständig vertrauliche Art den Vorsatz meldet, den er und eine Gesellschaft junger Freunde gehegt, mich zu Michaeli in Weimar zu besuchen, und wie sie nunmehr hofften, hier am Ort ihren Wunsch befriedigt zu sehen. Ich sprach sie mit Anteil und Vergnügen. Ein so freundlicher Empfang wäre dem Gesunden schon wohltätig gewesen, dem Genesenden ward er es doppelt.

Hofrat Blumenbach empfing mich nach gewohnter Weise. Immer von dem Neusten und Merkwürdigsten umgeben, ist sein Willkommen jederzeit belehrend. Ich sah bei ihm den ersten Aerolithen, an welches Naturerzeugnis der Glaube uns erst vor kurzem in die Hand gegeben ward. Ein junger Kestner und von Arnim, früher bekannt und verwandten Sinnes, suchten mich auf und begleiteten mich zur Reitbahn, wo ich den berühmten Stallmeister Ayrer in seinem Wirkungskreise begrüßte. Eine wohlbestellte Reitbahn hat immer etwas Imposantes; das Pferd steht als Tier sehr hoch, doch seine bedeutende, weitreichende Intelligenz wird auf eine wundersame Weise durch gebundene Extremitäten beschränkt. Ein Geschöpf, das bei so bedeutenden, ja großen Eigenschaften sich [70] nur im Treten, Laufen, Rennen zu äußern vermag, ist ein seltsamer Gegenstand für die Betrachtung, ja man überzeugt sich beinahe, daß es nur zum Organ des Menschen geschaffen sei, um, gesellt zu höherem Sinne und Zwecke, das Kräftigste wie das Anmutigste bis zum Unmöglichen auszurichten.

Warum denn auch eine Reitbahn so wohltätig auf den Verständigen wirkt, ist, daß man hier, vielleicht einzig in der Welt, die zweckmäßige Beschränkung der Tat, die Verbannung aller Willkür, ja des Zufalls mit Augen schaut und mit dem Geiste begreift. Mensch und Tier verschmelzen hier dergestalt in eins, daß man nicht zu sagen wüßte, wer denn eigentlich den andern erzieht. Dergleichen Betrachtungen wurden bis aufs höchste gesteigert, als man die zwei Paare sogenannter weißgeborner Pferde zu sehen bekam, welche Fürst Sanguszko in Hannover für eine bedeutende Summe gekauft hatte.

Von da zu der allerruhigsten und unsichtbarsten Tätigkeit überzugehen war in oberflächlicher Beschauung der Bibliothek gegönnt; man fühlt sich wie in der Gegenwart eines großen Kapitals, das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet.

Hofrat Heyne zeigte mir Köpfe Homerischer Helden, von Tischbein in großem Maßstabe ausgeführt; ich kannte die Hand des alten Freundes wieder und freute mich seiner fortgesetzten Bemühungen, durch Studium der Antike sich der Einsicht zu nähern, wie der bildende Künstler mit dem Dichter zu wetteifern habe. Wieviel weiter war man nicht schon gekommen als vor zwanzig Jahren, da der treffliche, das Echte vorahnende Lessing vor den Irrwegen des Grafen Caylus warnen und gegen Klotz und Riedel seine Überzeugung verteidigen mußte, daß man nämlich nicht nach dem Homer, sondern wie Homer mythologisch-epische Gegenstände bildkünstlerisch zu behandeln habe.

Neue und erneuerte Bekanntschaften fanden sich wohlwollend ein. Unter Leitung Blumenbachs besah ich abermals die Museen und fand im Steinreiche mir noch unbekannte außereuropäische Musterstücke.

[71] Und wie denn jeder Ort den fremden Ankömmling zerstreuend hin und her zieht und unsere Fähigkeit, das Interesse mit den Gegenständen schnell zu wechseln, von Augenblick zu Augenblick in Anspruch nimmt, so wußte ich die Bemühung des ProfessorsOsiander zu schätzen, der mir die wichtige Anstalt des neu und sonderbar erbauten Akkouchierhauses sowie die Behandlung des Geschäftes erklärend zeigte.

Den Lockungen, mit denen Blumenbach die Jugend anzuziehen und sie unterhaltend zu belehren weiß, entging auch nicht mein zehnjähriger Sohn. Als der Knabe vernahm, daß von den vielgestaltigen Versteinerungen der Hainberg wie zusammengesetzt sei, drängte er mich zum Besuch dieser Höhe, wo denn die gewöhnlichen Gebilde häufig aufgepackt, die seltnern aber einer spätern emsigen Forschung vorbehalten wurden.

Und so entfernte ich mich den 12. Juni von diesem einzig bedeutenden Orte in der angenehm beruhigenden Hoffnung, mich zur Nachkur länger daselbst aufzuhalten.

Der Weg nach Pyrmont bot mir neue Betrachtungen dar: das Leinetal mit seinem milden Charakter erschien freundlich und wöhnlich; die Stadt Einbeck, deren hoch aufstrebende Dächer mit Sandsteinplatten gedeckt sind, machte einen wundersamen Eindruck. Sie selbst und die nächste Umgegend mit dem Sinne Zadigs durchwandelnd, glaubt ich zu bemerken, daß sie vor zwanzig, dreißig Jahren einen trefflichen Burgemeister müsse gehabt haben. Ich schloß dies aus bedeutenden Baumpflanzungen von ungefähr diesem Alter.

In Pyrmont bezog ich eine schöne, ruhig gegen das Ende des Orts liegende Wohnung bei dem Brunnenkassierer, und es konnte mir nichts glücklicher begegnen, als daß Griesbachs ebendaselbst eingemietet hatten und bald nach mir ankamen. Stille Nachbarn, geprüfte Freunde, so unterrichtete als wohlwollende Personen trugen zur ergötzlichen Unterhaltung das Vorzüglichste bei. Prediger Schütz aus Bückeburg, jenen als Bruder und Schwager und mir als Gleichnis seiner längst bekannten Geschwister höchst willkommen, mochte sich gern von [72] allem, was man wert und würdig halten mag, gleichfalls unterhalten.

Hofrat Richter von Göttingen, in Begleitung des augenkranken Fürsten Sanguszko, zeigte sich immer in den liebenswürdigsten Eigenheiten, heiter auf trockne Weise, neckisch und neckend, bald ironisch und paradox, bald gründlich und offen.

Mit solchen Personen fand ich mich gleich anfangs zusammen; ich wüßte nicht, daß ich eine Badezeit in besserer Gesellschaft gelebt hätte, besonders da eine mehrjährige Bekanntschaft ein wechselseitig duldendes Vertrauen eingeleitet hatte.

Auch lernte ich kennen Frau von Weinheim, ehemalige Generalin von Bauer, Madame Scholin und Raleff, Verwandte von Madame Sander in Berlin. Amnutige und liebenswürdige Freundinnen machten diesen Zirkel höchst wünschenswert.

Leider war ein stürmisch-regnerisches Wetter einer öftern Zusammenkunft im Freien hinderlich; ich widmete mich zu Hause der Übersetzung des Theophrast und einer weitern Ausbildung der sich immer mehr bereichernden »Farbenlehre«.

Die merkwürdige Dunsthöhle in der Nähe des Ortes, wo das Stickgas, welches mit Wasser verbunden so kräftig heilsam auf den menschlichen Körper wirkt, für sich unsichtbar eine tödliche Atmosphäre bildet, veranlaßte manche Versuche, die zur Unterhaltung dienten. Nach ernstlicher Prüfung des Lokals und des Niveaus jener Luftschicht konnte ich die auffallenden und erfreulichen Experimente mit sicherer Kühnheit anstellen. Die auf dem unsichtbaren Elemente lustig tanzenden Seifenblasen, das plötzliche Verlöschen eines flackernden Strohwisches, das augenblickliche Wiederentzünden, und was dergleichen sonst noch war, bereitete staunendes Ergötzen solchen Personen, die das Phänomen noch gar nicht kannten, und Bewunderung, wenn sie es noch nicht im Großen und Freien ausgeführt gesehen hatten. Und als ich nun gar dieses geheimnisvolle Agens, in Pyrmonter Flaschen gefüllt, mit nach Hause trug und in jedem anscheinend leeren Trinkglas das Wunder des auslöschenden Wachsstocks wiederholte, war die Gesellschaft völlig zufrieden und der unglaubige Brunnenmeister so [73] zur Überzeugung gelangt, daß er sich bereit zeigte, mir einige dergleichen wasserleere Flaschen den übrigen gefüllten mit beizupacken, deren Inhalt sich auch in Weimar noch völlig wirksam offenbarte.

Der Fußpfad nach Lügde, zwischen abgeschränkten Weideplätzen her, ward öfters zurückgelegt. In dem Örtchen, das einigemal abgebrannt war, erregte eine desperate Hausinschrift unsere Aufmerksamkeit; sie lautet:


Gott segne das Haus!
Zweimal rannt ich heraus,
Denn zweimal ist's abgebrannt,
Komm ich zum drittenmal gerannt,
Da segne Gott meinen Lauf,
Ich bau's wahrlich nicht wieder auf.

Das Franziskanerkloster ward besucht und einige dargebotene Milch genossen. Eine uralte Kirche außerhalb des Ortes gab den ersten unschuldigen Begriff eines solchen früheren Gotteshauses mit Schiff und Kreuzgängen unter einem Dach bei völlig glattem, unverziertem Vordergiebel. Man schrieb sie den Zeiten Karls des Großen zu; auf alle Fälle ist sie für uralt zu achten, es sei nun der Zeit nach oder daß sie die uranfänglichen Bedürfnisse jener Gegend ausspricht.

Mich und besonders meinen Sohn überraschte höchst angenehm das Anerbieten des Rektors Werner, uns auf den sogenannten Kristallberg hinter Lügde zu führen, wo man bei hellem Sonnenschein die Äcker von tausend und aber tausend kleinen Bergkristallen widerschimmern sieht. Sie haben ihren Ursprung in kleinen Höhlen eines Mergelsteins und sind auf alle Weise merkwürdig als ein neueres Erzeugnis, wo ein Minimum der im Kalkgestein enthaltenen Kieselerde, wahrscheinlich dunstartig befreit, rein und wasserhell in Kristalle zusammentritt.

Ferner besuchten wir die hinter dem Königsberge von Quäkern angelegte wie auch betriebene Messerfabrik und fanden uns veranlaßt, ihrem ganz nah bei Pyrmont gehaltenen Gottesdienst [74] mehrmals beizuwohnen, dessen, nach langer Erwartung für improvisiert gelten sollende Rhetorik kaum jemand das erstemal, geschweige denn bei wiederholtem Besuch, für inspiriert anerkennen möchte. Es ist eine traurige Sache, daß ein reiner Kultus jeder Art, sobald er an Orte beschränkt und durch die Zeit bedingt ist, eine gewisse Heuchelei niemals ganz ablehnen kann.

Die Königin von Frankreich, Gemahlin Ludwig des XVIII., unter dem Namen einer Gräfin Lille, erschien auch am Brunnen in weniger, aber abgeschlossener Umgebung.

Bedeutende Männer habe ich noch zu nennen: Konsistorialrat Horstig und Hofrat Marcard, den letztern als einen Freund und Nachfolger Zimmermanns.

Das fortdauernde üble Wetter drängte die Gesellschaft öfters ins Theater. Mehr dem Personal als den Stücken wendete ich meine Aufmerksamkeit zu. Unter meinen Papieren find ich noch ein Verzeichnis der sämtlichen Namen und der geleisteten Rollen; der zur Beurteilung gelassene Platz hingegen ward nicht ausgefüllt. Iffland und Kotzebue taten auch hier das Beste, und Eulalia, wenn man schon wenig von der Rolle verstand, bewirkte doch durch einen sentimental-tönend weichlichen Vortrag den größten Effekt; meine Nachbarinnen zerflossen in Tränen.

Was aber in Pyrmont apprehensiv wie eine böse Schlange sich durch die Gesellschaft windet und bewegt, ist die Leidenschaft des Spiels und das daran bei einem jeden, selbst wider Willen, erregte Interesse. Man mag, um Wind und Wetter zu entgehen, in die Säle selbst treten oder in bessern Stunden die Allee auf und ab wandeln, überall zischt das Ungeheuer durch die Reihen; bald hört man, wie ängstlich eine Gattin den Gemahl nicht weiterzuspielen anfleht, bald begegnet uns ein junger Mann, der in Verzweiflung über seinen Verlust die Geliebte vernachlässigt, die Braut vergißt; dann erschallt auf einmal ein Ruf grenzenloser Bewunderung: die Bank sei gesprengt! Es geschah diesmal wirklich in Rot und Schwarz. Der vorsichtige Gewinner setzte sich alsbald in eine Postchaise, [75] seinen unerwartet erworbenen Schatz bei nahen Freunden und Verwandten in Sicherheit zu bringen. Er kam zurück, wie es schien mit mäßiger Börse, denn er lebte stille fort, als wäre nichts geschehen.

Nun aber kann man in dieser Gegend nicht verweilen, ohne auf jene Urgeschichten hingewiesen zu werden, von denen uns römische Schriftsteller so ehrenvolle Nachrichten überliefern. Hier ist noch die Umwallung eines Berges sichtbar, dort eine Reihe von Hügeln und Tälern, wo gewisse Heereszüge und Schlachten sich hatten ereignen können. Da ist ein Gebirgs-, ein Ortsname, der dorthin Winke zu geben scheint; herkömmliche Gebräuche deuten sogar auf die frühesten, roh feiernden Zeiten, und man mag sich wehren und wenden, wie man will, man mag noch soviel Abneigung beweisen vor solchen aus dem Ungewissen ins Ungewissere verleitenden Bemühungen, man findet sich wie in einem magischen Kreise befangen, man identifiziert das Vergangene mit der Gegenwart, man beschränkt die allgemeinste Räumlichkeit auf die jedesmal nächste und fühlt sich zuletzt in dem behaglichsten Zustande, weil man für einen Augenblick wähnt, man habe sich das Unfaßlichste zur unmittelbaren Anschauung gebracht.

Durch Unterhaltungen solcher Art, gesellt zum Lesen von so mancherlei Heften, Büchern und Büchelchen, alle mehr oder weniger auf die Geschichte von Pyrmont und die Nachbarschaft bezüglich, ward zuletzt der Gedanke einer gewissen Darstellung in mir rege, wozu ich nach meiner Weise sogleich ein Schema verfertigte.

Das Jahr 1582, wo auf einmal ein wundersamer Zug aus allen Weltgegenden nach Pyrmont hinströmte und die zwar bekannte, aber noch nicht hochberühmte Quelle mit unzähligen Gästen heimsuchte, welche bei völlig mangelnden Einrichtungen sich auf die kümmerlichste und wunderlichste Art behelfen mußten, ward als prägnanter Moment ergriffen und auf einen solchen Zeitpunkt, einen solchen unvorbereiteten Zustand vorwärts und rückwärts ein Märchen erbaut, das zur Absicht hatte, wie die »Amusements des eaux de Spaa«, sowohl [76] in der Ferne als der Gegenwart eine unterhaltende Belehrung zu gewähren. Wie aber ein so löbliches Unternehmen unterbrochen und zuletzt ganz aufgegeben worden, wird aus dem Nachfolgenden deutlich werden. Jedoch kann ein allgemeiner Entwurf unter andern kleinen Aufsätzen dem Leser zunächst mitgeteilt werden.

Ich hatte die letzten Tage bei sehr unbeständigem Wetter nicht auf das angenehmste zugebracht und fing an zu fürchten, mein Aufenthalt in Pyrmont würde mir nicht zum Heil gedeihen. Nach einer so hochentzündlichen Krankheit mich abermals im Brownischen Sinne einem so entschieden anregenden Bade zuzuschicken war vielleicht nicht ein Zeugnis richtig beurteilender Ärzte. Ich war auf einen Grad reizbar geworden, daß mich nachts die heftigste Blutsbewegung nicht schlafen ließ, bei Tage das Gleichgültigste in einen exzentrischen Zustand versetzte.

Der Herzog, mein gnädigster Herr, kam den 9. Juli in Pyrmont an, ich erfuhr, was sich zunächst in Weimar zugetragen und was daselbst begonnen worden; aber eben jener aufgeregte Zustand ließ mich einer so erwünschten Nähe nicht genießen. Das fortdauernde Regenwetter verhinderte jede Geselligkeit im Freien; ich entfernte mich am 17. Juli, wenig erbaut von den Resultaten meines Aufenthalts.

Durch Bewegung und Zerstreuung auf der Reise, auch wohl wegen unterlassenen Gebrauchs des aufregenden Mineralwassers, gelangt ich in glücklicher Stimmung nach Göttingen. Ich bezog eine angenehme Wohnung bei dem Instrumentenmacher Krämer an der Allee im ersten Stocke. Mein eigentlicher Zweck bei einem längern Aufenthalt daselbst war, die Lücken des historischen Teils der »Farbenlehre«, deren sich noch manche fühlbar machten, abschließlich auszufüllen. Ich hatte ein Verzeichnis aller Bücher und Schriften mitgebracht, deren ich bisher nicht habhaft werden können; ich übergab solches dem Herrn Professor Reuß und erfuhr von ihm sowie von allen übrigen Angestellten die entschiedenste Beihülfe. Nicht allein ward mir, was ich aufgezeichnet hatte, vorgelegt, sondern auch [77] gar manches, das mir unbekannt geblieben war, nachgewiesen. Einen großen Teil des Tags vergönnte man mir auf der Bibliothek zuzubringen, viele Werke wurden mir nach Hause gegeben, und so verbracht ich meine Zeit mit dem größten Nutzen. Die Gelehrtengeschichte von Göttingen, nach Pütter, studierte ich nun am Orte selbst mit größter Aufmerksamkeit und eigentlichster Teilnahme, ja ich ging die Lektionskatalogen vom Ursprung der Akademie sorgfältig durch, woraus man denn die Geschichte der Wissenschaften neuerer Zeit gar wohl abnehmen konnte. Sodann beachtete ich vorzüglich die sämtlichen physikalischen Kompendien, nach welchen gelesen worden, in den nach und nach aufeinander folgenden Ausgaben, und in solchen besonders das Kapitel von Licht und Farben.

Die übrigen Stunden verbracht ich sodann in großer Erheiterung. Ich müßte das ganze damals lebende Göttingen nennen, wenn ich alles, was mir an freundlichen Gesellschaften, Mittags- und Abendtafeln, Spaziergängen und Landfahrten zuteil ward, einzeln aufführen wollte. Ich gedenke nur einer angenehmen nach Weende mit Professor Bouterwek zu Oberamtmann Westfeld und einer andern, von Hofrat Meiners veranstalteten, wo ein ganz heiterer Tag zuerst auf der Papiermühle, dann in Dappoldshausen, ferner auf der Plesse, wo eine stattliche Restauration bereitet war, in Gesellschaft des Professor Fiorillo zugebracht und am Abend auf Mariaspring traulich beschlossen wurde.

Die unermüdliche, durchgreifende Belehrung Hofrat Blumenbachs, die mir soviel neue Kenntnis und Aufschluß verlieh, erregte die Leidenschaft meines Sohnes für die Fossilien des Hainberges. Gar manche Spazierwege wurden dorthin vorgenommen, die häufig vorkommenden Exemplare gierig zusammengesucht, den seltnern emsig nachgespürt. Hierbei ergab sich der merkwürdige Unterschied zweier Charaktere und Tendenzen: Indes mein Sohn mit der Leidenschaft eines Sammlers die Vorkommnisse aller Art zusammentrug, hielt Eduard, ein Sohn Blumenbachs, als geborner Militär, sich bloß an die Belemniten [78] und verwendete solche, um einen Sandhaufen, als Festung betrachtet, mit Palisaden zu umgeben.

Sehr oft besucht ich Professor Hoffmann und ward den Kryptogamen, die für mich immer eine unzugängliche Provinz gewesen, näher bekannt. Ich sah bei ihm mit Bewunderung die Erzeugnisse kolossaler Farrenkräuter, die das sonst nur durch Mikroskope Sichtbare dem gewöhnlichen Tagesblick entgegenführten. Ein gewaltsamer Regenguß überschwemmte den untern Garten, und einige Straßen von Göttingen standen unter Wasser. Hieraus erwuchs uns eine sonderbare Verlegenheit. Zu einem herrlichen, bei Hofrat Martens angestellten Gastmahl sollten wir uns in Portechaisen hinbringen lassen. Ich kam glücklich durch, allein der Freund, mit meinem Sohne zugleich eingeschachtelt, ward den Trägern zu schwer, sie setzten wie bei trocknem Pflaster den Kasten nieder, und die geputzten Insitzenden waren nicht wenig verwundert, den Strom zu ihnen hereindringen zu fühlen.

Auch Professor Seyffer zeigte mir die Instrumente der Sternwarte mit Gefälligkeit umständlich vor. Mehrere bedeutende Fremde, deren man auf frequentierten Universitäten immer als Gäste zu finden pflegt, lernt ich daselbst kennen, und mit jedem Tag vermehrte sich der Reichtum meines Gewinnes über alles Erwarten. Und so hab ich denn auch der freundlichen Teilnahme des Professor Sartorius zu gedenken, der in allem und jedem Bedürfen, dergleichen man an fremden Orten mehr oder weniger ausgesetzt ist, mit Rat und Tat fortwährend zur Hand ging, um durch ununterbrochene Geselligkeit die sämtlichen Ereignisse meines dortigen Aufenthaltes zu einem nützlichen und erfreulichen Ganzen zu verflechten.

Auch hatte derselbe in Gesellschaft mit ProfessorHugo die Geneigtheit, einen Vortrag von mir zu verlangen und, was ich denn eigentlich bei meiner »Farbenlehre« beabsichtige, näher zu vernehmen. Einem solchen Antrage durft ich wohl, halb Scherz, halb Ernst, zu eigner Fassung und Übung nachgeben; doch konnte bei meiner noch nicht vollständigen Beherrschung [79] des Gegenstandes dieser Versuch weder mir noch ihnen zur Befriedigung ausschlagen.

So verbracht ich denn die Zeit so angenehm als nützlich und mußte noch zuletzt gewahr werden, wie gefährlich es sei, sich einer so großen Masse von Gelehrsamkeit zu nähern: denn indem ich, um einzelner in mein Geschäft einschlagender Dissertationen willen, ganze Bände dergleichen akademischer Schriften vor mich legte, so fand ich nebenher allseitig so viel Anlockendes, daß ich bei meiner ohnehin leicht zu erregenden Bestimmbarkeit und Vorkenntnis in vielen Fächern hier- und dahin gezogen ward und meine Kollektaneen eine bunte Gestalt anzunehmen drohten. Ich faßte mich jedoch bald wieder ins Enge und wußte zur rechten Zeit einen Abschluß zu finden.

Indes ich nun eine Reihe von Tagen nützlich und angenehm, wie es wohl selten geschieht, zubrachte, so erlitt ich dagegen zur Nachtzeit gar manche Unbilden, die im Augenblick höchst verdrießlich und in der Folge lächerlich erscheinen.

Meine schöne und talentvolle Freundin Demoiselle Jagemann hatte kurz vor meiner Ankunft das Publikum auf einen hohen Grad entzückt; Ehemänner gedachten ihrer Vorzüge mit mehr Enthusiasmus, als den Frauen lieb war, und gleicherweise sah man eine erregbare Jugend hingerissen; aber mir hatte die Superiorität ihrer Natur- und Kunstgaben ein großes Unheil bereitet. Die Tochter meines Wirtes, Demoiselle Krämer, hatte von Natur eine recht schöne Stimme, durch Übung eine glückliche Ausbildung derselben erlangt, ihr aber fehlte die Anlage zum Triller, dessen Anmut sie nun von einer fremden Virtuosin in höchster Vollkommenheit gewahr worden; nun schien sie alles übrige zu vernachlässigen und nahm sich vor, diese Zierde des Gesanges zu erringen. Wie sie es damit die Tage über gehalten, weiß ich nicht zu sagen, aber nachts, eben wenn man sich zu Bette legen wollte, erstieg ihr Eifer den Gipfel: bis Mitternacht wiederholte sie gewisse kadenzartige Gänge, deren Schluß mit einem Triller gekrönt werden sollte, meistens aber häßlich entstellt, wenigstens ohne Bedeutung abgeschlossen wurde.

[80] Andern Anlaß zur Verzweiflung gaben ganz entgegengesetzte Töne; eine Hundeschar versammelte sich um das Eckhaus, deren Gebell anhaltend unerträglich war. Sie zu verscheuchen, griff man nach dem ersten besten Werfbaren, und da flog denn manches Ammonshorn des Hainberges, von meinem Sohne mühsam herbeigetragen, gegen die unwillkommenen Ruhestörer, und gewöhnlich umsonst. Denn wenn wir alle verscheucht glaubten, bellt' es immerfort, bis wir endlich entdeckten, daß über unsern Häuptern sich ein großer Hund des Hauses, am Fenster aufrecht gestellt, seine Kameraden durch Erwiderung hervorrief.

Aber dies war noch nicht genug; aus tiefem Schlafe weckte mich der ungeheure Ton eines Hornes, als wenn es mir zwischen die Bettvorhänge hineinbliese. Ein Nachtwächter unter meinem Fenster verrichtete sein Amt auf seinem Posten, und ich war doppelt und dreifach unglücklich, als seine Pflichtgenossen an allen Ecken der auf die Allee führenden Straßen antworteten, um durch erschreckende Töne uns zu beweisen, daß sie für die Sicherheit unserer Ruhe besorgt seien. Nun er wachte die krankhafte Reizbarkeit, und es blieb mir nichts übrig, als mit der Polizei in Unterhandlung zu treten, welche die besondere Gefälligkeit hatte, erst eins, dann mehrere dieser Hörner um des wunderlichen Fremden willen zum Schweigen zu bringen, der im Begriff war, die Rolle des Oheims in »Humphrey Clinker« zu spielen, dessen ungeduldige Reizbarkeit durch ein paar Waldhörner zum tätigen Wahnsinn gesteigert wurde.

Belehrt, froh und dankbar reiste ich den 14. August von Göttingen ab, besuchte die Basaltbrüche von Dransfeld, deren problematische Erscheinung schon damals die Naturforscher beunruhigte. Ich bestieg den Hohen Hahn, auf welchem das schönste Wetter die weite Umsicht begünstigte und den Begriff der Landschaft vom Harz her deutlicher fassen ließ. Ich begab mich nach Hannövrisch-Münden, dessen merkwürdige Lage auf einer Erdzunge, durch die Vereinigung der Werra und Fulda gebildet, einen sehr erfreulichen Anblick darbot. [81] Von da begab ich mich nach Kassel, wo ich die Meinigen mit Professor Meyer antraf. Wir besahen unter Anleitung des wackern Nahl, dessen Gegenwart uns an den frühern römischen Aufenthalt gedenken ließ, Wilhelmshöhe an dem Tage, wo die Springwasser das mannigfaltige Park- und Gartenlokal verherrlichten. Wir beachteten sorgfältig die köstlichen Gemälde der Bildergalerie und des Schlosses, durchwandelten das Museum und besuchten das Theater. Erfreulich war uns das Begegnen eines alten teilnehmenden Freundes, Major von Truchseß, der in frühern Jahren durch redliche Tüchtigkeit sich in die Reihe der Götze von Berlichingen zu stellen verdient hatte.

Den 21. August gingen wir über Hoheneichen nach Kreuzburg; am folgenden Tage, nachdem wir die Salinen besehen, gelangten wir nach Eisenach, begrüßten die Wartburg und den Mädelstein, wo sich manche Erinnerung von zwanzig Jahren her belebte. Die Anlagen des Handelsmanns Röse waren zu einem neuen, unerwarteten Gegenstand indessen herangewachsen.

Darauf gelangte ich nach Gotha, wo Prinz August mich nach altem freundschaftlichen Verhältnis in seinem angenehmen Sommerhause wirtlich aufnahm und die ganze Zeit meines Aufenthalts eine im Engen geschlossene Tafel hielt, wobei der Herzog und die teuren von Frankenbergischen Gatten niemals fehlten.

Herr von Grimm, der, vor den großen revolutionären Unbilden flüchtend, kurz vor Ludwig dem Sechzehnten, glücklicher als dieser, von Paris entwichen war, hatte bei dem altbefreundeten Hofe eine sichre Freistatt gefunden. Als geübter Weltmann und angenehmer Mitgast konnte er doch eine innere Bitterkeit über den großen erduldeten Verlust nicht immer verbergen. Ein Beispiel, wie damals aller Besitz in nichts zerfloß, sei folgende Geschichte: Grimm hatte bei seiner Flucht dem Geschäftsträger einige hunderttausend Franken in Assignaten zurückgelassen; diese wurden durch Mandate noch auf geringeren Wert reduziert, und als nun jeder Einsichtige, die Vernichtung auch dieser Papiere voraus fürchtend, sie in [82] irgendeine unzerstörliche Ware umzusetzen trachtete – wie man denn z.B. Reis, Wachslichter, und was dergleichen nur noch zum Verkaufe angeboten wurde, begierlich aufspeicherte –, so zauderte Grimms Geschäftsträger wegen großer Verantwortlichkeit, bis er zuletzt in Verzweiflung noch etwas zu retten glaubte, wenn er die ganze Summe für eine Garnitur Brüsseler Manschetten und Busenkrause hingab. Grimm zeigte sie gern der Gesellschaft, indem er launig den Vorzug pries, daß wohl niemand so kostbare Staatszierden aufzuweisen habe.

Die Erinnerung früherer Zeiten, wo man in den achtziger Jahren in Gotha gleichfalls zusammen gewesen, sich mit poetischen Vorträgen, mit ästhetisch-literarischen Mitteilungen unterhalten, stach freilich sehr ab gegen den Augenblick, wo eine Hoffnung nach der andern verschwand und man sich, wie bei einer Sündflut kaum auf den höchsten Gipfeln, so hier kaum in der Nähe erhabener Gönner und Freunde gesichert glaubte. Indessen fehlte es nicht an unterhaltender Heiterkeit. Meinen eintretenden Geburtstag wollte man mit gnädiger Aufmerksamkeit bei einem solchen geschlossenen Mahle feiern; schon an den gewöhnlichen Gängen sah man einigen Unterschied; beim Nachtisch aber trat nun die sämtliche Livree des Prinzen in stattlich gekleidetem Zug herein, voran der Haushofmeister; dieser trug eine große, von bunten Wachsstöcken flammende Torte, deren ins Halbhundert sich belaufende Anzahl einander zu schmelzen und zu verzehren drohte, anstatt daß bei Kinderfeierlichkeiten der Art noch Raum genug für nächstfolgende Lebenskerzen übrigbleibt.

Auch mag dies ein Beispiel sein, mit welcher anständigen Naivetät man schon seit soviel Jahren einer wechselseitigen Neigung sich zu erfreuen gewußt, wo Scherz und Aufmerksamkeit, guter Humor und Gefälligkeit geistreich und wohlwollend das Leben durchaus zierlich durchzuführen sich gemeinsam beeiferten.

In der besten Stimmung kehrte ich am 30. August nach Weimar zurück und vergaß über den neu andringenden Beschäftigungen, daß mir noch irgendeine Schwachheit als Folge des [83] erduldeten Übels und einer gewagten Kur möchte zurückgeblieben sein. Denn mich empfingen schon zu der nunmehrigen dritten Ausstellung eingesendete Konkurrenzstücke. Sie ward abermals mit Sorgfalt eingerichtet, von Freunden, Nachbarn und Fremden besucht und gab zu mannigfaltigen Unterhaltungen, zu näherer Kenntnis mitlebender Künstler und der daraus herzuleitenden Beschäftigung derselben Anlaß. Nach geendigter Ausstellung erhielt der in der römisch-antiken Schule zu schöner Form und reinlichster Ausführung gebildete Nahl die Hälfte des Preises wegen Achill auf Skyros, Hoffmann aus Köln hingegen, der farben- und lebenslustigen niederländischen Schule entsprossen, wegen Achills Kampf mit den Flüssen die andere Hälfte; außerdem wurden beide Zeichnungen honoriert und zur Verzierung der Schloßzimmer aufbewahrt.

Und hier ist wohl der rechte Ort, eines Hauptgedankens zu erwähnen, den der umsichtige Fürst den Weimarischen Kunstfreunden zur Überlegung und Ausführung gab.

Die Zimmer des neu einzurichtenden Schlosses sollten nicht allein mit anständiger fürstlicher Pracht ausgestattet werden, sie sollten auch den Talenten gleichzeitiger Künstler zum Denkmal gewidmet sein. Am reinsten und vollständigsten ward dieser Gedanke in dem von durchlauchtigster Herzogin bewohnten Eckzimmer ausgeführt, wo mehrere Konkurrenz- und sonstige Stücke gleichzeitiger deutscher Künstler, meist in Sepia, unter Glas und Rahmen auf einfachen Grund angebracht wurden. Und so wechselten auch in den übrigen Zimmern Bilder von Hoffmann aus Köln und Nahl aus Kassel, von Heinrich Meyer aus Stäfa und Hummel aus Neapel, Statuen und Basreliefe von Tieck, eingelegte Arbeit und Flacherhobenes von Catel in geschmackvoller, harmonischer Folge. Daß jedoch dieser erste Vorsatz nicht durchgreifender ausgeführt worden, davon mag der gewöhnliche Weltgang die Schuld tragen, wo eine löbliche Absicht oft mehr durch den Zwiespalt der Teilnehmenden als durch äußere Hindernisse gefährdet wird.

[84] Meiner Büste, durch Tieck mit großer Sorgfalt gefertigt, darf ich einschaltend an dieser Stelle wohl gedenken.

Was den Gang des Schloßbaues in der Hauptsache betrifft, so konnte man demselben mit desto mehr Beruhigung folgen, als ein paar Männer wie Gentz und Rabe darin völlig aufgeklärt zu wirken angefangen. Ihr zuverlässiges Verdienst überhob aller Zweifel in einigen Fällen, die man sonst mit einer gewissen Bangigkeit sollte betrachtet haben: denn im Grunde war es ein wunderbarer Zustand. Die Mauern eines alten Gebäudes standen gegeben, einige neuere, ohne genugsame Umsicht darin vorgenommene Anordnungen schienen überdachteren Planen hinderlich und das Alte so gut als das Neue höheren und freieren Unternehmungen im Wege; weshalb denn wirklich das Schloßgebäude manchmal aussah wie ein Gebirg, aus dem man, nach indischer Weise, die Architektur heraushauen wollte. Und so leiteten diesmal das Geschäft gerade ein paar Männer, die freilich als geistreiche Künstler mit frischem Sinn herankamen und von denen man nicht abermals abzuändernde Abänderungen, sondern eine schließliche Feststellung des Bleibenden zu erwarten hatte.

Ich wende nunmehr meine Betrachtungen zum Theater zurück. Am 24. Oktober, als am Jahrstag des ersten Maskenspieles »Paläophron und Neoterpe«, wurden »Die Brüder«, nach Terenz von Einsiedel bearbeitet, aufgeführt und so eine neue Folge theatralischer Eigenheiten eingeleitet, die eine Zeitlang gelten, Mannigfaltigkeit in die Vorstellungen bringen und zu Ausbildung gewisser Fertigkeiten Anlaß geben sollten.

Schiller bearbeitete Lessings »Nathan«, ich blieb dabei nicht untätig. Den 28. November ward er zum erstenmal aufgeführt, nicht ohne bemerklichen Einfluß auf die deutsche Bühne.

Schiller hatte »Die Jungfrau von Orleans« in diesem Jahr begonnen und geendigt; wegen der Aufführung ergaben sich manche Zweifel, die uns der Freude beraubten, ein so wichtiges Werk zuerst auf das Theater zu bringen. Es war der Tätigkeit Ifflands vorbehalten, bei den reichen Mitteln, die [85] ihm zu Gebote standen, durch eine glänzende Darstellung dieses Meisterstücks sich für alle Zeiten in den Theaterannalen einen bleibenden Ruhm zu erwerben.

Nicht geringen Einfluß auf unsre diesjährigen Leistungen erwies Madame Unzelmann, welche zu Ende Septembers in Hauptrollen bei uns auftreten sollte. Gar manches Unbequeme, ja Schädliche hat die Erscheinung von Gästen auf dem Theater; wir lehnten sie sonst möglich ab, wenn sie uns nicht Gelegenheit gaben, sie als neue Anregung und Steigerung unserer bleibenden Gesellschaft zu benutzen; dies konnte nur durch vorzügliche Künstler geschehen. Madame Unzelmann gab acht wichtige Vorstellungen hintereinander, bei welchen das ganze Personal in bedeutenden Rollen auftrat und schon an und für sich, zugleich aber im Verhältnis zu dem neuen Gaste, das möglichste zu leisten hatte. Dies war von unschätzbarer Anregung. Nichts ist trauriger als der Schlendrian, mit dem sich der einzelne, ja eine Gesamtheit hingehen läßt; aber auf dem Theater ist es das Allerschlimmste, weil hier augenblickliche Wirkung verlangt wird und nicht etwa ein durch die Zeit selbst sich einleitender Erfolg abzuwarten ist. Ein Schauspieler, der sich vernachlässigt, ist mir die widerwärtigste Kreatur von der Welt, meist ist er inkorrigibel, deshalb sind neues Publikum und neue Rivale unentbehrliche Reizmittel: jenes läßt ihm seine Fehler nicht hingehen, dieser fordert ihn zu schuldiger Anstrengung auf. Und so möge denn nun auch das auf dem deutschen Theater unaufhaltsame Gastrollenspielen sich zum allgemeinen Besten wirksam erweisen.

Stolbergs öffentlicher Übertritt zum katholischen Kultus zerriß die schönsten früher geknüpften Bande. Ich verlor dabei nichts, denn mein näheres Verhältnis zu ihm hatte sich schon längst in allgemeines Wohlwollen aufgelöst. Ich fühlte früh für ihn als einen wackern, liebenswürdigen, liebenden Mann wahrhafte Neigung; aber bald hatte ich zu bemerken, daß er sich nie auf sich selbst stützen werde, und sodann erschien er mir als einer, der außer dem Bereich meines Bestrebens Heil und Beruhigung suche.

[86] Auch überraschte mich dieses Ereignis keineswegs, ich hielt ihn längst für katholisch, und er war es ja der Gesinnung, dem Gange, der Umgebung nach, und so konnt ich mit Ruhe dem Tumulte zusehen, der aus einer späten Manifestation geheimer Mißverhältnisse zuletzt entspringen mußte.

1802

Auf einen hohen Grad von Bildung waren schon Bühne und Zuschauer gelangt. Über alles Erwarten glückten die Vorstellungen von »Jon« (Januar 4.),»Turandot« (Januar 30.), »Iphigenia« (Mai 15.), »Alarkos« (Mai 29.); sie wurden mit größter Sorgfalt trefflich gegeben; letzterer konnte sich jedoch keine Gunst erwerben. Durch diese Vorstellungen bewiesen wir, daß es Ernst sei, alles, was der Aufmerksamkeit würdig wäre, einem freien, reinen Urteil aufzustellen; wir hatten aber diesmal mit verdrängendem, ausschließendem Parteigeist zu kämpfen.

Der große Zwiespalt, der sich in der deutschen Literatur hervortat, wirkte, besonders wegen der Nähe von Jena, auf unsern Theaterkreis. Ich hielt mich mit Schillern auf der einen Seite, wir bekannten uns zu der neuern strebenden Philosophie und einer daraus herzuleitenden Ästhetik, ohne viel auf Persönlichkeiten zu achten, die nebenher besondern ein mutwilliges und freches Spiel trieben.

Nun hatten die Gebrüder Schlegel die Gegenpartei am tiefsten beleidigt, deshalb trat schon am Vorstellungsabend »Jons«, dessen Verfasser kein Geheimnis geblieben war, ein Oppositionsversuch unbescheiden hervor; in den Zwischenakten flüsterte man von allerlei Tadelnswürdigem, wozu denn die freilich etwas bedenkliche Stellung der Mutter erwünschten Anlaß gab. Ein sowohl den Autor als die Intendanz angreifender Aufsatz war in das »Modejournal« projektiert, aber ernst und kräftig zurückgewiesen; denn es war noch nicht Grundsatz, daß in demselbigen Staat, in derselbigen Stadt es irgendeinem [87] Glied erlaubt sei, das zu zerstören, was andere kurz vorher aufgebaut hatten.

Wir wollten ein für allemal den Klatsch des Tages auf unserer Bühne nicht dulden, indes der andern Partei gerade daran gelegen war, sie zum Tummelplatz ihres Mißwollens zu entwürdigen. Deshalb gab es einen großen Kampf, als ich aus den »Kleinstädtern« alles ausstrich, was gegen die Personen gerichtet war, die mit mir in der Hauptsache übereinstimmten, wenn ich auch nicht jedes Verfahren billigen noch ihre sämtlichen Produktionen lobenswert finden konnte. Man regte sich von der Gegenseite gewaltig und behauptete, daß, wenn der Autor gegenwärtig sei, man mit ihm Rat zu pflegen habe Es sei mit Schillern geschehen, und ein anderer könne das gleiche fordern. Diese wunderliche Schlußfolge konnte bei mir aber nicht gelten; Schiller brachte nur edel Aufregendes, zum Höheren Strebendes auf die Bühne, jene aber Niederziehendes, das problematisch Gute Entstellendes und Vernichtendes herbei; und das ist das Kunststück solcher Gesellen, daß sie, jedes wahre, reine Verhältnis mißachtend, ihre Schlechtigkeiten in die lässige Nachsicht einer geselligen Konvenienz einzuschwärzen wissen. Genug, die bezeichneten Stellen blieben verbannt, und ich gab mir die Mühe, alle entstandenen Lücken durch allgemeinen Scherz wieder auszufüllen, wodurch mir eben auch gelang, das Lachen der Menge zu erregen.

Dieses alles aber waren nur Kleinigkeiten gegen den entschiedenen Riß, der wegen eines am 5. März zu feiernden Festes in der weimarischen Sozietät sich ereignete. Die Sachen standen so, daß es früher oder später dazu kommen mußte; warum gerade gedachter Tag erwählt war, ist mir nicht erinnerlich; genug, an demselben sollte zu Ehren Schillers eine große Exhibition von mancherlei auf ihn und seine Werke bezüglichen Darstellungen in dem großen, von der Gemeine ganz neu dekorierten Stadthaussaale Platz finden. Die Absicht war offenbar, Aufsehen zu erregen, die Gesellschaft zu unterhalten, den Teilnehmenden zu schmeicheln, sich dem Theater entgegenzustellen, der öffentlichen Bühne eine geschlossene [88] entgegenzusetzen, Schillers Wohlwollen zu erschleichen, mich durch ihn zu gewinnen oder, wenn das nicht gelingen sollte, ihn von mir abzuziehen.

Schillern war nicht wohl zumute bei der Sache; die Rolle, die man ihn spielen ließ, war immer verfänglich, unerträglich für einen Mann von seiner Art wie für jeden Wohldenkenden, so als eine Zielscheibe fratzenhafter Verehrungen in Person vor großer Gesellschaft dazustehn. Er hatte Lust, sich krank zu melden, doch war er, geselliger als ich, durch Frauen – und Familienverhältnisse mehr in die Sozietät verflochten, fast genötigt, diesen bittern Kelch auszuschlürfen. Wir setzten voraus, daß es vor sich gehen würde, und scherzten manchen Abend darüber; er hätte krank werden mögen, wenn er an solche Zudringlichkeiten gedachte.

Soviel man vernehmen konnte, sollten manche Gestalten der Schillerschen Stücke vortreten; von einer »Jungfrau von Orleans« war man's gewiß. Helm und Fahne, durch Bildschnitzer und Vergulder behaglich über die Straßen in ein gewisses Haus getragen, hatte großes Aufsehen erregt und das Geheimnis voreilig ausgesprengt. Die schönste Rolle aber hatte sich der Chorführer selbst vorbehalten; eine gemauerte Form sollte vorgebildet werden, der edle Meister im Schurzfell daneben stehen, nach gesprochnem geheimnisvollen Gruße, nach geflossener glühender Masse sollte endlich aus der zerschlagenen Form Schillers Büste hervortreten. Wir belustigten uns an diesem nach und nach sich verbreiteten Geheimnis und sahen den Handel gelassen vorwärtsgehen.

Nur hielt man uns für allzu gutmütig, als man uns selbst zur Mitwirkung aufforderte. Schillers einzige Originalbüste, auf der weimarischen Bibliothek befindlich, eine frühere herzliche Gabe Danneckers, wurde zu jenem Zwecke verlangt und aus dem ganz natürlichen Grunde abgeschlagen, weil man noch nie eine Gipsbüste unbeschädigt von einem Feste zurückerhalten habe. Noch einige andere, von andern Seiten her zufällig eintretende Verweigerungen erregten jene Verbündeten aufs höchste. Sie bemerkten nicht, daß mit einigen [89] diplomatisch-klugen Schritten alles zu beseitigen sei, und so glich nichts dem Erstaunen, dem Befremden, dem Ingrimm, als die Zimmerleute, die mit Stollen, Latten und Brettern angezogen kamen, um das dramatische Gerüst aufzuschlagen, den Saal verschlossen fanden und die Erklärung vernehmen mußten: er sei erst ganz neu eingerichtet und dekoriert, man könne daher ihn zu solchem tumultuarischen Beginnen nicht einräumen, da sich niemand des zu befürchtenden Schadens verbürgen könne.

Das erste Finale des »Unterbrochenen Opferfestes« macht nicht einen so entsetzlichen Spektakel, als diese Störung, ja Vernichtung des löblichsten Vorsatzes zuerst in der oberen Sozietät und sodann stufenweise durch alle Grade der sämtlichen Population anrichtete. Da nun der Zufall unterschiedliche, jenem Vorhaben in den Weg tretende Hindernisse dergestalt geschickt kombiniert hatte, daß man darin die Leitung eines einzigen feindlichen Prinzips zu erkennen glaubte, so war ich es, auf den der heftigste Grimm sich richtete, ohne daß ich es jemand verargen mochte. Man hätte aber bedenken sollen, daß ein Mann wie Kotzebue, der durch vielfache Anlässe nach manchen Seiten hin Mißwollen erregt, sich gelegentlich feindselige Wirkungen schneller da- und dorther zuzieht, als einer verabredeten Verschwörung zu veranlassen jemals gelingen würde.

War nun eine bedeutende höhere Gesellschaft auf der Seite des Widersachers, so zeigte die mittlere Klasse sich ihm abgenigt und brachte alles zur Sprache, was gegen dessen erste jugendliche Unfertigkeiten zu sagen war, und so wogten die Gesinnungen gewaltsam widereinander.

Unsere höchsten Herrschaften hatten von ihrem erhabenen Standort, bei großartigem, freiem Umblick, diesen Privathändeln keine Aufmerksamkeit zugewendet; der Zufall aber, der, wie Schiller sagt, oft naiv ist, sollte dem ganzen Ereignis die Krone aufsetzen, indem gerade in dem Moment der verschließende Burgemeister als verdienter Geschäftsmann durch ein Dekret die Auszeichnung als Rat erhielt. Die Weimaraner, denen es an geistreichen, das Theater mit dem Leben verknüpfenden [90] Einfällen nie gefehlt hat, gaben ihm daher den Namen des Fürsten Piccolomini, ein Prädikat, das ihm auch ziemlich lange in heiterer Gesellschaft verblieben ist.

Daß eine solche Erschütterung auch in der Folge auf unsern geselligen Kreis schädlich eingewirkt habe, läßt sich denken; was mich davon zunächst betroffen, möge hier gleichfalls Platz finden.

Schon im Lauf des vergangenen Winters hielt sich, ganz ohne spekulative Zwecke, eine edle Gesellschaft zu uns, an unserm Umgang und sonstigen Leistungen sich erfreuend. Bei Gelegenheit der Picknicks dieser geschlossenen Vereinigung, die in meinem Hause, unter meiner Besorgung, von Zeit zu Zeit gefeiert wurden, entstanden mehrere nachher ins Allgemeine verbreitete Gesänge. So war das bekannte »Mich ergreift, ich weiß nicht wie« zu dem 22. Februar gedichtet, wo der durchlauchtigste Erbprinz, nach Paris reisend, zum letztenmal bei uns einkehrte, worauf denn die dritte Strophe des Liedes zu deuten ist. Ebenso hatten wir schon das neue Jahr begrüßt, und im Stiftungsliede »Was gehst du, schöne Nachbarin« konnten sich die Glieder der Gesellschaft, als unter leichte Masken verhüllt, gar wohl erkennen. Ferner ward ich noch andere durch Naivetät vorzüglich ansprechende Gesänge dieser Vereinigung schuldig, wo Neigung ohne Leidenschaft, Wetteifer ohne Neid, Geschmack ohne Anmaßung, Gefälligkeit ohne Ziererei und, zu all dem, Natürlichkeit ohne Roheit wechselseitig ineinanderwirkten.

Nun hatten wir freilich den Widersacher, ungeachtet mancher seiner anklopfenden klüglichen Versuche, nicht hereingelassen, wie er denn niemals mein Haus betrat; weshalb er genötigt war, sich eine eigene Umgebung zu bilden, und dies ward ihm nicht schwer. Durch gefälliges, bescheiden zudringliches Weltwesen wußte er wohl einen Kreis um sich zu versammeln; auch Personen des unsrigen traten hinüber. Wo die Geselligkeit Unterhaltung findet, ist sie zu Hause. Alle freuten sich, an dem Feste des 5. März aktiven Teil zu nehmen, deshalb ich denn als vermeintlicher Zerstörer solches Freuden- und [91] Ehrentages eine Zeitlang verwünscht wurde. Unsere kleine Versammlung trennte sich, und Gesänge jener Art gelangen mir nie wieder.

Alles jedoch, was ich mir mit Schillern und andern verbündeten tätigen Freunden vorgesetzt, ging unaufhaltsam seinen Gang; denn wir waren im Leben schon gewohnt, den Verlust hinter uns zu lassen und den Gewinn im Auge zu behalten. Und hier konnte es um desto eher geschehen, als wir von den erhabenen Gesinnungen der allerobersten Behörden gewiß waren, welche nach einer höhern Ansicht die Hof- und Stadtabenteuer als gleichgültig vorübergehend, sogar manchmal als unterhaltend betrachteten.

Ein Theater, das sich mit frischen, jugendlichen Subjekten von Zeit zu Zeit erneuert, muß lebendige Fortschritte machen; hierauf nun war beständig unser Absehn gerichtet.

Am 17. Februar betrat Demoiselle Maaß zum erstenmal unsere Bühne. Ihre niedliche Gestalt, ihr anmutig natürliches Wesen, ein wohlklingendes Organ, kurz das Ganze ihrer glücklichen Individualität gewann sogleich das Publikum. Nach drei Proberollen: als Mädchen von Marienburg, als Rosine in »Jurist und Bauer«, als Lottchen im »Deutschen Hausvater«, ward sie engagiert, und man konnte sehr bald bei Besetzung wichtiger Stücke auf sie rechnen. Am 29. November machten wir abermals eine hoffnungsvolle Akquisition. Aus Achtung für Madame Unzelmann, aus Neigung zu derselben als einer allerliebsten Künstlerin, nahm ich ihren zwölfjährigen Sohn auf gut Glück nach Weimar. Zufällig prüft ich ihn auf eine ganz eigene Weise. Er mochte sich eingerichtet haben, mir mancherlei vorzutragen; allein ich gab ihm ein zur Hand liegendes orientalisches Märchenbuch, woraus er auf der Stelle ein heiteres Geschichtchen las mit so viel natürlichem Humor, Charakteristik im Ausdruck beim Personen- und Situationswechsel, daß ich nun weiter keinen Zweifel an ihm hegte. Er trat in der Rolle als Görge in den »Beiden Billetts« mit Beifall auf und zeigte sich besonders in natürlich-humoristischen Rollen aufs wünschenswerteste.

[92] Indes nun auf unserer Bühne die Kunst in jugend lich-lebendiger Tätigkeit fortblühte, ereignete sich ein Todesfall, dessen zu erwähnen ich für Pflicht halte.

Corona Schröter starb, und da ich mich gerade nicht in der Verfassung fühlte, ihr ein wohlverdientes Denkmal zu widmen, so schien es mir angenehm wunderbar, daß ich ihr vor soviel Jahren ein Andenken stiftete, das ich jetzt charakteristischer nicht zu errichten gewußt hätte. Es war ebenmäßig bei einem Todesfalle, bei dem Abscheiden Miedings, des Theaterdekorateurs, daß in ernster Heiterkeit der schönen Freundin gedacht wurde. Gar wohl erinnere ich mich des Trauergedichts, auf schwarz gerändertem Papier für das »Tiefurter Journal« reinlichst abgeschrieben. Doch für Coronen war es keine Vorbedeutung, ihre schöne Gestalt, ihr munterer Geist erhielten sich noch lange Jahre; sie hätte wohl noch länger in der Nähe einer Welt bleiben sollen, aus der sie sich zurückgezogen hatte.

Nachträglich zu den Theaterangelegenheiten ist noch zu bemerken, daß wir in diesem Jahr uns gutmütig beigehen ließen, auf ein Intrigenstück einen Preis zu setzen. Wir erhielten nach und nach ein Dutzend, aber meist von so desperater und vertrackter Art, daß wir nicht genugsam uns wundern konnten, was für seltsame falsche Bestrebungen im lieben Vaterlande heimlich obwalteten, die denn bei solchem Aufruf sich an das Tageslicht drängten. Wir hielten unser Urteil zurück, da eigentlich keins zu fällen war, und lieferten auf Verlangen den Autoren ihre Produktionen wieder aus.

Auch ist zu bemerken, daß in diesem Jahre Calderon, den wir dem Namen nach zeit unseres Lebens kannten, sich zu nähern anfing und uns gleich bei den ersten Musterstücken in Erstaunen setzte.


Zwischen alle diese vorerzählten Arbeiten und Sorgen schlangen sich gar manche unangenehme Bemühungen im Gefolg der Pflichten, die ich gegen die Museen zu Jena seit mehreren Jahren übernommen und durchgeführt hatte.

Der Tod des Hofrats Büttner, der sich in der Mitte des Winters [93] ereignete, legte mir ein mühevolles und dem Geiste wenig fruchtendes Geschäft auf. Die Eigenheiten dieses wunderlichen Mannes lassen sich in wenige Worte fassen: unbegrenzte Neigung zum wissenschaftlichen Besitz, beschränkte Genauigkeitsliebe und völliger Mangel an allgemein überschauendem Ordnungsgeiste. Seine ansehnliche Bibliothek zu vermehren, wendete er die Pension an, die man ihm jährlich für die schuldige Summe der Stammbibliothek darreichte. Mehrere Zimmer im Seitengebäude des Schlosses waren ihm zur Wohnung eingegeben und diese sämtlich besetzt und belegt. In allen Auktionen bestellte er sich Bücher, und als der alte Schloßvoigt, sein Kommissionär, ihm einstmals eröffnete, daß ein bedeutendes Buch schon zweimal vorhanden sei, hieß es dagegen: ein gutes Buch könne man nicht oft genug haben.

Nach seinem Tode fand sich ein großes Zimmer, auf dessen Boden die sämtlichen Auktionserwerbnisse partienweis, wie sie angekommen, nebeneinander hingelegt waren. Die Wandschränke standen gefüllt, in dem Zimmer selbst konnte man keinen Fuß vor den andern setzen. Auf alte gebrechliche Stühle waren Stöße roher Bücher, wie sie von der Messe kamen, gehäuft; die gebrechlichen Füße knickten zusammen, und das Neue schob sich flözweise über das Alte hin.

In einem andern Zimmer lehnten, an den Wänden umher getürmt, planierte, gefalzte Bücher, wozu der Probeband erst noch hinzugelegt werden sollte. Und so schien dieser wackre Mann, im höchsten Alter die Tätigkeit seiner Jugend fortzusetzen begierig, endlich nur in Velleitäten verloren. Denke man sich andere Kammern mit brauchbarem und unbrauchbarem physikalisch-chemischem Apparat überstellt, und man wird die Verlegenheit mitfühlen, in der ich mich befand, als dieser Teil des Nachlasses, von dem seiner Erben gesondert, übernommen und aus dem Quartiere, das schon längst zu andern Zwecken bestimmt gewesen, tumultuarisch, ausgeräumt werden mußte. Darüber verlor ich meine Zeit, vieles kam zu Schaden, und mehrere Jahre reichten nicht hin, die Verworrenheit zu lösen.

[94] Wie nötig in solchem Falle eine persönlich entscheidende Gegenwart sei, überzeugt man sich leicht Denn da, wo nicht die Rede ist, das Beste zu leisten, sondern das Schlimmere zu vermeiden, entstehen unauflösliche Zweifel, welche nur durch Entschluß und Tat zu beseitigen sind.

Leider ward ich zu einem andern, gleichfalls dringenden Geschäft abgerufen und hatte mich glücklich zu schätzen, solche Mitarbeiter zu hinterlassen, die in besprochenem Sinne die Arbeit einige Zeit fortzuführen so fähig als geneigt waren.


Schon mehrmals war im Lauf unsrer Theatergeschichten von dem Vorteil die Rede gewesen, welchen der Lauchstädter Sommeraufenthalt der weimarischen Gesellschaft bringe; hier ist aber dessen ganz besonders zu erwähnen. Die dortige Bühne war von Bellomo so ökonomisch als möglich eingerichtet; ein paar auf einem freien Platz stehende hohe Brettergiebel, von welchen zu beiden Seiten das Pultdach bis nahe zur Erde reichte, stellten diesen Musentempel dar; der innere Raum war der Länge nach durch zwei Wände geteilt, wovon der mittlere dem Theater und den Zuschauern gewidmet war, die beiden niedrigen schmalen Seiten aber den Garderoben. Nun aber, bei neuerer Belebung und Steigerung unserer Anstalt, forderten sowohl die Stücke als die Schauspieler, besonders aber auch das hallische und Leipziger teilnehmende Publikum ein würdiges Lokal.

Der mehrere Jahre lang erst sachte, dann lebhafter betriebene Schloßbau zu Weimar rief talentvolle Baumeister heran, und wie es immer war und sein wird: wo man bauen sieht, regt sich die Lust zum Bauen. Wie sich's nun vor einigen Jahren auswies, da wir, durch die Gegenwart des Herrn Thouret begünstigt, das Weimarische Theater würdig einrichteten, so fand sich auch diesmal, daß die Herren Gentz und Rabe aufgefordert wurden, einem Lauchstädter Hausbau die Gestalt zu verleihen.

Die Zweifel gegen ein solches Unternehmen waren vielfach zur Sprache gekommen. In bedeutender Entfernung, auf fremdem [95] Grund und Boden, bei ganz besondern Rücksichten der dort Angestellten schienen die Hindernisse kaum zu beseitigen. Der Platz des alten Theaters war zu einem größern Gebäude nicht geeignet, der schöne, einzig schickliche Raum strittig zwischen verschiedenen Gerichtsbarkeiten, und so trug man Bedenken, das Haus dem strengen Sinne nach ohne rechtlichen Grund aufzuerbauen. Doch von dem Drang der Umstände, von unruhiger Tätigkeit, von leidenschaftlicher Kunstliebe, von unversiegbarer Produktivität getrieben, beseitigten wir endlich alles Entgegenstehende; ein Plan ward entworfen, ein Modell der eigentlichen Bühne gefertigt, und im Februar hatte man sich schon über das, was geschehen sollte, vereinigt. Abgewiesen ward vor allen Dingen die Hüttenform, die das Ganze unter ein Dach begreift. Eine mäßige Vorhalle für Kasse und Treppen sollte angelegt werden, dahinter der höhere Raum für die Zuschauer emporsteigen und ganz dahinter der höchste fürs Theater.

Viel, ja alles kommt darauf an, wo ein Gebäude stehe. Dies ward an Ort und Stelle mit größter Sorgfalt bedacht, und auch nach der Ausführung konnte man es nicht besser verlangen. Der Bau ging nun kräftig vor sich; im März lag das akkordierte Holz freilich noch bei Saalfeld eingefroren, dessenungeachtet aber spielten wir den 26. Juni zum erstenmal. Das ganze Unternehmen in seinem Detail, das Günstige und Ungünstige in seiner Eigentümlichkeit, wie es unsere Tatlust drei Monate lang unterhielt, Mühe, Sorge, Verdruß brachte und durch alles hindurch persönliche Aufopferung forderte, dies zusammen würde einen kleinen Roman geben, der als Symbol größerer Unternehmungen sich ganz gut zeigen könnte.

Nun ist das Eröffnen, Einleiten, Einweihen solcher Anstalten immer bedeutend. In solchem Falle ist die Aufmerksamkeit gereizt, die Neugierde gespannt und die Gelegenheit recht geeignet, das Verhältnis der Bühne und des Publikums zur Sprache zu bringen. Man versäumte daher diese Epoche nicht und stellte in einem Vorspiel auf symbolische und allegorische Weise dasjenige vor, was in der letzten Zeit auf dem deutschen [96] Theater überhaupt, besonders auf dem weimarischen, geschehen war. Das Possenspiel, das Familiendrama, die Oper, die Tragödie, das naive sowie das Maskenspiel produzierten sich nach und nach in ihren Eigenheiten, spielten und erklärten sich selbst oder wurden erklärt, indem die Gestalt eines Merkur das Ganze zusammenknüpfte, auslegte, deutete.

Die Verwandlung eines schlechten Bauernwirtshauses in einen theatralischen Palast, wobei zugleich die meisten Personen in eine höhere Sphäre versetzt worden, beförderte heiteres Nachdenken.

Den 6. Juni begab ich mich nach Jena und schrieb das Vorspiel ungefähr in acht Tagen; die letzte Hand ward in Lauchstädt selbst angelegt und bis zur letzten Stunde memoriert und geübt. Es tat eine liebliche Wirkung, und lange Jahre erinnerte sich mancher Freund, der uns dort besuchte, jener hochgesteigerten Kunstgenüsse.

Mein Lauchstädter Aufenthalt machte mir zur Pflicht, auch Halle zu besuchen, da man uns von dorther nachbarlich um des Theaters, auch um persönlicher Verhältnisse willen mit öfterem Zuspruch beehrte. Ich nenne Geheimerat Wolf, mit welchem einen Tag zuzubringen ein ganzes Jahr gründlicher Belehrung einträgt; Kanzler Niemeyer, der so tätigen Teil unsern Bestrebungen schenkte, daß er die »Andria« zu bearbeiten unternahm, wodurch wir denn die Summe unsrer Maskenspiele zu erweitern und zu vermannigfaltigen glücklichen Anlaß fanden.

Und so war die sämtliche gebildete Umgebung mit gleicher Freundlichkeit mich und die Anstalt, die mir so sehr am Herzen lag, geneigt zu befördern. Die Nähe von Giebichenstein lockte zu Besuchen bei dem gastfreien Reichardt; eine würdige Frau, anmutige, schöne Töchter, sämtlich vereint, bildeten in einem romantisch-ländlichen Aufenthalte einen höchst gefälligen Familienkreis, in welchem sich bedeutende Männer aus der Nähe und Ferne kürzere oder längere Zeit gar wohl gefielen und glückliche Verbindungen für das Leben anknüpften.

[97] Auch darf nicht übergangen werden, daß ich die Melodien, welche Reichardt meinen Liedern am frühsten vergönnt, von der wohlklingenden Stimme seiner ältesten Tochter gefühlvoll vortragen hörte.

Übrigens bliebe noch gar manches bei meinem Aufenthalt in Halle zu bemerken. Den Botanischen Garten unter Sprengels Leitung zu betrachten, dasMeckelische Kabinett, dessen Besitzer ich leider nicht mehr am Leben fand, zu meinen besondern Zwecken aufmerksam zu beschauen war nicht geringer Gewinn; denn überall, sowohl an den Gegenständen als aus den Gesprächen, konnte ich etwas entnehmen, was mir zu mehrerer Vollständigkeit und Fördernis meiner Studien diente.

Einen gleichen Vorteil, der sich immer bei akademischem Aufenthalt hervortut, fand ich in Jena während des Augustmonats. Mit Lodern wurden früher angemerkte anatomische Probleme durchgesprochen, mit Himly gar vieles über das subjektive Sehen und die Farbenerscheinung verhandelt. Oft verloren wir uns so tief in den Text, daß wir über Berg und Tal bis in die tiefe Nacht herumwanderten. Voß war nach Jena gezogen und zeigte Lust, sich anzukaufen; seine große, umsichtige Gelehrsamkeit wie seine herrlichen poetischen Darstellungen, die Freundlichkeit seiner häuslichen Existenz zog mich an, und mir war nichts angelegener, als mich von seinen rhythmischen Grundsätzen zu überzeugen. Dadurch ergab sich denn ein höchst angenehmes und fruchtbares Verhältnis.

Umgeben von den Museen und von allem, was mich früh zu den Naturwissenschaften angeregt und gefördert hatte, ergriff ich jede Gelegenheit, auch hier mich zu vervollständigen. Die Wolfmilchsraupe war dieses Jahr häufig und kräftig ausgebildet; an vielen Exemplaren studierte ich das Wachstum bis zu dessen Gipfel sowie den Übergang zur Puppe. Auch hier ward ich mancher trivialen Vorstellungen und Begriffe los.

Auch die vergleichende Knochenlehre, die ich besonders mit mir immer im Gedanken herumführte, hatte großen Teil an meinen beschäftigten Stunden.

Das Abscheiden des verdienstreichen Batsch ward als Verlust [98] für die Wissenschaft, für die Akademie, für die Naturforschende Gesellschaft tief empfunden. Leider wurde das von ihm gesammelte Museum durch ein wunderliches Verhältnis zerstückt und zerstreut. Ein Teil gehörte der Naturforschenden Gesellschaft; dieser folgte den Direktoren, oder vielmehr einer höhern Leitung, die mit bedeutendem Aufwande die Schulden der Sozietät bezahlte und ein neues unentgeltliches Lokale für die vorhandenen Körper anwies. Der andere Teil konnte als Eigentum des Verstorbenen dessen Erben nicht bestritten werden. Eigentlich hätte man das kaum zu trennende Ganze mit etwas mehrerem Aufwand herübernehmen und zusammenhalten sollen, allein die Gründe, warum es nicht geschah, waren auch von Gewicht.

Ging nun hier etwas verloren, so war in der späteren Jahrszeit ein neuer, vorausgesehener Gewinn beschieden. Das bedeutende Mineralienkabinett des Fürsten Gallitzin, das er als Präsident derselben ihr zugedacht hatte, sollte nach Jena geschafft und nach der von ihm beliebten Ordnung aufgestellt werden. Dieser Zuwachs gab dem ohnehin schon wohlversehenen Museum einen neuen Glanz. Die übrigen wissenschaftlichen Anstalten, meiner Leitung untergeben, erhielten sich in einem mäßigen, von der Kasse gebotenen Zustand.

Belebt sodann war die Akademie durch bedeutende Studierende, die durch ihr Streben und Hoffen auch den Lehrern gleichen jugendlichen Mut gaben. Von bedeutenden, einige Zeit sich aufhaltenden Fremden nenne von Podmanitzky, der, vielseitig unterrichtet, an unserm Wollen und Wirken teilnehmen und tätig mit eingreifen mochte.

Neben allem diesem wissenschaftlichen Bestreben hatte die jenaische Geselligkeit nichts von ihrem heitern Charakter verloren. Neue heranwachsende, hinzutretende Glieder vermehrten die Anmut und ersetzten reichlich, was mir in Weimar auf einige Zeit entgangen war.

Wie gern hätte ich diese in jedem Sinne angenehmen und belehrenden Tage noch die übrige schöne Herbstzeit genossen, allein die vorzubereitende Ausstellung trieb mich nach Weimar [99] zurück, womit ich denn auch den September zubrachte. Denn bis die angekommenen Stücke sämtlich ein- und aufgerahmt wurden, bis man sie in schicklicher Ordnung in günstigem Lichte aufgestellt und den Beschauern einen würdigen Anblick vorbereitet hatte, war Zeit und Mühe nötig, besonders da ich alles mit meinem Freunde Meyer selbst verrichtete und auf ein sorgfältiges Zurücksenden Bedacht zu nehmen hatte.

Perseus und Andromeda war der für die diesjährige vierte Ausstellung bearbeitete Gegenstand. Auch dabei hatten wir die Absicht, auf die Herrlichkeit der äußern menschlichen Natur in jugendlichen Körpern beiderlei Geschlechts aufmerksam zu machen; denn wo sollte man den Gipfel der Kunst finden als auf der Blütenhöhe des Geschöpfs nach Gottes Ebenbilde.

Ludwig Hummeln, geboren in Neapel, wohnhaft in Kassel, war der Preis zu erkennen; er hatte mit zartem Kunstsinn und Gefühl den Gegenstand behandelt. Andromeda stand aufrecht in der Mitte des Bildes am Felsen, ihre schon befreite linke Hand konnte durch Heranziehen einiger Falten des Mantels Bescheidenheit und Schamhaftigkeit bezeichnen; ausruhend saß Perseus auf dem Haupte des Ungeheuers zu ihrer Seite, und gegenüber löste ein heraneilender Genius soeben die Fesseln der rechten Hand. Seine bewegte Jünglingsgestalt erhöhte die Schönheit und Kraft des würdigen Paares.

Einer Landschaft von Rohden aus Kassel ward in diesem Fach der Preis zuerkannt. Die »Jenaische Allgemeine Literaturzeitung« vom Jahr 1803 erhält durch einen Umriß des historischen Gemäldes das Andenken des Bildes und durch umständliche Beschreibung und Beurteilung der eingesendeten Stücke die Erinnerung jener Tätigkeit.

Indem wir nun aber uns auf jede Weise bemühten, dasjenige in Ausübung zu bringen und zu erhalten, was der bildenden Kunst als allein gemäß und vorteilhaft schon längst anerkannt worden, vernahmen wir in unsern Sälen, daß ein neues Büchlein [100] vorhanden sei, welches vielen Eindruck mache; es bezog sich auf Kunst und wollte die Frömmigkeit als alleiniges Fundament derselben festsetzen. Von dieser Nachricht waren wir wenig gerührt; denn wie sollte auch eine Schlußfolge gelten, eine Schlußfolge wie diese: einige Mönche waren Künstler, deshalb sollen alle Künstler Mönche sein.

Doch hätte bedenklich scheinen dürfen, daß werte Freunde, die unsere Ausstellung teilnehmend besuchten, auch unser Verfahren billigten, sich doch an diesen, wie man wohl merkte, schmeichelhaften, die Schwäche begünstigenden Einflüsterungen zu ergötzen schienen und sich davon eine glückliche Wirkung versprachen.

Die im Oktober fleißig besuchte Ausstellung gab Gelegenheit, sich mit einheimischen und auswärtigen Kunstfreunden zu unterhalten, auch fehlte es, der Jahrszeit gemäß, nicht an willkommenen Besuchen aus der Ferne. Hofrat Blumenbach gönnte seinen weimarisch und jenaischen Freunden einige Tage, und auch diesmal wie immer verlieh seine Gegenwart den heitersten Unterricht.

Und wie ein Gutes immer ein anderes zur Folge hat, so stellte sich das reine Vernehmen in der innersten Gesellschaft nach und nach wieder her.

Eine bedeutende Korrespondenz ließ mich unmittelbare Blicke selbst in die Ferne richten. Friedrich Schlegel, der bei seiner Durchreise mit unsern Bemühungen um seinen »Alarkos« wohl zufrieden gewesen, gab mir von Pariser Zuständen hinreichende Nachricht. Hofrat Sartorius, der gleichfalls zu einem Besuch das lange bestandene gute Verhältnis abermals aufgefrischt und eben jetzt mit den Studien der Hansestädte beschäftigt war, ließ mich an diesem wichtigen Unternehmen auch aus der Ferne teilnehmen.

Hofrat Rochlitz, der unser Theater mit zunehmendem Interesse betrachtete, gab solches durch mehrere Briefe, die sich noch vorfinden, zu erkennen.

Gar manches andere von erfreulichen Verhältnissen find ich noch angemerkt; drei junge Männer: Klaproth, Bode, Hain, [101] hielten sich in Weimar auf und benutzten mit Vergünstigung den Büttnerischen polyglottischen Nachlaß.

Wenn ich nun dieses Jahr in immerwährender Bewegung gehalten wurde und bald in Weimar, bald in Jena und Lauchstädt meine Geschäfte, wie sie vorkamen, versah, so gab auch der Besitz des kleinen Freiguts Roßla Veranlassung zu manchen Hin- und Herfahrten. Zwar hatte sich schon deutlich genug hervorgetan, daß, wer von einem so kleinen Eigentum wirklich Vorteil ziehen will, es selbst bebauen, besorgen und als sein eigner Pachter und Verwalter den unmittelbaren Lebensunterhalt daraus ziehen müsse, da sich denn eine ganz artige Existenz darauf gründen lasse, nur nicht für einen verwöhnten Weltbürger. Indessen hat das sogenannte Ländliche, in einem angenehmen Tale, an einem kleinen, baum- und buschbegrenzten Flusse, in der Nähe von fruchtreichen Höhen, unfern eines volkreichen und nahrhaften Städtchens, doch immer etwas, das mich tagelang unterhielt und sogar zu kleinen poetischen Produktionen eine heitere Stimmung verlieh. Frauen und Kinder sind hier in ihrem Elemente, und die in Städten unerträgliche Gevatterei ist hier wenigstens an ihrem einfachsten Ursprung; selbst Abneigung und Mißwollen scheinen reiner, weil sie aus den unmittelbaren Bedürfnissen der Menschheit hervorspringen.

Höchst angenehm war die Nachbarschaft von Oßmannstedt in demselbigen Tale aufwärts, nur auf der linken Seite des Wassers. Auch Wielanden fing dieser Naturzustand an bedenklich zu werden; einmal setzte er sehr humoristisch auseinander, welches Umschweifes es bedürfe, um der Natur nur etwas Genießbares abzugewinnen. Er wußte die Umständlichkeiten des Erzeugnisses der Futterkräuter gründlich und heiter darzustellen: erst brachte er den sorgsam gebauten Klee mühsam durch eine teuer zu ernährende Magd zusammen und ließ ihn von der Kuh verzehren, um nur zuletzt etwas Weißes zum Kaffee zu haben.

Wieland hatte sich in jenen Theater- und Festhändeln sehr wacker benommen, wie er denn, immer redlich, nur manchmal, [102] wie es einem jeden geschieht, in augenblicklicher Leidenschaft, bei eingeflößtem Vorurteil in Abneigungen, die nicht ganz zu schelten waren, eine launige Unbilligkeit zu äußern verführt ward. Wir besuchten ihn oft nach Tische und waren zeitig genug über die Wiesen wieder zu Hause.

In meinen weimarischen häuslichen Verhältnissen ereignete sich eine bedeutende Veränderung. Freund Meyer, der seit 1792, einige Jahre Abwesenheit ausgenommen, als Haus- und Tischgenosse mich durch belehrende, unterrichtende, beratende Gegenwart erfreute, verließ mein Haus in Gefolg einer eingegangenen ehlichen Verbindung. Jedoch die Notwendigkeit, sich ununterbrochen mitzuteilen, überwand bald die geringe Entfernung, ein wechselseitiges Einwirken blieb lebendig, so daß weder Hindernis noch Pause jemals empfunden ward.

Unter allen Tumulten dieses Jahres ließ ich doch nicht ab, meinen Liebling Eugenien im stillen zu hegen. Da mir das Ganze vollkommen gegenwärtig war, so arbeitete ich am Einzelnen, wie ich ging und stand; daher denn auch die große Ausführlichkeit zu erklären ist, indem ich mich auf den jedesmaligen einzelnen Punkt konzentrierte, der unmittelbar in die Anschauung treten sollte.

»Cellini« gehörte schon mehr einer wilden, zerstreuten Welt an; auch diesen wußt ich, jedoch nicht ohne Anstrengung, zu fördern: denn im Grunde war die unternommene Arbeit mehr von Belang, als ich anfangs denken mochte.

»Reineke Fuchs« durfte nun auch in jedem leidenschaftlichleichtfertigen Momente hervortreten, so war er wohl empfangen und für gewisse Zeit ebenfalls gepflegt.

1803

Zum neuen Jahre gaben wir »Paläophron und Neoterpe« auf dem öffentlichen Theater. Schon war durch die Vorstellung der Terenzischen »Brüder« das Publikum an Masken gewöhnt, und nun konnte das eigentliche erste Musterstück seine gute [103] Wirkung nicht verfehlen. Der frühere, an die Herzogin Amalie gerichtete Schluß ward ins Allgemeinere gewendet, und die gute Aufnahme dieser Darstellung bereitete den besten Humor zu ernsteren Unternehmungen.

Die Aufführung der »Braut von Messina« (19. März) machte viel Vorarbeit, durchgreifende Lese-und Theaterproben nötig. Der bald darauf folgenden»Naturlichen Tochter« erster Teil (2. April), sodann»Die Jungfrau von Orleans« verlangten die volle Zeit; wir hatten uns vielleicht nie so lebhaft, so zweckmäßig und zu allgemeiner Zufriedenheit bemüht.

Daß wir aber alles Mißwollende, Verneinende, Herabziehende durchaus ablehnten und entfernten, davon sei Nachstehendes ein Zeugnis. Zu Anfang des Jahrs war mir durch einen werten Freund ein kleines Lustspiel zugekommen mit dem Titel »Der Schädelkenner«, die respektablen Bemühungen eines Mannes wie Gall lächerlich und verächtlich machend. Ich schickte solches zurück mit einer aufrichtigen allgemeinen Erklärung, welche, als ins Ganze greifend, hier gar wohl einen Platz verdient.

»Indem ich das kleine artige Stück als bei uns nicht aufführbar zurücksende, halte ich es nach unserm alten freundschaftlichen Verhältnisse für Pflicht, die näheren Ursachen anzugeben.

Wir vermeiden auf unserm Theater, soviel möglich, alles, was wissenschaftliche Untersuchungen vor der Menge herabsetzen könnte, teils aus eigenen Grundsätzen, teils weil unsere Akademie in der Nähe ist und es unfreundlich scheinen würde, wenn wir das, womit sich dort mancher sehr ernstlich beschäftigt, hier leicht und lächerlich nehmen wollten.

Gar mancher wissenschaftliche Versuch, der Natur irgendein Geheimnis abgewinnen zu wollen, kann für sich, teils auch durch Scharlatanerie der Unternehmer, eine lächerliche Seite bieten, und man darf dem Komiker nicht verargen, wenn er im Vorbeigehen sich einen kleinen Seitenhieb erlaubt. Darin sind wir auch keineswegs pedantisch; aber wir haben sorgfältig alles, was sich in einiger Breite auf philosophische oder [104] literarische Händel, auf die neue Theorie der Heilkunde usw. bezog, vermieden. Aus ebender Ursache möchten wir nicht gern die Gallische wunderliche Lehre, der es denn doch, so wenig als der Lavaterischen, an einem Fundament fehlen möchte, dem Gelächter preisgeben, besonders da wir fürchten müßten, manchen unserer achtungswerten Zuhörer dadurch verdrießlich zu machen.


Weimar, am 24. Januar 1803.«


Mit einem schon früher auslangenden und nun frisch bereicherten Repertorium kamen wir wohlausgestattet nach Lauchstädt. Das neue Haus, die wichtigen Stücke, die sorgfältigste Behandlung erregten allgemeine Teilnahme. Die »Andria« des Terenz, von Herrn Niemeyer bearbeitet, ward ebenmäßig wie »Die Brüder« mit Annäherung ans Antike aufgeführt. Auch von Leipzig fanden sich Zuschauer, sie sowohl als die von Halle wurden mit unsern ernsten Bemühungen immer mehr bekannt, welches uns zu großem Vorteil gedieh. Ich verweilte diesmal nicht länger daselbst als nötig, um mit Hofrat Kirms, meinem Mitkommissarius, die Bedürfnisse der Baulichkeiten und einiges Wünschenswerte der Umgebung anzuordnen.

In Halle, Giebichenstein, Merseburg, Naumburg erneuerte ich gar manche werte Verbindung. Professor Wolf, Geheimerat Schmalz, Jakob, Reil, Lafontaine, Niemeyer entgegneten mir mit gewohnter Freundlichkeit. Ich besah von Leysers Mineralienkabinett, bestieg den Petersberg, um frische Porphyrstücke zu holen. Ehe ich abreiste, sah ich noch mit Freuden, daß unser theatralisches Ganzes sich schon von selbst bewegte und im einzelnen nichts nachzuhelfen war, wobei freilich die große Tätigkeit des Regisseurs Genast gerühmt werden mußte. Ich nahm meinen Rückweg über Merseburg, das gute Verhältnis mit den dortigen oberen Behörden zu befestigen, sodann meinen Geschäften in Weimar und Jena weiter obzuliegen.

Als ich mir nun für diese Zeit das Theaterwesen ziemlich [105] aus dem Sinne geschlagen hatte, ward ich im Geiste mehr als jemals dahin zurückgeführt. Es meldeten sich mit entschiedener Neigung für die Bühne zwei junge Männer, die sich Wolff und Grüner nannten, von Augsburg kommend, jener bisher zum Handelsstande, dieser zum Militär zu rechnen. Nach einiger Prüfung fand ich bald, daß beide dem Theater zur besondern Zierde gereichen würden und daß bei unserer schon wohlbestellten Bühne ein paar frische Subjekte von diesem Wert sich schnell heranbilden würden. Ich beschloß, sie festzuhalten, und weil ich eben Zeit hatte, auch einer heitern Ruhe genoß, begann ich mit ihnen gründliche Didaskalien, indem ich auch mir die Kunst aus ihren einfachsten Elementen entwickelte und an den Fortschritten beider Lehrlinge mich nach und nach emporstudierte, so daß ich selbst klärer über ein Geschäft ward, dem ich mich bisher instinktmäßig hingegeben hatte. Die Grammatik, die ich mir ausbildete, verfolgte ich nachher mit mehreren jungen Schauspielern; einiges davon ist schriftlich übriggeblieben.

Nach jenen genannten beiden fügte sich's, daß noch ein hübscher junger Mann namens Grimmer mit gleichmäßigem Antrag bei uns vortrat. Auch von ihm ließ sich nach Gestalt und Wesen das Beste hoffen, besonders war er Schillern willkommen, der seinen personenreichen »Tell« im Sinne hatte und auf schickliche Besetzung der sämtlichen Rollen sein Augenmerk richtete. Wir hielten daher auch ihn fest und fanden ihn bald an seinem Platze brauchbar.

Der erste Teil von »Eugenie« war geschrieben, gespielt und gedruckt, das Schema des Ganzen lag Szene nach Szene vor mir, und ich kann wohl sagen, meine mehrjährige Neigung zu diesem Erzeugnis hatte keineswegs abgenommen.

Der zweite Teil sollte auf dem Landgut, dem Aufenthalt Eugeniens, vorgehen, der dritte in der Hauptstadt, wo mitten in der größten Verwirrung das wiedergefundene Sonett freilich kein Heil, aber doch einen schönen Augenblick würde hervorgebracht haben. Doch ich darf nicht weitergehen, weil ich sonst das Ganze umständlich vortragen müßte.

[106] Ich hatte mich der freundlichsten Aufnahme von vielen Seiten her zu erfreuen, wovon ich die wohltätigsten Zeugnisse gesammelt habe, die ich dem Öffentlichen mitzuteilen vielleicht Gelegenheit finde. Man empfand, man dachte, man folgerte, was ich nur wünschen konnte; allein ich hatte den großen, unverzeihlichen Fehler begangen, mit dem ersten Teil hervorzutreten, eh das Ganze vollendet war. Ich nenne den Fehler unverzeihlich, weil er gegen meinen alten, geprüften Aberglauben begangen wurde, einen Aberglauben, der sich indes wohl ganz vernünftig erklären läßt.

Einen sehr tiefen Sinn hat jener Wahn, daß man, um einen Schatz wirklich zu heben und zu ergreifen, stillschweigend verfahren müsse, kein Wort sprechen dürfe, wieviel Schreckliches und Ergötzendes auch von allen Seiten erscheinen möge. Ebenso bedeutsam ist das Märchen, man müsse bei wunderhafter Wagefahrt nach einem kostbaren Talisman, in entlegensten Bergwildnissen, unaufhaltsam vorschreiten, sich ja nicht umsehen, wenn auf schroffem Pfade fürchterlich drohende oder lieblich lockende Stimmen ganz nahe hinter uns vernommen werden.

Indessen war's geschehen, und die geliebten Szenen der Folge besuchten mich nur manchmal wie unstete Geister, die wiederkehrend flehentlich nach Erlösung seufzen.

So wie schon einige Jahre machte der Zustand von Jena uns auch diesmal gar manche Sorge. Seit der Französischen Revolution war eine Unruhe in die Menschen gekommen, dergestalt daß sie entweder an ihrem Zustand zu ändern oder ihren Zustand wenigstens dem Ort nach zu verändern gedachten. Hierzu konnten besonders die Lehrer an Hochschulen ihrer Stellung nach am meisten verlockt werden; und da eben zu dieser Zeit dergleichen Anstalten neu errichtet und vorzüglich begünstigt wurden, so fehlte es nicht an Reiz und Einladung dorthin, wo man ein besseres Einkommen, höheren Rang, mehr Einfluß in einem weitern Kreise sich versprechen konnte.

Diese großweltischen Ereignisse muß man im Auge behalten, wenn man sich im allgemeinen einen Begriff machen [107] will von dem, was um diese Zeit in dem kleinen Kreise der jenaischen Akademie sich ereignete.

Der im ärztlichen Fache so umsichtige und mit mannigfachem Talent der Behandlung und Darstellung begabte Christian Wilhelm Hufeland war nach Berlin berufen, führte dort den Titel eines Geheimen Rats, welcher in einem großen Reiche schon zum bloßen Ehrentitel geworden war, indessen er in kleineren Staaten noch immer die ursprüngliche aktive Würde bezeichnete und ohne dieselbe nicht leicht verliehen werden konnte. Eine solche Rangerhöhung aber blieb auf die Zurückgelassenen nicht ohne Einfluß.

Fichte hatte in seinem »Philosophischen Journal« über Gott und göttliche Dinge auf eine Weise sich zu äußern gewagt, welche den hergebrachten Ausdrücken über solche Geheimnisse zu widersprechen schien; er ward in Anspruch genommen; seine Verteidigung besserte die Sache nicht, weil er leidenschaftlich zu Werke ging, ohne Ahnung, wie gut man diesseits für ihn gesinnt sei, wie wohl man seine Gedanken, seine Worte auszulegen wisse, welches man freilich ihm nicht gerade mit dürren Worten zu erkennen geben konnte und ebensowenig die Art und Weise, wie man ihm auf das gelindeste herauszuhelfen gedachte. Das Hin- und Widerreden, das Vermuten und Behaupten, das Bestärken und Entschließen wogte in vielfachen unsichern Reden auf der Akademie durcheinander, man sprach von einem ministeriellen Vorhalt, von nichts Geringerem als einer Art Verweis, dessen Fichte sich zu gewärtigen hätte. Hierüber ganz außer Fassung, hielt er sich für berechtigt, ein heftiges Schreiben beim Ministerium einzureichen, worin er, jene Maßregel als gewiß voraussetzend, mit Ungestüm und Trotz erklärte, er werde dergleichen niemals dulden, er werde lieber ohne weiteres von der Akademie abziehen, und in solchem Falle nicht allein, indem mehrere bedeutende Lehrer mit ihm einstimmig den Ort gleichzeitig zu verlassen gedächten.

Hiedurch war nun auf einmal aller gegen ihn gehegte gute Wille gehemmt, ja paralysiert: hier blieb kein Ausweg, keine [108] Vermittelung übrig, und das Gelindeste war, ihm ohne weiteres seine Entlassung zu erteilen. Nun erst, nachdem die Sache sich nicht mehr ändern ließ, vernahm er die Wendung, die man ihr zu geben im Sinne gehabt, und er mußte seinen übereilten Schritt bereuen, wie wir ihn bedauerten.

Zu einer Verabredung jedoch, mit ihm die Akademie zu verlassen, wollte sich niemand bekennen, alles blieb für den Augenblick an seiner Stelle; doch hatte sich ein heimlicher Unmut aller Geister so bemächtigt, daß man in der Stille sich nach außen umtat und zuletzt Hufeland, der Jurist, nach Ingolstadt, Paulus und Schelling aber nach Würzburg wanderten.

Nach allem diesem vernahmen wir im August, die so hochgeschätzte »Literaturzeitung« solle auch von Jena weg und nach Halle gebracht werden. Der Plan war klug genug angelegt; man wollte ganz im gewohnten Gange das laufende Jahr durchführen und schließen, sodann, als geschähe weiter nichts, ein neues anfangen, zu Ostern aber gleichsam nur den Druckort verändern und durch solches Manœuvre mit Anstand und Bequemlichkeit diese wichtige Anstalt für ewig von Jena wegspielen.

Die Sache war von der größten Bedeutsamkeit, und es ist nicht zuviel gesagt: diese stille Einleitung bedrohte die Akademie für den Augenblick mit völliger Auflösung. Man war diesseits wirklich in Verlegenheit: denn ob man gleich das Recht hatte, die Unternehmer zu fragen, ob dieses allgemeine Gerücht einen Grund habe, so wollte man doch in einer solchen gehässigen Sache nicht übereilt noch hart erscheinen; daher anfänglich ein Zaudern, das aber von Tag zu Tag gefährlicher ward. Die erste Hälfte des Augusts war verstrichen, und alles kam darauf an, was in den sechs Wochen bis Michael zu einer Gegenwirkung vorgenommen werden könnte.

Auf einmal kommt Hülfe, woher sie nicht zu erwarten war. Kotzebue, der sich seit den Szenen des vorigen Jahrs als Todfeind aller weimarischen Tätigkeit erwiesen hatte, kann seinen Triumph nicht im stillen feiern, er gibt in dem »Freimütigen« übermütig an den Tag: mit der Akademie Jena, welche bisher [109] schon großen Verlust an tüchtigen Professoren erlitten, sei es nun völlig zu Ende, indem die »Allgemeine Literaturzeitung« in Gefolg großer, dem Redakteur verwilligter Begünstigungen von da hinweg und nach Halle verlegt werde.

Von unserer Seite hörte nun alles Bedenken auf; wir hatten volle Ursache, die Unternehmer zu fragen, ob dies ihre Absicht sei. Und da solche nun nicht geleugnet werden konnte, so erklärte man ihren Vorsatz, die Anstalt bis Ostern in Jena hinzuhalten, für nichtig und versicherte zugleich, man werde mit dem neuen Jahre in Jena die »Allgemeine Literaturzeitung« selbst fortsetzen.

Diese Erklärung war kühn genug, denn wir hatten kaum die Möglichkeit in der Ferne zu sehen geglaubt; doch rechtfertigte der Erfolg den wackern Entschluß. Die Aktenstücke jener Tage sind in der größten Ordnung verwahrt, vielleicht ergötzen sich unsere Nachkommen an dem Hergang dieser für uns wenigstens höchst bedeutenden Begebenheit.

Nachdem also die Anstalt der »Literaturzeitung« in ihrem ganzen Gewichte gesichert war, hatte man sich nach Männern umzusehen, die erledigten Lehrfächer wieder zu besetzen. Von mehreren in Vorschlag gebrachten Anatomen wurde Ackermann berufen, welcher den Grund zu einem längst beabsichtigten stehenden anatomischen Museum legte, das der Akademie verbleiben sollte. Auch Schelver ward herangezogen und der botanischen Anstalt vorgesetzt. Man hatte von seiner Persönlichkeit als eines zugleich höchst zarten und tiefsinnigen Wesens die besten Hoffnungen für die Naturwissenschaft.

Die von Lenz gegründete Mineralogische Sozietät erweckte das größte Vertrauen; alle Freunde dieses Wissens wünschten als Mitglieder aufgenommen zu werden, und sehr viele beeiferten sich, mit bedeutenden Geschenken das angelegte Kabinett zu vermehren.

Unter solchen zeichnete sich Fürst Gallitzin aus, welcher die Ehre der ihm übertragenen Präsidentenstelle durch das Geschenk seines ansehnlichen Kabinetts anzuerkennen suchte, und da durch diesen wie durch andern Zuwachs die Anstalt [110] höchst bedeutend geworden, so bestätigte der Herzog gegen Ende des Jahrs die Statuten der Gesellschaft und gab ihr dadurch unter den öffentlichen Anstalten einen entschiedenen Rang.

Nach dem Verlust so mancher bedeutenden Personen hatten wir uns jedoch neu mitwirkender Männer zu erfreuen. Fernow kam von Rom, um künftig in Deutschland zu verbleiben; wir hielten ihn fest. Herzogin Amalie gab ihm die seit Jagemanns Tode unbesetzte Bibliothekarstelle ihrer besondern Büchersammlung; seine gründliche Kenntnis der italienischen Literatur, eine ausgesuchte Bibliothek dieses Faches und seine angenehmen geselligen Eigenschaften machten diesen Erwerb höchst schätzbar. Daneben führte er einen bedeutenden Schatz mit sich, die hinterlassenen Zeichnungen seines Freundes Carstens, dem er in seiner künstlerischen Laufbahn bis an sein frühzeitiges Ende mit Rat und Tat, mit Urteil und Nachhülfe treulichst beigestanden hatte.

Dr. Riemer, der mit Herrn von Humboldt nach Italien gegangen war und dort einige Zeit in dessen Familienkreis mitgewirkt hatte, war in Fernows Gesellschaft herausgereist und als gewandter Kenner der alten Sprachen uns gleichfalls höchlich willkommen. Er gesellte sich zu meiner Familie, nahm Wohnung bei mir und wendete seine Sorgfalt meinem Sohne zu.

Auch mit Zelter ergab sich ein näheres Verhältnis; bei seinem vierzehntägigen Aufenthalt war man wechselseitig in künstlerischem und sittlichem Sinne um vieles nähergekommen. Er befand sich in dem seltsamsten Drange zwischen einem ererbten, von Jugend auf geübten, bis zur Meisterschaft durchgeführten Handwerk, das ihm eine bürgerliche Existenz ökonomisch versicherte, und zwischen einem eingebornen, kräftigen, unwiderstehlichen Kunsttriebe, der aus seinem Individuum den ganzen Reichtum der Tonwelt entwickelte. Jenes treibend, von diesem getrieben, von jenem eine erworbene Fertigkeit besitzend, in diesem nach einer zu erwerbenden Gewandtheit bestrebt, stand er nicht etwa wie Herkules am [111] Scheidewege zwischen dem, was zu ergreifen oder zu meiden sein möchte, sondern er ward von zwei gleich werten Musen hin- und hergezogen, deren eine sich seiner bemächtigt, deren andere dagegen er sich anzueignen wünschte. Bei seinem redlichen, tüchtig bürgerlichen Ernst war es ihm ebensosehr um sittliche Bildung zu tun, als diese mit der ästhetischen so nah verwandt, ja ihr verkörpert ist und eine ohne die andere zu wechselseitiger Vollkommenheit nicht gedacht werden kann.

Und so konnte ein doppelt wechselseitiges Bestreben nicht außen bleiben, da die Weimarischen Kunstfreunde sich fast in demselben Falle befanden; wozu sie nicht geschaffen waren, hatten sie zu leisten, und was sie Angebornes zu leisten wünschten, schien immerfort unversucht zu bleiben.

Die Angebäude der Bibliothek, nach dem Schlosse zu, wurden der freieren Aussicht wegen abgebrochen; nun machte sich statt ihrer ein neuer Gelaß nötig, wozu die Herren Gentz und Rabe gleichfalls die Risse zu liefern gefällig übernahmen. Was sonst in jenen Piatz gefunden hatte, stattliche Treppe, geräumige Expeditions- und Gesellschaftszimmer, wurden gewonnen, ferner im zweiten Stock nicht allein Stand für mehrere Bücherrepositorien, sondern auch einige Räume für Altertümer, Kunstsachen und was dem anhängt; nicht weniger wurde das Münzkabinett, vollständig an sächsischen Medaillen, Talern und kleineren Geldsorten, nebenher auch mit Denkmünzen, ingleichen römischen und griechischen versehen, besonders aufbewahrt.

Da ich mich in meinem Leben vor nichts so sehr als vor leeren Worten gehütet und mir eine Phrase, wobei nichts gedacht oder empfunden war, an andern unerträglich, an mir unmöglich schien, so litt ich bei der Übersetzung des »Cellini«, wozu durchaus unmittelbare Ansicht gefordert wird, wirkliche Pein. Ich bedauerte herzlich, daß ich meine erste Durchreise, meinen zweiten Aufenthalt zu Florenz nicht besser genutzt, mir von der Kunst neuerer Zeit nicht ein eindringlicheres Anschauen verschafft hatte. Freund Meyer, der in den Jahren [112] 1796 und 1797 sich daselbst die gründlichsten Kenntnisse erworben hatte, half mir möglichst aus, doch sehnte ich mich immer nach dem eigenen, nicht mehr gegönnten Anblick.

Ich kam daher auf den Gedanken, ob nicht wenigstens Cellinische Münzen, auf die er sich soviel zugute tut, noch zu finden sein möchten, ob nicht anderes, was mich in jene Zeiten versetzen könnte, noch zu haben wäre.

Glücklicherweise vernahm ich von einer nürnbergischen Auktion, in welcher Kupfermünzen des fünfzehnten und sechzehnten, ja des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts feilgeboten wurden, und es gelang, die ganze Masse zu erhalten. Die Originalfolge von Päpsten seit Martin V. bis auf Clemens XI., also bis zum ersten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts, wurde mir nicht allein zu eigen, sondern auch dazwischen Kardinäle und Priester, Philosophen, Gelehrte, Künstler, merkwürdige Frauen, in scharfen, unbeschädigten Exemplaren, teils gegossen, teils geprägt; aber verwundersam und bedauerlich: unter so manchen Hunderten kein Cellini. Aufgeregt war man nun, auch hier das Geschichtliche zu studieren; man forschte nach Bonanni, Mazzucchelli und andern und legte so den Grund zu ganz neuer Belehrung.

Das ältere Schießhaus vor dem Frauentor war schon längst von den Parkanlagen überflügelt, der Raum, den es einnahm, bereits zwischen Gärten und Spaziergängen eingeschlossen, die Übungen nach der Scheibe, besonders aber das eigentliche Vogelschießen, nach und nach unbequem und gefährlich.

Zum Tausch nahm der Stadtrat mit mehrfachem Gewinn einen großen, schön gelegenen Bezirk vor dem Kegeltor; die weit verbreiteten Äcker sollten in Gärten, Gartenländer verwendet und an dem schicklichsten Platz ein neues Schießhaus gebaut werden.

Die eigentliche Lage eines Gebäudes, sobald dem Architekten Freiheit gegeben ist, bleibt immer desselben Hauptaugenmerk: ein ländliches Gebäude soll die Gegend zieren und wird von ihr geziert; und so war die sorgfältigste Beratung zwischen den Berliner Architekten und den Weimarischen [113] Kunstfreunden, nicht weniger dem Stadtrat und der Schützengesellschaft eine geraume Zeit im Schwange.

Bei einem neuen Lustgebäude mit seinen Umgebungen, zur Aufnahme einer großen Menge bestimmt, ist das Haupterfordernis Schatten, welcher nicht sogleich herbeigebannt werden kann. Hier war also ein angenehmes Hölzchen der notwendige Punkt, einen Flügel daran zu lehnen; für die Hauptrichtung entschied sodann eine oberhalb jenes Buschwerks hergehende uralte vierfache Lindenallee; man mußte den Flügel und also das ganze Gebäude rechtwinkelig darauf richten.

Ein mäßiger Plan, den Bedürfnissen allenfalls hinreichend, erweiterte sich nach und nach; die Schützengesellschaft, das Publikum als die Tanzenden, die Genießenden, alle wollten bedacht sein, alle verlangten ein schickliches und bequemes Lokal. Nun aber forderte die nahebei, doch gesondert anzulegende Wirtschaft ebenfalls ihre mannigfaltigen Bedürfnisse, und so dehnte sich der Plan immer mehr aus. Zwar gab die Ungleichheit des Terrains, die man zu überwinden hatte, die schönste Gelegenheit, aus der notwendigen Bedingtheit des Lokals die Forderungen des Zweckes zu entwickeln, am Ende aber konnte man sich nicht leugnen, bei ökonomischer Ausdehnung und nach ästhetischen Rücksichten über die Grenze des Bedürfnisses hinausgegangen zu sein.

Doch ein Gebäude gehört unter die Dinge, welche nach erfüllten inneren Zwecken auch zu Befriedigung der Augen aufgestellt werden, so daß man, wenn es fertig ist, niemals fragt, wieviel Erfindungskraft, Anstrengung, Zeit und Geld dazu erforderlich gewesen: Die Totalwirkung bleibt immer das Dämonische, dem wir huldigen.

Gegen Ende des Jahrs erlebte ich das Glück, mein Verhältnis zu den Erdschollen von Roßla völlig aufgehoben zu sehen. War der vorige Pachter ein Lebemann und in seinem Geschäft leichtsinnig und nachlässig, so hatte der neue als bisheriger Bürger einer Landstadt eine gewisse eigene kleinliche Rechtlichkeit, wovon die Behandlung jener bekannten Quelle ein Symbol sein mag. Der gute Mann, in seinen Gartenbegriffen [114] einen Springbrunnen als das Höchste befindend, leitete das dort mäßig abfließende Wasser in engen Blechröhren an die niedrigste Stelle, wo es denn wieder einige Fuß in die Höhe sprang, aber statt des Wasserspiegels einen Sumpf bildete. Das idyllische Naturwesen jenes Spaziergangs war um seine Einfalt verkümmert, so wie denn auch andere ähnliche Anstalten ein gewisses erstes Gefallen nicht mehr zuließen.

Zwischen allem diesem war der häusliche Mann doch auch klar geworden, daß die Besitzung für den, der sie persönlich benutze, ganz einträglich sei, und in dem Maße, wie mir der Besitz verleidete, mußte er ihm wünschenswürdig erscheinen; und so ereignete sich's, daß ich nach sechs Jahren das Gut ihm abtrat ohne irgendeinen Verlust als der Zeit und allenfalls des Aufwandes auf ländliche Feste, deren Vergnügen man aber doch auch für etwas rechnen mußte. Konnte man ferner die klare Anschauung dieser Zustände auch nicht zu Geld anschlagen, so war doch viel gewonnen und nebenbei mancher heitere Tag im Freien gesellig zugebracht.

Frau von Staël kam anfangs Dezember in Weimar an, als ich noch in Jena mit dem Programm beschäftigt war. Was mit Schiller über sie am 21. Dezember schrieb, diente, auf einmal über das wechselseitige, aus ihrer Gegenwart sich entwickelnde Verhältnis aufzuklären:

»Frau von Staël wird Ihnen völlig so erscheinen, wie Sie sie sich a priori schon konstruiert haben werden; es ist alles aus einem Stück und kein fremder, falscher und pathologischer Zug in ihr. Dies macht, daß man sich trotz des immensen Abstands der Naturen und Denkweisen vollkommen wohl bei ihr befindet, daß man alles von ihr hören, ihr alles sagen mag. Die französische Geistesbildung stellt sie rein und in einem höchst interessanten Lichte dar. In allem, was wir Philosophie nennen, folglich in allen letzten und höchsten Instanzen, ist man mit ihr im Streit und bleibt es trotz alles Redens. Aber ihr Naturell und Gefühl ist besser als ihre Metaphysik, und ihr schöner Verstand erhebt sich zu einem genialischen Vermögen. Sie will alles erklären, einsehen, ausmessen, sie statuiert nichts [115] Dunkles, Unzugängliches, und wohin sie nicht mit ihrer Fackel leuchten kann, da ist nichts für sie vorhanden. Darum hat sie eine horrible Scheu vor der Idealphilosophie, welche nach ihrer Meinung zur Mystik und zum Aberglauben führt, und das ist die Stickluft, wo sie umkommt. Für das, was wir Poesie nennen, ist kein Sinn in ihr, sie kann sich von solchen Werken nur das Leidenschaftliche, Rednerische und Allgemeine zueignen, aber sie wird nichts Falsches schätzen, nur das Rechte nicht immer erkennen. Sie ersehen aus diesen paar Worten, daß die Klarheit, Entschiedenheit und geistreiche Lebhaftigkeit ihrer Natur nicht anders als wohltätig wirken können. Das einzige Lästige ist die ganz ungewöhnliche Fertigkeit ihrer Zunge, man muß sich ganz in ein Gehörorgan verwandeln, um ihr folgen zu können. Da sogar ich, bei meiner wenigen Fertigkeit im Französischreden, ganz leidlich mit ihr fortkomme, so werden Sie, bei Ihrer größern Übung, eine sehr leichte Kommunikation mit ihr haben.«

Da ich mich von Jena, ohne mein Geschäft abgeschlossen zu haben, nicht entfernen konnte, so gelangten noch gar mancherlei Schilderungen und Nachrichten zu mir, wie Frau von Staël sich benehme und genommen werde, und ich konnte mir ziemlich die Rolle vorschreiben, welche ich zu spielen hätte. Doch sollte das alles ganz anders werden, wie in dem nächsten Jahr, wohin wir hinübergehen, zu melden ist.

Wie unbequem aber ein so bedeutender Besuch mir gerade zu der Zeit sein mußte, wird derjenige mitempfinden, der die Wichtigkeit des Geschäfts bedenkt, das mich damals in Jena festhielt. Der weltberühmten »Allgemeinen Literaturzeitung« mit Aufkündigung des Dienstes zuvorzukommen und, indem sie sich an einen andern Ort bewegte, sie an derselben Stelle fortsetzen zu wollen war ein kühnes Unternehmen. Man bedenkt nicht immer, daß ein kühn Unternommenes in der Ausführung gleichfalls Kühnheit erfordert, weil bei dem Ungemeinen durch gemeine Mittel nicht wohl auszulangen sein möchte. Mehr als ein Verständiger, Einsichtiger gab mir das Erstaunen zu erkennen, wie man sich in ein solch unmögliches [116] Unternehmen habe einlassen dürfen. Freilich aber war die Sache dadurch möglich geworden, daß ein Mann von dem Verdienste des Herrn Hofrat Eichstädt sich zu Fortsetzung des Geschäfts entschloß, an dem er bisher so bedeutenden Teil genommen hatte.

Die Weimarischen Kunstfreunde hielten es nunmehr für Pflicht, das, was an ihrem Einfluß gewichtig sein konnte, auch auf die Schale zu legen. Preisaufgaben für bildende Künstler, Rezensionen der eingesendeten Blätter, Preiserteilung, sonstig verwandte Ausführungen, Ausschreiben einer neuen Preisaufgabe: dieser Komplex von ineinandergreifenden Operationen, welcher bisher den »Propyläen« angehört hatte, sollte nunmehr der »Allgemeinen Literaturzeitung« zuteil werden. Das Programm hiezu beschäftigte mich in meiner diesmaligen Absonderung, indem ich mit dem Freund und eifrigen Mitarbeiter Heinrich Meyer in fortwährender Kommunikation blieb.

Wer Gelegenheit hat, den ersten Jahrgang der neuen oder »Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung« anzusehen, der wird gern bekennen, daß es keine geringe Arbeit gewesen. Die Preisaufgabe von 1803 war auf verschiedene Weise gelöst, auch Professor Hoffmann aus Stuttgart der Preis zuerkannt, nachdem vorher die verschiedenen Verdienste der Mitwerber gewürdigt sowohl als von freiwillig Eingesendetem Rechenschaft gegeben worden. Alsdann hatte man einen Versuch gemacht, Polygnots Gemälde in der Lesche zu Delphi zu restaurieren und sich in Gedanken der Kunst dieses Urvaters, wie es sich tun ließe, zu nähern.

Die Weimarischen Kunstfreunde hatten diese fünf Jahre her, während welcher sie diese Anstalt durchgeführt, gar wohl bemerken können, daß eine allzu eng bestimmte Aufgabe dem Künstler nicht durchaus zusage und daß man dem freien Geist einigen Spielraum lassen müsse, um nach eignem Sinn und Vermögen eine Wahl anstellen zu können. Die diesjährige Aufgabe war daher: Das Menschengeschlecht, vom Elemente des Wassers bedrängt, wovon wir eine ganz besondere Mannigfaltigkeit hoffen konnten.

[117] Aus jenem Programm füge zum Schluß noch eine Stelle hier ein, die Gelegenheit gibt, ein anmutiges Ereignis zu besprechen. »Unter den Schätzen der Galerie zu Kassel verdient die Charitas von Leonardo da Vinci die Aufmerksamkeit der Künstler und Liebhaber im höchsten Grad. Herr Riepenhausen hatte den schönen Kopf dieser Figur, in Aquarellfarben trefflich kopiert, zur Ausstellung eingesandt. Die süße Traurigkeit des Mundes, das Schmachtende der Augen, die sanfte, gleichsam bittende Neigung des Hauptes, selbst der gedämpfte Farbenton des Originalbildes waren durchaus rein und gut nachgeahmt. Die größte Zahl derer, welche die Ausstellung besuchten, haben diesen Kopf mit vielem Vergnügen gesehen; ja derselbe muß einen Kunstliebhaber im höchsten Grade angezogen haben, indem wir die unverkennbaren Spuren eines herzlichen Kusses von angenehmen Lippen auf dem Glase, da, wo es den Mund bedeckt, aufgedrückt fanden.«

Wie liebenswürdig aber das Faksimile eines solchen Kusses gewesen, wird man nur erst ganz empfinden, erfährt man die Umstände, unter welchen solches möglich geworden. Unsere Ausstellung kam dieses Jahr später zustande; bei dem Anteil, welchen das Publikum zeigte, ließen wir es länger als gewöhnlich stehen, die Zimmer wurden kälter und nur gegen die Stunden des eröffneten Einlasses geheizt. Eine geringe Abgabe für die einmalige Entree zum Besten der Anstalt war genehmigt, besonders von Fremden; für Einheimische war ein Abonnement eingerichtet, welches nach Belieben auch außer der bestimmten Zeit den Eintritt gewährte. Indem wir also nach Gewahrwerden dieser liebevollen Teilnahme an einem vorzüglichen Kunstwerk uns in stiller Heiterkeit den Urheber zu entdecken, bemühten, wurde folgendes erst festgesetzt: Jung war der Küssende, das hätte man voraussetzen können, aber die auf dem Glas fixierten Züge sprechen es aus; er muß allein gewesen sein, vor vielen hätte man dergleichen nicht wagen dürfen. Dies Ereignis geschah früh bei ungeheizten Zimmern: der Sehnsüchtige hauchte das kalte Glas an, drückte den Kuß in seinen eignen Hauch, der alsdann erstarrend sich konsolidierte. [118] Nur wenige wurden mit dieser Angelegenheit bekannt, aber es war leicht auszumachen, wer beizeiten in den ungeheizten Zimmern allein sich eingefunden, und da traf sich's denn auch recht gut: Die bis zur Gewißheit gesteigerte Vermutung blieb auf einem jungen Menschen ruhen, dessen wirklich küßliche Lippen wir Eingeweihten nachher mehr als einmal freundlich zu begrüßen Gelegenheit hatten.

Soviel wir wissen, ist das Bild nach Dorpat gekommen.

1804

Der Winter hatte sich mit aller Gewalt eingefunden, die Wege waren verschneit, auf der Schnecke kein Fortkommen. Frau von Staël kündigte sich immer dringender an, mein Geschäft war vollendet, und ich entschloß mich in mancherlei Betracht, nach Weimar zu gehen. Aber auch diesmal fühlt ich die Schädlichkeit des Winteraufenthaltes im Schlosse. Die so teure Erfahrung von 1801 hatte mich nicht aufmerksam, nicht klüger gemacht; ich kehrte mit einem starken Katarrh zurück, der, ohne gefährlich zu sein, mich einige Tage im Bette und sodann wochenlang in der Stube hielt. Dadurch ward mir nun ein Teil des Aufenthalts dieser seltenen Frau historisch, indem ich, was in der Gesellschaft vorging, von Freunden berichtlich vernahm, und so mußte denn auch die Unterhaltung erst durch Billette, dann durch Zwiegespräche, später in dem kleinsten Zirkel stattfinden: vielleicht die günstigste Weise, wie ich sie kennenlernen und mich ihr, insofern dies möglich war, auch mitteilen konnte.

Mit entschiedenem Andrang verfolgte sie ihre Absicht, unsere Zustände kennenzulernen, sie ihren Begriffen ein- und unterzuordnen, sich nach dem einzelnen soviel als möglich zu erkundigen, als Weltfrau sich die geselligen Verhältnisse klarzumachen, in ihrer geistreichen Weiblichkeit die allgemeineren Vorstellungsarten, und was man Philosophie nennt, zu durchdringen und zu durchschauen. Ob ich nun gleich gar keine Ursache [119] hatte, mich gegen sie zu verstellen, wiewohl ich, auch wenn ich mich gehenlasse, doch immer von den Leuten nicht recht gefaßt werde, so trat doch hier ein äußerer Umstand ein, der mich für den Augenblick scheu machte. Ich erhielt soeben ein erst herausgekommenes französisches Buch, die Korrespondenz von ein paar Frauenzimmern mit Rousseau enthaltend. Sie hatten den unzugänglichen, scheuen Mann ganz eigentlich mystifiziert, indem sie ihn erst durch kleine Angelegenheiten zu interessieren, zu einem Briefwechsel mit ihnen anzulocken gewußt, den sie, nachdem sie den Scherz genug hatten, zusammenstellen und drucken ließen.

Hierüber gab ich mein Mißfallen an Frau von Staël zu erkennen, welche die Sache leicht nahm, sogar zu billigen schien und nicht undeutlich zu verstehen gab: sie denke ungefähr gleicherweise mit uns zu verfahren. Weiter bedurft es nichts, um mich aufmerksam und vorsichtig zu machen, mich einigermaßen zu verschließen.

Die großen Vorzüge dieser hoch denkenden und empfindenden Schriftstellerin liegen jedermann vor Augen, und die Resultate ihrer Reise durch Deutsch land zeigen genugsam, wie wohl sie ihre Zeit angewendet.

Ihre Zwecke waren vielfach: Sie wollte das sittliche, gesellige, literarische Weimar kennenlernen und sich über alles genau unterrichten; dann aber wollte auch sie gekannt sein und suchte daher ihre Ansichten ebenso geltend zu machen, als es ihr darum zu tun schien, unsre Denkweise zu erforschen. Allein dabei konnte sie es nicht lassen; auch wirken wollte sie auf die Sinne, aufs Gefühl, auf den Geist, sie wollte zu einer gewissen Tätigkeit aufregen, deren Mangel sie uns vorwarf.

Da sie keinen Begriff hatte von dem, was Pflicht heißt, und zu welcher stillen, gefaßten Lage sich derjenige, der sie übernimmt, entschließen muß, so sollte immerfort eingegriffen, augenblicklich gewirkt sowie in der Gesellschaft immer gesprochen und verhandelt werden.

Die Weimaraner sind gewiß eines Enthusiasmus fähig, vielleicht gelegentlich auch eines falschen, aber das französische [120] Auflodern ließ sich nicht von ihnen erwarten, am wenigsten zu einer Zeit, wo die französische Übergewalt so allseitig drohte und stillkluge Menschen das unausweichliche Unheil voraussahen, das uns im nächsten Jahre an den Rand der Vernichtung führen sollte.

Auch vorlesend und deklamierend wollte Frau von Staël sich Kränze erwerben. Ich entschuldigte mich von einem Abend, wo sie »Phädra« vortrug und wo ihr der mäßige deutsche Beifall keineswegs genugtat.

Philosophieren in der Gesellschaft heißt, sich über unauflösliche Probleme lebhaft unterhalten. Dies war ihre eigentliche Lust und Leidenschaft. Natürlicherweise trieb sie es in Reden und Wechselreden gewöhnlich bis zu denen Angelegenheiten des Denkens und Empfindens, die eigentlich nur zwischen Gott und dem Einzelnen zur Sprache kommen sollten. Dabei hatte sie, als Frau und Französin, immer die Art, auf Hauptstellen positiv zu verharren und eigentlich nicht genau zu hören, was der andere sagte.

Durch alles dieses war der böse Genius in mir aufgeregt, daß ich nicht anders als widersprechend dialektisch und problematisch alles Vorkommende behandelte und sie durch hartnäckige Gegensätze oft zur Verzweiflung brachte, wo sie aber erst recht liebenswürdig war und ihre Gewandtheit im Denken und Erwidern auf die glänzendste Weise dartat.

Noch hatte ich mehrmals unter vier Augen folgerechte Gespräche mit ihr, wobei sie jedoch auch nach ihrer Weise lästig war, indem sie über die bedeutendsten Vorkommenheiten nicht einen Augenblick stilles Nachdenken erlaubte, sondern leidenschaftlich verlangte, man solle bei dringenden Angelegenheiten, bei den wichtigsten Gegenständen ebenso schnell bei der Hand sein, als wenn man einen Federball aufzufangen hätte.

Ein Geschichtchen statt vieler möge hier Platz nehmen: Frau von Staël trat einen Abend vor der Hofzeit bei mir ein und sagte gleich zum Willkommen mit heftiger Lebhaftigkeit: »Ich habe Euch eine wichtige Nachricht anzukündigen: Moreau ist [121] arretiert mit einigen andern und des Verrats gegen den Tyrannen angeklagt.« – Ich hatte seit langer Zeit, wie jedermann, an der Persönlichkeit des Edlen teilgenommen und war seinem Tun und Handeln gefolgt; ich rief im stillen mir das Vergangene zurück, um, nach meiner Art, daran das Gegenwärtige zu prüfen und das Künftige daraus zu schließen oder doch wenigstens zu ahnen. Die Dame veränderte das Gespräch, dasselbe wie gewöhnlich auf mannigfach gleichgültige Dinge führend, und als ich, in meinem Grübeln verharrend, ihr nicht sogleich gesprächig zu erwidern wußte, erneuerte sie die schon oft vernommenen Vorwürfe: ich sei diesen Abend wieder einmal, gewohnterweise, maussade und keine heitere Unterhaltung bei mir zu finden. – Ich ward wirklich im Ernst böse, versicherte, sie sei keines wahren Anteils fähig; sie falle mit der Tür ins Haus, betäube mich mit einem derben Schlag und verlange sodann, man solle alsobald sein Liedchen pfeifen und von einem Gegenstand zum andern hüpfen.

Dergleichen Äußerungen waren recht in ihrem Sinn, sie wollte Leidenschaft erregen, gleichviel welche. Um mich zu versöhnen, sprach sie die Momente des gedachten wichtigen Unfalls gründlich durch und bewies dabei große Einsicht in die Lage der Dinge wie in die Charaktere.

Ein anderes Geschichtchen bezeugt gleichfalls, wie heiter und leicht mit ihr zu leben war, wenn man es auf ihre Weise nahm. An einem personenreichen Abendessen bei Herzogin Amalie saß ich weit von ihr und war eben auch für diesmal still und mehr nachdenklich. Meine Nachbarschaft verwies es mir, und es gab eine kleine Bewegung, deren Ursache endlich bis zu den höhern Personen hinaufreichte. Frau von Staël vernahm die Anklage meines Schweigens, äußerte sich darüber wie gewöhnlich und fügte hinzu: »Überhaupt mag ich Goethe nicht, wenn er nicht eine Bouteille Champagner getrunken hat.« Ich sagte darauf halblaut, so daß es nur meine Nächsten vernehmen konnten: »Da müssen wir uns denn doch schon manchmal zusammen bespitzt haben.« Ein mäßiges Gelächter entstand darauf; sie wollte den Anlaß erfahren, niemand konnte [122] und mochte meine Worte im eigentlichsten Sinne französisch wiedergeben, bis endlich Benjamin Constant, auch ein Nahsitzender, auf ihr anhaltendes Fordern und Drängen, um die Sache abzuschließen, es unternahm, ihr mit einer euphemistischen Phrase genugzutun.

Was man jedoch von solchen Verhältnissen hinterher denken und sagen mag, so ist immer zu bekennen, daß sie von großer Bedeutung und Einfluß auf die Folge gewesen. Jenes Werk über Deutschland, welches seinen Ursprung dergleichen geselligen Unterhaltungen verdankte, ist als ein mächtiges Rüstzeug anzusehen, das in die Chinesische Mauer antiquierter Vorurteile, die uns von Frankreich trennte, sogleich eine breite Lücke durchbrach, so daß man über dem Rhein und, in Gefolg dessen, über dem Kanal endlich von uns nähere Kenntnis nahm, wodurch wir nicht anders als lebendigen Einfluß auf den fernern Westen zu gewinnen hatten. Segnen wollen wir also jenes Unbequeme und den Konflikt nationeller Eigentümlichkeiten, die uns damals ungelegen kamen und keineswegs förderlich erscheinen wollten.

Ebenso hätten wir dankbar der Gegenwart Herrn Benjamin Constant zu gedenken.

Gegen Ende Juni begab ich mich nach Jena und ward gleich an demselbigen Abend durch lebhafte Johannisfeuer munter genug empfangen. Es ist keine Frage, daß sich diese Lustflammen auf den Bergen sowohl in der Nähe der Stadt, als wenn man das Tal auf- und abwärts fährt, überraschend freundlich ausnehmen.

Nach Verschiedenheit der vorhandenen Materialien, ihrer Menge, mehr oder weniger Schnelligkeit der Verwendung züngeln sie bald obelisken-, bald pyramidenartig in die Höhe, scheinen glühend zu verlöschen und leben auf einmal ermuntert wieder auf. Und so sieht man ein solches feuriges Wechselspiel talauf, talab auf die mannigfaltigste Weise belebend fortsetzen.

Unter allen diesen Erscheinungen tat sich eine zwar nur auf kürzere Zeit, aber bedeutend und auffallend hervor. Auf der [123] Spitze des Hausberges, welcher, von seiner Vorderseite angesehen, kegelartig in die Höhe steigt, flammte gleichmäßig ein bedeutendes Feuer empor, doch hatte es einen beweglichern und unruhigern Charakter; auch verlief nur kurze Zeit, als es sich in zwei Bächen an den Seiten des Kegels herunterfließend sehen ließ; diese, in der Mitte durch eine feurige Querlinie verbunden, zeigten ein kolossales leuchtendes A, auf dessen Gipfel eine starke Flamme gleichsam als Krone sich hervortat und auf den Namen unserer verehrten Herzoginmutter hindeutete. Diese Erscheinung ward mit allgemeinem Beifall aufgenommen; fremde Gäste fragten verwundert über die Mittel, wodurch ein so bedeutendes und Festlichkeit krönendes Feuergebilde habe veranstaltet werden können.

Sie erfuhren jedoch gar bald, daß dieses das Werk einer vereinigten Menge war und einer solchen, von der man es am wenigsten erwartet hätte.

Die Universitätsstadt Jena, deren unterste, ärmste Klasse sich so fruchtbar erweist, wie es in den größten Städten sich zu ereignen pflegt, wimmelt von Knaben verschiedenen Alters, welche man gar füglich den Lazzaronis vergleichen kann. Ohne eigentlich zu betteln, nehmen sie durch Vieltätigkeit das Wohltun der Einwohner, besonders aber der Studierenden in Anspruch. Bei vorzüglicher Frequenz der Akademie hatte sich diese Erwerbsklasse besonders vermehrt; sie standen am Markte und an den Straßenecken überall bereit, trugen Botschaften hin und wider, bestellten Pferde und Wagen, trugen die Stammbücher hin und her und sollizitierten das Einschreiben, alles gegen geringe Retributionen, welche denn doch ihnen und ihren Familien bedeutend zugute kamen. Man nannte sie »Mohren«, wahrscheinlich weil sie, von der Sonne verbrannt, sich durch eine dunklere Gesichtsfarbe auszeichneten.

Diese hatten sich schon lange her das Recht angemaßt, das Feuer auf der Spitze des Hausbergs anzuzünden und zu unterhalten, welches anzufachen und zu ernähren sie sich folgender Mittel bedienten: Ebenso den weiblichen Dienstboten der bürgerlichen Häuser als den Studierenden willfährig, wußten [124] sie jene durch manche Gefälligkeit zu verpflichten, dergestalt daß ihnen die Besenstumpfen das Jahr über aufbewahrt und zu dieser Festlichkeit abgeliefert wurden. Um diese regelmäßig in Empfang zu nehmen, teilten sie sich in die Quartiere der Stadt und gelangten am Abend des Johannistags scharenweis zusammen auf der Spitze des Hausberges an, wo sie dann ihre Reisfackeln so schnell als möglich entzündeten und sodann mit ihnen mancherlei Bewegungen machten, welche sich diesmal zu einem großen A gestalteten, da sie denn stillhielten und jeder an seinem Platze die Flamme so lange als möglich zu erhalten suchten.

Diese lebhafte Erscheinung, bei einem heitern Abendgelag' von versammelten Freunden gewahrt und bewundert, eignete sich auf alle Fälle, einigen Enthusiasmus zu erregen. Man stieß auf das Wohl der verehrten Fürstin an, und, da schon seit einiger Zeit eine immer ernstere Polizei dergleichen feurige Lustbarkeiten zu verbieten Anstalten machte, so bedauerte man, daß eine solche Seelenfreude künftig nicht mehr genossen werden sollte, und äußerte den Wunsch für die Dauer einer solchen Gewohnheit in dem heitern Toast:


Johannisfeuer sei unverwehrt,
Die Freude nie verloren!
Besen werden immer stumpf gekehrt
Und Jungens immer geboren.

Einer gründlichern Heiterkeit genoß man bei Untersuchung der dortigen wissenschaftlichen Anstalten; besonders hatte die Sammlung der Mineralogischen Gesellschaft an Reichtum und Ordnung merklich zugenommen. Die Blitzsinter, welche zu der Zeit erst lebhaft zur Sprache gekommen, gaben, wie es mit allem bedeutenden Neuen geschieht, dem Studium ein frisches Interesse. Geognostische Erfahrungen, geologische Gedanken in ein folgerechtes Anschauen einzuleiten, gedachte man an ein Modell, das beim ersten Anblick eine anmutige Landschaft vorstellen, deren Unebenheiten bei dem Auseinanderziehen des Ganzen durch die innerlich angedeuteten verschiedenen [125] Gebirgsarten rationell werden sollten. Eine Anlage im kleinen ward gemacht, anfänglich nicht ohne Erfolg, nachher aber durch andere Interessen beseitigt und durch streitige Vorstellungsarten über dergleichen problematische Dinge der Vergessenheit übergeben.

Die von Hofrat Büttner hinterlassene Bibliothek gab noch immer manches zu tun und das Binden der Bücher, das nachherige Einordnen manche Beschäftigung.

Höchst erfreulich aber bei allem diesem war der Besuch meines gnädigsten Herrn, welcher mit Geheimerat von Voigt, einem in diesen Geschäften eifrig mitwirkenden Staatsmanne, herüberkam. Wie belohnend war es, für einen solchen Fürsten zu wirken, welcher immer neue Aussichten dem Handeln und Tun eröffnete, sodann die Ausführung mit Vertrauen seinen Dienern überließ, immer von Zeit zu Zeit wieder einmal hereinsah und ganz richtig beurteilte, inwiefern man den Absichten gemäß gehandelt hatte, da man ihn denn wohl ein und das andere Mal durch die Resultate schnellerer Fortschritte zu überraschen wußte.

Bei seiner diesmaligen Anwesenheit wurde der Beschluß reif, ein anatomisches Museum einzurichten, welches bei Abgang eines Professors der Anatomie der wissenschaftlichen Anstalt verbleiben müsse. Es ward dieses um so nötiger, als bei Entfernung des bedeutenden Loderischen Kabinetts eine große Lücke in diesem Fach empfunden wurde. Professor Ackermann, von Heidelberg berufen, machte sich's zur Pflicht, sogleich in diesem Sinne zu arbeiten und zu sammeln, und unter seiner Anleitung gedieh gar bald das Unternehmen, zuerst im didaktischen Sinne, welcher durchaus ein anderer ist als der wissenschaftliche, der zugleich auf Neues, Seltenes, ja Kurioses Aufmerksamkeit und Bemühung richtet und nur in Gefolg des ersten allerdings Platz finden kann und muß.

Je weiter ich in meinen chromatischen Studien vorrückte, desto wichtiger und liebwerter wollte mir die Geschichte der Naturwissenschaften überhaupt er scheinen. Wer dem Gange einer höhern Erkenntnis und Einsicht getreulich folgt, wird zu [126] bemerken haben, daß Erfahrung und Wissen fortschreiten und sich bereichern können, daß jedoch das Denken und die eigentlichste Einsicht keineswegs in gleicher Maße vollkommener wird, und zwar aus der ganz natürlichen Ursache, weil das Wissen unendlich und jedem neugierig Umherstehenden zugänglich, das Überlegen, Denken und Verknüpfen aber innerhalb eines gewissen Kreises der menschlichen Fähigkeiten eingeschlossen ist; dergestalt daß das Erkennen der vorliegenden Weltgegenstände, vom Fixstern bis zum kleinsten lebendigen Lebepunkt, immer deutlicher und ausführlicher werden kann, die wahre Einsicht in die Natur dieser Dinge jedoch in sich selbst gehindert ist, und dieses in dem Grade, daß nicht allein die Individuen, sondern ganze Jahrhunderte vom Irrtum zur Wahrheit, von der Wahrheit zum Irrtum sich in einem stetigen Kreise bewegen.

In diesem Jahre war ich bis zu der wichtigen Zeit gelangt, wo die nachher Königlich genannte Englische Gesellschaft sich erst in Oxford, dann in London zusammentat, durch mannigfaltige wichtige Hindernisse aufgehalten, sodann durch den großen Brand in London in ihrer Tätigkeit unterbrochen, zuletzt aber immer mehr eingerichtet, geordnet und gegründet war.

Die Geschichte dieser Sozietät von Thomas Sprat las ich mit großem Beifall und bedeutender Belehrung, was auch strengere Forderer gegen diesen freilich etwas flüchtigen Mann mögen einzuwenden haben. Geistreich ist er immer und läßt uns in die Zustände recht eigentlich hineinblicken.

Die Protokolle dieser Gesellschaft, herausgegeben von Birch, sind dagegen unbestritten ganz unschätzbar. Die Anfänge einer so großen Anstalt geben uns genug zu denken. Ich widmete diesem Werke jede ruhige Stunde und habe von dem, was ich mir davon zugeeignet, in meiner »Geschichte der Farbenlehre« kurze Rechenschaft gegeben.

Hier darf ich aber nicht verschweigen, daß diese Werke von der Göttinger Bibliothek durch die Gunst des edlen Heyne mir zugekommen, dessen nachsichtige Geneigtheit durch viele [127] Jahre mir ununterbrochen zuteil ward, wenn er gleich öfters wegen verspäteter Zurücksendung mancher bedeutenden Werke einen kleinen Unwillen nicht ganz verbarg. Freilich war meine desultorische Lebens- und Studienweise meistens schuld, daß ich an tüchtige Werke nur einen Anlauf nehmen und sie wegen äußerer Zudringlichkeiten beiseite legen mußte in Hoffnung eines günstigern Augenblicks, der sich denn wohl auf eine lange Zeitstrecke verzögerte.

Winckelmanns frühere Briefe an Hofrat Berendis waren schon längst in meinen Händen, und ich hatte mich zu ihrer Ausgabe vorbereitet. Um das, was zu Schilderung des außerordentlichen Mannes auf mannigfaltige Weise dienen könnte, zusammenzustellen, zog ich die werten Freunde Wolf in Halle, Meyer in Weimar, Fernow in Jena mit ins Interesse, und so bildete sich nach und nach der Oktavband, wie er sodann in die Hände des Publikums gelangte.

Ein französisches Manuskript, Diderots »Neffe«, ward mir von Schillern eingehändigt mit dem Wunsche, ich möchte solches übersetzen. Ich war von jeher zwar nicht für Diderots Gesinnungen und Denkweise, aber für seine Art der Darstellung als Autor ganz besonders eingenommen, und ich fand das mir vorliegende kleine Heft von der größten, aufregenden Trefflichkeit. Frecher und gehaltener, geistreicher und verwegener, unsittlich-sittlicher war mir kaum etwas vorgekommen; ich entschloß mich daher sehr gern zur Übersetzung, rief zu eignem und fremdem Verständnis das früher Eingesehene aus den Schätzen der Literatur hervor, und so entstand, was ich unter der Form von Noten in alphabetischer Ordnung dem Werk hinzufügte und es endlich bei Göschen herausgab. Die deutsche Übersetzung sollte vorausgehen und das Original bald nachher abgedruckt werden. Hievon überzeugt, versäumte ich, eine Abschrift des Originals zu nehmen, woraus, wie später zu erzählen sein wird, gar wunderliche Verhältnisse sich hervortaten.

Die neue »Allgemeine Literaturzeitung« bewegte sich mit jedem Monat lebendiger vorwärts, nicht ohne mancherlei Anfechtungen, [128] doch ohne eigentliches Hindernis. Alles Für und Wider, was hier durchgefochten werden mußte, im Zusammenhang zu erzählen würde keine unangenehme Aufgabe sein, und der Gang eines wichtigen literarischen Unternehmens wäre jedenfalls belehrend. Hier können wir uns jedoch nur durch ein Gleichnis ausdrücken. Der Irrtum jenseits bestand darin: Man hatte nicht bedacht, daß man von einem militärisch günstigen Posten wohl eine Batterie wegführen und an einen andern bedeutenden versetzen kann, daß aber dadurch der Widersacher nicht verhindert wird, an der verlassenen Stelle sein Geschütz aufzufahren, um für sich gleiche Vorteile daraus zu gewinnen. An der Leitung des Geschäftes nahm ich fortwährenden lebhaften Anteil; von Rezensionen, die ich lieferte, will ich nur die der Vossischen Gedichte nennen und bezeichnen.

Im Jahre 1797 hatte ich mit dem aus Italien zurückkehrenden Freunde Meyer eine Wanderung nach den kleinen Kantonen, wohin mich nun schon zum dritten Male eine unglaubliche Sehnsucht anregte, heiter vollbracht. Der Vierwaldstätter See, die Schwyzer Haggen, Flüelen und Altdorf, auf dem Hin- und Herwege nur wieder mit freiem, offenem Auge beschaut, nötigten meine Einbildungskraft, diese Lokalitäten als eine ungeheure Landschaft mit Personen zu bevölkern, und welche stellten sich schneller dar als Tell und seine wackern Zeitgenossen? Ich ersann hier an Ort und Stelle ein episches Gedicht, dem ich um so lieber nachhing, als ich wünschte, wieder eine größere Arbeit in Hexametern zu unternehmen, in dieser schönen Dichtart, in die sich nach und nach unsre Sprache zu finden wußte, wobei die Absicht war, mich immer mehr durch Übung und Beachtung mit Freunden darin zu vervollkommnen.

Von meinen Absichten melde nur mit wenigem, daß ich in dem Tell eine Art von Demos darzustellen vorhatte und ihn deshalb als einen kolossal kräftigen Lastträger bildete, die rohen Tierfelle und sonstige Waren durchs Gebirg herüber und hinüber zu tragen sein Leben lang beschäftigt und, ohne sich weiter um Herrschaft noch Knechtschaft zu bekümmern, sein[129] Gewerbe treibend und die unmittelbarsten persönlichen Übel abzuwehren fähig und entschlossen. In diesem Sinne war er den reichern und höhern Landsleuten bekannt und harmlos übrigens auch unter den fremden Bedrängern. Diese seine Stellung erleichterte mir eine allgemeine, in Handlung gesetzte Exposition, wodurch der eigentliche Zustand des Augenblicks anschaulich ward.

Mein Landvogt war einer von den behaglichen Tyrannen, welche herz- und rücksichtlos auf ihre Zwecke hindringen, übrigens aber sich gern bequem finden, deshalb auch leben und leben lassen, dabei auch humoristisch gelegentlich dies oder jenes verüben, was entweder gleichgültig wirken oder auch wohl Nutzen und Schaden zur Folge haben kann. Man sieht aus beiden Schilderungen, daß die Anlage meines Gedichtes von beiden Seiten etwas Läßliches hatte und einen gemessenen Gang erlaubte, welcher dem epischen Gedichte so wohl ansteht. Die älteren Schweizer und deren treue Repräsentanten, an Besitzung, Ehre, Leib und Ansehn verletzt, sollten das sittlich Leidenschaftliche zur inneren Gärung, Bewegung und endlichem Ausbruch treiben, indes jene beiden Figuren persönlich gegeneinander zu stehen und unmittelbar aufeinander zu wirken hatten.

Diese Gedanken und Einbildungen, sosehr sie mich auch beschäftigt und sich zu einem reifen Ganzen gebildet hatten, gefielen mir, ohne daß ich zur Ausführung mich hätte bewegt gefunden. Die deutsche Prosodie, insofern sie die alten Silbenmaße nachbildete, ward, anstatt sich zu regeln, immer problematischer; die anerkannten Meister solcher Künste und Künstlichkeiten lagen bis zur Feindschaft in Widerstreit. Hierdurch ward das Zweifelhafte noch ungewisser; mir aber, wenn ich etwas vorhatte, war es unmöglich, über die Mittel erst zu denken, wodurch der Zweck zu erreichen wäre; jene mußten mir schon bei der Hand sein, wenn ich diesen nicht alsobald aufgeben sollte.

Über dieses innere Bilden und äußere Unterlassen waren wir in das neue Jahrhundert eingetreten. Ich hatte mit Schiller [130] diese Angelegenheit oft besprochen und ihn mit meiner lebhaften Schilderung jener Felswände und gedrängten Zustände oft genug unterhalten, dergestalt daß sich bei ihm dieses Thema nach seiner Weise zurechtstellen und formen mußte. Auch er machte mich mit seinen Ansichten bekannt, und ich entbehrte nichts an einem Stoff, der bei mir den Reiz der Neuheit und des unmittelbaren Anschauens verloren hatte, und überließ ihm daher denselben gerne und förmlich, wie ich schon früher mit den »Kranichen des Ibykus« und manchem andern Thema getan hatte; da sich denn aus jener obigen Darstellung, verglichen mit dem Schillerischen Drama, deutlich ergibt, daß ihm alles vollkommen angehört und daß er mir nichts als die Anregung und eine lebendigere Anschauung schuldig sein mag, als ihm die einfache Legende hätte gewähren können.

Eine Bearbeitung dieses Gegenstandes ward immerfort, wie gewöhnlich, unter uns besprochen, die Rollen zuletzt nach seiner Überzeugung ausgeteilt, die Proben gemeinschaftlich vielfach und mit Sorgfalt behandelt; auch suchten wir in Kostüm und Dekoration nur mäßig, wiewohl schicklich und charakteristisch, zu verfahren, wobei, wie immer, mit unsern ökonomischen Kräften die Überzeugung zusammentraf, daß man mit allem Äußern mäßig verfahren, hingegen das Innere, Geistige so hoch als möglich steigern müsse. Überwiegt jenes, so erdrückt der einer jeden Sinnlichkeit am Ende doch nicht genugtuende Stoff alles das eigentlich höher Geformte, dessentwegen das Schauspiel eigentlich nur zulässig ist. Den 17. März war die Aufführung und durch diese erste wie durch die folgenden Vorstellungen, nicht weniger durch das Glück, welches dieses Werk durchaus machte, die darauf gewendete Sorgfalt und Mühe vollkommen gerechtfertigt und belohnt.

Der Verabredung mit Schiller gemäß, ein Repertorium unsers deutschen Theaters nach und nach zu bilden, versuchte ich mich an »Götz von Berlichingen«, ohne dem Zweck genugtun zu können. Das Stück blieb immer zu lang; in zwei Teile geteilt, war es unbequem, und der fließende historische Gang hinderte durchaus ein stationäres Interesse der Szenen, wie es[131] auf dem Theater gefordert wird. Indessen war die Arbeit angefangen und vollendet, nicht ohne Zeitverlust und sonstige Unbilden.

In diesen Zeiten meldete sich auch bei mir Graf Zenobio, um die fünfzig Karolin wieder zu empfangen, die er vor einigen Jahren bei mir niedergelegt hatte. Sie waren als Preis ausgesetzt für die beste Auflösung einer von ihm gestellten Frage, die ich gegenwärtig nicht mehr zu artikulieren wüßte, die aber auf eine wunderliche Weise da hinausging: wie es eigentlich von jeher mit der Bildung der Menschen und menschlicher Gesellschaft zugegangen sei. Man hätte sagen mögen, die Antwort sei in Herders »Ideen« und sonstigen Schriften der Art schon enthalten gewesen; auch hätte Herder in seinem früheren Vigor, um diesen Preis zu gewinnen, wohl noch einmal zu einem faßlichen Resümee seine Feder walten lassen.

Der gute, wohldenkende Fremde, der sich's um die Aufklärung der Menschen etwas wollte kosten lassen, hatte sich von der Universität Jena eine Vorstellung gemacht, als wenn es eine Akademie der Wissenschaften wäre. Von ihr sollten die eingekommenen Arbeiten durchgesehen und beurteilt werden. Wie sonderbar eine solche Forderung zu unsern Zuständen paßte, ist bald übersehen. Indessen besprach ich die Sache mit Schillern weitläufig, sodann auch mit Griesbach. Beide fanden die Aufgabe allzuweit umgreifend und doch gewissermaßen unbestimmt. In wessen Namen sollte sie ausgeschrieben, von wem sollte sie beurteilt werden, und welcher Behörde durfte man zumuten, die eingehenden Schriften, welche nicht anders als umfänglich sein konnten, selbst von dem besten Kopfe ausgearbeitet, durchzuprüfen? Der Konflikt zwischen den Anatoliern und Ökumeniern war damals lebhafter als jetzt; man fing an, sich zu überzeugen, daß das Menschengeschlecht überall unter gewissen Naturbedingungen habe entstehen können und daß jede so entstehende Menschenrasse sich ihre Sprache nach organischen Gesetzen habe erfinden müssen. Jene Frage nötigte nun, auf diese Anfänge hinzudringen. Entschied man sich fur eine Seite, so konnte der Aufsatz keinen allgemeinen Beifall [132] erwarten; schwanken zwischen beiden war nicht ein leichtes. Genug, nach vielen Hin- und Widerreden ließ ich Preis und Frage ruhen, und vielleicht hatte unser Mäzen in der Zwischenzeit andere Gedanken gefaßt und glaubte sein Geld besser anwenden zu können, welches aus meiner Verwahrung und Verantwortung loszuwerden für mich ein angenehmes Ereignis war.

1805

Also ward auch dieses Jahr mit den besten Vorsätzen und Hoffnungen angefangen und zumal »Demetrius« umständlich öfters besprochen. Weil wir aber beide durch körperliche Gebrechen öfters in den Hauptarbeiten gestört wurden, so setzte Schiller die Übertragung der »Phädra«, ich die des »Rameau« fort, wobei nicht eigne Produktion verlangt, sondern unser Talent durch fremde, schon vollendete Werke aufgeheitert und angeregt wurde.

Ich ward bei meiner Arbeit aufgemuntert, ja genötigt, die französische Literatur wieder vorzunehmen und zu Verständnis des seltsamen, frechen Büchleins manche, für uns Deutsche wenigstens, völlig verschollene Namen in charakteristischen Bildern abermals zu beleben. Musikalische Betrachtungen rief ich auch wieder hervor, obgleich diese mir früher so angenehme Beschäftigung lange geschwiegen hatte. Und so benutzte ich manche Stunde, die mir sonst in Leiden und Ungeduld verlorengegangen wäre. Durch einen sonderbar glücklichen Zufall traf zu gleicher Zeit ein Franzose hier ein, namens Texier, welcher sein Talent, französische Komödien mit abwechselnder Stimme, wie ihre Schauspieler sie vortragen, munter und geistreich vorzulesen, bei Hofe mehrere Abende hindurch zu bewundern gab; mir besonders zu Genuß und Nutzen, da ich Molièren, den ich höchlich schätzte, dem ich jährlich einige Zeit widmete, um eine wohlempfundene Verehrung immer wieder zu prüfen und zu erneuen, nunmehr in lebendiger Stimme von einem Landsmann vernahm, der, gleichfalls von einem so [133] großen Talente durchdrungen, mit mir in Hochschätzung desselben darstellend wetteiferte.

Schiller, durch den 30. Januar gedrängt, arbeitete fleißig an »Phädra«, die auch wirklich am bestimmten Tage aufgeführt ward und hier am Orte wie nachher auswärts bedeutenden Schauspielerinnen Gelegenheit gab, sich hervorzutun und ihr Talent zu steigern.

Indessen war ich durch zwei schreckhafte Vorfälle, durch zwei Brände, welche in wenigen Abenden und Nächten hintereinander entstanden und wobei ich jedesmal persönlich bedroht war, in mein Übel, aus dem ich mich zu retten strebte, zurückgeworfen. Schiller fühlte sich von gleichen Banden umschlungen. Unsere persönlichen Zusammenkünfte waren unterbrochen; wir wechselten fliegende Blätter. Einige im Februar und März von ihm geschriebene zeugen noch von seinen Leiden, von Tätigkeit, Ergebung und immer mehr schwindender Hoffnung. Anfangs Mai wagt ich mich aus, ich fand ihn im Begriff, ins Schauspiel zu gehen, wovon ich ihn nicht abhalten wollte: Ein Mißbehagen hinderte mich, ihn zu begleiten, und so schieden wir vor seiner Haustüre, um uns niemals wiederzusehen. Bei dem Zustande meines Körpers und Geistes, die, um aufrecht zu bleiben, aller eigenen Kraft bedurften, wagte niemand, die Nachricht von seinem Scheiden in meine Einsamkeit zu bringen. Er war am Neunten verschieden und ich nun von allen meinen Übeln doppelt und dreifach angefallen.

Als ich mich ermannt hatte, blickt ich nach einer entschiedenen großen Tätigkeit umher; mein erster Gedanke war, den »Demetrius« zu vollenden. Von dem Vorsatz an bis in die letzte Zeit hatten wir den Plan öfters durchgesprochen: Schiller mochte gern unter dem Arbeiten mit sich selbst und andern für und wider streiten, wie es zu machen wäre; er ward ebensowenig müde, fremde Meinungen zu vernehmen, wie seine eigenen hin und her zu wenden. Und so hatte ich alle seine Stücke, vom »Wallenstein« an, zur Seite begleitet, meistenteils friedlich und freundlich, ob ich gleich manchmal, zuletzt wenn es zur Aufführung kam, gewisse Dinge mit Heftigkeit bestritt, [134] wobei denn endlich einer oder der andere nachzugeben für gut fand. So hatte sein aus- und aufstrebender Geist auch die Darstellung des »Demetrius« in viel zu großer Breite gedacht; ich war Zeuge, wie er die Exposition in einem Vorspiel bald dem Wallensteinischen, bald dem Orleanischen ähnlich ausbilden wollte, wie er nach und nach sich ins Engere zog, die Hauptmomente zusammenfaßte und hie und da zu arbeiten anfing. Indem ihn ein Ereignis vor dem andern anzog, hatte ich beirätig und mittätig eingewirkt, das Stück war mir so lebendig als ihm. Nun brannt ich vor Begierde, unsere Unterhaltung, dem Tode zu Trutz, fortzusetzen, seine Gedanken, Ansichten und Absichten bis ins einzelne zu bewahren und ein herkömmliches Zusammenarbeiten bei Redaktion eigener und fremder Stücke hier zum letztenmal auf ihrem höchsten Gipfel zu zeigen. Sein Verlust schien mir ersetzt, indem ich sein Dasein fortsetzte. Unsere gemeinsamen Freunde hofft ich zu verbinden; das deutsche Theater, für welches wir bisher gemeinschaftlich, er dichtend und bestimmend, ich belehrend, übend und ausführend, gearbeitet hatten, sollte, bis zur Herankunft eines frischen ähnlichen Geistes, durch seinen Abschied nicht ganz verwaist sein. Genug, aller Enthusiasmus, den die Verzweiflung bei einem großen Verlust in uns aufregt, hatte mich ergriffen. Frei war ich von aller Arbeit, in wenigen Monaten hätte ich das Stück vollendet. Es auf allen Theatern zugleich gespielt zu sehen wäre die herrlichste Totenfeier gewesen, die er selbst sich und den Freunden bereitet hätte. Ich schien mir gesund, ich schien mir getröstet. Nun aber setzten sich der Ausführung mancherlei Hindernisse entgegen, mit einiger Besonnenheit und Klugheit vielleicht zu beseitigen, die ich aber durch leidenschaftlichen Sturm und Verworrenheit nur noch vermehrte; eigensinnig und übereilt gab ich den Vorsatz auf, und ich darf noch jetzt nicht an den Zustand denken, in welchen ich mich versetzt fühlte. Nun war mir Schiller eigentlich erst entrissen, sein Umgang erst versagt. Meiner künstlerischen Einbildungskraft war verboten, sich mit dem Katafalk zu beschäftigen, den ich ihm aufzurichten gedachte, der länger als [135] jener zu Messina das Begräbnis überdauern sollte; sie wendete sich nun und folgte dem Leichnam in die Gruft, die ihn gepränglos eingeschlossen hatte. Nun fing er mir erst an zu verwesen; unleidlicher Schmerz ergriff mich, und da mich körperliche Leiden von jeglicher Gesellschaft trennten, so war ich in traurigster Einsamkeit befangen. Meine Tagebücher melden nichts von jener Zeit; die weißen Blätter deuten auf den hohlen Zustand, und was sonst noch an Nachrichten sich findet, zeugt nur, daß ich den laufenden Geschäften ohne weitern Anteil zur Seite ging und mich von ihnen leiten ließ, anstatt sie zu leiten. Wie oft mußt ich nachher im Laufe der Zeit still bei mir lächeln, wenn teilnehmende Freunde Schillers Monument in Weimar vermißten; mich wollte fort und fort bedünken, als hätt ich ihm und unserm Zusammensein das erfreulichste stiften können.

Die Übersetzung von »Rameaus Neffen« war noch durch Schillern nach Leipzig gesandt. Einige geschriebene Hefte der »Farbenlehre« erhielt ich nach seinem Tode zurück. Was er bei angestrichenen Stellen einzuwenden gehabt, konnt ich mir in seinem Sinne deuten, und so wirkte seine Freundschaft vom Totenreiche aus noch fort, als die meinige unter die Lebendigen sich gebannt sah.

Die einsame Tätigkeit mußt ich nun auf einen andern Gegenstand werfen. Winckelmanns Briefe, die mir zugekommen waren, veranlaßten mich, über diesen herrlichen, längst vermißten Mann zu denken und, was ich über ihn seit so viel Jahren im Geist und Gemüt herumgetragen, ins Enge zu bringen. Manche Freunde waren schon früher zu Beiträgen aufgefordert, ja Schiller hatte versprochen, nach seiner Weise teilzunehmen.

Nun aber darf ich es wohl als die Fürsorge eines gutgesinnten Genius preisen, daß ein vorzüglich geschätzter und verehrter Mann, mit dem ich früher nur in den allgemeinen Verhältnissen eines gelegentlichen Briefwechsels und Umgangs gestanden, sich mir näher anzuschließen Veranlassung fühlte. ProfessorWolf aus Halle bewährte seine Teilnahme an Winckelmann und dem, was ich für sein Andenken zu tun gedachte, [136] durch Übersendung eines Aufsatzes, der mir höchlich willkommen war, ob er ihn gleich für unbefriedigend erklärte. Schon im März des Jahres hatte er sich bei uns angekündigt, die sämtlichen weimarischen Freunde freuten sich, ihn abermals in ihrem Kreise zu besitzen, den er leider um ein edles Mitglied vermindert und uns alle in tiefer Herzenstrauer fand als er am 30. Mai in Weimar anlangte, begleitet von seiner jüngeren Tochter, die in allen Reizen der frischen Jugend mit dem Frühling wetteiferte. Ich konnte den werten Mann gastfreundlich aufnehmen und so mit ihm höchst erfreulich belehrende Stunden zubringen. Da nun in so vertraulichem Verhältnis jeder offen von demjenigen sprach, was ihm zunächst am Herzen lag, so tat sich sehr bald die Differenz entschieden hervor, die zwischen uns beiden obwaltete. Hier war sie von anderer Art als diejenige, welche mich mit Schiller, anstatt zu entzweien, innigst vereinigte. Schillers ideeller Tendenz konnte sich meine reelle gar wohl nähern, und weil beide vereinzelt doch nicht zu ihrem Ziele gelangen, so traten beide zuletzt in einem lebendigen Sinne zusammen.

Wolf dagegen hatte sein ganzes Leben den schriftlichen Überlieferungen des Altertums gewidmet, sie, insofern es möglich war, in Handschriften oder sonst in Ausgaben genau untersucht und verglichen. Sein durchdringender Geist hatte sich der Eigenheit der verschiedenen Autoren, wie sie sich nach Orten und Zeiten ausspricht, dergestalt bemächtigt, sein Urteil auf den höchsten Grad geschärft, daß er in dem Unterschied der Sprache und des Stils zugleich den Unter schied des Geistes und des Sinnes zu entdecken wußte, und dies vom Buchstaben, von der Silbe hinauf bis zum rhythmischen und prosaischen Wohlklang, von der einfachen Wortfügung bis zur mannigfaltigen Verflechtung der Sätze.

War es daher ein Wunder, daß ein so großes Talent, das mit solcher Sicherheit in diesem Elemente sich erging, mit einer fast magischen Gewandtheit Tugenden und Mängel zu erkennen und einem jeden seine Stelle nach Ländern und Jahren anzuweisen verstand und so im höchsten Grade die Vergangenheit[137] sich vergegenwärtigen konnte! – War es also ein Wunder, daß ein solcher Mann dergleichen durchgreifende Bemühungen auf das höchste schätzen und die daraus entspringenden Resultate für einzig halten mußte! Genug, aus seinen Unterhaltungen ging hervor: er achte das nur einzig für geschichtlich, für wahrhaft glaubwürdig, was durch geprüfte und zu prüfende Schrift aus der Vorzeit zu uns herübergekommen sei.

Dagegen hatten die Weimarischen Freunde mit denselben Überzeugungen einen andern Weg eingeschlagen; bei leidenschaftlicher Neigung für bildende Kunst mußten sie gar bald gewahr werden, daß auch hier das Geschichtliche sowohl der Grund eines jeden Urteils als einer praktischen Nacheiferung werden könne. Sie hatten daher sowohl alte als neuere Kunst auf ihrem Lebenswege immer geschichtlich zu betrachten sich gewöhnt und glaubten auch von ihrer Seite sich gar manches Merkmals bemächtigt zu haben, woran sich Zeit und Ort, Meister und Schüler, Ursprüngliches und Nachgeahmtes, Vorgänger und Nachfolger füglich unterscheiden ließen.

Wenn nun im lebhaftesten Gespräche beide Arten, die Vergangenheit sich zu vergegenwärtigen, zur Sprache kamen, so durften die Weimarischen Kunstfreunde sich wohl gegen den trefflichen Mann im Vorteil dünken, da sie seinen Studien und Talenten volle Gerechtigkeit widerfahren ließen, ihren Geschmack an dem seinigen schärften, mit ihrem geistigen Vermögen seinem Geiste nachzudringen suchten und sich also im höheren Sinne auferbaulich bereicherten. Dagegen leugnete er hartnäckig die Zulässigkeit ihres Verfahrens, und es fand sich kein Weg, ihn vom Gegenteil zu überzeugen: denn es ist schwer, ja unmöglich, demjenigen, der nicht aus Liebe und Leidenschaft sich irgendeiner Betrachtung gewidmet hat und dadurch auch nach und nach zur genauern Kenntnis und zur Vergleichungsfähigkeit gelangt ist, auch nur eine Ahnung des zu Unterscheidenden aufzuregen, weil denn doch immer zuletzt in solchem Falle an Glauben, an Zutrauen Anspruch gemacht werden muß. Wenn wir ihm nun sehr willig zugaben, daß einige Reden Ciceros, vor denen wir den größten Respekt hatten, [138] weil sie zu unserm wenigen Latein uns behülflich gewesen waren, für später untergeschobenes Machwerk und keineswegs für sonderliche Redemuster zu achten seien, so wollte er uns dagegen keineswegs zugeben, daß man auch die überbliebenen Bildwerke nach einer gewissen Zeitfolge zuversichtlich ordnen könne.

Ob wir nun gleich gern einräumten, daß auch hier manches problematisch möchte liegenbleiben, wie denn ja auch der Schriftforscher weder sich selbst noch andere jederzeit völlig befriedigen werde, so konnten wir doch niemals von ihm erlangen, daß er unseren Dokumenten gleiche Gültigkeit mit den seinigen, unserer durch Übung erworbenen Sagazität gleichen Wert wie der seinigen zugestanden hätte. Aber eben aus diesem hartnäckigen Konflikt ging für uns der bedeutende Vorteil hervor, daß alle die Argumente für und wider auf das entschiedenste zur Sprache kamen und es denn nicht fehlen konnte, daß jeder, indem er den andern zu erleuchten trachtete, bei sich selbst auch heller und klarer zu werden bestrebt sein mußte.

Da nun allen diesen Bestrebungen Wohlwollen, Neigung, Freundschaft, wechselseitiges Bedürfnis zum Grunde lag, weil beide Teile währender Unterhaltung noch immer ein Unendliches von Kenntnis und Bestreben vor sich sahen, so herrschte in der ganzen Zeit eines längeren Zusammenseins eine aufgeregte Munterkeit, eine heftige Heiterkeit, die kein Stillstehen duldete und innerhalb desselben Kreises immer neue Unterhaltung fand.

Nun aber mußte, indem von der ältern Kunstgeschichte die Rede war, der Name Phidias oft genug erwähnt werden, der so gut der Welt- als der Kunstgeschichte angehört: denn was wäre die Welt ohne Kunst? Und so ergab sich's ganz natürlich, daß der beiden Kolossalköpfe der Dioskuren von Monte Cavallo als in Rudolstadt befindlich gedacht wurde. Der unglaubige Freund nahm hievon Gelegenheit zu einer Spazierfahrt als Beweis des guten Willens, sich uns zu nähern, allein, wie vorauszusehen war, ohne sonderlichen Erfolg: denn er [139] fand leider die beiden Riesenköpfe, für welche man bis jetzt keinen schicklichen Raum finden können, an der Erde stehen, da denn nur dem liebevollsten Kenner ihre Trefflichkeit hätte entgegenleuchten mögen, indem jedes faßliche Anschauen ihrer Vorzüge versagt war. Wohl aufgenommen von dem dortigen Hofe, vergnügte er sich in den bedeutend schönen Umgebungen, und so kam er nach einem Besuch in Schwarzburg mit seinem Begleiter, Freund Meyer, vergnügt und behaglich, aber nicht überzeugt zurück.

Die Weimarischen Kunstfreunde hatten sich bei dem Aufenthalt dieses höchst werten Mannes so viel Fremdes zugeeignet, so viel Eigenes aufgeklärt und geordnet, daß sie in mehr als einem Sinne sich gefördert finden mußten, und da nun ihr Gast noch außerdem lebenslustig als teilnehmender Gesellschafter sich erwies, so war durch ihn der ganze Kreis auf das schönste belebt, und auch er kehrte mit heiterem Sinne und mit dringender Einladung zu einem baldigen Gegenbesuch in Halle wohlgemut nach Hause zurück.

Ich hatte daher die schönste Veranlassung, abermals nach Lauchstädt zu gehen, obgleich das Theater mich eigentlich nicht hinforderte. Das Repertorium enthielt so manches dort noch nicht gesehene Gute und Treffliche, so daß wir mit dem anlockenden Worte »Zum ersten Male« gar manchen unserer Anschläge zieren konnten. Möge hier den Freunden der Theatergeschichte zuliebe die damalige Konstellation vorgeführt werden, womit wir in jener Sphäre zu glänzen suchten. Als meistens neu oder doch sehr beliebt erschienen an Trauer- und Heldenspielen:»Othello«, »Regulus«, »Wallenstein«, »Nathan der Weise«, »Götz von Berlichingen«, »Jungfrau von Orleans«, »Johanna von Montfaucon«. Ebenmäßig führte man an Lust- und Gefühlspielen folgende vor:»Lorenz Stark«, »Beschämte Eifersucht«, »Mitschuldige«, »Laune des Verliebten«, »Die beiden Klingsberge«, »Hussiten« und »Pagenstreiche«. An Singspielen wurden vorgetragen: »Saalnixe«, »Cosa Rara«, »Fanchon«, »Unterbrochenes Opferfest«, »Schatzgräber«, »Soliman der Zweite«, zum Schlusse sodann das »Lied [140] von der Glocke«, als ein wertes und würdiges Andenken des verehrten Schiller, da einer beabsichtigten eigentlichen Feier sich mancherlei Hindernisse entgegenstellten.

Bei einem kurzen Aufenthalt in Lauchstädt suchte ich daher vorzüglich dasjenige zu besorgen, was an Baulichkeiten und sonstigen Lokalitäten, nicht weniger, was mit dortigen Beamten zu verabreden und festzustellen war, und begab mich darauf nach Halle, wo ich in dem Hause meines Freundes die gastlichste Aufnahme fand. Die vor kurzem abgebrochene Unterhaltung ward lebhaft fortgesetzt und nach vielen Seiten hin erweitert: denn da ich hier den unablässig arbeitenden Mann mitten in seiner täglichen, bestimmten, manchmal aufgenötigten Tätigkeit fand, so gab es tausend Gelegenheiten, einen neuen Gegenstand, eine verwandte Materie, irgendeine ins Leben eingreifende Handlung zum Text geistreicher Gespräche aufzufassen, wobei denn der Tag und halbe Nächte schnell vorübergingen, aber bedeutenden Reichtum zurückließen.

Hatte ich nun an ihm die Gegenwart eines ungeheuren Wissens zu bewundern, so war ich doch auch neugierig zu vernehmen, wie er das einzelne an die Jugend methodisch und eingänglich überliefere. Ich hörte daher, durch seine liebenswürdige Tochter geleitet, hinter einer Tapetentüre seinem Vortrag mehrmals zu, wo ich denn alles, was ich von ihm erwarten konnte, in Tätigkeit fand: eine aus der Fülle der Kenntnis hervortretende freie Überlieferung, aus gründlichstem Wissen mit Freiheit, Geist und Geschmack sich über die Zuhörer verbreitende Mitteilung.

Was ich unter solchen Verhältnissen und Zuständen gewonnen, läßt sich nicht übersehen; wie einflußreich diese wenigen Monate auf mein Leben gewesen, wird aber der Verständige im allgemeinen mitempfinden können.

Hierauf nun erwartete mich in einem andern Fache eine höchst durchgreifende Belehrung. Dr. Gall begann seine Vorlesungen in den ersten Tagen des August, und ich gesellte mich zu den vielen sich an ihn herandrängenden Zuhörern. [141] Seine Lehre mußte gleich, so wie sie bekannt zu werden anfing, mir dem ersten Anblicke nach zusagen. Ich war gewohnt, das Gehirn von der vergleichenden Anatomie her zu betrachten, wo schon dem Auge kein Geheimnis bleibt, daß die verschiedenen Sinne als Zweige des Rückenmarks ausfließen und erst einfach, einzeln zu erkennen, nach und nach aber schwerer zu beobachten sind, bis allmählich die angeschwollene Masse Unterschied und Ursprung völlig verbirgt. Da nun ebendiese organische Operation sich in allen Systemen des Tiers von unten auf wiederholt und sich vom Greiflichen bis zum Unbemerkbaren steigert, so war mir der Hauptbegriff keineswegs fremd, und sollte Gall, wie man vernahm, auch, durch seinen Scharfblick verleitet, zu sehr ins Spezifische gehen, so hing es ja nur von uns ab, ein scheinbar paradoxes Absondern in ein faßlicher Allgemeines hinüberzuheben. Man konnte den Mord-, Raub- und Diebsinn so gut als die Kinder-, Freundes- und Menschenliebe unter allgemeinere Rubriken begreifen und also gar wohl gewisse Tendenzen mit dem Vorwalten gewisser Organe in Bezug setzen.

Wer jedoch das Allgemeine zum Grund legt, wird sich nicht leicht einer Anzahl wünschenswerter Schüler zu erfreuen haben; das Besondere hingegen zieht die Menschen an, und mit Recht: denn das Leben ist aufs Besondere angewiesen, und gar viele Menschen können im einzelnen ihr Leben fortsetzen, ohne daß sie nötig hätten, weiter zu gehen als bis dahin, wo der Menschenverstand noch ihren fünf Sinnen zu Hülfe kommt.

Beim Anfang seiner Vorträge brachte er einiges die Metamorphose der Pflanze Berührendes zur Sprache, so daß der neben mir sitzende Freund Loder mich mit einiger Verwunderung ansah; aber eigentlich zu verwundern war es, daß er, ob er gleich diese Analogie gefühlt haben mußte, in der Folge nicht wieder darauf zurückkam, da doch diese Idee gar wohl durch sein ganzes Geschäft hätte walten können.

Außer diesen öffentlichen, vorzüglich kraniologischen Belehrungen entfaltete er privatim das Gehirn selbst vor unsern Augen, wodurch denn meine Teilnahme sich steigerte. Denn [142] das Gehirn bleibt immer der Grund und daher das Hauptaugenmerk, da es sich nicht nach der Hirnschale, sondern diese nach jenem zu richten hat, und zwar dergestalt, daß die innere Diploe der Hirnschale vom Gehirn festgehalten und an ihre organische Beschränkung gefesselt wird; dagegen denn, bei genugsamem Vorrat von Knochenmasse, die äußere Lamina sich bis ins Monstrose zu erweitern und innerhalb so viele Kammern und Fächer auszubilden das Recht behauptet.

Galls Vortrag durfte man wohl als den Gipfel vergleichender Anatomie anerkennen, denn ob er gleich seine Lehre von dorther nicht ableitete und mehr von außen nach innen verfuhr, auch sich mehr eine Belehrung als eine Ableitung zum Zweck vorzusetzen schien, so stand doch alles mit dem Rückenmark in solchem Bezug, daß dem Geist vollkommene Freiheit blieb, sich nach seiner Art diese Geheimnisse auszulegen. Auf alle Weise war die Gallische Entfaltung des Gehirns in einem höheren Sinne als jene in der Schule hergebrachte, wo man etagen- oder segmentweise von oben herein durch bestimmten Messerschnitt von gewissen untereinander folgenden Teilen Anblick und Namen erhielt, ohne daß auf irgend etwas weiter daraus wäre zu folgern gewesen. Selbst die Basis des Gehirns, die Ursprünge der Nerven blieben Lokalkenntnisse, denen ich, so ernst mir es auch war, nichts abgewinnen konnte, weshalb auch noch vor kurzem die schönen Abbildungen von Vicq d'Azyr mich völlig in Verzweiflung gesetzt hatten.

Dr. Gall war in der Gesellschaft, die mich so freundlich aufgenommen hatte, gleichfalls mit eingeschlossen, und so sahen wir uns täglich, fast stündlich, und das Gespräch hielt sich immer in dem Kreise seiner bewündernswürdigen Beobachtung; er scherzte über uns alle und behauptete meinem Stirnbau zufolge: ich könne den Mund nicht auftun, ohne einen Tropus auszusprechen; worauf er mich denn freilich jeden Augenblick ertappen konnte. Mein ganzes Wesen betrachtet, versicherte er ganz ernstlich, daß ich eigentlich zum Volksredner geboren sei. Dergleichen gab nun zu allerlei scherzhaften Bezügen Gelegenheit, und ich mußte es gelten lassen, [143] daß man mich mit Chrysostomus in eine Reihe zu setzen beliebte.

Nun mochte freilich solche geistige Anstrengung, verflochten in geselliges Wohlleben, meinen körperlichen Zuständen nicht eben zusagen; es überfiel mich ganz unversehens der Paroxysmus eines herkömmlichen Übels, das, von den Nieren ausgehend, sich von Zeit zu Zeit durch krankhafte Symptome schmerzlich ankündigte. Es brachte mir diesmal den Vorteil einer größern Annäherung an Bergrat Reil, welcher, als Arzt mich behandelnd, mir zugleich als Praktiker, als denkender, wohlgesinnter und anschauender Mann bekannt wurde. Wie sehr er sich meinen Zustand angelegen sein ließ, davon gibt ein eingenhändiges Gutachten Zeugnis, welches vom 17. September dieses Jahrs unter meinen Papieren noch mit Achtung verwahrt wird.

Dr. Galls ferneren Unterricht sollte ich denn auch nicht vermissen; er hatte die Gefälligkeit, den Apparat jeder Vorlesung auf mein Zimmer zu schaffen und mir, der ich durch mein Übel an höherer Beschauung und Betrachtung nicht gehindert war, sehr auslangende Kenntnis und Übersicht seiner Überzeugungen mitzuteilen.

Dr. Gall war abgegangen und besuchte Göttingen, wir aber wurden durch die Aussicht eines eigenen Abenteuers angezogen. Der wunderliche, in manchem Sinne viele Jahre durch schon bekannte problematische Mann, Hofrat Beireis in Helmstedt, war mir schon so oft genannt, seine Umgebung, sein merkwürdiger Besitz, sein sonderbares Betragen sowie das Geheimnis, das über allem diesem waltete, hatte schon längst auf mich und meine Freunde beunruhigend gewirkt, und man mußte sich schelten, daß man eine so einzig merkwürdige Persönlichkeit, die auf eine frühere, vorübergehende Epoche hindeutete, nicht mit Augen gesehen, nicht im Umgang einigermaßen erforscht habe. Professor Wolf war in demselbigen Falle, und wir beschlossen, da wir den Mann zu Hause wußten, eine Fahrt nach ihm, der wie ein geheimnisvoller Greif über außerordentlichen und kaum denkbaren Schätzen waltete. [144] Mein humoristischer Reisegefährte erlaubte gern, daß mein vierzehnjähriger Sohn August teil an dieser Fahrt nehmen durfte, und dieses geriet zur besten geselligen Erheiterung; denn indem der tüchtige, gelehrte Mann den Knaben unausgesetzt zu necken sich zum Geschäft machte, so durfte dieser des Rechts der Notwehr, welche denn auch, wenn sie gelingen soll, offensiv verfahren muß, sich zu bedienen und wie der Angreifende auch wohl manchmal die Grenze überschreiten zu können glauben, wobei sich denn wohl mitunter die wörtlichen Neckereien in Kitzeln und Balgen zu allgemeiner Heiterkeit, obgleich im Wagen etwas unbequem, zu steigern pflegten. Nun machten wir halt in Bernburg, wo der würdige Freund gewisse Eigenheiten in Kauf und Tausch nicht unterließ, welche der junge, lose Vogel, auf alle Handlungen seines Gegners gespannt, zu bemerken, hervorzuheben und zu bescherzen nicht er mangelte.

Der ebenso treffliche als wunderliche Mann hatte auf alle Zöllner einen entschiedenen Haß geworfen und konnte sie, selbst wenn sie ruhig und mit Nachsicht verfuhren, ja wohl eben deshalb, nicht ungehudelt lassen, woraus denn unangenehme Begebenheiten beinahe entstanden wären.

Da nun aber auch dergleichen Abneigungen und Eigenheiten uns in Magdeburg vom Besuch einiger verdienten Männer abhielten, so beschäftigte ich mich vorzüglich mit den Altertümern des Doms, betrachtete die plastischen Monumente, vorzüglich die Grabmäler. Ich spreche nur von drei bronzenen derselben, welche für drei Erzbischöfe von Magdeburg errichtet waren. Adelbert II., nach 1403, steif und starr, aber sorgfältig und einigermaßen natürlich, unter Lebensgröße. Friedrich, nach 1464, über Lebensgröße, natur- und kunstgemäßer. Ernst, mit der Jahrzahl 1499, ein unschätzbares Denkmal von Peter Vischer, das wenigen zu vergleichen ist. Hieran konnte ich mich nicht genug erfreuen: denn wer einmal, auf die Zunahme der Kunst, auf deren Abnahme, Ausweichen zur Seite. Rückkehr in den rechten Weg, Herrschaft einer Hauptepoche, Einwirkung der Individualitäten gerichtet, Aug [145] und Sinn darnach gebildet hat, der findet kein Zwiegespräch belehrender und unterhaltender als das schweigsame in einer Folge von solchen Monumenten. Ich verzeichnete meine Bemerkungen sowohl zur Übung als Erinnerung und finde die Blätter noch mit Vergnügen unter meinen Papieren; doch wünschte ich nichts mehr in diesen Stunden, als daß eine genaue Nachbildung, besonders des herrlichen Vischerschen Monuments, vorhanden sein möge. (Ist späterhin lobenswürdig mitgeteilt worden.)

Stadt, Festung und, von den Wällen aus, die Umgegend ward mit Aufmerksamkeit und Teilnahme betrachtet; besonders verweilte mein Blick lange auf der großen Baumgruppe, welche nicht allzu fern, die Fläche zu zieren, ehrwürdig dastand. Sie beschattete Kloster Berge, einen Ort, der mancherlei Erinnerungen aufrief. Dort hatte Wieland in allen konzentrierten jugendlichen Zartgefühlen gewandelt, zu höherer literarischen Bildung den Grund gelegt; dort wirkte AbtSteinmetz in frommem Sinne, vielleicht einseitig, doch redlich und kräftig. Und wohl bedarf die Welt in ihrer unfrommen Einseitigkeit auch solcher Licht- und Wärmequellen, um nicht durchaus im egoistischen Irrsale zu erfrieren und zu verdursten.

Bei wiederholten Besuchen des Doms bemerkten wir einen lebhaften Franzosen in geistlicher Kleidung, der, von dem Küster umhergeführt, sich mit seinen Gefährten sehr laut unterhielt, indessen wir als Eingewohnte unsere stillen Zwecke verfolgten. Wir erfuhren, es sei der Abbé Grégoire, und ob ich gleich sehr neugierig war, mich ihm zu nähern und eine Bekanntschaft anzuknüpfen, so wollte doch mein Freund, aus Abneigung gegen den Gallier, nicht einwilligen, und wir begnügten uns, in einiger Ferne beschäftigt, sein Betragen genauer zu bemerken und seine Urteile, die er laut aussprach, zu vernehmen.

Wir verfolgten unsern Weg, und da der Übergang aus einer Flußregion in die andere immer der Hauptaugenmerk mein, des Geognosten, war, so fielen mir die Sandsteinhöhen auf, die nun, statt nach der Elbe, nach der Weser hindeuteten. [146] Helmstedt selbst liegt ganz freundlich, der Sand ist dort, wo ein geringes Wasser fließt, durch Gärten und sonst anmutige Umgebung gebändigt. Wer nicht gerade den Begriff einer lebhaften deutschen Akademie mitbringt, der wird angenehm überrascht sein, in einer solchen Lage eine ältere, beschränkte Studienanstalt zu finden, wo auf dem Fundament eines frühern Klosterwesens Lehrstühle späterer Art gegründet worden, wo gute Pfründen einen behaglichen Sitz darbieten, wo alträumliche Gebäude einem anständigen Haushalt, bedeutenden Bibliotheken, ansehnlichen Kabinetten hinreichenden Platz gewähren und eine stille Tätigkeit desto emsiger schriftstellerisch wirken kann, als eine geringe Versammlung von Studierenden nicht jene Hast der Überlieferung fordert, die uns auf besuchten Akademien nur übertäubt.

Das Personal der Lehrer war auf alle Weise bedeutend; ich darf nur die Namen Henke, Pott, Lichtenstein, Crell, Bruns und Bredow nennen, so weiß jedermann den damaligen Zirkel zu schätzen, in welchem die Reisenden sich befanden. Gründliche Gelehrsamkeit, willige Mitteilungen, durch immer nachwachsende Jugend erhaltene Heiterkeit des Umgangs, frohe Behaglichkeit bei ernsten und zweckmäßigen Beschäftigungen, das alles wirkte so schon ineinander, wozu noch die Frauen mitwirkten, ältere durch gastfreie Häuslichkeit, jüngere Gattinnen mit Anmut, Töchter in aller Liebenswürdigkeit, sämtlich nur einer allgemeinen einzigen Familie anzugehören scheinend. Eben die großen Räume altherkömmlicher Häuser erlaubten zahlreiche Gastmahle und die besuchtesten Feste.

Bei einem derselben zeigte sich auch der Unterschied zwischen mir und meinem Freunde. Am Ende einer reichlichen Abendtafel hatte man uns beiden zwei schön geflochtene Kränze zugedacht; ich hatte dem schönen Kinde, das mir ihn aufsetzte, mit einem lebhaft erwiderten Kuß gedankt und mich eitel genug gefreut, als ich in ihren Augen das Bekenntnis zu lesen schien, daß ich ihr so geschmückt nicht mißfalle. Indessen sträubte sich mir gegenüber der eigensinnige Gast gegen seine lebensmutige Gönnerin gar widerspenstig, und wenn auch der [147] Kranz unter solchem Ziehen und Zerren nicht ganz entstellt wurde, so mußte doch das liebe Kind sich einigermaßen beschämt zurückziehen, daß sie ihn nicht losgeworden war.

Über so vieles Anmutige hätten wir nun fast den Zweck vergessen können, der uns eigentlich hieher geführt hatte; allein Beireis belebte durch seine heitere Gegenwart jedes Fest. Nicht groß, wohl und beweglich gebaut, konnte man eben die Legenden seiner Fechterkünste gelten lassen; eine unglaublich hohe und gewölbte Stirn, ganz in Mißverhältnis der untern, fein zusammengezogenen Teile, deutete auf einen Mann von besondern Geisteskräften, und in so hohen Jahren konnt er sich fürwahr einer besonders muntern und ungeheuchelten Tätigkeit erfreuen.

In Gesellschaften, besonders aber bei Tische, gab er seiner Galanterie die ganz eigene Wendung, daß er sich als ehemaliger Verehrer der Mutter, als jetziger Freier der Tochter oder Nichte ungezwungen darzustellen wußte, und man ließ sich dieses oft wiederholte Märchen gern gefallen, weil zwar niemand auf den Besitz seiner Hand, wohl aber mancher gern auf einen Anteil an seinem Nachlaß Anspruch gemacht hätte.

Angemeldet wie wir waren, bot er uns alle Gastfreundschaft an: Eine Aufnahme in sein Haus lehnten wir ab, dankbar aber ließen wir uns einen großen Teil des Tags bei ihm unter seinen Merkwürdigkeiten gefallen.

Gar manches von seinen früheren Besitzungen, das sich dem Namen und dem Ruhme nach noch lebendig erhalten hatte, war in den jämmerlichsten Umständen; die Vaucansonischen Automaten fanden wir durchaus paralysiert. In einem alten Gartenhause saß der Flötenspieler in sehr unscheinbaren Kleidern; aber er flötete nicht mehr, und Beireis zeigte die ursprüngliche Walze vor, deren erste einfache Stückchen ihm nicht genügt hatten. Dagegen ließ er eine zweite Walze sehen, die er von jahrelang im Hause unterhaltenen Orgelkünstlern unternehmen lassen, welche aber, da jene zu früh geschieden, nicht vollendet noch an die Stelle gesetzt werden können, weshalb denn der Flötenspieler gleich anfangs verstummte. Die [148] Ente, unbefiedert, stand als Gerippe da, fraß den Haber noch ganz munter, verdaute jedoch nicht mehr. An allem dem ward er aber keineswegs irre, sondern sprach von diesen veralteten, halbzerstörten Dingen mit solchem Behagen und so wichtigem Ausdruck, als wenn seit jener Zeit die höhere Mechanik nichts frisches Bedeutenderes hervorgebracht hätte.

In einem großen Saale, der Naturgeschichte gewidmet, wurde gleichfalls die Bemerkung rege, daß alles, was sich selbst erhält, bei ihm gut aufgehoben sei. So zeigte er einen sehr kleinen Magnetstein vor, der ein großes Gewicht trug, einen echten Prehniten vom Kap von größter Schönheit und sonstige Mineralien in vorzüglichen Exemplaren.

Aber eine in der Mitte des Saals gedrängt stehende Reihe ausgestopfter Vögel zerfielen unmittelbar durch Mottenfraß so daß Gewürm und Federn auf den Gestellen selbst aufgehäuft lagen. Er bemerkte dies auch und versicherte, es sei eine Kriegslist: denn alle Motten des Hauses zögen sich hieher, und die übrigen Zimmer blieben von diesem Geschmeiße rein. In geordneter Folge kamen denn nach und nach die sieben Wunder von Helmstedt zutage, die Lieberkühnischen Präparate sowie die Hahnische Rechenmaschine. Von jenen wurden einige wirklich bewundernswürdige Beispiele vorgewiesen, an dieser komplizierte Exempel einiger Spezies durchgeführt. Das magische Orakel jedoch war verstummt; Beireis hatte geschworen, die gehorsame Uhr nicht wieder aufzuziehn, die auf seine, des Entferntstehenden, Befehle bald stillhielt, bald fortging. Ein Offizier, den man wegen Erzählung solcher Wunder Lügen gestraft, sei im Duell erstochen worden, und seit der Zeit habe er sich fest vorgenommen, seine Bewunderer nie solcher Gefahr wieder auszusetzen noch die Ungläubigen zu so übereilten Greueltaten zu veranlassen.

Nach dem bisher Erzählten darf man nun wohl sich einige Bemerkungen erlauben. Beireis, im Jahre 1730 geboren, fühlte sich als trefflicher Kopf eines weit umfassenden Wissens fähig und zu vielseitiger Ausübung geschickt. Den Anregungen seiner Zeit zufolge bildete er sich zum Polyhistor; seine Tätigkeit [149] widmete er der Heilkunde, aber bei dem glücklichsten, alles festhaltenden Gedächtnis konnte er sich anmaßen, in den sämtlichen Fakultäten zu Hause zu sein, jeden Lehrstuhl mit Ehre zu betreten. Seine Unterschrift in meines Sohnes Stammbuch lautet folgendermaßen:


Godofredus Christophorus Beireis,

Primarius Professor Medicinae, Chemiae, Chirurgiae, Pharmaceutices,

Physices, Botanices et reliquae Historiae naturalis.

Helmstadii a. d. XVII Augusti MDCCCV.


Aus dem bisher Vorgezeigten jedoch ließ sich einsehen, daß seine Sammlungen, dem naturhistorischen Teile nach, einen eigentlichen Zweck haben konnten, daß hingegen das, worauf er den meisten Wert legte, eigentlich Kuriositäten waren, die durch den hohen Kaufpreis Aufmerksamkeit und Bewunderung erregen sollten; wobei denn nicht vergessen wurde, daß bei Ankauf desselben Kaiser und Könige überboten worden.

Dem sei nun, wie ihm wolle, ansehnliche Summen mußten ihm zu Gebote stehn; denn er hatte, wie man wohl bemerken konnte, ebensosehr eine gelegene Zeit zu solchen Ankäufen abgewartet als auch, mehr denn andere vielleicht, sich sogleich zahlungsfähig erwiesen. Obgenannte Gegenstände zeigte er zwar mit Anteil und Behagen umständlich vor, allein die Freude daran schien selbst gewissermaßen nur historisch zu sein; wo er sich aber lebhaft, leidenschaftlich überredend und zudringlich bewies, war bei Vorzeigen seiner Gemälde, seiner neuesten Liebhaberei, in die er sich ohne die mindeste Kenntnis eingelassen hatte. Bis ins Unbegreifliche ging der Grad, womit er sich hierüber getäuscht hatte oder uns zu täuschen suchte, da er denn doch auch vor allen Dingen gewisse Kuriosa vorzustellen pflegte. Hier war ein Christus, bei dessen Anblick ein Göttinger Professor in den bittersten Tränenguß sollte ausgebrochen sein, sogleich darauf ein von einer englischen Dogge angebelltes, natürlich genug gemaltes Brot auf dem Tische der Jünger zu Emmaus, ein anderes aus dem Feuer wunderwürdig gerettetes Heiligenbild, und was dergleichen mehr sein mochte.

Die Art, seine Bilder vorzuweisen, war seltsam genug und [150] schien gewissermaßen absichtlich; sie hingen nämlich nicht etwa an den hellen, breiten Wänden seiner oberen Stockwerke wohlgenießbar nebeneinander, sie standen vielmehr in seinem Schlafzimmer um das große Thronhimmelbette, an den Wänden geschichtet, übereinander, von wo er, alle Hülfleistung ablehnend, sie selbst herholte und dahin wieder zurückbrachte. Einiges blieb in dem Zimmer um die Beschauer herumgestellt, immer enger und enger zog sich der Kreis zusammen, so daß freilich die Ungeduld unseres Reisegefährten, allzustark erregt, plötzlich ausbrach und sein Entfernen veranlaßte.

Es war mir wirklich angenehm, denn solche Qualen der Unvernunft ertragen sich leichter allein als in Gesellschaft eines einsichtigen Freundes, wo man bei gesteigertem Unwillen jeden Augenblick einen Ausbruch von einer oder der andern Seite befürchten muß.

Und wirklich war es auch zu stark, was Beireis seinen Gästen zumutete; er wußte sich nämlich damit am meisten, daß er von den größten namhaften Künstlern drei Stücke besitze, von der ersten, zweiten und letzten Manier, und wie er sie vorstellte und vortrug, war jede Art von Fassung, die dem Menschen zu Gebot stehen soll, kaum hinreichend, denn die Szene war lächerlich und ärgerlich, beleidigend und wahnsinnig zugleich.

Die ersten Lehrlingsproben eines Raffael, Tizian, Carracci, Correggio, Dominichin, Guido und von wem nicht sonst waren nichts weiter als schwache, von mäßigen Künstlern gefertigte, auch wohl kopierte Bilder. Hier verlangte er nun jederzeit Nachsicht gegen dergleichen Anfänge, rühmte aber mit Bewunderung in den folgenden die außerordentlichsten Fort schritte. Unter solchen der zweiten Epoche zugeschriebenen fand sich wohl manches Gute, aber von dem Namen, dem es zugeeignet worden, sowohl dem Talent als der Zeit nach himmelweit entfernt. Ebenso verhielt es sich mit den letzten, wo denn auch die leersten Phrasen, deren anmaßliche Unkenner sich bedienen, gar wohlgefällig vom Munde flossen.

Zum Beweis der Echtheit solcher und anderer Bilder zeigte [151] er die Auktionskatalogen vor und freute sich der gedruckten Lobpreisung jeder von ihm erstandenen Nummer. Darunter befanden sich zwar echte, aber stark restaurierte Originale; genug, an irgendeine Art von Kritik war bei diesem sonst werten und würdigen Manne gar nicht zu denken.

Hatte man nun die meiste Zeit alle Geduld und Zurückhaltung nötig, so ward man denn doch mitunter durch den Anblick trefflicher Bilder getröstet und belohnt.

Unschätzbar hielt ich Albrecht Dürers Porträt, von ihm selbst gemalt, mit der Jahrzahl 1493, also in seinem zweiundzwanzigsten Jahre, halbe Lebensgröße, Bruststück, zwei Hände, die Ellenbogen abgestutzt, purpurrotes Mützchen mit kurzen, schmalen Nesteln, Hals bis unter die Schlüsselbeine bloß, am Hemde gestickter Obersaum, die Falten der Ärmel mit pfirsichroten Bändern unterbunden, blaugrauer, mit gelben Schnüren verbrämter Überwurf, wie sich ein feiner Jüngling gar zierlich herausgeputzt hätte, in der Hand bedeutsam ein blaublühendes Eryngium, im Deutschen Mannstreue genannt, ein ernstes Jünglingsgesicht, keimende Barthaare um Mund und Kinn, das Ganze herrlich gezeichnet, reich und unschuldig, harmonisch in seinen Teilen, von der höchsten Ausführung, vollkommen Dürers würdig, obgleich mit sehr dünner Farbe gemalt, die sich an einigen Stellen zusammengezogen hatte.

Dieses preiswürdige, durchaus unschätzbare Bild, das ein wahrer Kunstfreund, im goldenen Rahmen eingefaßt, im schönsten Schränkchen aufbewahrt hätte, ließ er, das auf ein dünnes Brett gemalte, ohne irgendeinen Rahmen und Verwahrung. Jeden Augenblick sich zu spalten drohend, ward es unvorsichtiger als jedes andere hervorgeholt, auf- und wieder beiseite gestellt, nicht weniger die dringende Teilnahme des Gastes, die um Schonung und Sicherung eines solchen Kleinods flehte, gleichgültig abgelehnt; er schien sich wie Hofrat Büttner in einem herkömmlichen Unwesen eigensinnig zu gefallen.

Ferner gedenk ich eines geistreich frei gemalten Bildes von Rubens, länglich, nicht allzu groß, wie er sich's für solche ausgeführte [152] Skizzen liebte. Eine Hökenfrau, sitzend in der Fülle eines wohlversorgten Gemüskrams, Kohlhäupter und Salat aller Arten, Wurzeln, Zwiebeln aller Farben und Gestalten; sie ist eben im Handel mit einer stattlichen Bürgersfrau begriffen, deren behagliche Würde sich gar gut ausnimmt neben dem ruhig anbietenden Wesen der Verkäuferin, hinter welcher ein Knabe, soeben im Begriff, einiges Obst zu stehlen, von ihrer Magd mit einem unvorgesehenen Schlag bedroht wird. An der andern Seite, hinter der angesehenen Bürgersfrau, sieht man ihre Magd einen wohlgeflochtenen, mit Marktwaren schon einigermaßen versehenen Korb tragen, aber auch sie ist nicht müßig, sie blickt nach einem Burschen und scheint dessen Fingerzeig mit einem freundlichen Blick zu erwidern. Besser gedacht und meisterhafter ausgeführt war nicht leicht etwas zu schauen, und hätten wir nicht unsere jährlichen Ausstellungen abzuschließen festgestellt, so würden wir diesen Gegenstand, wie er hier beschrieben ist, als Preisaufgabe gesetzt haben, um die Künstler kennenzulernen, die, von der überhandnehmenden Verirrung auf Goldgrund noch unangesteckt, ins derbe, frische Leben Blick und Talent zu wenden geneigt wären.

Im kunstgeschichtlichen Sinne hatte denn auch Beireis bei Aufhebung der Klöster mehr als ein bedeutendes Bild gewonnen; ich betrachtete sie mit Anteil und bemerkte manches in mein Taschenbuch. Hier find ich nun verzeichnet, daß außer dem ersten vorgewiesenen, welches für echt byzantinisch zu halten wäre, die übrigen alle ins funfzehnte, vielleicht ins sechzehnte Jahrhundert fallen möchten. Zu einer genaueren Würdigung mangelte es mir an durchgreifender Kenntnis, und bei einigem, was ich allenfalls noch hätte näher bestimmen können, brachte mich Zeitrechnung und Nomenklatur unseres wunderlichen Sammlers Schritt vor Schritt aus der Richte.

Denn er wollte nun ein für allemal, wie persönlich, so auch in seinen Besitzungen, einzig sein, und wie er jenes erste byzantinische Stück dem vierten Jahrhundert zuschrieb, so wies er ferner eine ununterbrochene Reihe aus dem fünften, sechsten [153] usw. bis ins funfzehnte mit einer Sicherheit und Überzeugung vor, daß einem die Gedanken vergingen, wie es zu geschehen pflegt, wenn uns das handgreiflich Unwahre als etwas, das sich von selbst versteht, zutraulich vorgesprochen wird, wo man denn weder den Selbstbetrug noch die Unverschämtheit in solchem Grade für möglich hält.

Ein solches Beschauen und Betrachten ward sodann durch festliche Gastmahle gar angenehm unterbrochen. Hier spielte der seltsame Mann seine jugendliche Rolle mit Behagen fort, er scherzte mit den Müttern, als wenn sie ihm auch wohl früher hätten geneigt sein mögen, mit den Töchtern, als wenn er im Begriff wäre, ihnen seine Hand anzubieten. Niemand erwiderte dergleichen Äußerungen und Anträge mit irgendeinem Befremden, selbst die geistreichen männlichen Glieder der Gesellschaft behandelten seine Torheiten mit einiger Achtung, und aus allem ging hervor, daß sein Haus, seine Natur- und Kunstschätze, seine Barschaften und Kapitalien, sein Reichtum, wirklich oder durch Großtun gesteigert, vielen ins Auge stach, weshalb denn die Achtung für seine Verdienste auch seinen Seltsamkeiten das Wort zu reden schien.

Und gewiß, es war niemand geschickter und gewandter, Erbschleicherei zu erzeugen, als er, ja es schien Maxime zu sein, sich dadurch eine neue, künstliche Familie und die unfromme Pietät einer Anzahl Menschen zu verschaffen.

In seinem Schlafzimmer hing das Bild eines jungen Mannes, von der Art, wie man Hunderte sieht, nicht ausgezeichnet, weder anziehend noch abstoßend; diesen ließ er seine Gäste gewöhnlich beschauen und bejammerte dabei das Ereignis, daß dieser junge Mann, an den er vieles gewendet, dem er sein ganzes Vermögen zugedacht, sich gegen ihn untreu und undankbar bewiesen, daß er ihn habe müssen fahrenlassen und nun vergebens nach einem zweiten sich umsehe, mit dem er ein gleiches und glücklicheres Verhältnis anknüpfen könne.

In diesem Vortrag war irgend etwas Schelmisches; denn wie jeder bei Erblickung eines Lotterieplans das Große Los auf sich bezieht, so schien auch jedem Zuhörer, wenigstens in dem [154] Augenblick, ein Hofinungsgestirn zu leuchten; ja ich habe kluge Menschen gekannt, die sich eine Zeitlang von diesem Irrlicht nachziehen ließen.

Den größten Teil des Tages brachten wir bei ihm zu, und abends bewirtete er uns auf chinesischem Porzellan und Silber mit fetter Schafmilch, die er als höchst gesunde Nahrung pries und aufnötigte. Hatte man dieser ungewohnten Speise erst einigen Geschmack abgewonnen, so ist nicht zu leugnen, daß man sie gern genoß und sie auch wohl als gesund ansprechen durfte.

Und so besah man denn auch seine ältern Sammlungen, zu deren glücklichem Beischaffen historische Kenntnis genügt, ohne Geschmack zu verlangen. Die goldenen Münzen römischer Kaiser und ihrer Familien hatte er aufs vollständigste zusammengebracht, welches er durch die Katalogen des Pariser und gothaischen Kabinetts eifrig zu belegen und dabei zugleich sein Übergewicht durch mehrere dort fehlende Exemplare zu bezeugen wußte. Was jedoch an dieser Sammlung am höchsten zu bewundern, war die Vollkommenheit der Abdrücke, welche sämtlich, als kämen sie aus der Münze, vorlagen. Diese Bemerkung nahm er wohl auf und versicherte, daß er die einzelnen erst nach und nach eingetauscht und mit schwerer Zubuße zuletzt erhalten und doch noch immer von Glück zu sagen habe.

Brachte nun der geschäftige Besitzer aus einem nebenstehenden Schrank neue Schieber zum Anschauen, so ward man sogleich der Zeit und dem Ort nach anderswohin versetzt. Sehr schöne Silbermünzen griechischer Städte lagen vor, die, weil sie lange genug in feuchter, verschlossener Luft aufbewahrt worden, die wohlerhaltenen Gepräge mit einem bläulichen Anhauch darwiesen. Ebensowenig fehlte es sodann an goldenen Rosenoblen, päpstlichen älteren Münzen, an Brakteaten, verfänglichen satyrischen Geprägen und was man nur merkwürdig Seltsames bei einer so zahlreichen altherkömmlichen Sammlung erwarten konnte.

Nun war aber nicht zu leugnen, daß er in diesem Fache [155] unterrichtet und in gewissem Sinne ein Kenner war: denn er hatte ja schon in früheren Jahren eine kleine Abhandlung, wie echte und falsche Münzen zu unterscheiden seien, herausgegeben. Indessen scheint er auch hier wie in andern Dingen sich einige Willkür vorbehalten zu haben, denn er behauptete, hartnäckig und über alle Münzkenner triumphierend, die goldnen Lysimachen seien durchaus falsch, und behandelte deshalb einige vorliegende schöne Exemplare höchst verächtlich. Auch dieses ließen wir, wie manches andere, hingehen und ergötzten uns mit Belehrung an diesen wirklich seltenen Schätzen.

Neben allen diesen Merkwürdigkeiten, zwischen so vieler Zeit, die uns Beireis widmete, trat immer zugleich seine ärztliche Tätigkeit hervor; bald war er morgens früh schon vom Lande, wo er eine Bauersfrau entbunden, zurückgekehrt, bald hatten ihn verwickelte Konsultationen beschäftigt und festgehalten.

Wie er nun aber zu solchen Geschäften Tag und Nacht bereit sein könne und sie doch mit immer gleicher äußerer Würde zu vollbringen imstande sei, machte er auf seine Frisur aufmerksam; er trug nämlich rollenartige Locken, länglich, mit Nadeln gesteckt, fest gepicht über beiden Ohren. Das Vorderhaupt war mit einem Toupet geschmückt, alles fest, glatt und tüchtig gepudert. Auf diese Weise, sagte er, lasse er sich alle Abend frisieren, lege sich, die Haare festgebunden, zu Bette, und welche Stunde er denn auch zu einem Kranken gerufen werde, erscheine er doch so anständig, eben als wie er in jede Gesellschaft komme. Und es ist wahr, man sah ihn in seiner hellblaugrauen vollständigen Kleidung, in schwarzen Strümpfen und Schuhen mit großen Schnallen überall ein wie das andere Mal.

Während solcher belebten Unterhaltung und fortdauernder Zerstreuung hatte er eigentlich von unglaublichen Dingen noch wenig vorgebracht; allein in der Folge konnte er nicht ganz unterlassen, die Litanei seiner Legenden nach und nach mitzuteilen Als er uns nun eines Tags mit einem ganz wohlbestellten [156] Gastmahle bewirtete, so mußte man eine reichliche Schüssel besonders großer Krebse in einer so bach- und wasserarmen Gegend höchst merkwürdig finden; worauf er denn versicherte, sein Fischkasten dürfe niemals ohne dergleichen Vorrat gefunden werden: er sei diesen Geschöpfen so viel schuldig, er achte den Genuß derselben für so heilsam, daß er sie nicht nur als schmackhaftes Gericht für werte Gäste, sondern als das wirksamste Arzeneimittel in äußersten Fällen immerfort bereithalte. Nun aber schritt er zu einigen geheimnisvollen Einleitungen, er sprach von gänzlicher Erschöpfung, in die er sich durch ununterbrochene, höchst wichtige, aber auch höchst gefährliche Arbeit versetzt gesehen, und wollte dadurch den schwierigen Prozeß der höchsten Wissenschaft verstanden wissen.

In einem solchen Zustande habe er nun ohne Bewußtsein, in letzten Zügen, hoffnungslos dagelegen, als ein junger, ihm herzlich verbundener Schüler und Wärter, durch inspirationsmäßigen Instinkt angetrieben, eine Schüssel großer gesottener Krebse seinem Herrn und Meister dargebracht und davon genugsam zu sich zu nehmen genötigt; worauf denn dieser wundersam ins Leben zurückgekehrt und die hohe Verehrung für dieses Gericht behalten habe.

Schalkhafte Freunde behaupteten, Beireis habe sonst auch wohl gelegentlich zu verstehen gegeben, er wüßte durch das Universale ausgesuchte Maikäfer in junge Krebse zu verwandeln, die er denn auch nachher durch besondere spagirische Nahrung zu merkwürdiger Größe heraufzufüttern verstehe. Wir hielten dies wie billig für eine im Geist und Geschmack des alten Wundertäters erfundene Legende, dergleichen mehr auf seine Rechnung herumgehen und die er, wie ja wohl Taschenspieler und sonstige Thaumaturgen auch geraten finden, keineswegs abzuleugnen geneigt war.

Hofrat Beireisens ärztliches Ansehen war in der ganzen Gegend wohl gegründet, wie ihn denn auch die gräflich Veltheimische Familie zu Harbke als Hausarzt willkommen hieß, in die er uns daher einzuführen sich sogleich geneigt erklärte. [157] Angemeldet traten wir dort ein; stattliche Wirtschaftsgebäude bildeten vor dem hohen, ältlichen Schlosse einen geräumigen Gutshof. Der Graf hieß uns willkommen und freute sich, an mir einen alten Freund seines Vaters kennenzulernen, denn mit diesem hatte uns andere durch mehrere Jahre das Studium des Bergwesens verbunden, nur daß er versuchte, seine Naturkenntnisse zu Aufklärung problematischer Stellen alter Autoren zu benutzen. Mochte man ihn bei diesem Geschäft auch allzu großer Kühnheit beschuldigen, so konnte man ihm einen geistreichen Scharfsinn nicht absprechen.

Gegen den Garten hin war das altertümlich aufgeschmückte, ansehnliche Schloß vorzüglich schön gelegen. Unmittelbar aus demselben trat man auf ebene, reinliche Flächen, woran sich sanft aufsteigende, von Büschen und Bäumen überschattete Hügel anschlossen. Bequeme Wege führten sodann aufwärts zu heiteren Aussichten gegen benachbarte Höhen, und man ward mit dem weiten Umkreis der Herrschaft, besonders auch mit den wohlbestandenen Wäldern, immer mehr bekannt. Den Großvater des Grafen hatte vor funfzig Jahren die Forstkultur ernstlich beschäftigt, wobei er denn nordamerikanische Gewächse der deutschen Landesart anzueignen trachtete. Nun führte man uns in einen wohlbestandenen Wald von Weymouthskiefern, ansehnlich stark und hoch gewachsen, in deren stattlichem Bezirk wir uns, wie sonst in den Forsten des Thüringer Waldes, auf Moos gelagert, an einem guten Frühstück erquickten und besonders an der regelmäßigen Pflanzung ergötzten. Denn dieser großväterliche Forst zeigte noch die Absichtlichkeit der ersten Anlage, indem die sämtlichen Bäume, reihenweis gestellt, sich überall ins Gevierte sehen lieben. Ebenso konnte man in jeder Forstabteilung bei jeder Baumgattung die Absicht des vorsorgenden Ahnherrn gar deutlich wahrnehmen.

Die junge Gräfin, soeben ihrer Entbindung nahe, blieb leider unsichtbar, da wir von ihrer gerühmten Schönheit selbst doch gern Zeugnis abgelegt hätten. Indessen wußten wir uns mit ihrer Frau Mutter, einer verwittibten Frau von Lauterbach [158] aus Frankfurt am Main, von alten reichstädtischen Familienverhältnissen angenehm zu unterhalten.

Die beste Bewirtung, der anmutigste Umgang, belehrendes Gespräch, worin uns nach und nach die Vorteile einer so großen Besitzung im einzelnen deutlicher wurden, besonders da hier soviel für die Untertanen geschehen war, erregten den stillen Wunsch, länger zu verweilen, dem denn eine freundlich dringende Einladung unverhofft entgegenkam. Aber unser teurer Gefährte, der fürtreffliche Wolf, der hier für seine Neigung keine Unterhaltung fand und desto eher und heftiger von seiner gewöhnlichen Ungeduld ergriffen ward, verlangte so dringend, wieder in Helmstedt zu sein, daß wir uns entschließen mußten, aus einem so angenehmen Kreise zu scheiden; doch sollte sich bei unserer Trennung noch ein wechselseitiges Verhältnis entwickeln. Der freundliche Wirt verehrte aus seinen fossilen Schätzen einen köstlichen Enkriniten meinem Sohn, und wir glaubten kaum etwas Gleichgefälliges erwidern zu können, als ein forstmännisches Problem zur Sprache kam. Im Ettersberg nämlich bei Weimar solle, nach Ausweis eines beliebten Journals, eine Buche gefunden werden, welche sich in Gestalt und sonstigen Eigenschaften offenbar der Eiche nähere. Der Graf, mit angeerbter Neigung zur Forstkultur, wünschte davon eingelegte Zweige, und was sonst noch zu genauerer Kenntnis beitragen könne, besonders aber wo möglich einige lebendige Pflanzen. In der Folge waren wir so glücklich, dies Gewünschte zu verschaffen, unser Versprechen wirklich halten zu können, und hatten das Vergnügen, von dem zweideutigen Baume lebendige Abkömmlinge zu übersenden, auch nach Jahren von dem Gedeihen derselben erfreuliche Nachricht zu vernehmen.

Auf dem Rückwege nun wie auf dem Hinwege hatten wir denn mancherlei von des alten uns geleitenden Zauberers Großtaten zu hören. Nun vernahmen wir aus dessen Munde, was uns schon aus seinen frühern Tagen durch Überlieferung zugekommen war; doch genau besehen fand sich in der Legende dieses Heiligen eine merkliche Monotonie. Als Knabe jugendlich[159] mutiger Entschluß, als Schüler rasche Selbstverteidigung; akademische Händel, Rapierfertigkeit, kunstmäßige Geschicklichkeit im Reiten und sonstige körperliche Vorzüge, Mut und Gewandtheit, Kraft und Ausdauer, Beständigkeit und Tatlust; alles dieses lag rückwärts in dunklen Zeiten; dreijährige Reisen blieben geheimnisvoll und sonst noch manches im Vortrag, gewiß aber in der Erörterung unbestimmt.

Weil jedoch das auffallende Resultat seines Lebensganges ein unübersehlicher Besitz von Kostbarkeiten, ein unschätzbarer Geldreichtum zu sein schien, so konnte es ihm an Gläubigen, an Verehrern gar nicht fehlen. Jene beiden sind eine Art von Hausgöttern, nach welchen die Menge andächtig und gierig die Augen wendet. Ist nun ein solcher Besitz nicht etwa ererbt und offenbaren Herkommens, sondern im Geheimnis selbst erworben, so gibt man im Dunkeln alles übrige Wunderbare zu, man läßt ihn sein märchenhaftes Wesen treiben: denn eine Masse gemünztes Gold und Silber verleiht selbst dem Unwahren Ansehen und Gewicht; man läßt die Lüge gelten, indem man die Barschaft beneidet.

Die möglichen oder wahrscheinlichen Mittel, wie Beireis zu solchen Gütern gelangt, werden einstimmig und einfach angegeben. Er solle eine Farbe erfunden haben, die sich an die Stelle der Cochenille setzen konnte; er solle vorteilhaftere Gärungsprozesse als die damals bekannten an Fabrikherren mitgeteilt haben. Wer in der Geschichte der Chemie bewandert ist, wird beurteilen, ob in der Hälfte des vorigen Jahrhunderts dergleichen Rezepte umherschleichen konnten, er wird wissen, inwiefern sie in der neuern Zeit offenbar und allgemein bekannt geworden. Sollte Beireis z.B. nicht etwa zeitig auf die Veredlung des Krapps gekommen sein?

Nach allem diesem aber ist das sittliche Element zu bedenken, worin und worauf er gewirkt hat, ich meine die Zeit, den eigentlichen Sinn, das Bedürfnis derselben. Die Kommunikation der Weltbürger ging noch nicht so schnell wie gegenwärtig; noch konnte jemand, der an entfernten Orten, wie Swedenborg, [160] oder auf einer beschränkten Universität, wie Beireis, seinen Aufenthalt nahm, immer die beste Gelegenheit finden, sich in geheimnisvolles Dunkel zu hüllen, Geister zu berufen und am Stein der Weisen zu arbeiten. Haben wir nicht in den neuern Tagen Cagliostro gesehen, wie er, große Räume eilig durchstreifend, wechselsweise im Süden, Norden, Westen seine Taschenspielereien treiben und überall Anhänger finden konnte? Ist es denn zuviel gesagt, daß ein gewisser Aberglaube an dämonische Menschen niemals aufhören, ja daß zu jeder Zeit sich immer ein Lokal finden wird, wo das problematisch Wahre, vor dem wir in der Theorie allein Respekt haben, sich in der Ausübung mit der Lüge auf das allerbequemste begatten kann?

Länger, als wir gedacht, hatte uns die anmutige Gesellschaft in Helmstedt aufgehalten. Hofrat Beireis betrug sich in jedem Sinne wohlwollend und mitteilend, doch von seinem Hauptschatz, dem Diamanten, hatte er noch nicht gesprochen, geschweige denselben vorgewiesen. Niemand der Helmstedter Akademieverwandten hatte denselben gesehen, und ein oft wiederholtes Märchen, daß dieser unschätzbare Stein nicht am Orte sei, diente ihm, wie wir hörten, auch gegen Fremde zur Entschuldigung. Er pflegte nämlich scheinbar vertraulich zu äußern, daß er zwölf vollkommen gleiche versiegelte Kästchen eingerichtet habe, in deren einem der Edelstein befindlich sei. Diese zwölf Kästchen nun verteile er an auswärtige Freunde, deren jeder einen Schatz zu besitzen glaube; er aber wisse nur allein, wo er befindlich sei. Daher mußten wir befürchten, daß er auf Anfragen dieses Naturwunder gleichfalls verleugnen werde. Glücklicherweise jedoch kurz vor unserm Abschiede begegnete folgendes.

Eines Morgens zeigte er in einem Bande der Reise Tourneforts die Abbildung einiger natürlichen Diamanten, die sich in Eiform mit teilweiser Abweichung ins Nieren- und Zitzenförmige unter den Schätzen der Indier gefunden hatten. Nachdem er uns die Gestalt wohl eingeprägt, brachte er ohne weitere Zeremonien aus der rechten Hosentasche das bedeutende Naturerzeugnis. [161] In der Größe eines mäßigen Gänseeies, war es vollkommen klar, durchsichtig, doch ohne Spur, daß daran geschliffen worden; an der Seite bemerkte man einen schwachen Höcker, einen nierenförmigen Auswuchs, wodurch der Stein jenen Abbildungen vollkommen ähnlich ward.

Mit seiner gewöhnlichen ruhigen Haltung zeigte er darauf einige zweideutige Versuche, welche die Eigenschaften eines Diamanten betätigen sollten: Auf mäßiges Reiben zog der Stein Papierschnitzchen an; die englische Feile schien ihm nichts anzuhaben; doch ging er eilig über diese Beweistümer hinweg und erzählte die oft wiederholte Geschichte: wie er den Stein unter einer Muffel geprüft und über das herrliche Schauspiel der sich entwidkelnden Flamme das Feuer zu mildern und auszulöschen vergessen, so daß der Stein über eine Million Taler an Wert in kurzem verloren habe. Dessenungeachtet aber pries er sich glücklich, daß er ein Feuerwerk gesehen, welches Kaisern und Königen versagt worden.

Indessen er nun sich weitläufig darüber herausließ, hatte ich, chromatischer Prüfungen eingedenk, das Wunderei vor die Augen genommen, um die horizontalen Fensterstäbe dadurch zu betrachten, fand aber die Farbensäume nicht breiter, als ein Bergkristall sie auch gegeben hätte; weshalb ich im stillen wohl einige Zweifel gegen die Echtheit dieses gefeierten Schatzes fernerhin nähren durfte. Und so war denn unser Aufenthalt durch die größte Rodomontade unseres wunderlichen Freundes ganz eigentlich gekrönt.

Bei heitern vertraulichen Unterhaltungen in Helmstedt, wo denn vorzüglich die Beireisischen Eigenheiten zur Sprache kamen, ward auch mehrmals eines höchst wunderlichen Edelmanns gedacht, welchen man, da unser Rückweg über Halberstadt genommen werden sollte, als unfern vom Wege wohnend, auf der Reise gar wohl besuchen und somit die Kenntnis seltsamer Charaktere erweitern könne. Man war zu einer solchen Expedition desto eher geneigt, als der heitere, geistreiche Propst Henke uns dorthin zu begleiten versprach; woraus wenigstens hervorzugehen schien, daß man über die Unarten [162] und Unschicklichkeiten jenes berufenen Mannes noch allenfalls hinauskommen werde.

So saßen wir denn zu vier im Wagen, Propst Henke mit einer langen weißen Tonpfeife, die er, weil ihn jede andere Art zu rauchen anwiderte, sogar im Wagen, selbst, wie er versicherte, auf weiteren Reisen mit besonderer Vorsicht ganz und unzerstückt zu erhalten wußte.

In so froher als belehrender Unterhaltung legten wir den Weg zurück und langten endlich an dem Gute des Mannes an, der, unter dem Namen des Tollen Hagen weit und breit bekannt, wie eine Art von gefährlichem Zyklopen auf einer schönen Besitzung hauste. Der Empfang war schon charakteristisch genug. Er machte uns aufmerksam auf das an tüchtigem Schmiedewerk hangende Schild seines neuerbauten Gasthofes, das den Gästen zur Lockung dienen sollte. Wir waren jedoch nicht wenig verwundert, hier von einem nicht ungeschickten Künstler ein Bild ausgeführt zu sehen, welches das Gegenstück jenes Schildes vorstellt, an welchem der »Reisende in das südliche Frankreich« sich so umständlich ergeht und ergötzt; man sah auch hier ein Wirtshaus mit dem bedenklichen Zeichen und umstehende Betrachter vorgestellt.

Ein solcher Empfang ließ uns freilich das Schlimmste vermuten, und ich ward aufmerksamer, indem mich die Ahnung anflog, als hätten die werten neuen Freunde nach dem edlen Helmstedter Drama uns zu diesem Abenteuer beredet, um uns als Mitspieler in einer leidigen Satyrposse verwickelt zu sehen. Sollten sie nicht, wenn wir diesen Jokus unwillig aufnähmen, sich mit einer stillen Schadenfreude kitzeln?

Doch ich verscheuchte solchen Argwohn, als wir das ganz ansehnliche Gehöfte betraten. Die Wirtschaftsgebäude befanden sich im besten Zustand, die Höfe in zweckmäßiger Ordnung, obgleich ohne Spur irgendeiner ästhetischen Absicht. Des Herren gelegentliche Behandlung der Wirtschaftsleute mußte man rauh und hart nennen, aber ein guter Humor, der durchblickte, machte sie erträglich, auch schienen die guten Leute an diese Weise schon so gewöhnt zu sein, da sie ganz [163] ruhig, als hätte man sie sanft angesprochen, ihrem Geschäft weiter oblagen.

In dem großen, reinlichen, hellen Tafelzimmer fanden wir die Hausfrau, eine schlanke, wohlgebildete Dame, die sich aber in stummer Leidensgestalt ganz unteilnehmend erwies und uns die schwere Duldung, die sie zu übertragen hatte, unmittelbar zu erkennen gab. Ferner zwei Kinder, ein preußischer Fähndrich auf Urlaub und eine Tochter aus der braunschweigischen Pension, zum Besuche da, beide noch nicht zwanzig, stumm wie die Mutter, mit einer Art von Verwunderung dreinsehend, wenn die Blicke jener ein vielfaches Leiden aussprachen.

Die Unterhaltung war sogleich einigermaßen soldatisch derb; der Burgunder, von Braunschweig bezogen, ganz vortrefflich; die Hausfrau machte sich durch eine so wohlbediente als wohlbestellte Tafel Ehre. Daher wäre denn bis jetzt alles ganz leidlich gegangen, nur durfte man sich nicht weit umsehen, ohne das Faunenohr zu erblicken, das durch die häusliche Zucht eines wohlhabenden Landedelmanns durchstach. In den Ecken des Saales standen saubere Abgüsse des Apollin und ähnlicher Statuen, wunderlich aber sah man sie aufgeputzt: denn er hatte sie mit Manschetten, von seinen abgelegten, wie mit Feigenblättern der guten Gesellschaft zu akkommodieren geglaubt. Ein solcher Anblick gab nur um so mehr Apprehension, da man versichert sein kann, daß ein Abgeschmacktes gewiß auf ein anderes hindeutet, und so fand sich's auch. Das Gespräch war noch immer mit einiger Mäßigung, wenigstens von unserer Seite, geführt, aber doch auf alle Fälle in Gegenwart der heranwachsenden Kinder unschicklich genug. Als man sie aber während des Nachtisches fortgeschickt hatte, stand unser wunderlicher Wirt ganz feierlich auf, nahm die Manschettchen von den Statuen weg und meinte, nun sei es Zeit, sich etwas natürlicher und freier zu benehmen. Wir hatten indessen der bedauernswerten Leidensgestalt unserer Wirtin durch einen Schwank gleichfalls Urlaub verschafft; denn wir bemerkten, worauf unser Wirt ausgehen mochte, indem er noch schmackhafteren [164] Burgunder vorsetzte, dem wir uns nicht abhold bewiesen. Dennoch wurden wir nicht gehindert, nach aufgehobener Tafel einen Spaziergang vorzuschlagen. Dazu wollte er aber keinen Gast zulassen, wenn er nicht vorher einen gewissen Ort besucht hätte. Dieser gehörte freilich auch zum Ganzen. Man fand in einem reinlichen Kabinett einen gepolsterten Großvatersessel und, um zu einem längeren Aufenthalt einzuladen, eine mannigfaltige Unzahl bunter, ringsumher aufgeklebter Kupferstiche satirischen, pasquillantischen, unsauberen Inhalts, neckisch genug. Diese Beispiele genügen wohl, die wunderliche Lage anzudeuten, in der wir uns befanden. Bei eintretender Nacht nötigte er seine bedrängte Hausfrau, einige Lieder nach eigener Wahl zum Flügel zu singen, wodurch sie uns bei gutem Vortrag allerdings Vergnügen machte; zuletzt aber enthielt er sich nicht, sein Mißfallen an solchen faden Gesängen zu bezeugen, mit der Anmaßung, ein tüchtigeres vorzutragen, worauf sich denn die gute Dame gemüßigt sah, eine höchst unschickliche und absurde Strophe mit dem Flügel zu begleiten. Nun fühlte ich, indigniert durch das Widerwärtige, inspiriert durch den Burgunder, es sei Zeit, meine Jugendpferde zu besteigen, auf denen ich mich sonst übermütig gerne herumgetummelt hatte.

Nachdem er auf mein Ersuchen die detestable Strophe noch einige Male wiederholt hatte, versicherte ich ihm, das Gedicht sei vortrefflich, nur müsse er suchen, durch künstlichen Vortrag sich dem köstlichen Inhalt gleichzustellen, ja ihn durch den rechten Ausdruck erst zu erhöhen. Nun war zuvörderst von Forte und Piano die Rede, sodann aber von feineren Abschattierungen, von Akzenten, und so mußte gar zuletzt ein Gegensatz von Lispeln und Ausschrei zur Sprache kommen. Hinter dieser Tollheit lag jedoch eine Art von Didaskalie verborgen, die mir denn auch eine große Mannigfaltigkeit von Forderungen an ihn verschaffte, woran er sich als ein geistreich barocker Mann zu unterhalten schien. Doch suchte er diese lästigen Zumutungen manchmal zu unterbrechen, indem er Burgunder einschenkte und Backwerk anbot. Unser Wolf hatte sich, unendlich [165] gelangweilt, schon zurückgezogen; Abt Henke ging mit seiner langen tönernen Pfeife auf und ab und schüttete den ihm aufgedrungenen Burgunder, seine Zeit ersehend, zum Fenster hin aus, mit der größten Gemütsruhe den Verlauf dieses Unsinnes abzuwarten. Dies aber war kein Geringes: denn ich forderte immer mehr, noch immer einen wunderlicheren Ausdruck von meinem humoristisch gelehrigen Schüler und verwarf zuletzt gegen Mitternacht alles Bisherige. Das sei nur eingelernt, sagte ich, und gar nichts wert. Nun müsse er erst aus eignem Geist und Sinn das Wahre, was bisher verborgen geblieben, selbst erfinden und dadurch mit Dichter und Musiker als Original wetteifern.

Nun war er gewandt genug, um einigermaßen zu gewahren, daß hinter diesen Tollheiten ein gewisser Sinn verborgen sei, ja er schien sich an einem so freventlichen Mißbrauch eigentlich respektabler Lehren zu ergötzen; doch war er indessen selbst müde und sozusagen mürbe geworden, und als ich endlich den Schluß zog, er müsse nun erst der Ruhe pflegen und abwarten, ob ihm nicht vielleicht im Traum eine Aufklärung komme, gab er gerne nach und entließ uns zu Bette.

Den andern Morgen waren wir früh wieder bei der Hand und zur Abreise bereit. Beim Frühstück ging es ganz menschlich zu; es schien, als wolle er uns nicht mit ganz ungünstigen Begriffen entlassen. Als Landrat wußte er vom Zustand und den Angelegenheiten der Provinz sehr treffende, nach seiner Art barocke Rechenschaft zu geben. Wir schieden freundlich und konnten dem nach Helmstedt mit unzerbrochener langen Pfeife zurückkehrenden Freunde für sein Geleit bei diesem bedenklichen Abenteuer nicht genugsam Dank sagen.

Vollkommen friedlich und vernunftgemäß ward uns dagegen ein längerer Aufenthalt in Halberstadt beschert. Schon war vor einigen Jahren der edle Gleim zu seinen frühsten Freunden hinübergegangen; ein Besuch, den ich ihm vor geraumer Zeit abstattete, hatte nur einen dunklen Eindruck zurückgelassen, indem ein dazwischen rauschendes mannigfaltiges Leben mir die Eigenheiten seiner Person und Umgebung beinahe verlöschte. [166] Auch konnte ich, damals wie in der Folge, kein Verhältnis zu ihm gewinnen, aber seine Tätigkeit war mir niemals fremd geworden; ich hörte viel von ihm durch Wieland und Herder, mit denen er immer in Briefwechsel und Bezug blieb.

Diesmal wurden wir in seiner Wohnung von HerrnKörte gar freundlich empfangen; sie deutete auf reinliche Wohlhäbigkeit, auf ein friedliches Leben und stilles, geselliges Behagen. Sein vorübergegangenes Wirken feierten wir an seiner Verlassenschaft; viel ward von ihm erzählt, manches vorgewiesen, und Herr Körte versprach, durch eine ausführliche Lebensbeschreibung und Herausgabe seines Briefwechsels einem jeden Anlaß genug zu verschaffen, auf seine Weise ein so merkwürdiges Individuum sich wieder hervorzurufen.

Dem allgemeinen deutschen Wesen war Gleim durch seine Gedichte am meisten verwandt, worin er als ein vorzüglich liebender und liebenswürdiger Mann erscheint. Seine Poesie, von der technischen Seite besehen, ist rhythmisch, nicht melodisch, weshalb er sich denn auch meistens freier Silbenmaße bedient; und so gewähren Vers und Reim, Brief und Abhandlung, durcheinander verschlungen, den Ausdruck eines gemütlichen Menschenverstandes innerhalb einer wohlgesinnten Beschränkung.

Vor allem aber war uns anziehend der Freundschaftstempel, eine Sammlung von Bildnissen älterer und neuerer Angehörigen. Sie gab ein schönes Zeugnis, wie er die Mitlebenden geschätzt, und uns eine angenehme Rekapitulation so vieler ausgezeichneter Gestalten, eine Erinnerung an die bedeutenden einwohnenden Geister, an die Bezüge dieser Personen untereinander und zu dem werten Manne, der sie meistens eine Zeitlang um sich versammelte und die Scheidenden, die Abwesenden wenigstens im Bilde festzuhalten Sorge trug. Bei solchem Betrachten ward gar manches Bedenken hervorgerufen; nur eines sprech ich aus: Man sah über hundert Poeten und Literatoren, aber unter diesen keinen einzigen Musiker und Komponisten. Wie? Sollte jener Greis, der, seinen Äußerungen [167] nach, nur im Singen zu leben und zu atmen schien, keine Ahnung von dem eigentlichen Gesang gehabt haben? von der Tonkunst, dem wahren Element, woher alle Dichtungen entspringen und wohin sie zurückkehren?

Suchte man nun aber in einen Begriff zusammenzufassen, was uns von dem edlen Manne vorschwebt, so könnte man sagen: Ein leidenschaftliches Wohlwollen lag seinem Charakter zugrunde, das er durch Wort und Tat wirksam zu machen suchte. Durch Rede und Schrift aufmunternd, ein allgemeines, rein menschliches Gefühl zu verbreiten bemüht, zeigte er sich als Freund von jedermann, hülfreich dem Darbenden, armer Jugend aber besonders förderlich. Ihm, als gutem Haushalter, scheint Wohltätigkeit die einzige Liebhaberei gewesen zu sein, auf die er seinen Überschuß verwendet. Das meiste tut er aus eigenen Kräften; seltener und erst in späteren Jahren bedient er sich seines Namens, seines Ruhms, um bei Königen und Ministern einigen Einfluß zu gewinnen, ohne sich dadurch sehr gefördert zu sehen. Man behandelt ihn ehrenvoll, duldet und belobt seine Tätigkeit, hilft ihm auch wohl nach, trägt aber gewöhnlich Bedenken, in seine Absichten kräftig einzugehen.

Alles jedoch zusammengenommen, muß man ihm den eigentlichsten Bürgersinn in jedem Betracht zugestehen; er ruht als Mensch auf sich selbst, verwaltet ein bedeutendes öffentliches Amt und beweist sich übrigens gegen Stadt und Provinz und Königreich als Patriot, gegen deutsches Vaterland und Welt als echten Liberalen. Alles Revolutionäre dagegen, das in seinen älteren Tagen hervortritt, ist ihm höchlich verhaßt so wie alles, was früher Preußens großem Könige und seinem Reiche sich feindselig entgegenstellt.

Da nun ferner eine jede Religion das reine, ruhige Verkehr der Menschen untereinander befördern soll, die christlichevangelische jedoch hiezu besonders geeignet ist, so konnte er, die Religion des rechtschaffenen Mannes, die ihm angeboren und seiner Natur notwendig war, immerfort ausübend, sich für den rechtglaubigsten aller Menschen halten und an dem ererbten [168] Bekenntnis sowie bei dem herkömmlichen einfachen Kultus der protestantischen Kirche gar wohl beruhigen.

Nach allen diesen lebhaften Vergegenwärtigungen sollten wir noch ein Bild des Vergänglichen erblicken, denn auf ihrem Siechbette begrüßten wir die ablebende Nichte Gleims, die unter dem Namen Gleminde viele Jahre die Zierde eines dichterischen Kreises gewesen. Zu ihrer anmutigen, obschon kränklichen Bildung stimmte gar fein die große Reinlichkeit ihrer Umgebung, und wir unterhielten uns gern mit ihr von vergangenen guten Tagen, die ihr mit dem Wandeln und Wirken ihres trefflichen Oheims immer gegenwärtig geblieben waren.

Zuletzt, um unsere Wallfahrt ernst und würdig abzuschließen, traten wir in den Garten um das Grab des edlen Greises, dem nach vieljährigen Leiden und Schmerzen, Tätigkeit und Erdulden, umgeben von Denkmalen vergangener Freunde, an der ihm gemütlichen Stelle gegönnt war auszuruhen.

Die öden, feuchten Räume des Doms besuchten wir zu wiederholten Malen; er stand, obgleich seines frühern religiosen Lebens beraubt, doch noch unerschüttert in ursprünglicher Würde. Dergleichen Gebäude haben etwas eigen Anziehendes, sie vergegenwärtigen uns tüchtige, aber düstere Zustände, und weil wir uns manchmal gern ins Halbdunkel der Vergangenheit einhüllen, so finden wir es willkommen, wenn eine ahnungsvolle Beschränkung uns mit gewissen Schauern ergreift, körperlich, physisch, geistig auf Gefühl, Einbildungskraft und Gemüt wirkt und somit sittliche, poetische und religiose Stimmung anregt.

Die Spiegelsberge, unschuldig buschig bewachsene Anhöhen, dem nachbarlichen Harze vorliegend, jetzt durch die seltsamsten Gebilde ein Tummelplatz häßlicher Kreaturen, eben als wenn eine vermaledeite Gesellschaft, vom Blocksberge wiederkehrend, durch Gottes unergründlichen Ratschluß hier wäre versteinert worden. Am Fuße des Aufstiegs dient ein ungeheures Faß abscheulichem Zwergengeschlecht zum Hochzeitsaal; und von da, durch alle Gänge der Anlagen, lauern Mißgeburten jeder Art, so daß der Mißgestalten liebende Prätorius [169] seinen »Mundus anthropodemicus« hier vollkommen realisiert erblicken könnte.

Da fiel es denn recht auf, wie nötig es sei, in der Erziehung die Einbildungskraft nicht zu beseitigen, sondern zu regeln, ihr durch zeitig vorgeführte edle Bilder Lust am Schönen, Bedürfnis des Vortrefflichen zu geben. Was hilft es, die Sinnlichkeit zu zähmen, den Verstand zu bilden, der Vernunft ihre Herrschaft zu sichern, die Einbildungskraft lauert als der mächtigste Feind, sie hat von Natur einen unwiderstehlichen Trieb zum Absurden, der selbst in gebildeten Menschen mächtig wirkt und gegen alle Kultur die angestammte Roheit fratzenliebender Wilden mitten in der anständigsten Welt wieder zum Vorschein bringt.

Von der übrigen Rückreise darf ich nur vorübereilend sprechen. Wir suchten das Bodetal und den längst bekannten Hammer; von hier ging ich, nun zum dritten Male in meinem Leben, das von Granitfelsen eingeschlossene rauschende Wasser hinan, und hier fiel mir wiederum auf, daß wir durch nichts so sehr veranlaßt werden, über uns selbst zu denken, als wenn wir höchst bedeutende Gegenstände, besonders entschiedene charakteristische Naturszenen, nach langen Zwischenräumen endlich wiedersehen und den zurückgebliebenen Eindruck mit der gegenwärtigen Einwirkung vergleichen. Da werden wir denn im ganzen bemerken, daß das Objekt immer mehr hervortritt, daß, wenn wir uns früher an den Gegenständen empfanden, Freud und Leid, Heiterkeit und Verwirrung auf sie übertrugen, wir nunmehr bei gebändigter Selbstigkeit ihnen das gebührende Recht widerfahren lassen, ihre Eigenheiten zu erkennen und ihre Eigenschaften, sofern wir sie durchdringen, in einem höhern Grade zu schätzen wissen. Jene Art des Anschauens gewährt der künstlerische Blick, diese eignet sich dem Naturforscher, und ich mußte mich, zwar anfangs nicht ohne Schmerzen, zuletzt doch glücklich preisen, daß, indem jener Sinn mich nach und nach zu verlassen drohte, dieser sich in Aug und Geist desto kräftiger entwickelte.

[170]

1806

Die Interimshoffnungen, mit denen wir uns philisterhaft schon manche Jahre hingehalten, wurden so abermals im gegenwärtigen genährt. Zwar brannte die Welt in allen Ecken und Enden, Europa hatte eine andere Gestalt genommen, zu Lande und See gingen Städte und Flotten zu Trümmern, aber das mittlere, das nördliche Deutschland genoß noch eines gewissen fieberhaften Friedens, in welchem wir uns einer problematischen Sicherheit hingaben. Das große Reich in Westen war gegründet, es trieb Wurzeln und Zweige nach allen Seiten hin. Indessen schien Preußen das Vorrecht gegönnt, sich in Norden zu befestigen. Zunächst besaß es Erfurt, einen sehr wichtigen Haltepunkt, und wir ließen uns in diesem Sinne gefallen, daß von Anfang des Jahrs preußische Truppen bei uns einkehrten. Dem Regiment Owstien folgten anfangs Februar Füseliere, sodann trafen ein die RegimenterBorcke, Arnim, Pirch; man hatte sich schon an diese Unruhe gewöhnt.

Der Geburtstag unserer verehrten Herzogin, der 30. Januar, ward für diesmal zwar pomphaft genug, aber doch mit unerfreulichen Vorahnungen gefeiert. Das Regiment Owstien rühmte sich eines Korps Trompeter, das seinesgleichen nicht hätte; sie traten in einem Halbkreis zum Willkommen auf das Theater, gaben Proben ihrer außerordentlichen Geschicklichkeit und begleiteten zuletzt einen Gesang, dessen allgemein bekannte Melodie, einem Inselkönig gewidmet und noch keineswegs von dem patriotischen Festland überboten, ihre vollkommen herzerhebende Wirkung tat.

Eine Übersetzung oder Umbildung des »Cid« von Corneille ward hiernach aufgeführt sowie auch »Stella«, zum erstenmal mit tragischer Katastrophe. »Götz von Berlichingen« kam wieder an die Reihe, nicht weniger »Egmont«. Schillers »Glocke« mit allem Apparat des Gießens und der fertigen Darstellung, die wir als Didaskalie schon längst versucht hatten, ward gegeben und so, daß die sämtliche Gesellschaft mitwirkte, indem der eigentliche dramatische Kunst- und Handwerksteil dem [171] Meister und den Gesellen anheimfiel, das übrige Lyrische aber an die männlichen und weiblichen Glieder, von den ältesten bis zu den jüngsten, verteilt und jedem charakteristisch angeeignet ward.

Aufmerksamkeit erregte im ganzen der von Iffland zur Vorstellung gebrachte »Doktor Luther«, ob wir gleich zauderten, denselben gleichfalls aufzunehmen.

Bei dem verlängerten Aufenthalt in Karlsbad gedachte man der nächsten Theaterzeit und versuchte Öhlenschlägers verdienstliche Tragödie »Hakon Jarl« unserer Bühne anzueignen, ja es wurden sogar schon Kleider und Dekorationen aufgesucht und gefunden. Allein späterhin schien es bedenklich, zu einer Zeit, da mit Kronen im Ernst gespielt wurde, mit dieser heiligen Zierde sich scherzhaft zu gebärden. Im vergangenen Frühjahr hatte man nicht mehr tun können, als das bestehende Repertorium zu erhalten und einigermaßen zu vermehren. Im Spätjahr, als der Kriegsdrang jedes Verhältnis aufzulösen drohte, hielt man für Pflicht, die Theateranstalt als einen öffentlichen Schatz, als ein Gemeingut der Stadt zu bewahren. Nur zwei Monate blieben die Vorstellungen unterbrochen, die wissenschaftlichen Bemühungen nur wenige Tage, und Ifflands Theaterkalender gab der deutschen Bühne eine schwunghafte Aufmunterung.

Die projektierte neue Ausgabe meiner Werke nötigte mich, sie sämtlich wieder durchzugehen, und ich widmete jeder einzelnen Produktion die gehörige Aufmerksamkeit, ob ich gleich bei meinem alten Vorsatze blieb, nichts eigentlich umzuschreiben oder auf einen hohen Grad zu verändern.

Die zwei Abteilungen der »Elegien«, wie sie noch vorliegen, wurden eingerichtet und »Faust« in seiner jetzigen Gestalt fragmentarisch behandelt. So gelangte ich dieses Jahr bis zum vierten Teil einschließlich, aber mich beschäftigte ein wichtigeres Werk. Der epische »Tell« kam wieder zur Sprache, wie ich ihn 1797 in der Schweiz konzipiert und nachher dem dramatischen »Tell« Schillers zuliebe beiseite gelegt. Beide konnten recht gut nebeneinander bestehen; Schillern war mein Plan gar [172] wohl bekannt, und ich war zufrieden, daß er den Hauptbegriff eines selbständigen, von den übrigen Verschwornen unabhängigen Tell benutzte; in der Ausführung aber mußte er, der Richtung seines Talents zufolge sowie nach den deutschen Theaterbedürfnissen, einen ganz anderen Weg nehmen, und mir blieb das Episch-Ruhig-Grandiose noch immer zu Gebot, so wie die sämtlichen Motive, wo sie sich auch berührten, in beiden Bearbeitungen durchaus eine andere Gestalt nahmen.

Ich hatte Lust, wieder einmal Hexameter zu schreiben, und mein gutes Verhältnis zu Voß, Vater und Sohn, ließ mich hoffen, auch in dieser herrlichen Versart immer sicherer vorzuschreiten. Aber die Tage und Wochen waren so ahnungsvoll, die letzten Monate so stürmisch und so wenig Hoffnung zu einem freieren Atemholen, daß ein Plan, auf dem Vierwaldstätter See und auf dem Wege nach Altdorf in der freien Natur konzipiert, in dem beängstigten Deutschland nicht wohl wäre auszuführen gewesen.

Wenn wir nun auch schon unser öffentliches Verhältnis zur bildenden Kunst aufgegeben hatten, so blieb sie uns doch im Innern stets lieb und wert. Bildhauer Weißer, ein Kunstgenosse von Friedrich Tieck, bearbeitete mit Glück die Büste des hier verstorbenen Herzogs von Braunschweig, welche, in der öffentlichen Bibliothek aufgestellt, einen schönen Beweis seines vielversprechenden Talents abgibt.

Kupferstiche sind überhaupt das Kunstmittel, durch welches Kenner und Liebhaber sich am meisten und bequemsten unterhalten, und so empfingen wir aus Rom von Gmelin das vorzügliche Blatt, unterzeichnet »Der Tempel der Venus«, nach Claude. Es war mir um soviel mehr wert, als das Original erst nach meinem Abgang von Rom bekannt geworden und ich mich also zum erstenmal von den Vorzügen desselben aus dieser kunstreichen Nachbildung überzeugen sollte.

Ganz in einem andern Fache, aber heiter und geistreich genug, erschienen die Riepenhausischen Blätter zur »Genoveva«, deren Originalzeichnungen wir schon früher gekannt. [173] Auch diese jungen Männer, die sich zuvor an Polygnot geübt hatten, wandten sich nun gegen die Romantik, welche sich durch schriftstellerische Talente beim Publikum eingeschmeichelt hatte und so die Bemerkung wahr machte: daß mehr, als man denkt, der bildende Künstler vom Dichter und Schriftsteller abhängt.

In Karlsbad unterhielt mich belehrend eine Sammlung Kupfer, welche Graf Lepel mit sich führte; nicht weniger große, mit der Feder gezeichnete, aquarellierte Blätter von Ramberg bewährten das heitere, glücklich auffassende, mitunter extemporierende Talent des genannten Künstlers. Graf Corneillan besaß dieselben und nebst eigenen Arbeiten noch sehr schöne Landschaften in Deckfarben.

Die hiesigen Sammlungen vermehrten sich durch einen Schatz von Zeichnungen im höhern Sinne. Carstens' künstlerische Verlassenschaft war an seinen Freund Fernow vererbt, man traf mit diesem eine billige Übereinkunft, und so wurden mehrere Zeichnungen des verschiedensten Formats, größere Kartone und kleinere Bilder, Studien in schwarzer Kreide, in Rotstein, aquarellierte Federzeichnungen und so vieles andere, was dem Künstler das jedesmalige Studium, Bedürfnis oder Laune mannigfaltig ergreifen läßt, für unser Museum erworben.

Wilhelm Tischbein, der nach seiner Entfernung von Neapel, von dem Herzog von Oldenburg begünstigt, sich in einer friedlichen, glücklichen Lage befand, ließ auch gelegentlich von sich hören und sendete dies Frühjahr manches Angenehme.

Er teilte zuerst die Bemerkung mit, daß die flüchtigsten Bilder oft die glücklichsten Gedanken haben: eine Beobachtung, die er gemacht, als ihm viele hundert Gemälde von trefflichen Meistern, herrlich gedacht, aber nicht sonderlich ausgeführt, vor die Augen gekommen; und es bewährt sich freilich, daß die ausgeführtesten Bilder der niederländischen Schule bei allem großen Reichtum, womit sie ausgestattet sind, doch manchmal etwas an geistreicher Erfindung zu wünschen übriglassen. Es scheint, als wenn die Gewissenhaftigkeit des Künstlers, [174] dem Liebhaber und Kenner etwas vollkommen Würdiges überliefern zu wollen, den Aufflug des Geistes einigermaßen beschränke, dahingegen eine geistreich gefaßte, flüchtig hingeworfene Skizze außer aller Verantwortung das eigenste Talent des Künstlers offenbare. Er sendete einige aquarellierte Kopien, von welchen uns zwei geblieben sind: Schatzgräber in einem tiefen Stadtgraben und Kasematten, bei Nachtzeit durch unzulängliche Beschwörungen sich die bösen Geister auf den Hals ziehend, der entdeckten und schon halb ergriffenen Schätze verlustig. Der Anstand ist bei dieser Gelegenheit nicht durchaus beobachtet, Vorgestelltes und Ausführung einem Geheimbilde angemessen; das zweite Bild vielleicht noch mehr: eine greuliche Kriegsszene, erschlagene, beraubte Männer, trostlose Weiber und Kinder, im Hintergrunde ein Kloster in vollen Flammen, im Vordergrund mißhandelte Mönche; gleichfalls ein Bild, welches im Schränkchen müßte aufbewahrt werden.

Ferner sendete Tischbein an Herzogin Amalie einen mäßigen Folioband aquarellierter Federzeichnungen. Hierin ist nun Tischbein ganz besonders glücklich, weil auf diese leichte Weise ein geübtes Talent Gedanken, Einfälle, Grillen ohne großen Aufwand und ohne Gefahr, seine Zeit zu verlieren, ausspricht. Solche Blätter sind fertig, wie gedacht.

Tiere darzustellen war immer Tischbeins Liebhaberei; so erinnern wir uns hier auch eines Esels, der mit großem Behagen Ananas statt Disteln fraß.

Auf einem andern Bilde blickt man über die Dächer einer großen Stadt gegen die aufgehende Sonne; ganz nah an dem Beschauer, im vordersten Vordergrunde, sitzt ein schwarzer Össenjunge unmittelbar an dem Schornstein. Was an ihm noch Farbe annehmen konnte, war von der Sonne vergüldet, und man mußte den Gedanken allerliebst finden, daß der letzte Sohn des jammervollsten Gewerbes unter viel Tausenden der einzige sei, der eines solchen herzerhebenden Naturanblicks genösse.

Dergleichen Mitteilungen geschahen von Tischbein immer [175] unter der Bedingung, daß man ihm eine poetische oder prosaische Auslegung seiner sittlich-künstlerischen Träume möge zukommen lassen. Die kleinen Gedichte, die man ihm zur Erwiderung sendete, finden sich unter den meinigen. Herzogin Amalie und ihre Umgebung teilten sich darin nach Stand und Würden und erwiderten so eigenhändig die Freundlichkeit des Gebers.

Auch ich war in Karlsbad angetrieben, die bedeutend abwechselnden Gegenstände mir durch Nachbildung besser einzuprägen; die vollkommnern Skizzen behielten einigen Wert für mich, und ich fing an, sie zu sammeln.

Ein Medaillenkabinett, welches von der zweiten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts an über den Weg, den die Bildhauerkunst genommen, hinlänglichen Aufschluß zu geben schon reich genug war, vermehrte sich ansehnlich und lieferte immer vollständigere Begriffe.

Ebenso wurde die Sammlung von eigenhändig geschriebenen Blättern vorzüglicher Männer beträchtlich vermehrt. Ein Stammbuch der Walchischen Familie, seit etwa den Anfängen des achtzehnten Jahrhunderts, worin Maffei voraussteht, war höchst schätzenswert, und ich dankte sehr verpflichtet den freundlichen Gebern. Ein alphabetisches Verzeichnis des handschriftlichen Besitzes war gedruckt, ich legte solches jedem Brief an Freunde bei und erhielt dadurch nach und nach fortdauernde Vermehrung.

Von Künstlern besuchte uns nun abermals Rabe von Berlin und empfahl sich ebenso durch sein Talent wie durch seine Gefälligkeit.

Aber betrüben mußte mich ein Brief von Hackert; dieser treffliche Mann hatte sich von einem apoplektischen Anfall nur insofern erholt, daß er einen Brief diktieren und unterschreiben konnte. Es jammerte mich, die Hand, die soviel sichre Charakterstriche geführt, nun zitternd und unvollständig den eigenen, so oft mit Freude und Vorteil unterzeichneten berühmten Namen bloß andeuten zu sehen.

Bei den jenaischen Museen drangen immer neue Gegenstände [176] zu, und man mußte deshalb Erweiterungen vornehmen und in der Anordnung eine veränderte Methode befolgen.

Der Nachlaß von Batsch brachte neue Mühe und Unbequemlichkeit. Er hatte die Naturforschende Gesellschaft gestiftet, auch in einer Reihe von Jahren durch und für sie ein unterrichtendes Museum aller Art zusammengebracht, welches dadurch ansehnlicher und wichtiger geworden, daß er demselben seine eigene Sammlung methodisch eingeschaltet. Nach seinem Hintritt reklamierten die Direktoren und anwesenden Glieder jener Gesellschaft einen Teil des Nachlasses, besonders das ihr zustehende Museum; die Erben forderten den Rest, welchen man ihnen, da eine Schenkung des bisherigen Direktors nur mutmaßlich war, nicht vorenthalten konnte. Von seiten herzoglicher Kommission entschloß man sich, auch hier einzugreifen, und da man mit den Erben nicht einig werden konnte, so schritt man zu dem unangenehmen Geschäft der Sonderung und Teilung. Was dabei an Rückständen zu zahlen war, glich man aus und gab der Naturforschenden Gesellschaft ein Zimmer im Schlosse, wo die ihr zugehörigen Naturalien abgesondert stehen konnten. Man verpflichtete sich, die Erhaltung und Vermehrung zu begünstigen, und so ruhte auch dieser Gegenstand, ohne abzusterben.

Als ich von Karlsbad im September zurückkam, fand ich das mineralogische Kabinett in der schönsten Ordnung, auch das zoologische reinlich aufgestellt.

Dr. Seebeck brachte das ganze Jahr in Jena zu und förderte nicht wenig unsere Einsicht in die Physik überhaupt und besonders in die Farbenlehre. Wenn er zu jenen Zwecken sich um den Galvanismus bemühte, so waren seine übrigen Versuche auf Oxydation und Desoxydation, auf Erwarmen und Erkalten, Entzünden und Auslöschen für mich im chromatischen Sinne von der größten Bedeutung.

Ein Versuch, Glasscheiben trübe zu machen, wollte unserm wackern Göttling nicht gelingen, eigentlich aber nur deshalb, weil er die Sache zu ernst nahm, da doch diese chemische Wirkung, wie alle Wirkungen der Natur, aus einem Hauch, aus [177] der mindesten Bedingung hervorgehen. Mit Professor Schelver ließen sich gar schöne Betrachtungen wechseln; das Zarte und Gründliche seiner Natur gab sich im Gespräch gar liebenswürdig hervor, wo es dem Mitredenden sich mehr anbequemte als sonst dem Leser, der sich immer, wie bei allzu tief gegriffenen Monologen, entfremdet fühlte.

Sömmerrings »Gehörwerkzeuge« führten uns zur Anatomie zurück; Alexander von Humboldts freundliche Sendungen riefen uns in die weit und breite Welt; Steffens' »Grundzüge der philosophischen Naturwissenschaften« gaben genug zu denken, indem man gewöhnlich mit ihm in uneiniger Einigkeit lebte.

Um soviel, als mir gegeben sein möchte, an die Mathematik heranzugehen, las ich Montuclas »Histoire des mathématiques«, und nachdem ich die höheren Ansichten, woraus das einzelne sich herleitet, abermals bei mir möglichst aufgeklärt und mich in die Mitte des Reichs der Natur und der Freiheit zu stellen gesucht, schrieb ich das Schema der allgemeinen Naturlehre, um für die besondere Chromatik einen sicheren Standpunkt zu finden.

Aus der alten Zeit, in die ich so gern zurücktrete, um die Muster einer menschenverständigen Anschauung mir abermals zu vergegenwärtigen, las ich Agricola, »De ortu et causis subterraneorum«, und bemerkte hiebei, daß ich auf eben einer solchen Wanderung ins Vergangene die glaubwürdigste Nachricht von einem Meteorstein in der »Thüringer Chronik« fand.

Und so darf ich denn am Schlusse nicht vergessen, daß ich in der Pflanzenkunde zwei schöne Anregungen erlebte: Die große »Charte botanique d'après Ventenat« machte mir die Familienverhältnisse augenfälliger und eindrücklicher. Sie hing in einem großen Zimmer des jenaischen Schlosses, welches ich im ersten Stock bewohnte, und blieb, als ich eilig dem Fürsten Hohenlohe Platz machte, an der Wand zurück. Nun gab sie seinem unterrichteten Generalstab sowie nachher dem Napoleonschen gelegentliche Unterhaltung, und ich fand sie daselbst [178] noch unversehrt, als ich nach soviel Sturm und Ungetüm meine sonst so friedliche Wohnung wieder bezog.

Cottas »Naturbetrachtung über das Wachstum der Pflanzen« nebst beigefügten Musterstücken von durchschnittenen Hölzern waren mir eine sehr angenehme Gabe. Abermals regte sie jene Betrachtungen auf, denen ich so viele Jahre durch nachhing, und war die Hauptveranlassung, daß ich, von neuem zur Morphologie mich wendend, den Vorsatz faßte, sowohl »Die Metamorphose der Pflanzen« als sonst sich Anschließendes wieder abdrucken zu lassen.

Die Vorarbeiten zur »Farbenlehre«, mit denen ich mich seit zwölf Jahren ohne Unterbrechung beschäftigte, waren so weit gediehen, daß sich die Teile immer mehr zu runden anfingen und das Ganze bald selbst eine Konsistenz zu gewinnen versprach. Was ich nach meiner Weise an den physiologischen Farben tun konnte und wollte, war getan, ebenso lagen die Anfänge des Geschichtlichen bereits vor, und man konnte daher den Druck des ersten und zweiten Teils zugleich anfangen. Ich wendete mich nun zu den pathologischen Farben; und im Geschichtlichen ward untersucht, was Plinius von den Farben mochte gesagt haben.

Während nun das einzelne vorschritt, ward ein Schema der ganzen Lehre immer durchgearbeitet.

Die physischen Farben verlangten nun der Ordnung nach meine ganze Aufmerksamkeit. Die Betrachtung ihrer Erscheinungsmittel und Bedingungen nahm alle meine Geisteskräfte in Anspruch. Hier mußt ich nun meine längst befestigte Überzeugung aussprechen, daß, da wir alle Farben nur durch Mittel und an Mitteln sehen, die Lehre vom Trüben, als dem allerzartesten und reinsten Materiellen, derjenige Beginn sei, woraus die ganze Chromatik sich entwickele.

Überzeugt, daß rückwärts, innerhalb dem Kreise der physiologischen Farben, sich auch ohne mein Mitwirken ebendasselbe notwendig offenbaren müsse, ging ich vorwärts und redigierte, was ich alles über Refraktion mit mir selbst und andern verhandelt hatte. Denn hier war eigentlich der Aufenthalt [179] jener bezaubernden Prinzessin, welche im siebenfarbigen Schmuck die ganze Welt zum besten hatte. Hier lag der grimmig sophistische Drache, einem jeden bedrohlich, der sich unterstehen wollte, das Abenteuer mit diesen Irrsalen zu wagen. Die Bedeutsamkeit dieser Abteilung und der dazugehörigen Kapitel war groß, ich suchte ihr durch Ausführlichkeit genugzutun, und ich fürchte nicht, daß etwas versäumt worden sei. Daß, wenn bei der Refraktion Farben erscheinen sollen, ein Bild, eine Grenze verrückt werden müsse, ward festgestellt. Wie sich bei subjektiven Versuchen schwarze und weiße Bilder aller Art durchs Prisma an ihren Rändern verhalten, wie das gleiche geschieht an grauen Bildern aller Schattierungen, an bunten jeder Farbe und Abstufung, bei stärkerer oder geringerer Refraktion, alles ward streng auseinandergesetzt, und ich bin überzeugt, daß der Lehrer, die sämtlichen Erscheinungen in Versuchen vorlegend, weder an dem Phänomen noch am Vortrag etwas vermissen wird.

Die katoptrischen und paroptischen Farben folgten darauf, und es war in betreff jener zu bemerken, daß bei der Spiegelung nur alsdann Farben erscheinen, wenn der spiegelnde Körper geritzt oder fadenartig glänzend angenommen wird. Bei den paroptischen leugnete man die Beugung und leitete die farbigen Streifen von Doppellichtern her. Daß die Ränder der Sonne jeder für sich einen eigenen Schatten werfen, kam bei einer ringförmigen Sonnenfinsternis gar bekräftigend zum Vorschein.

Die sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe ward darauf ausgeführt und im Geschichtlichen nebenher Gauthiers »Chroagenesie« betrachtet.

Mit dem Abdruck waren wir bis zum dreizehnten Bogen des ersten Teils und bis zum vierten des zweiten gelangt, als mit dem 14. Oktober das grimmigste Unheil über uns hereinbrach und die übereilt geflüchteten Papiere unwiederbringlich zu vernichten drohte.

Glücklich genug vermochten wir, bald wieder ermannt, mit andern Geschäften auch dieses von neuem zu ergreifen und in gefaßter Tätigkeit unser Tagewerk weiter zu fördern.

[180] Nun wurden vor allen Dingen die nötigen Tafeln sorgfältig bearbeitet. Eine mit dem guten und wertenRunge fortgesetzte Korrespondenz gab uns Gelegenheit, seinen Brief dem Schluß der »Farbenlehre« beizufügen, wie denn auch Seebecks gesteigerte Versuche dem Ganzen zugute kamen.

Mit befreiter Brust dankten wir den Musen für so offenbar gegönnten Beistand; aber kaum hatten wir einigermaßen frischen Atem geschöpft, so sahen wir uns genötigt, um nicht zu stocken, alsogleich den widerwärtigen polemischen Teil anzufassen und unsere Bemühungen um Newtons Optik sowie die Prüfung seiner Versuche und der daraus gezogenen Beweise auch ins Enge und dadurch endlich zum Abschluß zu bringen. Die Einleitung des polemischen Teils gelang mit Ausgang des Jahrs.

An fremdem poetischem Verdienst war wo nicht ausgedehnte, aber doch innig erfreuliche Teilnahme. Das »Wunderhorn«, altertümlich und phantastisch, ward seinem Verdienste gemäß geschätzt und eine Rezension desselben mit freundlicher Behaglichkeit ausgefertigt. Hillers Naturdichtungen, gerade im Gegensatz, ganz gegenwärtig und der Wirklichkeit angehörig, wurden nach ihrer Art mit billigem Urteil empfangen. »Aladdin« von Öhlenschläger war nicht weniger wohl aufgenommen, ließ auch nicht alles, besonders im Verlauf der Fabel, sich gutheißen. Und wenn ich unter den Studien früherer Zeit die »Perser« des Äschylus bemerkt finde, so scheint mir, als wenn eine Vorahnung dessen, was wir zu erwarten hatten, mich dahin getrieben habe.

Aber einen eigentlichen Nationalanteil hatten doch die »Nibelungen« gewonnen; sie sich anzueignen, sich ihnen hinzugeben war die Lust mehrerer verdienter Männer, die mit uns gleiche Vorliebe teilten.

Schillers Verlassenschaft blieb ein Hauptaugenmerk, ob ich gleich, jenes frühern Versuchs schmerzlich gedenkend, allem Anteil an einer Herausgabe und einer biographischen Skizze des trefflichen Freundes standhaft entsagte.

Adam Müllers »Vorlesungen« kamen mir in die Hände. Ich [181] las, ja studierte sie, jedoch mit geteilter Empfindung: denn wenn man wirklich darin einen vorzüglichen Geist erblickte, so ward man auch mancher unsichern Schritte gewahr, welche nach und nach folgerecht das beste Naturell auf falsche Wege führen mußten.

Hamanns Schriften wurden von Zeit zu Zeit aus dem mystischen Gewölbe, wo sie ruhten, hervorgezogen. Der durch die sonderbare Sprachhülle hindurch wirkende rein kräftige Geist zog immer die Bildungslustigen wieder an, bis man, an soviel Rätseln müde und irre, sie beiseite legte und doch jedesmal eine vollständige Ausgabe zu wünschen nicht unterlassen konnte.

Wielands Übersetzung der Horazischen »Epistel an die Pisonen« leitete mich wirklich auf eine Zeitlang von andern Beschäftigungen ab. Dieses problematische Werk wird dem einen anders vorkommen als dem andern und jedem alle zehn Jahre auch wieder anders. Ich unternahm das Wagnis kühner und wunderlicher Auslegungen des Ganzen sowohl als des Einzelnen, die ich wohl aufgezeichnet wünschte, und wenn auch nur um der humoristischen Ansicht willen; allein diese Gedanken und Grillen, gleich so vielen tausend andern in freundschaftlicher Konversation ausgesprochen, gingen ins Nichts der Lüfte.

Der große Vorteil, mit einem Manne zu wohnen, der sich aus dem Grunde irgendeinem Gegenstande widmet, ward uns reichlich durch Fernows dauernde Gegenwart. Auch in diesem Jahre brachte er uns durch seine Abhandlung über die italienischen Dialekte mitten ins Leben jenes merkwürdigen Landes.

Auch die Geschichte der neuern deutschen Literatur gewann gar manches Licht: durch Johannes Müller in seiner Selbstbiographie, die wir mit einer Rezension begrüßten, ferner durch den Druck der Gleimischen Briefe, die wir dem eingeweihten Körte, Hubers Lebensjahre, die wir seiner treuen und in so vieler Hinsicht höchst schätzenswerten Gattin verdanken.

Von älteren geschichtlichen Studien findet sich nichts bemerkt, als daß ich des Lampridius Kaisergeschichte gelesen, [182] und ich erinnere mich noch gar wohl des Grausens, das bei Betrachtung jenes Unregiments mich befiel.

An dem höhern Sittlich-Religiosen teilzunehmen, riefen mich die »Studien« von Daub und Creuzer auf, nicht weniger der »Hallischen Missionsberichte« zweiundsiebzigstes Stück, das ich wie die vorigen der Geneigtheit des Herrn Dr. Knapp verdankte, welcher, von meiner aufrichtigen Teilnahme an der Verbreitung des sittlichen Gefühls durch religiöse Mittel überzeugt, mir schon seit Jahren die Nachrichten von den gesegneten Fortschritten einer immer lebendigen Anstalt nicht vorenthielt.

Von anderer Seite ward ich zu der Kenntnis des gegenwärtig Politischen geführt durch die »Gegengewichte« von Gentz, so wie mir von Aufklärung einzelner Zeitereignisse noch wohl erinnerlich ist, daß ein bei uns wohnender Engländer von Bedeutung, Herr Osborn, die Strategie der Schlacht von Trafalgar ihrem großen Sinn und kühner Ausführung nach umständlich graphisch erklärte.

Seit 1801, wo ich nach überstandener großer Krankheit Pyrmont besucht hatte, war ich eigentlich meiner Gesundheit wegen in kein Bad gekommen; in Lauchstädt hatt ich dem Theater zuliebe manche Zeit zugebracht und in Weimar der Kunstausstellung wegen. Allein es meldeten sich dazwischen gar manche Gebrechen, die eine duldende Indolenz eine Zeitlang hingehen ließ; endlich aber, von Freunden und Ärzten bestimmt, entschloß ich mich, Karlsbad zu besuchen, um so mehr, als ein tätiger und behender Freund, Major von Hendrich, die ganze Reisesorge zu übernehmen geneigt war. Ich fuhr also mit ihm und Riemer Ende Mais ab. Unterwegs bestanden wir erst das Abenteuer, den »Hussiten vor Naumburg« beizuwohnen und in eine Verlegenheit anderer Art gerieten wir in Eger, als wir bemerkten, daß uns die Pässe fehlten, die, vor lauter Geschäftigkeit und Reiseanstalt vergessen, durch eine wunderliche Komplikation von Umständen auch an der Grenze nicht waren abgefordert worden. Die Polizeibeamten in Eger fanden eine Form, diesem Mangel abzuhelfen, wie denn dergleichen Fälle [183] die schönste Gelegenheit darbieten, wo eine Behörde ihre Kompetenz und Gewandtheit betätigen kann; sie gaben uns einen Geleitschein nach Karlsbad gegen Versprechen, die Pässe nachzuliefern.

An diesem Kurorte, wo man sich, um zu genesen, aller Sorgen entschlagen sollte, kam man dagegen recht in die Mitte von Angst und Bekümmernis.

Fürst Reuß XIII., der mir immer ein gnädiger Herr gewesen, befand sich daselbst und war geneigt, mir mit diplomatischer Gewandtheit das Unheil zu entfalten, das unsern Zustand bedrohte. Gleiches Zutrauen hegte General Richter zu mir, der mich ins Vergangene gar manchen Blick tun ließ. Er hatte die harten Schicksale von Ulm miterlebt, und mir ward ein Tagebuch vom 3. Oktober 1805 bis zum 17., als dem Tage der Übergabe gedachter Festung, mitgeteilt. So kam der Julius heran, eine bedeutende Nachricht verdrängte die andere.

Zu Fördernis geologischer Studien hatte in den Jahren, da ich Karlsbad nicht besucht, Joseph Müller treulich vorgearbeitet. Dieser wackere Mann, von Turnau gebürtig, als Steinschneider erzogen, hatte sich in der Welt mancherlei versucht und war zuletzt in Karlsbad einheimisch geworden. Dort beschäftigte er sich mit seiner Kunst und geriet auf den Gedanken, die Karlsbader Sprudelsteine in Tafeln zu schneiden und reinlich zu polieren, wodurch denn diese ausgezeichneten Sinter nach und nach der naturliebenden Welt bekannt wurden. Von diesen Produktionen der heißen Quellen wendete er sich zu andern auffallenden Gebirgserzeugnissen, sammelte die Zwillingskristalle des Feldspates, welche die dortige Umgegend vereinzelt finden läßt.

Schon vor Jahren hatte er an unsern Spaziergängen teilgenommen, als ich mit Baron von Racknitz und andern Naturfreunden bedeutenden Gebirgsarten nachging, und in der Folge hatte er Zeit und Mühe nicht gespart, um eine mannigfaltige charakteristische Sammlung aufzustellen, sie zu numerieren und nach seiner Art zu beschreiben. Da er nun dem Gebirg gefolgt war, so hatte sich ziemlich, was zusammengehörte, auch [184] zusammengefunden, und es bedurfte nur weniges, um sie wissenschaftlichen Zwecken näherzuführen, welches er sich denn auch, obgleich hie und da mit einigem Widerstreben, gefallen ließ.

Was von seinen Untersuchungen mir den größten Gewinn versprach, war die Aufmerksamkeit, die er dem Übergangsgestein geschenkt hatte, das sich dem Granit des Hirschensprungs vorlegt, einen mit Hornstein durchzogenen Granit darstellt, Schwefelkies und auch endlich Kalkspat enthält. Die heißen Quellen entspringen unmittelbar hieraus, und man war nicht abgeneigt, in dieser auffallenden geologischen Differenz, durch den Zutritt des Wassers, Erhitzung und Auflösung und so das geheimnisvolle Rätsel der wunderbaren Wasser aufgehellt zu sehen.

Er zeigte mir sorgfältig die Spuren obgedachten Gesteins, welches nicht leicht zu finden ist, weil die Gebäude des Schloßbergs darauf lasten. Wir zogen sodann zusammen durch die Gegend, besuchten die auf dem Granit aufsitzenden Basalte über dem Hammer, nahe dabei einen Acker, wo die Zwillingskristalle sich ausgepflügt finden. Wir fuhren nach Engelhaus, bemerkten im Orte selbst den Schriftgranit und anderes vom Granit nur wenig abweichendes Gestein. Der Klingsteinfelsen ward bestiegen und beklopft und von der weiten, obgleich nicht erheiternden Aussicht der Charakter gewonnen.

Zu allem diesem kam der günstige Umstand hinzu, daß Herr Legationsrat von Struve, in diesem Fache so unterrichtet als mitteilend und gefällig, seine schönen mitgeführten Stufen belehrend sehen ließ, auch an unsern geologischen Betrachtungen vielen Teil nahm und selbst einen ideellen Durchschnitt des Lessauer und Hohdorfer Gebirges zeichnete, wodurch der Zusammenhang der Erdbrände mit dem unter- und nebenliegenden Gebirg deutlich dargestellt und vermittelst vorliegender Muster sowohl des Grundgesteins als seiner Veränderung durch das Feuer belegt werden konnte.

Spazierfahrten, zu diesem Zwecke angestellt, waren zugleich [185] belehrend, erheiternd und von den Angelegenheiten der Tags ablenkend.

Späterhin traten Bergrat Werner und August von Herder, jener auf längere, dieser auf kürzere Zeit, an uns heran. Wenn nun auch, wie bei wissenschaftlichen Unterhaltungen immer geschieht, abweichende, ja kontrastierende Vorstellungsarten an den Tag kommen, so ist doch, wenn man das Gespräch auf die Erfahrung hinzuwenden weiß, gar vieles zu lernen. Werners Ableitung des Sprudels von fortbrennenden Steinkohlenflözen war mir zu bekannt, als daß ich hätte wagen sollen, ihm meine neusten Überzeugungen mitzuteilen, auch gab er der Übergangsgebirgsart vom Schloßberge, die ich so wichtig fand, nur einen untergeordneten Wert. August von Herder teilte mir einige schöne Erfahrungen von dem Gehalt der Gebirgsgänge mit, der verschieden ist, indem sie nach verschiedenen Himmelsgegenden streichen. Es ist immer schön, wenn man das Unbegreifliche als wirklich vor sich sieht.

Über eine pädagogisch-militärische Anstalt bei der französischen Armee gab uns ein trefflicher aus Bayern kommender Geistlicher genaue Nachricht. Es werde nämlich von Offizieren und Unteroffizieren am Sonntage eine Art von Katechisation gehalten, worin der Soldat über seine Pflichten sowohl als auch über ein gewisses Erkennen, soweit es ihn in seinem Kreise fördert, belehrt werde. Man sah wohl, daß die Absicht war, durchaus kluge und gewandte, sich selbst vertrauende Menschen zu bilden; dies aber setzte freilich voraus, daß der sie anführende große Geist dessenungeachtet über jeden und alle hervorragend blieb und von Raisonneurs nichts zu fürchten hatte.

Angst und Gefahr jedoch vermehrte der brave, tüchtige Wille echter deutscher Patrioten, welche in der ganz ernstlichen und nicht einmal verhohlnen Absicht, einen Volksaufstand zu organisieren und zu bewirken, über die Mittel dazu sich leidenschaftlich besprachen, so daß, während wir von fernen Gewittern uns bedroht sahen, auch in der nächsten Nähe sich Nebel und Dunst zu bilden anfing.

[186] Indessen war der Deutsche Rheinbund geschlossen und seine Folgen leicht zu übersehen; auch fanden wir bei unserer Rückreise durch Hof in den Zeitungen die Nachricht: das Deutsche Reich sei aufgelöst.

Zwischen diese beunruhigenden Gespräche jedoch traten manche ableitende. Landgraf Karl von Hessen, tieferen Studien von jeher zugetan, unterhielt sich gern über die Urgeschichte der Menschheit und war nicht abgeneigt, höhere Ansichten anzuerkennen, ob man gleich mit ihm einstimmig auf einen folgerechten Weg nicht gelangen konnte.

Karlsbad gab damals das Gefühl, als wäre man im Lande Gosen; Österreich war zu einem scheinbaren Frieden mit Frankreich genötigt, und in Böhmen ward man wenigstens nicht wie in Thüringen durch Märsche und Widermärsche jeden Augenblick aufgeregt. Allein kaum war man zu Hause, als man das bedrohende Gewitter wirklich heranrollen sah, die entschiedenste Kriegserklärung durch Heranmarsch unübersehlicher Truppen.

Eine leidenschaftliche Bewegung der Gemüter offenbarte sich nach ihrem verschiedenen Verhältnis, und wie sich in solcher Stimmung jederzeit Märchen erzeugen, so verbreitete sich auch ein Gerücht von dem Tode des Grafen Haugwitz, eines alten Jugendfreundes, früher als tätiger und gefälliger Minister anerkannt, jetzt der ganzen Welt verhaßt, da er den Unwillen der Deutschen durch abgedrungene Hinneigung zu dem französischen Übergewicht auf sich geladen.

Die Preußen fahren fort, Erfurt zu befestigen; auch unser Fürst, als preußischer General, bereitet sich zum Abzuge. Welche sorgenvolle Verhandlungen ich mit meinem treuen und ewig unvergeßlichen Geschäftsfreunde, dem Staatsminister von Voigt, damals gewechselt, möchte schwer auszusprechen sein; ebensowenig die prägnante Unterhaltung mit meinem Fürsten im Hauptquartier Niederroßla.

Die Herzoginmutter bewohnte Tiefurt, Kapellmeister Himmel war gegenwärtig, und man musizierte mit schwerem Herzen; es ist aber in solchen bedenklichen Momenten das Herkömmliche, [187] daß Vergnügungen und Arbeiten so gut wie Essen, Trinken, Schlafen in düsterer Folge hintereinander fortgehen.

Die Karlsbader Gebirgsfolge war in Jena angelangt, ich begab mich am 26. September hin, sie auszupacken und unter Beistand des Direktors Lenz vorläufig zu katalogieren; auch ward ein solches Verzeichnis für das »Jenaische Literatur-Intelligenzblatt« fertig geschrieben und in die Druckerei gegeben.

Indessen war ich in den Seitenflügel des Schlosses gezogen, um dem Fürsten Hohenlohe Platz zu machen, der, mit seiner Truppenabteilung widerwillig heranrückend, lieber auf der Straße nach Hof dem Feind entgegenzugehen gewünscht hätte. Dieser trüben Ansichten ungeachtet, ward nach alter akademischer Weise mit Hegel manches philosophische Kapitel durchgesprochen. Schelling gab eine Erklärung heraus, von Ths beantwortet. Ich war bei Fürst Hohenlohe zu Tafel, sah manche bedeutende Männer wieder, machte neue Bekanntschaften; niemanden war wohl, alle fühlten sich in Verzweiflung, die keiner umhin konnte, wo nicht durch Worte, doch durch Betragen zu verraten.

Mit Obrist von Massenbach, dem Heißkopfe, hatte ich eine wunderliche Szene. Auch bei ihm kam die Neigung zu schriftstellern der politischen Klugheit und militärischen Tätigkeit in den Weg. Er hatte ein seltsames Opus verfaßt, nichts Geringeres als ein moralisches Manifest gegen Napoleon. Jedermann ahnete, fürchtete die Übergewalt der Franzosen, und so geschah es denn, daß der Drucker, begleitet von einigen Ratspersonen, mich anging und sie sämtlich mich dringend baten, den Druck des vorgelegten Manuskriptes abzuwenden, welches beim Einrücken des französischen Heeres der Stadt notwendig Verderben bringen müsse. Ich ließ mir es übergeben und fand eine Folge von Perioden, deren erste mit den Worten anfing: »Napoleon, ich liebte dich!«, die letzte aber:»Ich hasse dich« Dazwischen waren alle Hoffnungen und Erwartungen ausgesprochen, die man anfangs von der Großheit des Napoleonschen Charakters hegte, indem man dem [188] außerordentlichen Manne sittlich-menschliche Zwecke unterlegen zu müssen wähnte, und zuletzt ward alles das Böse, was man in der neuern Zeit von ihm erdulden müssen, in geschärften Ausdrücken vorgeworfen. Mit wenigen Veränderungen hätte man es in den Verdruß eines betrogenen Liebhabers über seine untreue Geliebte übersetzen können, und so erschien dieser Aufsatz ebenso lächerlich als gefährlich.

Durch das Andringen der wackern Jenenser, mit denen ich so viele Jahre her in gutem Verhältnis gestanden, überschritt ich das mir selbst gegebene Gesetz, mich nicht in öffentliche Händel zu mischen; ich nahm das Heft und fand den Autor in den weitläufigen antiken Zimmern der Wilhelmischen Apotheke. Nach erneuerter Bekanntschaft rückte ich mit meiner Protestation hervor und hatte, wie zu erwarten, mit einem beharrlichen Autor zu tun. Ich aber blieb ein ebenso beharrlicher Bürger und sprach die Argumente, die freilich Gewicht genug hatten, mit beredter Heftigkeit aus, so daß er endlich nachgab. Ich erinnere mich noch, daß ein langer, stracker Preuße, dem Ansehn nach ein Adjutant, in unbewegter Stellung und unveränderten Gesichtszügen dabeistand und sich wohl über die Kühnheit eines Bürgers innerlich verwundern mochte. Genug, ich schied von dem Obristen im besten Vernehmen, verflocht in meinen Dank alle persuasorischen Gründe, die eigentlich an sich hinreichend gewesen wären, nun aber eine milde Versöhnung hervorbrachten.

Noch trefflichen Männern wartete ich auf; es war am Freitag, den 3. Oktober. Den Prinzen Louis Ferdinand traf ich nach seiner Art tüchtig und freundlich; Generallieutenant von Grawert, Obrist von Massow, Hauptmann Blumenstein, letzterer jung, Halbfranzos, freundlich und zutraulich. Zu Mittag mit allen bei Fürst Hohenlohe zur Tafel.

Verwunderlich schienen mir bei dem großen Zutrauen auf preußische Macht und Kriegsgewandtheit Warnungen, die hie und da an meinen Ohren vorübergingen: man solle doch die besten Sachen, die wichtigsten Papiere zu verbergen suchen; ich aber, unter solchen Umständen aller Hoffnung quitt, rief, [189] als man eben die ersten Lerchen speiste: »Nun, wenn der Himmel einfällt, so werden ihrer viel gefangen werden.«

Den 6. fand ich in Weimar alles in voller Unruhe und Bestürzung. Die großen Charaktere waren gefaßt und entschieden, man fuhr fort zu überlegen, zu beschließen: Wer bleiben, wer sich entfernen sollte, das war die Frage.

1807

Zu Ende des vorigen Jahrs war das Theater schon wieder eröffnet, Balkon und Logen, Parterre und Galerie bevölkerten sich gar bald wieder als Wahrzeichen und Gleichnis, daß in Stadt und Staat alles die alte Richtung angenommen. Freilich hatten wir von Glück zu sagen, daß der Kaiser seiner Hauptmaxime getreu blieb, mit allem, was den sächsischen Namen führte, in Frieden und gutem Willen zu leben, ohne sich durch irgendeinen Nebenumstand irremachen zu lassen. General Dentzel, der in Jena vor soviel Jahren Theologie studiert hatte und wegen seiner Lokalkenntnisse zu jener großen Expedition berufen ward, zeigte sich als Kommandant zu freundlicher Behandlung gar geneigt. Der jüngere Mounier, bei uns erzogen, mit Freundschaft an manches Haus geknüpft, war als Commissaire-Ordonnateur angestellt, und ein gelindes Verfahren beschwichtigte nach und nach die beunruhigten Gemüter. Jeder hatte von den schlimmen Tagen her etwas zu erzählen und gefiel sich in Erinnerung überstandenen Unheils, auch ertrug man gar manche Last willig, als die aus dem Stegreif einbrechenden Schrecknisse nicht mehr zu fürchten waren.

Ich und meine Nächsten suchten also dem Theater seine alte Konsistenz wiederzugeben, und es gelangte, zwar vorbereitet, aber doch zufällig, zu einem neuen Glanz durch eine freundliche, den innigsten Frieden herstellende Kunsterscheinung. »Tasso« ward aufgeführt, allerdings nicht erst unter solchen Stürmen, vielmehr längst im stillen eingelernt: denn wie bei [190] uns antretende jüngere Schauspieler sich in manchen Rollen übten, die sie nicht alsobald übernehmen sollten, so verfuhren auch die älteren, indem sie manchmal ein Stück einzulernen unternahmen, das zur Aufführung nicht eben gleich geeignet schien. Hiernach hatten sie auch »Tasso« seit geraumer Zeit unter sich verabredet, verteilt und einstudiert, auch wohl in meiner Gegenwart gelesen, ohne daß ich jedoch, aus verzeihlichem Unglauben und daran geknüpftem Eigensinn, die Vorstellung hätte ansagen und entscheiden wollen. Nun, da manches zu stocken schien, da sich zu anderem Neuen weder Gelegenheit noch Mut fand, notwendig zu feiernde Festtage sich drängten, da regte sich die freundliche Zudringlichkeit meiner lieben Zöglinge, so daß ich zuletzt dasjenige halb unwillig zugestand, was ich eifrig hätte wünschen, befördern und mit Dank anerkennen sollen. Der Beifall, den das Stück genoß, war vollkommen der Reife gleich, die es durch ein liebevolles, anhaltendes Studium gewonnen hatte, und ich ließ mich gern beschämen, indem sie dasjenige als möglich zeigten, was ich hartnäckig als unmöglich abgewiesen hatte.

Mit beharrlicher, treuer Sorgfalt ward auch die nächsten Monate das Theater behandelt und junge Schauspieler in allem, was ihnen nötig war, besonders in einer gewissen natürlichen Gesetztheit und eigener persönlichen Ausbildung, die alle Manier ausschließt, geleitet und unterrichtet. Eine höhere Bedeutung für die Zukunft gab sodann »Der standhafte Prinz«, der, wie er einmal zur Sprache gekommen, im stillen unaufhaltsam fortwirkte. Auf ein anderes, freilich in anderem Sinne problematisches Theaterstück hatte man gleichfalls ein Auge geworfen, es war »Der zerbrochene Krug«, der gar mancherlei Bedenken erregte und eine höchst ungünstige Aufnahme zu erleben hatte. Aber eigentlich erholte sich das Weimarische Theater erst durch einen längeren Aufenthalt in Halle und Lauchstädt, wo man vor einem gleichfalls gebildeten, zu höhern Forderungen berechtigten Publikum das Beste, was man liefern konnte, zu leisten genötigt war. Das Repertorium dieser Sommervorstellungen ist vielleicht das bedeutendste, was die weimarische[191] Bühne, wie nicht leicht eine andere, in so kurzer Zeit gedrängt aufzuweisen hat.

Gar bald nach Aufführung des »Tasso«, einer so reinen Darstellung zarter, geist- und liebevoller Hof-und Weltszenen, verließ Herzogin Amalie den für sie im tiefsten Grund erschütterten, ja zerstörten Vaterlandsboden, allen zur Trauer, mir zum besonderen Kummer. Ein eiliger Aufsatz, mehr in Geschäftsform als in höherem inneren Sinne abgefaßt, sollte nur Bekenntnis bleiben, wieviel mehr ihrem Andenken ich zu widmen verpflichtet sei. Indessen wird man jene Skizze zunächst mitgeteilt finden.

Um mich aber von allen diesen Bedrängnissen loszureißen und meine Geister ins Freie zu wenden, kehrte ich an die Betrachtung organischer Naturen zurück. Schon waren mehrmals Anklänge bis zu mir gedrungen, daß die frühere Denkweise, die mich glücklich gemacht, auch in verwandten Gemütern sich entwickle; daher fühlt ich mich bewogen, die »Metamorphose der Pflanzen« wieder abdrucken zu lassen, manchen alten Heft- und Papierbündel durchzusehen, um etwas den Naturfreunden Angenehmes und Nützliches daraus zu schöpfen. Ich glaubte des Gelingens dergestalt sicher zu sein, daß bereits im Meßkatalog Ostern dieses Jahres eine Ankündigung unter dem Titel »Goethes Ideen über organische Bildung« dieserwegen auftrat, als könnte zunächst ein solches Heft ausgegeben werden. Die tieferen, hierauf bezüglichen Betrachtungen und Studien wurden deshalb ernstlicher vorgenommen als je; besonders suchte man von Kaspar Friedrich Wolffs »Theorie der Generation« sich immer mehr zu durchdringen. Die älteren osteologischen Ansichten, vorzüglich die im Jahre 1791 in Venedig von mir gemachte Entdeckung, daß der Schädel aus Rückenwirbeln gebildet sei, ward näher beleuchtet und mit zwei teilnehmenden Freunden,Voigt dem Jüngeren und Riemer, verhandelt, welche beide mir mit Erstaunen die Nachricht brachten, daß soeben diese »Bedeutung der Schädelknochen« durch ein akademisches Programm ins Publikum gesprungen sei, wie sie, da sie noch leben, Zeugnis geben können. Ich ersuchte [192] sie, sich stille zu halten, denn daß in eben gedachtem Programm die Sache nicht geistreich durchdrungen, nicht aus der Quelle geschöpft war, fiel dem Wissenden nur allzusehr in die Augen. Es geschahen mancherlei Versuche, mich reden zu machen, allein ich wußte zu schweigen.

Nächstdem wurden die versammelten Freunde der organischen Metamorphosenlehre durch einen Zufall begünstigt: Es zeigt sich nämlich der monoculus apus manchmal, obgleich selten, in stehenden Wassern der jenaischen Gegend; dergleichen ward mir diesmal gebracht, und nirgends ist wohl die Verwandlung eines Glieds, das immer dasselbige bleibt, in eine andere Gestalt deutlicher vor Augen zu sehen als bei diesem Geschöpfe.

Da nun ferner seit soviel Jahren Berg um Berg bestiegen, Fels um Fels beklettert und beklopft, auch nicht versäumt wurde, Stollen und Schächte zu befahren, so hatte ich auch die Naturerscheinungen dieser Art selbst gezeichnet, um ihre Weise und Wesen mir einzudrücken, teils zeichnen lassen, um richtigere Abbildungen zu gewinnen und festzuhalten. Bei allem diesem schwebte mir immer ein Modell im Sinne, wodurch das anschaulicher zu machen wäre, wovon man sich in der Natur überzeugt hatte. Es sollte auf der Oberfläche eine Landschaft vorstellen, die aus dem flachen Lande bis in das höchste Gebirg sich erhob. Hatte man die Durchschnittsteile auseinandergerückt, so zeigte sich an den innern Profilen das Fallen, Streichen und was sonst verlangt werden mochte. Diesen ersten Versuch bewahrte ich lange und bemühte mich, ihm von Zeit zu Zeit mehr Vollständigkeit zu geben. Freilich aber stieß ich dabei auf Probleme, die so leicht nicht zu lösen waren. Höchst erwünscht begegnete mir daher ein Antrag des wackern Naturforschers Haberle, den Legationsrat Bertuch bei mir eingeführt hatte. Ich legte ihm meine Arbeit vor mit dem Wunsch, daß er sie weiterbringen möge; allein bei einiger Beratung darüber ward ich nur allzubald gewahr, daß wir in der Behandlungsart nicht übereinstimmen dürften. Ich überließ ihm jedoch die Anlage, auf seine weitere Bearbeitung hoffend, habe sie aber, da [193] er wegen meteorologischer Mißlehren sich von Weimar verdrießlich entfernte, niemals wiedergesehen.

Hochgeehrt fand ich mich auch in der ersten Hälfte des Jahrs durch ein von Herrn Alexander von Humboldt in bildlicher Darstellung mir auf so bedeutende Weise gewidmetes gehaltvolles Werk: »Ideen zu einer Geographie der Pflanzen« nebst einem Naturgemälde der Tropenländer.

Aus frühster und immer erneuter Freundschaft für den edlen Verfasser und durch diesen neusten, mir so schmeichelhaften Anklang aufgerufen, eilte ich, das Werk zu studieren; allein die Profilkarte dazu sollte, wie gemeldet ward, erst nachkommen. Ungeduldig, meine völlige Erkenntnis eines solchen Werkes aufgehalten zu sehen, unternahm ich gleich, nach seinen Angaben einen gewissen Raum mit Höhenmaßen an der Seite in ein landschaftliches Bild zu verwandeln. Nachdem ich, der Vorschrift gemäß, die tropische rechte Seite mir ausgebildet und sie als die Licht- und Sonnenseite dargestellt hatte, so setzt ich zur Linken an die Stelle der Schattenseite die europäischen Höhen, und so entstand eine symbolische Landschaft, nicht unangenehm dem Anblick. Diese zufällige Arbeit widmete ich inschriftlich dem Freunde, dem ich sie schuldig geworden war.

Das Industrie-Comptoir gab eine Abbildung mit einigem Text heraus, welche auch auswärts so viel Gunst erwarb, daß ein Nachstich davon in Paris erschien.

Zu der »Farbenlehre« wurden mit Genauigkeit und Mühe die längst vorbereiteten Tafeln nach und nach ins reine gebracht und gestochen, indessen der Abdruck des Entwurfs immer vorwärtsrückte und zu Ende des Januars vollendet ward. Nun konnte man sich mit mehr Freiheit an die Polemik wenden. Da Newton durch Verknüpfung mehrerer Werkzeuge und Vorrichtungen einen experimentalen Unfug getrieben hatte, so wurden besonders die Phänomene, wenn Prismen und Linsen aufeinander wirken, entwickelt und überhaupt die Newtonischen Experimente eins nach dem andern genauer untersucht. Somit konnte denn der Anfang des polemischen [194] Teils zum Druck gegeben werden; das Geschichtliche behielt man zugleich immer im Auge. Nuguet »Über die Farben«, aus dem »Journal de Trevoux«, war höchst willkommen. Auch wandte man sich zurück in die mittlere Zeit; Roger Bacon kam wieder zur Sprache, und zur Vorbereitung schrieb man das Schema des funfzehnten Jahrhunderts.

Freund Meyer studierte das Kolorit der Alten und fing an, einen Aufsatz darüber auszuarbeiten; die Verdienste dieser nie genug zu schätzenden klassischen Altvordern wurden in ihrer reinen Natürlichkeit redlich geachtet. Eine Einleitung zur »Farbenlehre«, dazu ein Vorwort, war geschrieben; auch versuchte ein teilnehmender Freund eine Übersetzung ins Französische, wovon mich die bis jetzt erhaltenen Blätter noch immer an die schönsten Stunden erinnern. Indessen mußte die Polemik immer fortgesetzt und die gedruckten Bogen beider Teile berichtigt werden. Am Ende des Jahrs waren dreißig Aushängebogen des ersten und fünfe des zweiten Teils in meinen Händen.

Wie es nun geht, wenn man sich mit Gegenständen lange beschäftigt und sie uns so bekannt und eigen werden, daß sie uns bei jeder Gelegenheit vorschweben, so gebraucht man sie auch gleichnisweise im Scherz und Ernst; wie ich denn ein paar glückliche Einfälle heiterer Freunde in unsern literarischen Mitteilungen anführen werde.

Das Manuskript zu meinen Schriften wird nach und nach abgesendet, die erste Lieferung kommt gedruckt an.

Ich vernehme Hackerts Tod, man übersendet mir nach seiner Anordnung biographische Aufsätze und Skizzen, ich schreibe sein Leben im Auszuge, zuerst fürs »Morgenblatt«.

Der vorjährige Aufenthalt in Karlsbad hatte mein Befinden dergestalt verbessert, daß ich wohl das Glück, dem großen hereinbrechenden Kriegsunheil nicht unterlegen zu sein, ungezweifelt jener sorgfältig gebrauchten Kur zuschreiben durfte. Ich entschloß mich daher zu einer abermaligen Reise, und zwar einer baldigen, und schon in der zweiten Hälfte des Mais war ich daselbst angelangt. An kleineren Geschichten, ersonnen, [195] angefangen, fortgesetzt, ausgeführt, war diese Jahrszeit reich; sie sollten alle, durch einen romantischen Faden unter dem Titel »Wilhelm Meisters Wanderjahre« zusammengeschlungen, ein wunderlich anziehendes Ganze bilden. Zu diesem Zweck finden sich bemerkt: Schluß der »Neuen Melusine«, »Der Mann von fünfzig Jahren«, »Die pilgernde Törin«.

Glücklich war ich nicht weniger mit Joseph Müllers Karlsbader Sammlung. Die Vorbereitungen des verflossenen Jahres waren sorgfältig und hinreichend; ich hatte Beispiele der darin aufzuführenden Gebirgsarten zur Genüge mitgenommen und dieselben, meine Zwecke hartnäckig verfolgend, in dem jenaischen Museum niedergelegt, mit Bergrat Lenz ihre Charakteristik und dem Vorkommen gemäße Anordnung besprochen.

Also ausgerüstet, gelangt ich diesmal nach Karlsbad in die Fülle des Müllerischen Steinvorrats. Mit weniger Abweichung von der vorjährigen Ordnung, in welcher ich eine Mustersammlung noch beisammen fand, wurde, mit gutem Willen und Überzeugung des alten Steinfreundes, die entschiedene neue Ordnung beliebt, sogleich ein Aufsatz gefertigt und wiederholt mit Sorgfalt durchgegangen.

Ehe der kleine Aufsatz nun abgedruckt werden konnte, mußte die Billigung der obern Prager Behörde eingeholt werden, und so hab ich das Vergnügen, auf einem meiner Manuskripte das »Vidi« der Prager Zensur zu erblicken. Diese wenigen Bogen sollten mir und andern in der Folge zum Leitfaden dienen und zu mehr spezieller Untersuchung Anlaß geben.

Zugleich war die Absicht, gewisse geologische Überzeugungen in die Wissenschaft einzuschwärzen.

Für den guten Joseph Müller aber war die erfreuliche Folge, daß die Aufmerksamkeit auf seine Sammlung gerichtet und mehrere Bestellungen darauf gegeben wurden. Doch so eingewurzelt war ihm die freilich wegen der Konkurrenz so nötige Geheimnislust, daß er mir den Fundort von einigen Nummern niemals entdecken wollte, vielmehr die seltsamsten Ausflüchte ersann, um seine Freunde und Gönner irrezuführen.

[196] In reiferen Jahren, wo man nicht mehr so heftig wie sonst durch Zerstreuungen in die Weite getrieben, durch Leidenschaften in die Enge gezogen wird, hat eine Badezeit große Vorteile, indem die Mannigfaltigkeit so vieler bedeutender Personen von allen Seiten Lebensbelehrung zuführt. So war dieses Jahr in Karlsbad mir höchst günstig, indem nicht nur die reichste und angenehmste Unterhaltung mir ward, sondern sich auch ein Verhältnis anknüpfte, welches sich in der Folge sehr fruchtbar ausbildete. Ich traf mit dem Residenten von Reinhard zusammen, der mit Gattin und Kindern diesen Aufenthalt wählte, um von harten Schicksalen sich zu erholen und auszuruhen. In früheren Jahren mit in die Französische Revolution verflochten, hatte er sich einer Folge von Generationen angeähnlicht, war durch ministerielle und diplomatische Dienste hoch emporgekommen. Napoleon, der ihn nicht lieben konnte, wußte ihn doch zu gebrauchen, sendete ihn aber zuletzt an einen unerfreulichen und gefährlichen Posten, nach Jassy, wo er, seiner Pflicht treulich vorstehend, eine Zeitlang verweilte, sodann aber von den Russen aufgehoben, durch manche Länderstrecken mit den Seinigen geführt, endlich auf diensame Vorstellungen wieder losgegeben wurde. Hievon hatte seine höchst gebildete Gattin, eine Hamburgerin, Reimarus' Tochter, eine treffliche Beschreibung aufgesetzt, wodurch man die verwickelten, ängstlichen Zustände genauer einsah und zu wahrer Teilnahme hingenötigt wurde.

Schon der Moment, in welchem sich ein neuer würdiger Landsmann von Schiller und Cuvier darstellte, war bedeutend genug, um alsobald eine nähere Verbindung zu bewirken. Beide Gatten, wahrhaft aufrichtig und deutsch gesinnt, nach allen Seiten gebildet, Sohn und Tochter anmutig und liebenswürdig, hatten mich bald in ihren Kreis gezogen. Der treffliche Mann schloß sich um so mehr an mich, als er, Repräsentant einer Nation, die im Augenblick so vielen Menschen wehe tat, von der übrigen geselligen Welt nicht wohlwollend angesehen werden konnte.

Ein Mann vom Geschäftsfache, gewohnt, sich die fremdesten [197] Angelegenheiten vortragen zu lassen, um solche alsbald zurechtgelegt in klarer Ordnung zu erkennen, leiht einem jeden sein Ohr, und so gönnte mir auch dieser neue Freund anhaltende Aufmerksamkeit, als ich ihm meine Farbenlehre vorzutragen nicht unterlassen konnte. Er ward sehr bald damit vertraut, übernahm die Übersetzung einiger Stellen, ja wir machten den Versuch einer sonderbaren wechselseitigen Mitteilung, indem ich ihm Geschichte und Schicksale der Farbenlehre von den ältesten Zeiten bis auf die neusten und auch meine Bemühungen eines Morgens aus dem Stegreif vortrug und er dagegen seine Lebensgeschichte am andern Tage gleichfalls summarisch erzählte. So wurden wir denn, ich mit dem, was ihm begegnet, er mit dem, was mich auf das lebhafteste beschäftigte, zugleich bekannt und ein innigeres Eingreifen in die wechselseitigen Interessen erleichtert.

Zunächst hab ich nun der Fürstin Solms, einer gebornen Prinzessin von Mecklenburg, zu gedenken, die mir immer, wo ich ihr auch begegnete, ein gnädiges Wohlwollen erwies. Sie veranlaßte mich jederzeit, ihr etwas vorzulesen, und ich wählte stets das Neuste, was mir aus Sinn und Herz hervorgequollen war, wodurch denn die Dichtung jedesmal als der Ausdruck eines wahren Gefühls auch wahr erschien und, weil sie aus dem Innern hervortrat, wieder aufs Innerste ihre Wirkung ausübte. Eine freundlich sinnige Hofdame, Fräulein L'Estocq, war es, welche mit gutem Geiste diesen vertraulichen Mitteilungen beiwohnte.

Sodann sollte mir der Name Reinhard noch einmal teuer werden. Der Königlich Sächsische Oberhofprediger suchte seine schon sehr zerrüttete Gesundheit an der heißen Quelle wieder aufzubauen. So leid es tat, diesen Wackern in bedenklichen Krankheitsumständen zu sehen, so erfreulich war die Unterhaltung mit ihm. Seine schöne sittliche Natur, sein ausgebildeter Geist, sein redliches Wollen sowie seine praktische Einsicht, was zu wünschen und zu erstreben sei, traten überall in ehrwürdiger Liebenswürdigkeit hervor. Ob er gleich mit meiner Art, mich über das Vorliegende zu äußern, sich nicht ganz [198] befreunden konnte, so hatt ich doch die Freude, in einigen Hauptpunkten gegen die herrschende Meinung mit ihm vollkommen übereinzustimmen, woraus er einsehen mochte, daß mein scheinbarer liberalistischer Indifferentismus, im tiefsten Ernste mit ihm praktisch zusammentreffend, doch nur eine Maske sein dürfte, hinter der ich mich sonst gegen Pedanterie und Dünkel zu schützen suchte. Auch gewann ich in einem hohen Grade sein Vertrauen, wodurch mir manches Treffliche zuteil ward. Und so waren es sittliche, das Unvergängliche berührende Gespräche, welche das Gewaltsame der aufeinander folgenden Kriegsnachrichten ablehnten oder milderten.

Die erneuerte Bekanntschaft mit dem verdienten Kreishauptmann von Schiller gewährte gleichfalls, ungeachtet der vielfachen Arbeiten dieses überhäuften Geschäftsmannes, gar manche angenehme Stunde. Auch überraschte mich durch seine Gegenwart Hauptmann Blumenstein, den ich vor einem Jahr in Jena am furchtbaren Vorabend unserer Unglückstage teilnehmend und aufrichtig gefunden. Voller Einsicht, Heiterkeit und glücklicher Einfälle, war er der beste Gesellschafter, und wir trieben manchen Schwank zusammen; doch konnte er als leidenschaftlicher Preuße mir nicht verzeihen, daß ich mit einem französischen Diplomaten zu vertraulich umgehe. Aber auch dieses ward durch ein paar lustige Einfälle bald zwischen uns in Freundschaft abgetan.

Nun aber schloß sich mir ein neuer Kreis auf: Fürstin Bagration, schön, reizend, anziehend, versammelte um sich eine bedeutende Gesellschaft. Hier ward ich dem Fürsten Ligne vorgestellt, dessen Name mir schon so viele Jahre bekannt, dessen Persönlichkeit mir durch Verhältnisse zu meinen Freunden höchst merkwürdig geworden. Seine Gegenwart bestätigte seinen Ruf; er zeigte sich immer heiter, geistreich, allen Vorfällen gewachsen und als Welt- und Lebemann überall willkommen und zu Hause. Der Herzog von Koburg zeichnete sich aus durch schöne Gestalt und anmutig würdiges Betragen. Der Herzog von Weimar, den ich in bezug auf mich zuerst hätte nennen sollen, weil ich ihm die ehrenvolle Aufnahme in diesen [199] Kreis zu verdanken hatte, belebte denselben durch seine Gegenwart vorzüglich. Graf Corneillan war auch hier, durch sein ernstes, ruhiges Betragen und dadurch, daß er angenehme Kunstwerke zur Unterhaltung brachte, immer willkommen. Vor der Wohnung der Fürstin, mitten auf der Wiese, fanden sich stets einige Glieder dieser Kette zusammen; unter diesen auch Hofrat von Gentz, der mit großer Einsicht und Übersicht der kurzvergangenen Kriegsereignisse mir gar oft seine Gedanken vertraulich eröffnete, die Stellungen der Armeen, den Erfolg der Schlachten und endlich sogar die erste Nachricht von dem Frieden zu Tilsit mitteilte.

An Ärzten war diesmal Karlsbad gleichfalls gesegnet. Dr. Kapp von Dresden nenne ich zuerst, dessen Anwesenheit im Bade mich immer glücklich machte, weil seine Unterhaltung überaus lehrreich und seine Sorgfalt für den, der sich ihm anvertraute, höchst gewissenhaft war. Hofrat Sulzer von Ronneburg, ein treuer Naturforscher und emsiger Mineralog, schloß sich an; Dr. Mitterbacher, sofern seine Geschäfte erlaubten, war auch beirätig. Dr. Florian, ein Böhme von Manetin, trat gleichfalls hinzu, und so hatte man Gelegenheit, mehr als eine der ärztlichen Denk- und Behandlungsweisen gewahr zu werden.

Auch von seiten der Stadt und Regierung schien man geneigt, Anstalt zu treffen, diese heißen Quellen besser als bisher zu ehren und den herangelockten Fremden eine angenehmere Lokalität zu bereiten. Ein zur Seite des Bernhardfelsens angelegtes Hospital gab Hoffnungen für die unvermögende Klasse, und die höheren Stände freuten sich schon zum voraus, dereinst am Neubrunnen einen bequemern und schicklichern Spaziergang zu finden. Man zeigte mir die Plane vor, die nicht anders als zu billigen waren; man hatte die Sache wirklich im großen überdacht, und ich freute mich gleichfalls der nahen Aussicht, mit soviel tausend anderen aus dem möglichst unanständigen Gedränge in eine würdig-geräumige Säulenhalle versetzt zu sein.

Meiner Neigung zur Mineralogie war noch manches andere [200] förderlich. Die Porzellanfabrik in Dalwitz bestätigte mich abermals in meiner Überzeugung, daß geognostische Kenntnis im großen und im kleinen jedem praktischen Unternehmen von der größten Wichtigkeit sei. Was wir sonst nur diesem oder jenem Lande zugeeignet glaubten, wissen wir jetzt an hundert Orten zu finden: man erinnere sich der vormals wie ein Kleinod geachteten sächsischen Porzellanerde, die sich jetzt überall hervortut.

Für ein näheres Verständnis der Edelsteine war mir die Gegenwart eines Juweliers, Zöldner von Prag, höchst interessant: denn ob ich ihm gleich nur weniges abkaufte, so machte er mich mit so vielem bekannt, was mir im Augenblick zur Freude und in der Folge zum Nutzen gereichte.

Übergehen will ich nicht, daß ich in meinen Tagebüchern angemerkt finde, wie des Dr. Hausmanns und seiner Reise nach Norwegen mit Ehren und Zutrauen in der Gesellschaft gedacht worden.

Und so wurde mir auch noch, wie gewöhnlich in den spätesten Tagen des Karlsbader Aufenthalts, Bergrat Werners Anwesenheit höchst belebend. Wir kannten einander seit vielen Jahren und harmonierten, vielleicht mehr durch wechselseitige Nachsicht als durch übereinstimmende Grundsätze. Ich vermied, seinen Sprudelursprung aus Kohlenflözen zu berühren, war aber in andern Dingen aufrichtig und mitteilend, und er, mit wirklich musterhafter Gefälligkeit, mochte gern meinen dynamischen Thesen, wenn er sie auch für Grillen hielt, aus reicher Erfahrung belehrend nachhelfen.

Es lag mir damals mehr als je am Herzen, die porphyrartige Bildung gegen konglomeratische hervorzuheben, und ob ihm gleich das Prinzip nicht zusagte, so machte er mich doch in Gefolg meiner Fragen mit einem höchst wichtigen Gestein bekannt; er nannte es nach trefflicher eigenartiger Bestimmung dattelförmig-körnigen Quarz, der bei Prieborn in Schlesien gefunden werde. Er zeichnete mir sogleich die Art und Weise des Erscheinens und veranlaßte dadurch vieljährige Nachforschungen.

[201] Es begegnet uns auf Reisen, wo wir entweder mit fremden oder doch lange nicht gesehenen Personen, es sei nun an ihrem Wohnort oder auch unterwegs, zusammentreffen, daß wir sie ganz anders finden, als wir sie zu denken gewohnt waren. Wir erinnern uns, daß dieser oder jener namhafte Mann einem oder dem andern Wissen mit Neigung und Leidenschaft zugetan ist; wir treffen ihn und wünschen uns gerade in diesem Fache zu belehren, und siehe da, er hat sich ganz woanders hingewendet, und das, was wir bei ihm suchen, ist ihm völlig aus den Augen gekommen. So ging es mir diesmal mit Bergrat Werner, welcher oryktognostische und geognostische Gespräche lieber vermied und unsere Aufmerksamkeit für ganz andere Gegenstände forderte.

Der Sprachforschung war er diesmal ganz eigentlich ergeben; deren Ursprung, Ableitung, Verwandtschaft gab seinem scharfsinnigen Fleiß hinreichende Beschäftigung, und es bedurfte nicht viel Zeit, so hatte er uns auch für diese Studien gewonnen. Er führte eine Bibliothek von Pappenkasten mit sich, worin er alles, was hierher gehörte, ordnungsgemäß, wie es einem solchen Mann geziemt, verwahrte und dadurch eine freie, geistreiche Mitteilung erleichterte.

Damit aber dieses nicht allzu paradox erscheine, so denke man an die Nötigung, wodurch dieser Treffliche in ein solches Fach hingedrängt worden. Jedes Wissen fordert ein zweites, ein drittes und immer so fort; wir mögen den Baum in seinen Wurzeln oder in seinen Ästen und Zweigen verfolgen, eins ergibt sich immer aus dem andern, und je lebendiger irgendein Wissen in uns wird, desto mehr sehen wir uns getrieben, es in seinem Zusammenhange auf- und abwärts zu verfolgen. Werner hatte sich in seinem Fach, wie er herankam, für die Einzelheiten solcher Namen bedient, wie sie seinem Vorgänger beliebt; da er aber zu unterscheiden anfing, da sich täglich neue Gegenstände aufdrangen, so fühlte er die Notwendigkeit, selbst Namen zu erteilen.

Namen zu geben ist nicht so leicht, wie man denkt, und ein recht gründlicher Sprachforscher würde zu manchen sonderbaren [202] Betrachtungen aufgeregt werden, wenn er eine Kritik der vorliegenden oryktognostischen Nomenklatur schreiben wollte. Werner fühlte das gar wohl und holte freilich weit aus, indem er, um Gegenstände eines gewissen Fachs zu benennen, die Sprachen überhaupt in ihrem Entstehen, Entwicklungs- und Bildungssinne betrachten und ihnen das, was zu seinem Zwecke gefordert ward, ablernen wollte.

Niemand hat das Recht, einem geistreichen Manne vorzuschreiben, womit er sich beschäftigen soll. Der Geist schießt aus dem Zentrum seine Radien nach der Peripherie; stößt er dort an, so läßt er's auf sich beruhen und treibt wieder neue Versuchslinien aus der Mitte, auf daß er, wenn ihm nicht gegeben ist, seinen Kreis zu überschreiten, er ihn doch möglichst erkennen und ausfüllen möge. Und wenn auch Werner über dem Mittel den Zweck vergessen hätte, welches wir doch keineswegs behaupten dürfen, so waren wir doch Zeugen der Freudigkeit, womit er das Geschäft betrieb, und wir lernten von ihm und lernten ihm ab, wie man verfährt, um sich in einem Unternehmen zu beschränken und darin eine Zeitlang Glück und Befriedigung zu finden.

Sonst ward mir weder Muße noch Gelegenheit, in ältere Behandlungen der Naturgeschichte einzugehen. Ich studierte den Albertus Magnus, aber mit wenigem Erfolg. Man müßte sich den Zustand seines Jahrhunderts vergegenwärtigen, um nur einigermaßen zu begreifen, was hier gemeint und getan sei.

Gegen das Ende der Kur kam mein Sohn nach Karlsbad, dem ich den Anblick des Ortes, wovon so oft zu Hause die Rede war, auch gönnen wollte. Dies gab Gelegenheit zu einigen Abenteuern, welche den innern unruhigen Zustand der Gesellschaft offenbarten. Es war zu jener Zeit eine Art von Pekeschen Mode, grün, mit Schnüren von gleicher Farbe vielfach besetzt, beim Reiten und auf der Jagd sehr bequem und deshalb ihr Gebrauch sehr verbreitet. Diese Hülle hatten sich mehrere durch den Krieg versprengte preußische Offiziere zu einer Interimsuniform beliebt und konnten überall unter Pächtern, Gutsbesitzern, Jägern, Pferdehändlern und Studenten [203] unerkannt umhergehen. Mein Sohn trug dergleichen. Indessen hatte man in Karlsbad einige dieser verkappten Offiziere ausgewittert, und nun deutete gar bald dieses ausgezeichnete Kostüm auf einen Preußen.

Niemand wußte von der Ankunft meines Sohnes. Ich stand mit Fräulein L'Estocq an der Tepelmauer vor dem Sächsischen Saale; er geht vorbei und grüßt; sie zieht mich beiseite und sagt mit Heftigkeit: »Dies ist ein preußischer Offizier, und was mich erschreckt, er sieht meinem Bruder sehr ähnlich.« – »Ich will ihn herrufen«, versetzte ich, »will ihn examinieren.« Ich war schon weg, als sie mir nachrief: »Um Gottes willen, machen Sie keine Streiche!« Ich brachte ihn zurück, stellte ihn vor und sagte: »Diese Dame, mein Herr, wünscht einige Auskunft. Mögen Sie uns wohl entdecken, woher Sie kommen und wer Sie sind?« Beide junge Personen waren verlegen, eins wie das andere. Da mein Sohn schwieg und nicht wußte, was es bedeuten solle, und das Fräulein schweigend auf einen schicklichen Rückzug zu denken schien, nahm ich das Wort und erklärte mit einer scherzhaften Wendung, daß es mein Sohn sei, und wir müßten es für ein Familienglück halten, wenn er ihrem Bruder einigermaßen ähnlich sehen könnte. Sie glaubte es nicht, bis das Märchen endlich in Wahrscheinlichkeit und zuletzt in Wirklichkeit überging.

Das zweite Abenteuer war nicht so ergötzlich. Wir waren schon in den September gelangt, zu der Jahrszeit, in welcher die Polen häufiger sich in Karlsbad zu versammeln pflegen. Ihr Haß gegen die Preußen war schon seit langer Zeit groß und nach den letzten Unfällen in Verachtung übergegangen. Sie mochten unter der grünen, als polnischen Ursprungs recht eigentlich polnischen Jacke diesmal auch einen Preußen wittern. Er geht auf dem Platz umher, vor den Häusern der Wiese, vier Polen begegnen ihm, auf der Mitte des Sandweges hergehend; einer löst sich ab, geht an ihm vorbei, sieht ihm ins Gesicht und gesellt sich wieder zu den andern. Mein Sohn weiß so zu manövrieren, daß er ihnen nochmals begegnet, in der Mitte des Sandwegs auf sie losgeht und die viere durchschneidet, [204] dabei sich auch ganz kurz erklärt, wie er heiße, wo er wohne und zugleich, daß seine Abreise auf morgen früh bestimmt sei und daß, wer was an ihn zu suchen habe, es diesen Abend noch tun könne. Wir verbrachten den Abend, ohne beunruhigt zu sein, und so reisten wir auch den andern Morgen ab. Es war, als könnte diese Komödie von vielen Akten wie ein englisches Lustspiel nicht endigen ohne Ehrenhändel.

Bei meiner Rückkunft von Karlsbad brachten mir die Sänger ein Ständchen, woraus ich zugleich Neigung, guten Willen, Fortschreiten in der Kunst und manch anderes Erfreuliche gewahr werden konnte. Ich vergnügte mich nunmehr, bekannten Melodien neue, aus der Gegenwart geschöpfte Lieder zu heiterer Geselligkeit unterzulegen; Demoiselle Engels trug sie mit Geist und Leben vor, und so eigneten wir uns die beliebtesten Sangweisen nach und nach dergestalt an, als wenn sie für unsern Kreis wären gedichtet worden. Musikalische mehrstimmige Vorübungen fanden fleißig statt, und am 30. Dezember konnte der erste Sonntag vor großer Gesellschaft gefeiert werden.

Das Weimarische Theater gewann zu Michael einen angenehmen und hoffnungsvollen Tenoristen,Morhard. Seine Ausbildung beförderte ein älterer musikalischer Freund, dem eine gewisse konzertmeisterliche Geschicklichkeit eigen war, mit der Violine dem Gesang nachzuhelfen und dem Sänger Sicherheit, Mut und Lust einzuflößen. Dies gab Veranlassung, musikalische Didaskalien nach Art jener dramatischen zu halten, als Vorübung, um den Sänger in Rollen einzuleiten, die ihm vielleicht, nur später, zugeteilt würden. Zugleich war die Absicht, Personen von weniger Stimme in leichten, faßlichen Opern, die als Einschub immer willkommen sind, brauchbar und angenehm zu machen. Hieraus entsprang fernerhin eine Übung mehrstimmigen Gesanges, welches denn früher oder später dem Theater zum Nutzen zugute kommen mußte.

Auch als Dichter wollte ich für die Bühne nicht untätig bleiben. Ich schrieb einen Prolog für Leipzig, wo unsere Schauspieler eine Zeitlang auftreten sollten; ferner einen Prolog zum [205] 19. September, um die Wiedervereinigung der fürstlichen Familie nach jener widerwärtigen Trennung zu feiern.

Als das wichtigste Unternehmen bemerke ich jedoch, daß ich »Pandorens Wiederkunft« zu bearbeiten anfing. Ich tat es zwei jungen Männern, vieljährigen Freunden, zuliebe. Leo von Seckendorf und Dr. Stoll, beide von literarischem Bestreben, dachten einen Musenalmanach in Wien herauszufördern; er sollte den Titel »Pandora« führen, und da der mythologische Punkt, wo Prometheus auftritt, mir immer gegenwärtig und zur belebten Fixidee geworden, so griff ich ein, nicht ohne die ernstlichsten Intentionen, wie ein jeder sich überzeugen wird, der das Stück, soweit es vorliegt, aufmerksam betrachten mag.

Dem Bande meiner epischen Gedichte sollte»Achilleis« hinzugefügt werden; ich nahm das Ganze wieder vor, hatte jedoch genug zu tun, nur die beiden ersten Gesänge so weit zu führen, um sie anfügen zu können.

Gedenken muß ich auch noch einer ebenfalls aus freundschaftlichem Sinne unternommenen Arbeit. Johannes von Müller hatte mit Anfang des Jahres zum Andenken König Friedrichs des Zweiten eine akademische Rede geschrieben und wurde deshalb heftig angefochten. Nun hatte er seit den ersten Jahren unserer Bekanntschaft mir viele Liebe und Treue erwiesen und wesentliche Dienste geleistet; ich dachte daher ihm wieder etwas Gefälliges zu erzeigen und glaubte, es würde ihm angenehm sein, wenn er von irgendeiner Seite her sein Unternehmen gebilligt sähe. Ein freundlicher Widerhall durch eine harmlose Übersetzung schien mir das Geeignetste; sie trat im »Morgenblatt« hervor, und er wußte mir's Dank, ob an der Sache gleich nichts gebessert wurde.

»Pandoras Wiederkunft« war schematisiert, und die Ausführung geschah nach und nach. Nur der erste Teil ward fertig, zeigt aber schon, wie absichtlich dieses Werk unternommen und fortgeführt worden.

Die bereits zum öftern genannten kleinen Erzählungen beschäftigten mich in heitern Stunden, und auch »Die Wahlverwandtschaften« sollten in der Art kurz behandelt werden. [206] Allein sie dehnten sich bald aus; der Stoff war allzu bedeutend und zu tief in mir gewurzelt, als daß ich ihn auf eine so leichte Weise hätte beseitigen können.

»Pandora« sowohl als »Die Wahlverwandtschaften« drücken das schmerzliche Gefühl der Entbehrung aus und konnten also nebeneinander gar wohl gedeihen. »Pandorens« erster Teil gelangte zu rechter Zeit gegen Ende des Jahrs nach Wien; das Schema der »Wahlverwandtschaften« war weit gediehen und manche Vorarbeiten teilweise vollbracht. Ein anderes Interesse tat sich im letzten Viertel des Jahres hervor; ich wendete mich an die »Nibelungen«, wovon wohl manches zu sagen wäre.

Ich kannte längst das Dasein dieses Gedichts ausBodmers Bemühungen. Christoph Heinrich Müller sendete mir seine Ausgabe leider ungeheftet, das köstliche Werk blieb roh bei mir liegen, und ich, in anderem Geschäft, Neigung und Sorge befangen, blieb so stumpf dagegen wie die übrige deutsche Welt; nur las ich zufällig eine Seite, die nach außen gekehrt war, und fand die Stelle, wo die Meerfrauen dem kühnen Helden weissagen. Dies traf mich, ohne daß ich wäre gereizt worden, ins Ganze tiefer einzugehen; ich phantasierte mir vielmehr eine für sich bestehende Ballade des Inhalts, die mich in der Einbildungskraft oft beschäftigte, obschon ich es nicht dazu brachte, sie abzuschließen und zu vollenden.

Nun aber ward, wie alles seine Reife haben will, durch patriotische Tätigkeit die Teilnahme an diesem wichtigen Altertum allgemeiner und der Zugang bequemer. Die Damen, denen ich das Glück hatte noch immer am Mittwoche Vorträge zu tun, erkundigten sich darnach, und ich säumte nicht, ihnen davon gewünschte Kenntnis zu geben. Unmittelbar ergriff ich das Original und arbeitete mich bald dermaßen hinein, daß ich, den Text vor mir habend, Zeile für Zeile eine verständliche Übersetzung vorlesen konnte. Es blieb der Ton, der Gang, und vom Inhalt ging auch nichts verloren. Am besten glückt ein solcher Vortrag ganz aus dem Stegreife, weil der Sinn sich beisammenhalten und der Geist lebendig-kräftig wirken [207] muß, indem es eine Art von Improvisieren ist Doch indem ich in das Ganze des poetischen Werks auf diese Weise einzudringen dachte, so versäumte ich nicht, mich auch dergestalt vorzubereiten, daß ich auf Befragen über das einzelne einigermaßen Rechenschaft zu geben imstande wäre. Ich verfertigte mir ein Verzeichnis der Personen und Charaktere, flüchtige Aufsätze über Lokalität und Geschichtliches, Sitten und Leidenschaften, Harmonie und Inkongruitäten und entwarf zugleich zum ersten Teil eine hypothetische Karte. Hierdurch gewann ich viel für den Augenblick, mehr für die Folge, indem ich nachher die ernsten, anhaltenden Bemühungen deutscher Sprach- und Altertumsfreunde besser zu beurteilen, zu genießen und zu benutzen wußte.

Zwei weit ausgreifende Werke wurden durch Dr. Niethammer angeregt von München her: ein historisch-religioses Volksbuch und eine allgemeine Liedersammlung zu Erbauung und Ergötzung der Deutschen. Beides wurde eine Zeitlang durchgedacht und schematisiert, das Unternehmen jedoch wegen mancher Bedenklichkeit aufgegeben.. Indessen wurden von beiden, weil doch in der Folge etwas Ähnliches unternommen werden konnte, die gesammelten Papiere zurückgelegt.

Zu Hackerts Biographie wurde die Vorarbeit ernstlich betrieben. Es war eine schwierige Aufgabe, denn die mir überlieferten Papiere waren weder ganz als Stoff noch ganz als Bearbeitung anzusehen. Das Gegebene war nicht ganz aufzulösen und, wie es lag, nicht völlig zu gebrauchen. Es verlangte daher diese Arbeit mehr Sorgfalt und Mühe als ein eigenes, aus mir selbst entsprungenes Werk, und es gehörte einige Beharrlichkeit und die ganze dem abgeschiedenen Freunde gewidmete Liebe und Hochachtung dazu, um nicht die Unternehmung aufzugeben, da die Erben des edlen Mannes, welche sich den Wert der Manuskripte sehr hoch vorstellten, mir nicht auf das allerfreundlichste begegneten.

Sowohl der polemische als der historische Teil der »Farbenlehre« rücken zwar langsam, aber doch gleichmäßig fort; von geschichtlichen Studien bleiben Roger Bacon, Aguillonius und [208] Boyle die Hauptschriftsteller; am Ende des Jahrs ist der erste Teil meist vollendet, der zweite nur zum neunten Revisionsbogen gelangt.

Die jenaischen Anstalten hatten sich nach den kriegerischen Stürmen, aus denen sie glücklich und wie durch ein Wunder gerettet worden, völlig wieder erholt, alle Teilnehmenden hatten eifrig eingegriffen, und als man im September sie sämtlich revidierte, ließ sich dem Schöpfer derselben, unserm gnädigsten Herrn, bei seiner glücklichen Rückkehr davon genüglicher Vortrag abstatten.

1808

Die geselligen Persönlichkeiten in Karlsbad hatten diesen Sommer für mich ein ganz ander Wesen; die Herzogin von Kurland, immer selbst anmutig, mit anmutiger Umgebung, Frau von der Recke, begleitet von Tiedge, und was sich daran anschloß, bildeten höchst erfreulich eine herkömmliche Mitte der dortigen Zustände. Man hatte sich so oft gesehen, an derselben Stelle, in denselben Verbindungen, man hatte sich in seiner Art und Weise immer als dieselbigen gefunden; es war, als hätte man viele Jahre miteinander gelebt, man vertraute einander, ohne sich eigentlich zu kennen.

Für mich machte die Familie Ziegesar einen andern, mehr entschiedenen, notwendigern Kreis. Ich kannte Eltern und Nachkommen bis in alle Verzweigungen, für den Vater hatte ich immer Hochachtung, ich darf wohl sagen Verehrung empfunden. Die unverwüstbar behagliche Tätigkeit der Mutter ließ in ihrer Umgebung niemand unbefriedigt; Kinder, bei meinem ersten Eintritt in Drakendorf noch nicht geboren, kamen mir stattlich und liebenswürdig herangewachsen hier entgegen; Bekannte und Verwandte schlossen sich an, einiger und zusammenstimmender wäre kein Zirkel zu finden. Frau von Seckendorf, geborne von Uechtritz, und Pauline Gotter waren nicht geringe Zierden dieses Verhältnisses. Alles suchte zu gefallen, und jedes gefiel sich mit dem andern, weil die Gesellschaft [209] sich paarweise bildete und Scheelsucht und Mißhelligkeit zugleich ausschloß. Diese ungesuchten Verhältnisse brachten eine Lebensweise hervor, die bei bedeutendern Interessen eine Novelle nicht übel gekleidet hätte.

Bei einem in der Fremde mietweise geführten Haushalt erscheinen solche Zustände ganz natürlich, und bei gesellschaftlichen Wanderungen sind sie ganz unvermeidlich. Das Leben zwischen Karlsbad und Franzenbrunnen, im ganzen nach gemessener Vorschrift, im einzelnen immer zufällig veranlaßt, von der Klugheit der Älteren zuerst angeordnet, von Leidenschaftlichkeit der Jüngern am Ende doch geformt, machte auch die aus solchem Konflikt hervorgehenden Unbilden immer noch ergötzlich sowie in der Erinnerung höchst angenehm, weil doch zuletzt alles ausgeglichen und überwunden war.

Von jeher und noch mehr seit einigen Jahren überzeugt, daß die Zeitungen eigentlich nur da sind, um die Menge hinzuhalten und über den Augenblick zu verblenden, es sei nun, daß den Redakteur eine äußere Gewalt hindere, das Wahre zu sagen, oder daß ein innerer Parteisinn ihm ebendasselbe verbiete, las ich keine mehr: denn von den Hauptereignissen benachrichtigten mich neuigkeitslustige Freunde, und sonst hatte ich im Laufe dieser Zeit nichts zu suchen. Die »Allgemeine Zeitung« jedoch, durch Freundlichkeit des Herrn Cotta regelmäßig zugesendet, häufte sich bei mir an, und so fand ich durch die Ordnungsliebe eines Kanzleigenossen die Jahre 1806 und 1807 reinlich gebunden, eben als ich nach Karlsbad abreisen wollte. Ob ich nun gleich, der Erfahrung gemäß, wenig Bücher bei solchen Gelegenheiten mit mir nahm, indem man die mitgenommenen und vorhandenen nicht benutzt, wohl aber solche liest, die uns zufällig von Freunden mitgeteilt werden, so fand ich bequem und erfreulich, diese politische Bibliothek mit mir zu führen, und sie gab nicht allein mir unerwarteten Unterricht und Unterhaltung, sondern auch Freunde, welche diese Bände bei mir gewahr wurden, ersuchten mich abwechselnd darum, so daß ich sie am Ende gar nicht wieder zur Hand bringen konnte; und vielleicht zeigte dieses Blatt eben darin [210] sein besonderes Verdienst, daß es mit kluger Retardation zwar hie und da zurückhielt, aber doch mit Gewissenhaftigkeit nach und nach mitzuteilen nicht versäumte, was dem sinnigen Beobachter Aufschluß geben sollte.

Indessen war die Lage des Augenblicks noch immer bänglich genug, so daß die verschiedenen Völkerschaften, welche an einem solchen Heilort zusammentreffen, gegeneinander eine gewisse Apprehension empfanden und deshalb sich auch alles politischen Gesprächs enthielten. Um so mehr aber mußte die Lektüre solcher Schriften als ein Surrogat desselben lebhaftes Bedürfnis werden.

Des regierenden Herzogs August von Gotha darf ich nicht vergessen, der sich als problematisch darzustellen und unter einer gewissen weichlichen Form angenehm und widerwärtig zu sein beliebte. Ich habe mich nicht über ihn zu beklagen, aber es war immer ängstlich, eine Einladung zu seiner Tafel anzunehmen, weil man nicht voraussehen konnte, welchen der Ehrengäste er schonungslos zu behandeln zufällig geneigt sein möchte.

Sodann will ich noch des Fürstbischofs von Breslau und eines geheimnisvollen Schweden, in der Badeliste von Reuterholm genannt, erwähnen. Ersterer war leidend, aber freundlich und zutunlich bei einer wahrhaft persönlichen Würde. Mit letzterem war die Unterhaltung immer bedeutend, aber weil man sein Geheimnis schonte und doch es zufällig zu berühren immer fürchten mußte, so kam man wenig mit ihm zusammen, da wir ihn nicht suchten und er uns vermied.

Kreishauptmann von Schiller zeigte sich wie immer, eher den Kurgästen ausweichend als sich ihnen anschließend, ein an seiner Stelle sehr notwendiges Betragen, da er bei vorkommenden polizeilichen Fällen alle nur, insofern sie recht oder unrecht hatten, betrachten konnte und kein anderes Verhältnis, welches persönlich so leicht günstig oder ungünstig stimmt, hier obwalten durfte.

Mit Bergrat von Herder setzte ich die herkömmlichen Gespräche fort, als wären wir nur eben vor kurzem geschieden, [211] so auch mit Wilhelm von Schütz, welcher, wie sich bald bemerken ließ, auf seinem Wege gleichfalls treulich fortschreiten mochte.

Auch Bergrat Werner trat nach seiner Gewohnheit erst spät herzu. Seine Gegenwart belehrte jederzeit, man mochte ihn und seine Denkweise betrachten oder die Gegenstände, mit denen er sich abgab, durch ihn kennenlernen.

Ein längerer Aufenthalt in Franzenbrunnen läßt mich den problematischen Kammerberg bei Eger öfters besuchen. Ich sammle dessen Produkte, betrachte ihn genau, beschreibe und zeichne ihn. Ich finde mich veranlaßt, von der Reußischen Meinung, die ihn als pseudovulkanisch anspricht, abzugehen und ihn für vulkanisch zu erklären. In diesem Sinne schreib ich einen Aufsatz, welcher für sich selber sprechen mag; vollkommen möchte die Aufgabe dadurch wohl nicht gelöst und eine Rückkehr zu der Reußischen Auslegung gar wohl rätlich sein.

In Karlsbad war erfreulich zu sehen, daß die Joseph Müllerischen Sammlungen Gunst gewannen, ob gleich die immerfort bewegten Kriegsläufte alle eigentlich wissenschaftlichen Bemühungen mit Ungunst verfolgten. Doch war Müller gutes Mutes, trug häufige Steine zusammen, und an die neue Ordnung gewöhnt, wußte er sie so zierlich zurechtzuschlagen, daß bei Sammlungen größeren oder kleineren Formats alle Stücke von gleichem Maße sauber und instruktiv vor uns lagen. Denn weil aus den unter dem Hammer zersprungenen Steinen immer der passende oder bedeutende sich auswählen ließ und das Weggeworfene nicht von Werte war, so konnte er immer den Liebhaber aufs beste und treulichste versorgen. Aber zu bewegen war er nicht, seinen rohen Vorrat zu ordnen; die Sorge, sein Monopol zu verlieren, und Gewohnheit der Unordnung machten ihn allem guten Rat unzugänglich. Bei jeder frischen Sammlung fing er an, aus dem chaotischen Vorrat auszuklauben und nach der neuen Einrichtung auf Brettern, die durch schwache Brettchen in Vierecke geteilt waren und dadurch die Größe des Exemplars angaben, in der Nummerfolge die Steine zu verteilen und so die Casen des Brettes nach und nach auszufüllen. [212] Ich besuchte ihn täglich auf dem Wege nach dem Neubrunnen zu einer immer erfreulichen, belehrenden Unterhaltung; denn ein solcher Naturkreis möge noch so beschränkt sein, es wird immer darin etwas Neues oder aus dem Alten etwas hervorstehend erscheinen.

Nach solchen vielleicht allzu trocken und materiell erscheinenden Gegenständen sollten mich erneuerte Verhältnisse mit wackern Künstlern auf eine eigne Weise anregen und beleben.

Die Gegenwart Kaazens, des vorzüglichen Dresdener Landschaftsmalers, brachte mir viel Freude und Belehrung, besonders da er meisterhaft meine dilettantischen Skizzen sogleich in ein wohl erscheinendes Bild zu verwandeln wußte. Indem er dabei eine Aquarell- und Deckfarben leicht verbindende Manier gebrauchte, rief er auch mich aus meinem phantastischen Kritzeln zu einer reineren Behandlung. Und zum Belege, wie uns die Nähe des Meisters gleich einem Elemente hebt und trägt, bewahre ich noch aus jener Zeit einige Blätter, die, gleich Lichtpunkten, andeuten, daß man unter solchen Umständen etwas vermag, was vor- und nachher als unmöglich erschienen wäre.

Sodann hatte ich die angenehme Überraschung, von einem vieljährigen Freunde und Angeeigneten nach altem Herkommen mich leidenschaftlich angegangen zu sehen. Es war der gute, talentvolle Bury, der im Gefolg der Frau Erbprinzeß von Hessen-Kassel in und um Dresden zu Kunst- und Naturgenuß sich eine Zeitlang aufgehalten hatte und nun, beurlaubt, auf einige Tage hierherkam.

Ich schrieb ein Gedicht zu Ehren und Freuden die ser würdigen, auch mir gewogenen Dame, welches, in der Mitte eines großen Blattes kalligraphiert, mit dem bilderreichsten Rahmen eingefaßt werden sollte, die Gegenden darstellend, durch welche sie gereist, die Gegenstände, denen sie die meiste Aufmerksamkeit zugewendet, die ihr den meisten Genuß gewährt hatten. Eine ausführliche Skizze ward erfunden und gezeichnet und alles dergestalt mit Eifer vorbereitet, daß an glücklicher Ausführung nicht zu zweifeln war. Das Gedicht selbst [213] findet sich unter den meinigen, jedoch nur mit den Anfangsbuchstaben bezeichnet, abgedruckt. Bei dieser Gelegenheit zeichnete Bury abermals mein Porträt in kleinem Format und Umriß, welches meine Familie als erfreuliches Denkmal jener Zeit in der Folge zu schätzen wußte. So bereicherte sich denn von seiten der bildenden Kunst dieser Sommeraufenthalt, welcher einen ganz andern Charakter als der vorige, doch aber auch einen werten und folgereichen angenommen hatte.

Nach meiner Rückkunft ward ich zu noch höherer Kunstbetrachtung aufgefordert. Die unschätzbaren Mionnetischen Pasten nach griechischen Münzen waren angekommen. Man sah in einen Abgrund der Vergangenheit und erstaunte über die herrlichsten Gebilde. Man bemühte sich, in diesem Reichtum zu einer wahren Schätzung zu gelangen, und fühlte voraus, daß man für viele Jahre Unterricht und Auferbauung daher zu erwarten habe. Geschnittene Steine von Bedeutung vermehrten meine Ringsammlung. Albrecht Dürers Federzeichnungen in Steindruck kamen wiederholt und vermehrt zu uns.

Runge, dessen zarte, fromme, liebenswürdige Bemühungen bei uns guten Eingang gefunden hatten, sendete mir die Originalzeichnungen seiner gedanken-und blumenreichen »Tageszeiten«, welche, obgleich so treu und sorgfältig in Kupfer ausgeführt, doch an natürlichem, unmittelbarem Ausdruck große Vorzüge bewiesen. Auch andere, meist halbvollendete Umrißzeichnungen von nicht geringerem Werte waren beigelegt. Alles wurde dankbar zurückgesandt, ob man gleich manches, wäre es ohne Indiskretion zu tun gewesen, gern bei unsern Sammlungen zum Andenken eines vorzüglichen Talents behalten hätte.

Auch wurden uns im Spätjahr eine Anzahl landschaftlicher Zeichnungen von Friedrich die angenehmste Betrachtung und Unterhaltung. Sein schönes Talent war bei uns gekannt und geschätzt, die Gedanken seiner Arbeiten zart, ja fromm, aber in einem strengern Kunstsinne nicht durchgängig zu billigen. Wie dem auch sei, manche schöne Zeugnisse seines Verdienstes sind bei uns einheimisch geworden. Am Schlusse des Jahrs besuchte [214] uns der überall willkommene Kügelgen, er malte mein Porträt, und seine Persönlichkeit mußte notwendig auf den gebildet-geselli gen Kreis die zarteste Einwirkung ausüben.

Ein Ständchen, das mir die Sänger vor meiner Abreise nach Karlsbad brachten, versicherte mich damals ihrer Neigung und beharrlichen Fleißes auch während meiner Abwesenheit, und demgemäß fand ich auch bei meiner Wiederkehr alles in demselben Gange. Die musikalischen Privatübungen wurden fortgesetzt, und das gesellige Leben gewann dadurch einen höchst erfreulichen Anklang.

Gegen Ende des Jahrs ergaben sich beim Theater mancherlei Mißhelligkeiten, welche, zwar ohne den Gang der Vorstellungen zu unterbrechen, doch den Dezember verkümmerten. Nach mancherlei Diskussionen vereinigte man sich über eine neue Einrichtung, in Hoffnung, auch diese werde eine Zeitlang dauern können.

Des persönlich Erfreulichen begegnete mir in diesem Jahre manches: Unsern jungen Herrschaften ward Prinzeß Marie geboren, allen zur Freude und besonders auch mir, der ich einen neuen Zweig des fürstlichen Baumes, dem ich mein ganzes Leben gewidmet hatte, hervorsprossen sah.

Mein Sohn August zog rüstig und wohlgemut auf die Akademie Heidelberg, mein Segen, meine Sorgen und Hoffnungen folgten ihm dahin. An wichtige, vormals jenaische Freunde, Voß und Thibaut, von Jugend auf empfohlen, konnte er wie im elterlichen Hause betrachtet werden.

Bei der Durchreise durch Frankfurt begrüßte er seine gute Großmutter, noch eben zur rechten Zeit, da sie später, im September, uns leider entrissen ward. Auch gegen Ende des Jahrs ereignete sich der Tod eines jüngern Mannes, den wir jedoch mit Bedauern segneten. Fernow starb nach viel beschwerlichem Leiden; die Erweiterung der Halsarterie quälte ihn lange, bedrängte Tage und Nächte, bis er endlich eines Morgens, aufrecht sitzend, plötzlich, wie es bei solchen Übeln zu geschehen pflegt, entseelt gefunden ward.

Sein Verlust war groß für uns, denn die Quelle der italienischen [215] Literatur, die sich seit Jagemanns Abscheiden kaum wieder hervorgetan hatte, versiegte zum zweiten Male; denn alles fremde Literarische muß gebracht, ja aufgedrungen werden, es muß wohlfeil, mit weniger Bemühung zu haben sein, wenn wir darnach greifen sollen, um es bequem zu genießen. So sehen wir im östlichen Deutschland das Italienische, im westlichen das Französische, im nördlichen das Englische wegen einer nachbarlichen oder sonstiger Einwirkung vorwalten.

Der im September erst in der Nähe versammelte, dann bis zu uns heranrückende Kongreß zu Erfurt ist von so großer Bedeutung, auch der Einfluß dieser Epoche auf meine Zustände so wichtig, daß eine besondere Darstellung dieser wenigen Tage wohl unternommen werden sollte.

1809

Dieses Jahr muß mir in der Erinnerung, schöner Resultate wegen, immer lieb und teuer bleiben; ich brachte solches ohne auswärtigen Aufenthalt teils in Weimar, teils in Jena zu, wodurch es mehr Einheit und Geschlossenheit gewann als andere, die, meist in der Hälfte durch eine Badereise zerschnitten, an mannigfaltiger Zerstreuung zu leiden hatten.

Was ich mir aber in Jena zu leisten vorgenommen, sollte eigentlich durch einen ganz ununterbrochenen Aufenthalt begünstigt sein; dieser war mir jedoch nicht gegönnt; unerwartete Kriegsläufte drangen zu und nötigten zu einem mehrmaligen Ortswechsel.

Die ferneren und näheren Kriegsbewegungen in Spanien und Österreich mußten schon jedermann in Furcht und Sorgen setzen. Der Abmarsch unserer Jäger den 14. März nach Tirol war traurig und bedenklich; gleich darauf zeigte sich Einquartierung; der Prinz von Pontecorvo als Anführer des sächsischen Armeekorps wendete sich nach der Grenze von Böhmen und zog von Weimar den 25. April nach Kranichfeld. Ich aber, längst und besonders schon seit den letzten Jahren gewohnt, [216] mich von der Außenwelt völlig abzuschließen, meinen Geschäften nachzuhangen, Geistesproduktionen zu fördern, begab mich schon am 29. April nach Jena. Dort bearbeitete ich die »Geschichte der Farbenlehre«, holte das funfzehnte und sechzehnte Jahrhundert nach und schrieb die Geschichte meiner eigenen chromatischen Bekehrung und fortschreitender Studien, welche Arbeit ich am 24. Mai, vorläufig abgeschlossen, beiseite legte und sie auch nur erst gegen Ende des Jahrs wieder aufnahm, als Rungens »Farbenkugel« unsere chromatischen Betrachtungen aufs neue in Bewegung setzte.

In dieser Epoche führte ich die »Farbenlehre« bis zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts, wie denn auch zu gleicher Zeit der Druck des zweiten Teils ununterbrochen fortging und die Aufmerksamkeit zunächst sich auf die Kontrovers mit Newton richtete. Bei allem diesem war Dr. Seebeck teilnehmend und hülfreich.

Um von poetischen Arbeiten nunmehr zu sprechen, so hatte ich von Ende Mais an »Die Wahlverwandtschaften«, deren erste Konzeption mich schon längst beschäftigte, nicht wieder aus dem Sinne gelassen. Niemand verkennt an diesem Roman eine tief leidenschaftliche Wunde, die im Heilen sich zu schließen scheut, ein Herz, das zu genesen fürchtet. Schon vor einigen Jahren war der Hauptgedanke gefaßt, nur die Ausführung erweiterte, vermannigfaltigte sich immerfort und drohte die Kunstgrenze zu überschreiten. Endlich nach so vielen Vorarbeiten bestätigte sich der Entschluß, man wolle den Druck beginnen, über manchen Zweifel hinausgehen, das eine festhalten, das andere endlich bestimmen.

In diesem raschen Vorschritt ward ich jedoch auf einmal gestört; denn indem man die Nachrichten des gewaltsamen Vordringens der Franzosen in Österreich mit Bangigkeit vernommen hatte, begann der König von Westfalen einen Zug gegen Böhmen, weshalb ich den 13. Juni nach Weimar zurückging. Die Nachrichten von dieser sonderbaren Expedition waren sehr ungewiß, als zwei dem Hauptquartier folgende diplomatische Freunde, von Reinhard und Wangenheim, mich [217] unerwartet besuchten, einen unerklärlichen Rückzug rätselhaft ankündigend. Schon am 15. Juli kommt der König nach Weimar, der Rückzug scheint in Flucht auszuarten, und gleich am 20. ängstigt das umherstreifende Oelsische Korps uns und die Nachbarschaft. Aber auch dieses Gewitter zieht schnell in nordwestlicher Richtung vorüber, und ich säume nicht, am 23. Juli wieder nach Jena zu gehen.

Unmittelbar darauf werden »Die Wahlverwandtschaften« in die Druckerei gegeben, und indem diese fleißig fördert, so reinigt und ründet sich auch nach und nach die Handschrift, und der 3. Oktober befreit mich von dem Werke, ohne daß die Empfindung des Inhalts sich ganz hätte verlieren können.

In geselliger Unterhaltung wandte sich das Interesse fast ausschließlich gegen nordische und überhaupt romantische Vorzeit. Die nach dem Original aus dem Stegreif vorgetragene und immer besser gelingende Übersetzung der »Nibelungen« hielt durchaus die Aufmerksamkeit einer edeln Gesellschaft fest, die sich fortwährend mittwochs in meiner Wohnung versammelte. »Fierabras« und andere ähnliche Heldensagen und Gedichte, »König Rother«, »Tristan und Isolde« folgten und begünstigten einander; besonders aber wurde die Aufmerksamkeit auf »Wilkina-Saga« und sonstige nordische Verhältnisse und Produktionen gelenkt, als der wunderliche Fußreisende Runenantiquar Arendt bei uns einkehrte, durch persönliche Mitteilungen und Vorträge die Gesellschaft wo nicht für sich einnahm, doch sich ihr erträglich zu machen suchte. Dr. Majers nordische Sagen trugen das Ihrige bei, uns unter dem düstern Himmel wohlbehaglich zu erhalten; zugleich war nichts natürlicher, als daß man deutsche Sprachaltertümer hervorhob und immer mehr schätzen lernte, wozu Grimms Aufenthalt unter uns mitwirkte, indes ein gründlich grammatischer Ernst durch »Des Knaben Wunderhorn« lieblich aufgefrischt wurde.

Die Ausgabe meiner Werke bei Cotta forderte gleichfalls manchen Zeitaufwand; sie erschien und gab mir Gelegenheit, durch Versendung mancher Exemplare mich Gönnern und [218] Freunden ins Gedächtnis zu rufen. Von derselben wird an einem andern Orte die Rede sein.

Was aber bei meinen diesjährigen Bemühungen am entschiedensten auf das Künftige hinwies, waren Vorarbeiten zu jenem bedeutenden Unternehmen einer Selbstbiographie, denn es mußte mit Sorgfalt und Umsicht verfahren werden, da es bedenklich schien, sich lange verflossener Jugendzeiten erinnern zu wollen. Doch ward endlich der Vorsatz dazu gefaßt mit dem Entschluß, gegen sich und andere aufrichtig zu sein und sich der Wahrheit möglichst zu nähern, insoweit die Erinnerung nur immer dazu behülflich sein wollte.

Meinen diesjährigen längern Aufenthalt in Jena forderte auch die neue Einrichtung, welche in Absicht des Hauptgeschäftes, das mir oblag, unlängst beliebt wurde. Unser gnädigster Herr nämlich hatte angeordnet, daß alle unmittelbaren Anstalten für Wissenschaft und Kunst unter eine Oberaufsicht versammelt, aus einer Kasse bestritten und in einem Sinne verhältnismäßig fortgeführt werden sollten. Höchstdieselben hatten das Zutrauen zu Geheimerat von Voigt und mir, daß wir diese Absichten treu und zweckmäßig erfüllen würden. Zu diesen Anstalten aber, welche, ohne mit ähnlichen Instituten verknüpft und in ältere Verhältnisse verflochten zu sein, bloß von dem Willen des Fürsten abhingen, indem er auch den Aufwand derselben aus eigenen Mitteln bestritt, gehörte in Weimar die Bibliothek und das Münzkabinett, ingleichen die freie Zeichenschule; in Jena die verschiedenen seit dem Regierungsantritt des Herzogs erst gegründeten und ohne Mitwirkung der übrigen höchsten Herren Erhalter der Akademie errichteten Museen und sonstigen wissenschaftlichen Einrichtungen. Bei nunmehrigem Verein aller dieser Institute, die bisher besondere Etats gehabt, hing es von den Vorgesetzten ab, zu ermessen, wo jedesmal nach Vorkommnis der Umstände Gelder verwendet und diesem und jenem Zweige nachgeholfen werden sollte, welches bei lebendiger Übersicht und vorurteilsfreien Gesinnungen um desto möglicher war, da der Fürst nicht sowohl Vorschläge zu dem, was geschehen sollte, [219] verlangte, als vielmehr gern von dem, was geschehen war, berichtlich und persönlich Kenntnis nahm.

Da die gedachten jenaischen Anstalten, seit dreißig Jahren gegründet und fortgeführt, bei der französischen Invasion nur wenig gelitten hatten, so suchte man sie um desto mutiger vollkommen herzustellen und noch andere neu damit zu verbinden. Weil aber wegen Erweiterung beschränkter Lokalitäten und zweckmäßiger Umstellung des Vorhandenen alles dieses eine gewisse durchdringende individuelle Einsicht verlangte, so wurde die persönliche Gegenwart desjenigen, der zu entscheiden berechtigt war, um so mehr erfordert, als hier kein Plan sich denken ließ und nur eine die augenblicklichen Umstände benutzende Gewandtheit zum Ziele führen konnte.

Für Weimar dagegen machte sich eine Baulichkeit von Bedeutung nötig, ein Anbau nämlich an Herzogliche Bibliothek, wodurch sowohl Expeditionszimmer als andere Räume zu dem sich immer vermehrenden Vorrat an Büchern, Kupferstichen und andern Kunstsachen gewonnen wurden. Die wegen Ausbau des Schlosses anwesenden preußischen Architekten Gentz und Rabe waren beirätig, und so entstand ein so nützliches als erfreuliches, auch innerhalb wohlverziertes Gebäude.

Doch nicht für Räume und Sammlungen allein ward gesorgt; eine durch Sparsamkeit in gutem Zustand erhaltene Kasse erlaubte gerade zur rechten Zeit, einen jungen Naturforscher, den Professor Voigt, nach Frankreich zu senden, der, gut vorbereitet, in Paris und andern Orten seinen Aufenthalt sorgfältig zu nutzen wußte und in jedem Sinne wohl ausgestattet zurückkehrte.

Das Theater ging nach überstandenen leichten Stürmen ruhig seinen Gang. Bei dergleichen Erregungen ist niemals die Frage, wer etwas leisten, sondern wer einwirken und befehlen soll; sind die Mißverhältnisse ausgeglichen, so bleibt alles wie vorher und ist nicht besser, wo nicht schlimmer. Das Repertorium war wohl ausgestattet, und man wiederholte die Stücke, dergestalt daß das Publikum an sie gewöhnt blieb, ohne ihrer überdrüssig zu werden. Die neusten Erzeugnisse, [220] »Antigone« von Rochlitz, Knebels Übersetzung von »Saul« des Alfieri, »Die Tochter Jephta« von Robert, wurden der Reihe nach gut aufgenommen. Werners bedeutendes Talent zu begünstigen, bereitete man eine Aufführung des »Vierundzwanzigsten Februars« mit großer Sorgfalt vor, indessen die gefälligen heiteren Stücke von Steigentesch sich im Publikum einschmeichelten.

Demoiselle Häßler als vielversprechende Sängerin, Moltke als höchst angenehmer Tenor traten zu unserer Bühne und nahmen teil an den Didaskalien, welche treulich und eifrig fortgesetzt wurden. Werner versuchte große und kleine Tragödien, ohne daß man hoffen konnte, sie für das Theater brauchbar zu sehen.

Die häuslichen musikalischen Unterhaltungen gewannen durch ernstere Einrichtungen immer mehr an Wert. Das Sängerchor unter Anleitung Eberweins leistete immer mehr. Donnerstag abends war Probe, nach der man meistens zu einem fröhlichen Mahl zusammenblieb; sonntags Aufführung vor großer guter Gesellschaft, begleitet von irgendeinem Frühstück. Diese durch den Sommer einigermaßen unterbrochenen Privatübungen wurden im Spätherbst sogleich wieder aufgenommen, indessen Theater und öffentliche Musik durch den antretenden Kapellmeister Müller belebt und geregelt wurden. Auch ist nicht zu vergessen, daß im Laufe des Jahrs Fräulein aus dem Winkel uns durch die mannigfaltigsten Talente zu ergötzen wußte.

Auch die bildende Kunst, die wir freilich immerfort auf das herzlichste pflegten, brachte uns dieses Jahr die schönsten Früchte.

In München wurden die Handzeichnungen Albrecht Dürers herausgegeben, und man durfte wohl sagen, daß man erst jetzt das Talent des so hoch verehrten Meisters erkenne. Aus der gewissenhaften Peinlichkeit, die sowohl seine Gemälde als Holzschnitte beschränkt, trat er heraus bei einem Werke, wo seine Arbeit nur ein Beiwesen bleiben, wo er mannigfaltig gegebene Räume verzieren sollte. Hier erschien sein herrliches [221] Naturell völlig heiter und humoristisch; es war das schönste Geschenk des aufkeimenden Steindrucks.

Von der Malerei wurden wir auch gar freundlich teilnehmend heimgesucht. Kügelgen, der gute, im Umgang allen so werte Künstler, verweilte mehrere Wochen bei uns; er malte Wielands Porträt und meins nach der Person, Herders und Schillers nach der Überlieferung. Mensch und Maler waren eins in ihm, und daher werden jene Bilder immer einen doppelten Wert behalten.

Wie nun er durch Menschengestalt die Aufmerksamkeit sowohl auf seine Arbeit als auf die Gegenstände hinzog, so zeigte Kaaz mehrere landschaftliche Gemälde vor, teils nach der Natur eigens erfunden, teils den besten Vorgängern nachgebildet. Die Ausstellung sowohl hier als in Jena gab zu sinnig geselligen Vereinen den heitersten Anlaß und brachte auch solche Personen zusammen, die sich sonst weniger zu nähern pflegten.

Hirts Werk über die Baukunst forderte zu neuer Aufmerksamkeit und Teilnahme in diesem Fache; sodann nötigte er uns durch die Restaurationen des Tempels der Diana zu Ephesus, ingleichen des Salomonischen, ins Altertum zurück. Zu Geschichte und trümmerhafter Anschauung mußte die Einbildungskraft sich gesellen; wir nahmen lebhaft teil und wurden zu ähnlichen Versuchen aufgeregt.

Ein vorzügliches, für altertümliche Kunst höchst wichtiges Geschenk erteilte uns Herr Dr. Stieglitz, indem er Schwefelabgüsse seiner ansehnlichen Münzsammlung verehrte und sowohl dadurch als durch das beigefügte Verzeichnis den Forschungen in dem Felde altertümlicher Kunst nicht geringen Vorschub leistete.

Zugleich vermehrten sich unsere Münzfächer durch Medaillen des funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts. Betrachtungen darüber wurden zu Programmen der »Allgemeinen Jenaischen Literaturzeitung« be stimmt; der kunstreiche Schwerdgeburth, mit gewissenhafter Genauigkeit, stach dazu einige Umrißtafeln.

[222] Zu allen diesen fügte sich noch eine Sammlung Köstritzer Ausgrabungen metallner Geräte von unbekannten Formen, denen ich viel Aufmerksamkeit schenkte. Ich forschte manches darüber in der ältern Geschichte, besonders jener Epoche, wo Heiden- und Christentum in Franken und Thüringen gegeneinander schwankten. Unter den Büchern, die ich damals aufschlug, waren mir die »Antiquitates Nordgavienses« besonders merkwürdig und veranlaßten eine genaue Betrachtung der Paganien, d.h. der heidnischen Gebräuche, welche durch die ersten fränkischen Konzilien verbannt wurden. Ich überzeugte mich aufs neue, daß unsere heidnischen Urväter zwar viele auf Naturahnungen sich beziehende düster-abergläubische Gewohnheiten, aber keine fratzenhaften Götzenbilder gehabt. Ein schriftlicher Aufsatz über diese Gegenstände ward von dem fürstlich Reußischen Besitzer freundlich aufgenommen und mir dagegen ein Exemplar der gefundenen rätselhaften Altertümer verehrt.

Auch eine Sammlung von eigenen Handschriften bedeutender Personen ward dieses Jahr durch Freundesgunst ansehnlich vermehrt, und so bestärkte sich der Glaube, daß die Handschrift auf den Charakter des Schreibenden und seine jedesmaligen Zustände entschieden hinweise, wenn man auch mehr durch Ah nung als durch klaren Begriff sich und andern davon Rechenschaft geben könne; wie es ja bei aller Physiognomik der Fall ist, welche bei ihrem echten Naturgrunde nur dadurch außer Kredit kam, daß man sie zu einer Wissenschaft machen wollte.

Von erwähne ich des gewaltsamen Sturms in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar, welcher weit und breit wütete und auch mir einen empfindlichen Schaden brachte, indem er einen alten, ehrwürdigen Wacholderbaum in meinem Garten am Sterne niederwarf und so einen treuen Zeugen glücklicher Tage von meiner Seite riß. Dieser Baum, der einzige in der ganzen Gegend, wo der Wacholder fast nur als Gestrüppe vorkommt, hatte sich wahrscheinlich aus jenen Zeiten erhalten, wo hier noch keine Gartenkultur gewesen.[223] Es hatten sich allerlei Fabeln von ihm verbreitet: ein ehemaliger Besitzer, ein Schulmann, sollte darunter begraben sein; zwischen ihm und dem alten Hause, in dessen Nähe er stand, wollte man gespensterhafte Mädchen, die den Platz reine kehrten, gesehen haben; genug, er gehörte zu dem abenteuerlichen Komplex jenes Aufenthalts, in welchem so manche Jahre meines Lebens hingeflossen und der mir und andern durch Neigung und Gewohnheit, durch Dichtung und Wahn so herzlich lieb geworden.

Den umgestürzten Baum ließ ich durch einen jungen Künstler zeichnen, wie er noch auf Herzoglicher Bibliothek zu sehen ist; die Unterschrift sagt von ihm folgendes:

»Oben gezeichneter Wacholderbaum stand in dem Garten des Herrn Geheimrats von Goethe am Stern. Die Höhe vom Boden bis dahin, wo er sich in zwei Äste teilte, war 12 hiesige Fuß, die ganze Höhe 43 Fuß. Unten an der Erde hielt er 17 Zoll im Durchmesser, da, wo er sich in die beiden Äste teilte, 15 Zoll. Jeder Ast 11 Zoll, und nachher fiel es ab, bis sich die Spitzen ganz zart verzweigten.

Von seinem äußerst hohen Alter wagt man nichts zu sagen. Der Stamm war inwendig vertrocknet, das Holz desselben mit horizontalen Rissen durchschnitten, wie man sie an den Kohlen zu sehen pflegt, von gelblicher Farbe und von Würmern zerfressen.

Der große Sturm, welcher in der Nacht vom 30. zum 31. Januar wütete im Jahr 1809, riß ihn um; ohne dieses außerordentliche Ereignis hätte er noch lange stehen können. Die Gipfel der Äste sowie die Enden der Zweige waren durchaus grün und lebendig.«

1810

Ein bedeutendes Jahr, abwechselnd an Tätigkeit, Genuß und Gewinn, so daß ich mich bei einem überreichen Ganzen in Verlegenheit fühle, wie ich die Teile gehörig ordnungsgemäß darstellen soll.

[224] Vor allen Dingen verdient wohl das Wissenschaftliche einer nähern Erwähnung. Hier war der Anfang des Jahrs mühsam genug; man war mit dem Abdruck der »Farbenlehre« so weit vorgerückt, daß man den Abschluß vor Jubilate zu bewirken nicht für unmöglich hielt; ich schloß den polemischen Teil sowie die Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts; die nach meinen sorgfältigen Zeichnungen gestochenen Tafeln wurden illuminiert, die Rekapitulation des Ganzen vollbracht, und man sah das letzte Blatt mit Vergnügen in die Druckerei wandern.

Dies geschah achtzehn Jahre nach dem Gewahrwerden eines uralten Irrtums, in Gefolg von unablässigen Bemühungen und dem endlich gefundenen Punkte, worum sich alles versammeln mußte. Die bisher getragene Last war so groß, daß ich den 16. Mai als glücklichen Befreiungstag ansah, an welchem ich mich in den Wagen setzte, um nach Böhmen zu fahren. Um die Wirkung war ich wenig bekümmert und tat wohl. Einer so vollkommenen Unteilnahme und abweisenden Unfreundlichkeit war ich aber doch nicht gewärtig; ich schweige davon und erwähne lieber, wieviel ich bei dieser und bei meinen übrigen wissenschaftlichen und literarischen Arbeiten einem mehrjährigen Hausgenossen, Reisegefährten, so gelehrten als gewandten und freundlichen Mitarbeiter, Dr. Friedrich Wilhelm Riemer, schuldig geworden.

Weil man aber, einmal des Mühens und Bemühens gewohnt, sich immer sehr gern und leicht neue Lasten auflegt, so entwickelte sich bei nochmaliger schematischer Übersicht der »Farbenlehre« der verwandte Gedanke: ob man nicht auch die Tonlehre unter ähnlicher Ansicht auffassen könnte, und so entsprang eine ausführliche Tabelle, wo in drei Kolumnen Subjekt, Objekt und Vermittelung aufgestellt worden.

Und wie keine unserer Gemütskräfte sich auf dem einmal eingeschlagenen Wege leicht irremachen läßt, es sei nun, daß man zum Wahren oder zum Falschen hinschreite, so wurde jene Vorstellungsart auf die ganze Physik angewandt: das Subjekt in genauer Erwägung seiner auffassenden und erkennenden Organe, das Objekt als ein allenfalls Erkennbares [225] gegenüber, die Erscheinung, durch Versuche wiederholt und vermannigfaltigt, in der Mitte; wodurch denn eine ganz eigene Art von Forschung bereitet wurde.

Der Versuch, als Beweis irgendeines subjektiven Ausspruches, ward verworfen; es entstand, was man schon längst Anfrage an die Natur genannt hat. Und wie denn alles Erfinden als eine weise Antwort auf eine vernünftige Frage angesehen werden kann, so konnte man sich bei jedem Schritt überzeugen, daß man auf dem rechten Wege sei, indem man überall im einzelnen und ganzen nur Gewinne zur Seite sah.

Wie sehr ich aber auch durch glückliche Umgebung in diesem Fache festgehalten wurde, geht daraus hervor, daß Dr. Seebeck sowohl zu Hause als auswärts fast immer in meiner Nähe blieb. ProfessorVoigt kam aus Frankreich zurück und teilte gar manche schöne Erfahrung und Ansicht mit; die wissenschaftlichen Zustände in Paris wurden uns durch einen Deutschen nach unserer Sprach- und Denkweise nähergebracht, und wir bekannten mit Vergnügen, daß er seine Zeit sowohl für sich als für uns gut angewendet hatte.

Was für Musik im Theater sowohl in den ersten als letzten Monaten des Jahrs geschah, vermelde kürzlich: Die Übungen der freiwilligen Hauskapelle wurden regelmäßig fortgesetzt, donnerstags abends Probe vor einigen Freunden gehalten, sonntags früh Aufführung vor großer Gesellschaft. Ältere und jüngere Theatersänger, Choristen und Liebhaber nahmen teil;Eberwein dirigierte meisterhaft. Mehrstimmige Sachen von Zelter und andern italienischen Großen wurden ins Leben geführt und ihr Andenken gegründet, Vergnügen und Nutzen, Anwendung und Fortschreiten in eins verbunden.

Dadurch, daß die Probe von der Ausführung vollkommen getrennt blieb, ward das dilettantische Pfuschen völlig entfernt, das gewöhnlich erst im Augenblick der Aufführung noch probiert, ja bis den letzten Augenblick unausgemacht läßt, was denn eigentlich aufgeführt werden kann und soll.

Die Donnerstage waren kritisch und didaktisch, die Sonntage für jeden empfänglich und genußreich.

[226] Gegen Ende des Jahrs konnten von dieser Gesellschaft öffentliche Unterhaltungen im Theater gegeben werden; man führte solche Musikstücke auf, welche zu hören das Publikum sonst keine Gelegenheit findet und woran jeder Gebildete sich wenigstens einmal im Leben sollte erquickt und erfreut haben. Als Beispiel nenne ich hier »Johanna Sebus«, komponiert vonZelter, die einen unauslöschlichen Eindruck in allen Gemütern zurückließ.

Ebenmäßig wurden mit den rezitierenden Schauspielern die Didaskalien fortgesetzt, mit den geübtesten nur bei neuen Stücken, mit den jüngeren bei frischer Besetzung älterer Rollen. Diese letzte Bemühung ist eigentlich der wichtigste Teil des Unterrichts, ganz allein durch solches Nachholen und Nacharbeiten wird ein ungestörtes Ensemble erhalten.

»Zaïre«, übersetzt von Peucer, bewies abermals die Fertigkeit unseres Personals im reinen Rezitieren und Deklamieren. Die erste Leseprobe war so vollkommen, daß ein gebildetes Publikum durchaus dabei hätte gegenwärtig sein können.

»Der vierundzwanzigste Februar« von Werner, an seinem Tage aufgeführt, war vollends ein Triumph vollkommener Darstellung. Das Schreckliche des Stoffs verschwand vor der Reinheit und Sicherheit der Ausführung; dem aufmerksamsten Kenner blieb nichts zu wünschen übrig.

Bewegte Plastik ward uns durch das ausgezeichnete Talent der Frau Hendel-Schütz vorgeführt; öffentliche ernste Darstellung, heitere, scherzhafte, ja komische Zimmerunterhaltung gewährte neue Kunstansichten und vielen Genuß.

Die Vorstellung der Oper »Achill« durch Brizzi in italienischer Sprache eröffnete gegen Ende des Jahrs ein neues Feld, und zu gleicher Zeit näherte sich unter den ernstesten und treusten Bemühungen, bei hochgesteigertem Talent des Schauspielers Wolff, »Der standhafte Prinz« der ersehnten Aufführung.

Bezüglich auf bildende Kunst ergab sich gleichfalls eine merkwürdige Epoche. Die Gebrüder Boisserée sandten mir durch den auf die Leipziger Messe reisenden Buchhändler [227] Zimmer von Heidelberg ihre köstlichen ausgeführten Zeichnungen des Domgebäudes. Gern rief ich die Gefühle jener Jahre zurück, als der Straßburger Münster mir Bewunderung abnötigte und mich zu seltsamen, aber tiefempfundenen enthusiastischen Äußerungen veranlaßte. Nun ward das Studium jener älteren besonderen Baukunst abermals ernstlich und gründlich aufgeregt und dieser wichtige Gegenstand von den Weimarischen Kunstfreunden teilnehmend in Betrachtung gezogen.

Eine Anwandlung, landschaftliche Skizzen zu zeichnen, wies ich nicht ab; bei Spaziergängen im Frühling, besonders nahe bei Jena, faßt ich irgendeinen Gegenstand auf, der sich zum Bild qualifizieren wollte, und suchte ihn zu Hause alsdann zu Papier zu bringen. Gleichermaßen ward meine Einbildungskraft durch Erzählungen leicht erregt, so daß ich Gegenden, von denen im Gespräch die Rede war, alsobald zu entwerfen trachtete. Dieser wundersame Trieb erhielt sich lebhaft auf meiner ganzen Reise und verließ mich nur bei meiner Rückkehr, um nicht wieder hervorzutreten.

Auch fehlte es nicht im Laufe des Jahrs an Gelegenheit, festlichen Tagen manches Gedicht und manche Darstellung zu widmen. »Die romantische Poesie«, ein großer Redoutenaufzug, war dem 30. Januar gewidmet, zum 16. Februar wiederholt, wobei zugleich eine charakteristische Reihe russischer Völkerschaften sich anschloß, gleichfalls von Gedicht und Gesang begleitet. Die Gegenwart der Kaiserin von Osterreich Majestät in Karlsbad rief gleich angenehme Pflichten hervor, und manches andere kleinere Gedicht entwickelte sich im stillen.

Hackerts Biographie ward indessen ernstlich angegriffen, eine Arbeit, die viel Zeit und Mühe kostete, wobei uns das Andenken an den verewigten Freund zu Hülfe kommen mußte. Denn obgleich die vorliegenden Papiere von Bedeutung waren und genugsamen Gehalt lieferten, so blieb doch die verschiedenartige Form desselben schwer zu gewältigen und in irgendein kongruentes Ganzes zusammenzufügen.

Zerstreuungen der Reise, vorübergehende Teilnahme begegnender [228] Freunde an kleineren Aufsätzen erinnerte mich an die mancherlei Einzelnheiten, die auf eine Verbindung warteten, um dem Publikum sich teils neu, teils zum zweiten Male wieder vorzustellen. Der Gedanke der »Wanderjahre«, der den »Lehrjahren« so natürlich folgte, bildete sich mehr und mehr aus und beschäftigte mich in einzelnen Stunden, die auf andere Weise nicht genutzt werden konnten.

Bezüglich auf die Rechte des Autors mußte man merkwürdig finden, daß Minister Portalis bei mir anfragte: ob es mit meiner Bewilligung geschehen könne, daß ein kölnischer Buchhändler »Die Wahlverwandtschaften« abdrucke. Ich antwortete dankbar in betreff meiner, verwies aber die Angelegenheit an den rechtmäßigen Verleger. So viel höher standen schon die Franzosen im Begriff von geistigem Besitz und gleichem Recht des Höhern und Niedern, wozu sich die guten Deutschen wohl so bald nicht erheben werden.

In Karlsbad betrachtete ich die Verwüstung, die der Sprudel angerichtet, mit großem Interesse. Aus den hinteren Fenstern des »Weißen Hirsches« zeichnete ich diesen seltsamen Zustand sorgfältig nach der Wirklichkeit und überließ mich der Erinnerung vieljähriger Betrachtungen und Folgerungen, deren ich hier nur kürzlich erwähnen darf.

1811

Dieses Jahr zeichnet sich durch anhaltend äußere Tätigkeit besonders aus. »Das Leben Philipp Hackerts« ward abgedruckt und die vorliegenden Papiere nach jedesmaligem Bedürfnis sorgfältig redigiert. Durch diese Arbeit wurd ich nun abermals nach Süden gelockt; die Ereignisse, die ich jener Zeit in Hackerts Gegenwart oder doch in seiner Nähe erfahren hatte, wurden in der Einbildungskraft lebendig; ich hatte Ursache, mich zu fragen, warum ich dasjenige, was ich für einen andern tue, nicht für mich selbst zu leisten unternehme. Ich wandte mich daher noch vor Vollendung jenes Bandes an meine eigene [229] frühste Lebensgeschichte; hier fand sich nun freilich, daß ich zu lange gezaudert hatte. Bei meiner Mutter Lebzeiten hätt ich das Werk unternehmen sollen, damals hätte ich selbst noch jenen Kinderszenen näher gestanden und wäre durch die hohe Kraft ihrer Erinnerungsgabe völlig dahin versetzt worden. Nun aber mußte ich diese entschwundenen Geister in mir selbst hervorrufen und manche Erinnerungsmittel gleich einem notwendigen Zauberapparat mühsam und kunstreich zusammenschaffen. Ich hatte die Entwicklung eines bedeutend gewordenen Kindes, wie sie sich unter gegebenen Umständen hervorgetan, aber doch wie sie im allgemeinen dem Menschenkenner und dessen Einsichten gemäß wäre, darzustellen.

In diesem Sinne nannt ich bescheiden genug ein solches mit sorgfältiger Treue behandeltes Werk»Wahrheit und Dichtung«, innigst überzeugt, daß der Mensch in der Gegenwart, ja vielmehr noch in der Erinnerung die Außenwelt nach seinen Eigenheiten bildend modele.

Dieses Geschäft, insofern ich durch geschichtliche Studien und sonstige Lokal- und Personenvergegenwärtigung viel Zeit aufzuwenden hatte, beschäftigte mich, wo ich ging und stand, zu Hause wie auswärts, dergestalt daß mein wirklicher Zustand den Charakter einer Nebensache annahm, ob ich gleich überall, wo ich durchs Leben hingefordert wurde, gleich wieder mit ganzer Kraft und vollem Sinne mich gegenwärtig erwies.

Für das Theater geschah sehr viel, wobei des trefflichen Wolff sich immer steigerndes Talent im besten Sinne hervortrat. »Der standhafte Prinz« ward mit allgemeinem Beifalle aufgeführt und so der Bühne eine ganz neue Provinz erobert. Auch erschien Wolff als Pygmalion, und seine Darstellung machte vergessen, wie unzuläßlich und unerfreulich dies Stück eigentlich sei.

Von Knebels übersetzter »Saul« Alfieris, »Die Tochter Jephta«, »Tasso« wurden wiederholt, »Romeo und Julie« fürs Theater bearbeitet, wobei sowohl Riemer als Wolff eifrig mitwirkten; und so ward auch für die nächste Folge Calderons »Leben ein Traum« vorbereitet.

[230] Demoiselle Frank aus Mannheim erntete als Emmeline und Fanchon großen Beifall; Brizzi wiederholte seinen Besuch, die Vorstellung von »Achill« nahm wieder ihren glänzenden Gang. Die zweite große Oper, »Ginevra«, konnte sich jener nicht gleichstellen; auch hier bewahrheitete sich die alte Lehre, daß ein verfehlter Text der Musik und Darstellung insgeheim den Untergang vorbereite. Ein Bösewicht und Verräter nimmt sich am Ende überall schlecht aus, am schlechtesten auf dem Theater, wo der Verlauf seiner Niederträchtigkeiten abgesponnen und uns vor die Augen geführt wird.

Das neuerbaute Schauspielhaus zu Halle verlieh die sämtlichen Vorteile der Lauchstädter Bühne; die Einweihung desselben gab Gelegenheit zu einem Prolog, welchem freundliche Teilnahme zuteil ward.

Mit der Musik gelang es mir nicht so glücklich; was ich vor einem Jahre meine Hauskapelle zu nennen wagte, fühlte ich im Innersten bedroht. Niemand merkte einige Veränderung, aber es hatten sich gewisse Wahlverwandtschaften eingefunden, die mir sogleich gefährlich schienen, ohne daß ich ihren Einfluß hätte hindern können. Noch zu Anfang des Jahres ward nach herkömmlicher Weise verfahren, doch schon nicht mehr in so regelmäßiger wöchentlicher Folge. Noch trugen wir echte alte Sachen vor, mehrere neue Kanons von Ferrari belebten die Lust der Sänger und den Beifall der Zuhörer; ich aber hatte mich schon in diesen Verlust ergeben, und als bei meiner bevorstehenden Sommerreise zu Ende Aprils eine Pause eintreten mußte, so war schon mein Entschluß gefaßt, nie wieder zu beginnen; ich verlor dabei sehr viel und mußte deshalb ernstlich bedacht sein, mich anderwärts zu entschädigen.

Noch während dieser auferbaulichen Unterhaltung schrieb ich die Kantate »Rinaldo« für des Prinzen Friedrich von Gotha Durchlaucht; sie ward durch den verdienstvollen Kapellmeister Winter komponiert und gewährte, durch des Prinzen anmutige Tenorstimme vorgetragen, von Chören begleitet, einen schönen Genuß.

Was sich auf ältere bildende Kunst bezog, ward vorzüglich [231] geachtet. Meyer bearbeitete unablässig die Kunstgeschichte, und alle deshalb gepflogenen Untersuchungen gaben Stoff zu belehrendem Gespräch.

Mionnetische Pasten altgriechischer Münzen hatten, als die würdigsten Dokumente jener Zeit, die entschiedensten Aussichten eröffnet.

Die Lust, sich Vergangenes zu vergegenwärtigen, wirkte fort, und wir suchten mit Hülfe eines guten Rechners den Rogus des Hephästion, besonders aber das ungeheure Amphitheater wieder herzustellen, in dessen Mitte er aufgeführt war und wozu die Mauer von Babylon Erde und Schutt hatte hergeben müssen wie zum Rogus die Ziegeln. Das ganze griechische Heer sah mit Bequemlichkeit der Feier zu.

Viele Jahrhunderte waren dagegen zu überschreiten, als Dr. Sulpiz Boisserée mit einer wichtigen Folge von Zeichnungen und Kupfern bei uns eintraf und unsere Kunstbetrachtungen ins Mittelalter hinlenkte. Hier verweilten wir so gern, weil eine wohlüberdachte Folge übereinstimmender Monumente vor uns lag, die uns in eine zwar düstere, aber durchaus ehren- und anteilwerte Zeit versetzte. Das lebhafte Interesse des Vorzeigenden, die gründliche Erkenntnis jener Zustände und Absichten, alles teilte sich mit, und man ließ sich, wie bei einer veränderten Theaterdekoration, abermals gern in Zeiten und Lokalitäten versetzen, zu denen man in der Wirklichkeit nicht wieder gelangen sollte.

Und so ward ein treuer Sinnes- und Herzensbund mit dem edlen Gaste geschlossen, der für die übrige Lebenszeit folgereich zu werden versprach.

Ferner hatte derselbe Federzeichnungen nach dem Gedichte »Die Nibelungen« von Cornelius mitgebracht, deren altertümlich tapferen Sinn, mit unglaublicher technischer Fertigkeit ausgesprochen, man höchlich bewundern mußte.

Als Nachklang jener früheren weimarischen Kunstausstellung, in Gefolg guter daraus sich herleitender Verhältnisse mit lebenden Künstlern ward gar manches eingesendet. Der verdienstvolle Nauwerck zu Ratzeburg schickte Zeichnungen und [232] Gemälde; des allzu früh abgeschiedenen Landschaftsmalers Kaaz hinterlassene Zeichnungen wurden vorgelegt. Prinzeß Karoline von Mecklenburg, selbst einen schönen Sinn für landschaftliche Zeichnungen besitzend sowie anmutig ausführend, verschaffte sich von beiden eine Auswahl.

So wurden wir auch mit einem hoffnungsvollen Talente eines jung abgeschiedenen Mannes namensWehle zum erstenmal bekannt, dessen Verlassenschaft Baron Schönberg-Rothschönberg käuflich an sich gebracht hatte. Sowohl in Skizzen als ausgeführten Blättern nach der Natur offenbarte sich ein glücklich künstlerischer Blick in die Welt, und das Interesse an diesen Blättern war durch fremdartige, seltsamliche Lokalität erhöht. Er war bis Tiflis vorgedrungen und hatte Fernes so wie Nahes mit charakteristischer Leichtigkeit dem Papier anvertraut.

Vor der Naturbetrachtung war man einigermaßen auf der Hut; doch studierte ich zwischendurch die Geschichte der Physik, um das Herankommen dieser höchsten Wissenschaft mir möglichst zu vergegenwärtigen: denn ganz allein durch Aufklärung der Vergangenheit läßt sich die Gegenwart begreifen. Eine Wissenschaft ist, wie jede menschliche Anstalt und Einrichtung, eine ungeheure Kontignation von Wahrem und Falschem, von Freiwilligem und Notwendigem, von Gesundem und Krankhaftem; alles, was wir tagtäglich gewahr werden, dürfen wir am Ende doch nur als Symptome ansehen, die, wenn wir uns wahrhaft ausbilden wollen, auf ihre physiologischen und pathologischen Prinzipe zurückzuführen sind.

Ich enthielt mich persönlich von Versuchen aller Art, aber ein indianisches Weißfeuer auf dem Landgrafenberg, von Professor Döbereiner abgebrannt, gab durch Erleuchtung des Tales, besonders der gegenüberliegenden Berge, eine höchst überraschende Erscheinung.

Nach diesem aufblickenden Lichtglanze durfte sich der herrliche, langverweilende Komet wohl auch noch sehen lassen, unsere Augen entzücken und unsern innern Sinn in das Weltall hinausfordern.

[233] Mein diesjähriger Aufenthalt in Karlsbad nahm einen ganz eigenen Charakter an; die Lust des Haftens an der Natur, des Zeichnens und Nachbildens hatte mich ganz und gar verlassen; nichts der Art wollte weiter gelingen, und so war ich auch des Durchstöberns und Durchklopfens der allzu bekannten Felsmassen völlig müde. Müller, in hohen Jahren, war nicht mehr anregend, und so sah ich denn auch die Bemühungen, dem Sprudel seinen alten Weg wieder zu weisen, mit Gleichgültigkeit, getröstet durch die Bemerkung, daß man zwar althergebrachten Vorurteilen zu schmeicheln, aber doch einem ähnlichen Übel zuvorzukommen trachtete.

In Gesellschaft von lebenslustigen Freunden und Freundinnen übergab ich mich einer tagverzehrenden Zerstreuung. Die herkömmlichen Promenaden zu Fuß und Wagen gaben Raum genug, sich nach allen Seiten zu bewegen; die näheren sowohl als die entfernten Lustorte wurden besucht, zu welchen sich noch ein neuer auf eine fast lächerliche Weise gesellt hatte. InWeheditz, einem Dorfe über der Eger gegen Dalwitz gelegen, hatte sich ein Bauer, der als Fuhrmann bis Ungarn frachtete, auf dem Rückwege mit jungen, geistig wohlschmeckenden Weinen beladen und in Hof und Haus eine kleine Wirtschaft errichtet. Bei dem niedrigen Stande des Papiergeldes, fast wie zehn gegen eins, trank man eine anmutige Flasche Ungarwein für den Betrag von wenig Silbergroschen. Die Neuheit, das Seltsame, ja die Unbequemlichkeit des Aufenthalts fügten zur Wohlfeilheit einen gewissen Reiz; man zog hinaus, man lachte, spottete über sich und andere und hatte immer mehr des einschmeichelnden Weins genossen, als billig war. Man trug sich über eine solche Wallfahrt mit folgender Anekdote: Drei bejahrte Männer gingen nach Weheditz zum Weine:


Obrist Otto, alt . . .  87 Jahr
Steinschneider Müller . . .  84 Jahr
Ein Erfurter . . .  82 Jahr
253 Jahr

[234] Sie zechten wacker, und nur der letzte zeigte bei Nachhausegehen einige Spuren von Bespitzung; die beiden andern griffen dem Jüngeren unter die Arme und brachten ihn glücklich zurück in seine Wohnung.

Einen solchen allgemeinen Leichtsinn begünstigte jener niedere Stand des Papiers. Ein ergangenes Patent hatte alle Welt verwirrt gemacht, die vorhandenen Zettel hatten allen Wert verloren, man erwartete die neuen sogenannten Antizipationsscheine. Die Verkäufer und Empfänger konnten dem sinkenden Papierwert nicht genug nachrücken, den Käufern und Ausgebenden geriet es auch nicht zum Vorteil: sie verschleuderten Groschen und wurden so allmählich ihre Taler los. Der Zustand war von der Art, daß er auch den Besonnensten zur Verrücktheit hinriß.

Doch ist der Tag so lang, daß er sich ohne nützliche Beschäftigung nicht hinbringen läßt, und so setzte ich mit Riemers Beistand unter fortwährendem Besprechen die Arbeit an der Biographie fort, das Nächste ausführend, das Fernere schematisierend. Auch waren zum fortgesetzten Lesen und Betrachten die kleineren Schriften Plutarchs jederzeit bei der Hand, wie es denn auch an mancherlei Erfahrung und Belehrung in einem so großen Zusammenfluß von bedeutenden Menschen, die in geschäftsloser Freiheit sich gern von dem, was ihnen lieb und wert ist, unterhalten, keineswegs fehlen konnte.

Von Personen, die dieses Jahr in Weimar eingesprochen find ich folgende bemerkt: Engelhardt, Architekt von Kassel, auf seiner Durchreise nach Italien. Man wollte behaupten, ich habe ihn in früherer Zeit als Musterbild seines Kunstgenossen in den »Wahlverwandtschaften« im Auge gehabt. Der so geschickte als gefällige Raabe hielt sich einige Zeit bei uns auf, malte mein Bildnis in Öl auf Kupfer. Ritter O'Hara, ein trefflicher Gesellschafter, guter Wirt und Ehrenmann, wählte Weimar für einige Zeit zu seinem Wohnort. Die Geschichten seiner vieljährigen Irrfahrten, die er mit einigem Scherz über sich selbst zu würzen verstand, verbreiteten über seine Tafel einen[235] angenehmen vertraulichen Ton. Daß seine Köchin die trefflichsten Beefsteaks zu bereiten wußte, auch daß er mit dem echtesten Mokkakaffee seine Gastmahle schloß, ward ihm nicht zum geringen Verdienst angerechnet.

Lefebvre, französischer Legationssekretär, von Kassel kommend, durch Baron Reinhard angemeldet, regte im lebhaften Gespräch französische Rede, Poesie und Geschichte wieder auf, zu angenehmster Unterhaltung. Professor Thiersch ging, gute Eindrücke zurücklassend und hoffentlich mitnehmend, bei uns vorüber. Das Ehepaar von Arnim hielt sich eine Zeitlang bei uns auf; ein altes Vertrauen hatte sich sogleich eingefunden; aber eben durch solche freie, unbedingte Mitteilungen erschien erst die Differenz, in die sich ehemalige Übereinstimmung aufgelöst hatte. Wir schieden in Hoffnung einer künftigen glücklichern Annäherung.

Von wichtigen Büchern, deren Einfluß bleibend war, las ich Sainte-Croix, »Examen des historiens d'Alexandre«, Heerens »Ideen über die Geschichte des Handels«, Degérando, »Histoire de la philosophie«; sie verlangten sämtlich, daß man seine Umsicht innerhalb der vergangenen Zeiten auszudehnen und zu erweitern sich entschließe.

Jacobi, »Von den göttlichen Dingen«, machte mir nicht wohl; wie konnte mir das Buch eines so herzlich geliebten Freundes willkommen sein, worin ich die These durchgeführt sehen sollte: die Natur verberge Gott. Müßte, bei meiner reinen, tiefen, angebornen und geübten Anschauungsweise, die mich Gott in der Natur, die Natur in Gott zu sehen unverbrüchlich gelehrt hatte, so daß diese Vorstellungsart den Grund meiner ganzen Existenz machte, mußte nicht ein so seltsamer, einseitigbeschränkter Ausspruch mich dem Geiste nach von dem edelsten Manne, dessen Herz ich verehrend liebte, für ewig entfernen? Doch ich hing meinem schmerzlichen Verdrusse nicht nach, ich rettete mich vielmehr zu meinem alten Asyl und fand inSpinozas »Ethik« auf mehrere Wochen meine tägliche Unterhaltung, und da sich indes meine Bildung gesteigert hatte, ward ich im schon Bekannten gar manches, das sich neu und [236] anders hervortat, auch ganz eigen frisch auf mich einwirkte, zu meiner Verwunderung gewahr.

Uwarows Projekt einer Asiatischen Akademie lockte mich in jene Regionen, wohin ich auf längere Zeit zu wandern ohnedem geneigt war. Hebels abermalige »Alemannische Gedichte« gaben mir den angenehmen Eindruck, den wir bei Annäherung von Stammverwandten immer empfinden. Nicht so vonHagens »Heldenbuch«; hier hatte sich eine alles verwandelnde Zeit dazwischen gelegt. Ebenso brachte mir Büschings »Armer Heinrich«, ein an und für sich betrachtet höchst schätzenswertes Gedicht, physisch-ästhetischen Schmerz. Den Ekel gegen einen aussätzigen Herrn, für den sich das wackerste Mädchen aufopfert, wird man schwerlich los; wie denn durchaus ein Jahrhundert, wo die widerwärtigste Krankheit in einem fort Motive zu leidenschaftlichen Liebes- und Rittertaten reichen muß, uns mit Abscheu erfüllt. Die dort einem Heroismus zum Grunde liegende schreckliche Krankheit wirkt wenigstens auf mich so gewaltsam, daß ich mich vom bloßen Berühren eines solchen Buchs schon angesteckt glaube.

Durch einen besondern Zufall kam mir sodann ein Werk zur Hand, von welchem man dagegen eine unsittliche Ansteckung hätte befürchten können; weil man sich aber vor geistigen Einwirkungen aus einem gewissen frevelhaften Dünkel immer sicherer hält als vor körperlichen, so las ich die Bändchen mit Vergnügen und Eile, da sie mir nicht lange vergönnt waren: Es sind die »Novelle galanti« von Verrocchio; sie stehen denen des Abbate Casti an poetischem und rhetorischem Wert ziemlich nahe, nur ist Casti künstlerisch mehr zusammengenommen und beherrscht seinen Stoff meisterhafter. Auf Erinnerung eines Freundes schloß ich die »Novelle del Bandello« unmittelbar an. Die Abenteuer des Ritter Grieux und Manon Lescaut wurden als nahe verwandt herbeigerufen; doch muß ich mir zuletzt das Zeugnis geben, daß ich nach allem diesem endlich zum »Landprediger von Wakefield« mit unschuldigem Behagen zurückkehrte.

[237]

1812

Die Familie Kobler eröffnete mit höchst anmutigen Balletten das Jahr. »Romeo und Julie«, sodann »Turandot« werden wiederholt, die Aufführung von»Leben ein Traum« vorbereitet. Die zu würdiger Darstellung solcher Stücke erforderlichen Anstrengungen gaben neue Gelegenheit zum tiefer eindringenden Studium und der ganzen Behandlung einen frischen Schwung. Ein junger Schauspieler trat hinzu, namensDurand, mit allen Vorzügen, die man im allgemeinen an einem jungen sogenannten Liebhaber wünschen kann, nur vermißte man an ihm ein gewisses inneres Feuer oder auch nur jene Art von Enthusiasmus, der ihn aus sich selbst herausgetrieben, womit er sich dem Publikum aufgedrungen hätte, daß es ihn fühlen und anerkennen mußte. Man hoffte jedoch, daß er dies Bedürfnis bald selbst empfinden werde.

Theodor Körner war als Theaterdichter hervorgetreten, dessen »Toni«, »Zriny« und »Rosamunde« als Nachklänge einer kurz vergangenen Epoche von den Schauspielern leicht aufgefaßt und wiedergegeben und ebenso, dem Publikum sinn- und artverwandt, von ihm günstig aufgenommen wurden. Zu höheren Zwecken ward »Die große Zenobia« von Calderon studiert und »Der wunderbare Magus« durch Griesens Übersetzung uns angenähert.

Wolff und Riemer machten einen Plan zu Aufführung des »Faust«, wodurch der Dichter verleitet ward, mit diesem Gegenstand sich abermals zu beschäftigen, manche Zwischenszenen zu bedenken, ja sogar Dekorationen und sonstiges Erfordernis zu entwerfen. Jene genannten, immer tätigen Freunde entwarfen gleichfalls den Versuch einer neuen Redaktion des »Egmont« mit Wiederherstellung der Herzogin von Parma, die sie nicht entbehren wollten. Die Anwesenheit der Madame Schönberger veranlaßte die erfreulichsten Darstellungen. Iffland schloß das Jahr auf das erwünschteste, indem er mehrmals auftrat; vom 20. Dezember an sehen wir folgende Vorstellungen: »Clementine«, »Selbstbeherrschung«, »Der Jude«,[238] »Künstlers Erdenwallen«, »Don Ranudo« und »Der arme Poet«, »Der Kaufmann von Venedig«, »Der gutherzige Polterer«.

Neben ihm traten von unserm wohlbestellten Theater folgende Schauspieler auf, deren Gemeinschaft er seiner hohen Kunst nicht unwürdig fand. Es scheint uns der Sache gemäß, ihre Namen hier aufzuführen; die Herren: Durand, Deny, Graff, Genast, Haide, Lortzing, Malcolmi, Oels, Unzelmann, Wolff; sodann die Damen: Beck, Eberwein, Engels, Lortzing, Wolff.

Der Biographie zweiter Band wurde gearbeitet und abgeschlossen, auch der dritte Band eingeleitet, im ganzen entworfen, im einzelnen ausgeführt. In Gefolg der Darstellung Mosaischer Geschichte im ersten Bande nahm ich den »Irrgang der Kinder Israel durch die Wüste« aus alten Papieren wieder vor, die Arbeit selbst aber wurde zu andern Zwecken zurückgelegt.

Drei Gedichte für kaiserliche Majestäten, im Namen der Karlsbader Bürger, gaben mir eine ehrenvoll-angenehme Gelegenheit, zu versuchen, ob noch einiger poetischer Geist in mir walte.

In der bildenden Kunst ereignete sich manches Günstige: Die Nachricht von dem Fund auf Ägina eröffnete der Kunstgeschichte neue Aussichten, an welchen wir uns mit Freund Meyer, der in seinen Bemühungen immer vorwärtsging, erbauten und ergötzten.

Der Gedanke, aus vorliegenden alten Münzen das Andenken verlorner Kunstwerke zu ergänzen, war zu reizend und hatte einen dergestalt soliden Grund, daß man nach dem Aufsatz über Myrons Kuh in dergleichen Betrachtungen fortfuhr, den Olympischen Jupiter, die Polykletische Juno und manches andere würdige Bild auf diese Weise wiederherzustellen trachtete.

Ein kleiner Zentaur von Silber, etwa spannenlang und bewundernswürdig gearbeitet, rief eine lebhafte Streitigkeit hervor, ob er antik oder modern sei. Die Weimarischen Kunstfreunde, [239] überzeugt, daß in solchen Dingen niemals an Übereinstimmung und Entscheidung zu denken sei, bewunderten ihn, belehrten sich daran und traten zu derjenigen Partei, die ihn für alt und aus den ersten Kaiserzeiten hielt.

Ich akquirierte eine nicht gar ellenhohe altflorentinische Kopie des sitzenden Moses von Michelangelo, in Bronze gegossen und im einzelnen durch Grabstichel und andere ziselierende Instrumente fleißigst vollendet: ein schönes Denkmal sorgfältiger, beinahe gleichzeitiger Nachbildung eines höchst geschätzten Kunstwerkes jener Epoche und ein Beispiel, wie man dem kleinen Bilde, welches natürlich die Großheit des Originals nicht darstellen konnte, durch eine gewisse Ausführlichkeit im einzelnen einen eigentümlichen Wert zu geben wußte.

Die Naturwissenschaft erfreute sich manchen Gewinnes; Ramdohr, »Von den Verdauungswerkzeugen der Insekten«, bestätigte unsere Denkweise über die allmähliche Steigerung organischer Wesen. Übrigens aber wandte sich die Aufmerksamkeit mehr gegen allgemeine Naturforschung.

Dr. Seebeck, der chromatischen Angelegenheit immerfort mit gewohntem Fleiße folgend, bemühte sich um den zweiten Newtonischen Versuch, den ich in meiner Polemik nur soviel als nötig berührt hatte; er bearbeitete ihn in meiner Gegenwart, und es ergaben sich wichtige Resultate, wie jene Lehre, sobald man anstatt der anfänglichen Prismen zu Linsen übergeht, in eine fast unauflösliche Verfitzung verwickelt werde.

Zu allgemeiner Betrachtung und Erhebung des Geistes eigneten sich die Schriften des Jordanus Brunus von Nola; aber freilich das gediegene Gold und Silber aus der Masse jener so ungleich begabten Erzgänge auszuscheiden und unter den Hammer zu bringen erfordert fast mehr, als menschliche Kräfte vermögen, und ein jeder, dem ein ähnlicher Trieb eingeboren ist, tut besser, sich unmittelbar an die Natur zu wenden, als sich mit den Gangarten, vielleicht mit Schlackenhalden vergangener Jahrhunderte herumzumühen.

[240] In Karlsbad fand man sich wieder zu herkömmlichen geologischen Betrachtungen genötigt. Die Erweiterung des Raumes um den Neubrunnen, ein kühnes, vielleicht in früherer Zeit nicht denkbares Vornehmen, bestärkte in den bisherigen Vorstellungen; ein merkwürdiges Gestein ward daselbst gewonnen, starkes Wasser der Tepl und heftiges Aufbrausen der heißen Quellen trafen zusammen, Umstände, welche auf die Hypothese hinzudeuten schienen: diese große Naturwirkung sei als ein ungeheures galvanisches Experiment anzusehen.

Von Teplitz aus besuchte man Dr. Stolz in Aussig und belehrte sich an dessen trefflichen Kenntnissen und Sammlungen. Fossile Knochen in Böhmen waren auch zur Sprache gekommen.

Nach Hause zurückgekehrt, verweilte man zuerst in Jena, um den dortigen Museen im Augenblick einer eintretenden günstigen Epoche eine freudige Aufmerksamkeit zu widmen. Ihro Kaiserliche Hoheit die Frau Erbprinzeß bestimmten eine ansehnliche Summe zu diesem Zwecke, und Mechanikus Körner verfertigte eine Luftpumpe für das physikalische Kabinett. Sonstige Instrumente und andere Anschaffungen dorthin werden gleichfalls eingeleitet und, um des Raumes mehr zu gewinnen, die oberen Zimmer im jenaischen Schloß für die Aufnahme eines Teils der Museen eingerichtet. Von Trebra verehrte merkwürdige Granitübergangsplatten als Dokumente früherer geognostischer Wanderungen auf dem Harze; sein Werk »Vom Innern der Gebirge« wird aufs neue vorgenommen und dabei ältere und jüngere Vorstellungsarten besprochen.

Sogenannte Schwefelquellen in Berka an der Ilm, oberhalb Weimar gelegen, die Austrocknung des Teichs, worin sie sich manchmal zeigten, und Benutzung derselben zum Heilbade gab Gelegenheit, geognostische und chemische Betrachtungen hervorzurufen. Hiebei zeigte sich Professor Döbereiner auf das lebhafteste teilnehmend und einwirkend.

[241]

1813

Die erneuerte Gegenwart Brizzis hatte der Oper einen eigenen Schwung gegeben, auch die Aufführung derselben italienisch möglich gemacht. Keinem Sänger ist diese Sprache ganz fremd: denn er muß sein Talent mehrenteils in selbiger produzieren; sie ist überhaupt für den, dem die Natur ein glückliches Ohr gegönnt, leicht zu erlernen. Zu größerer Bequemlichkeit und schnellerer Wirkung ward ein Sprachmeister angestellt. Ebenso hatte Ifflands Gegenwart alle Aufmerksamkeit unserer Schauspieler angeregt, und sie wetteiferten allzusamt, würdig neben ihm zu stehen. Wer in die Sache tief genug hineinsah, konnte wohl erkennen, daß die Übereinstimmung, die Einheit unserer Bühne diesem großen Schauspieler vollkommene Leichtigkeit und Bequemlichkeit gab, sich wie auf einem reinen Element nach Gefallen zu bewegen. Nach seiner Abreise wurde alles wieder ernstlich und treulich fortgesetzt, aber jedes künstlerische Bestreben durch Furcht vor immer näher herandringenden Kriegsereignissen dergestalt gelähmt, daß man sich begnügen mußte, mit den Vorräten auszulangen.

Poetischer Gewinn war dieses Jahr nicht reichlich; drei Romanzen: »Der Totentanz«, »Der getreue Eckart« und »Die wandelnde Glocke« verdienten einige Erwähnung. »Der Löwenstuhl«, eine Oper, gegründet auf die alte Überlieferung, die ich nachher in der Ballade »Die Kinder, die hören es gerne« ausgeführt, geriet ins Stocken und verharrte darin. Der Epilog zum »Essex« darf wohl auch erwähnt werden.

Der dritte Band meiner Biographie ward redigiert und abgedruckt und erfreute sich, ungeachtet äußerer mißlicher Umstände, einer guten Wirkung. Das italienische Tagebuch ward näher beleuchtet und zu dessen Behandlung Anstalt gemacht, ein Aufsatz zu Wielands Andenken in der Trauerloge vorgelesen und zu vertraulicher Mitteilung dem Druck übergeben.

Im Felde der Literatur ward manches Ältere, Neuere und Verwandte vorgenommen und mehr oder weniger durch Fortsetzung der Arbeit irgendeinem Ziele näher gebracht; besonders [242] ist das Studium zu erwähnen, das man Shakespearen in bezug auf seine Vorgänger widmete.

Geographische Karten zu sinnlicher Darstellung der über die Welt verteilten Sprachen wurden mit Wilhelm von Humboldts Teilnahme bearbeitet, begrenzt und illuminiert; ebenso ward ich von Alexander von Humboldt veranlaßt, die Berghöhen der Alten und Neuen Welt in ein vergleichendes landschaftliches Bild zu bringen.

Hier ist nun am Platze, mit wenigem auszusprechen, wie ich das Glück, gleichzeitig mit den vorzüglichsten Männern zu leben, mir zu verdienen suchte.

Von dem Standpunkte aus, worauf es Gott und der Natur mich zu setzen beliebt und wo ich zunächst den Umständen gemäß zu wirken nicht unterließ, sah ich mich überall um, wo große Bestrebungen sich hervortaten und andauernd wirkten. Ich meinesteils war bemüht, durch Studien, eigene Leistungen, Sammlungen und Versuche ihnen entgegenzukommen und so, auf den Gewinn dessen, was ich nie selbst erreicht hätte, treulich vorbereitet, es zu verdienen, daß ich unbefangen, ohne Rivalität oder Neid, ganz frisch und lebendig dasjenige mir zueignen durfte, was von den besten Geistern dem Jahrhundert geboten ward. Und so zog sich mein Weg gar manchen schönen Unternehmungen parallel, nahm seine Richtung grad auf andere zu; das Neue war mir deshalb niemals fremd, und ich kam nicht in Gefahr, es mit Überraschung aufzunehmen oder wegen veralteten Vorurteils zu verwerfen.

Als Zeichen der Aufmerksamkeit auf das Allerbesonderste brachte ich Durchzeichnungen von Bildern aus einer alten Handschrift des »Sachsenspiegels« Kennern und Liebhabern in die Hände, welche denn auch davon den löblichsten Gebrauch machten und die Symbolik eines in Absicht auf bildende Kunst völlig kindischen Zeitalters gar sinnig und überzeugend auslegten.

Des Allerneuesten hier zu erwähnen, sendete mir Abbate Monti, früherer Verhältnisse eingedenk, seine Übersetzung der »Ilias«.

[243] Als Kunstschätze kamen mir ins Haus: Gipsabguß von Jupiters Kolossalbüste, kleine Herme eines indischen Bacchus von rotem antiken Marmor, Gipsabgüsse von Peter Vischers Statuen der Apostel am Grabmal des heiligen Sebaldus zu Nürnberg. Vorzüglich bereicherten eine meiner liebwertesten Sammlungen päpstliche Münzen, doppelt erwünscht teils wegen Ausfüllung gewisser Lücken, teils weil sie die Einsichten in die Geschichte der Plastik und der bildenden Kunst überhaupt vorzüglich beförderten. Freund Meyer setzte seine Kunstgeschichte fort; Philostrats Gemälde belebten sich wieder, man studierte Heynes Arbeiten darüber; die kolossale Statue Domitians, von Statius beschrieben, suchte man sich gleichfalls zu vergegenwärtigen, zu restaurieren und an Ort und Stelle zu setzen. Die Philologen Riemer und Hand waren mit Gefälligkeit beirätig. Viscontis »Iconographie grecque« ward wieder aufgenommen, und in jene alten Zeiten führte mich unmittelbar ein höchst willkommenes Geschenk. Herr Bröndsted beschenkte mich im Namen der zu so bedeutenden Zwecken nach Griechenland Gereisten mit einem zum Spazierstabe umgeformten Palmenzweig von der Akropolis; eine bedeutende griechische Silbermünze vertrat die Stelle des Knopfes.

Damit man ja recht an solchen Betrachtungen festgehalten werde, fand sich Gelegenheit, die Dresdener Sammlung der Originalien sowohl als der Abgüsse mit Muße zu betrachten.

Indessen zog denn doch auch die Meisterschaft mancher Art, die den Neuern vorzüglich zuteil geworden, eine gefühlte Aufmerksamkeit an sich. Bei Betrachtung Ruisdaelischer Arbeiten entstand ein kleiner Aufsatz: »Der Landschaftsmaler als Dichter«.

Von Mitlebenden hatte man Gelegenheit, die Arbeiten Kerstings kennenzulernen, und Ursache, sie wertzuschätzen.

Naturwissenschaften, besonders Geologie, erhielten sich gleichfalls in der Reihe. Von Teplitz aus besuchte ich die Zinnwerke von Graupen, Zinnwald und Altenberg; in Bilin erfreute ich mich der Leitung des erfahrnen, klar denkenden Dr. Reuß; [244] ich gelangte unter seiner Führung bis an den Fuß des Biliner Felsens, wo auf dem Klingstein in Masse der säulenförmige unmittelbar aufsteht: eine geringe Veränderung der Bedingungen mag die Veränderung dieses Gestaltens leicht bewirkt haben.

Die in der Nähe von Bilin sich befindenden Granaten, deren Sortieren und Behandlung überhaupt ward mir gleichfalls ausführlich bekannt.

Ebensoviel wäre von anderer Seite ein Besuch vonDr. Stolz in Aussig zu rühmen; auch hier erschien das große Verdienst eines Mannes, der seinen Kreis zunächst durchprüft und dem ankommenden Gast gleich so viel Kenntnisse mitteilt, als ihm ein längerer Aufenthalt kaum hätte gewähren können.

Aus dem mannigfaltigen Bücherstudium sind hier abermals Trebras »Erfahrungen vom Innern der Gebirge« und Charpentiers Werke zu nennen. Es war meine Art, auf Ansichten und Überzeugungen mitlebender Männer vorzüglich zu achten, besonders wenn sie nicht gerade der Schnurre des Tags angemessene Bewegung machen konnten.

Das intentionierte Schwefelbad zu Berka gab zu mancherlei Diskussionen Gelegenheit; man versuchte, was man voraussehen konnte, und ließ bewenden, was man nicht hätte beabsichtigen sollen.

Die entoptischen Farben erregten Aufmerksamkeit; unabhängig hievon hatte ich einen Aufsatz über den Doppelspat geschrieben.

Und so bemerke ich am Schlusse, daß die Instrumente für die jenaische Sternwarte bestellt und Klugens Werk über den animalischen Magnetismus beachtet wurde.

Bedeutende Personen wurden von mir gesehen. In Tharandt Forstmeister Cotta; in Teplitz Dr. Kapp, Graf Brühl, General Thielmann, Rittmeister von Schwanenfeld, Professor Dittrich vom Gymnasium zu Komotau, Großfürstinnen Katharina und Maria.

Nach der Schlacht von Leipzig in Weimar gesehen: Wilhelm von Humboldt; Graf Metternich; Staatskanzler von Hardenberg; [245] Prinz Paul von Württemberg; Prinz August von Preußen; Kurprinzeß von Hessen; Professor Jahn, Chemikus; Hofrat Rochlitz.

Hier muß ich noch einer Eigentümlichkeit meiner Handlungsweise gedenken. Wie sich in der politischen Welt irgendein ungeheures Bedrohliches hervortat, so warf ich mich eigensinnig auf das Entfernteste. Dahin ist denn zu rechnen, daß ich von meiner Rückkehr aus Karlsbad an mich mit ernstlichstem Studium dem chinesischen Reich widmete und dazwischen, eine notgedrungene unerfreuliche Aufführung des »Essex« im Auge, der Schauspielerin Wolff zuliebe und um ihre fatale Rolle zuletzt noch einigermaßen glänzend zu machen, den »Epilog zu ›Essex‹« schrieb, gerade an dem Tage der Schlacht von Leipzig.

Zum Behuf meiner eigenen Biographie zog ich aus den »Frankfurter Gelehrten Zeitungen« vom Jahr 1772 und 1773 die Rezensionen aus, welche ganz oder zum Teil mir gehörten. Um in jene Zeiten mich noch mehr zu versetzen, studierte ich Mösers »Phantasien«, sodann aber auch Klingers Werke, die mich an die unverwüstliche Tätigkeit nach einem besondern, eigentümlichen Wesen gar charakteristisch erinnerten. In Absicht auf allgemeineren Sinn in Begründung ästhetischen Urteils hielt ich mich immerfort anErnestis »Technologie griechischer und römischer Redekunst« und bespiegelte mich darinnen scherz-und ernsthaft mit nicht weniger Beruhigung, daß ich Tugenden und Mängel nach ein paar tausend Jahren als einen großen Beweis menschlicher Beschränktheit in meinen eigenen Schriften unausweichlich wieder zurückkehren sah.

Von Ereignissen bemerke vorläufig: Der französische Gesandte wird in Gotha überrumpelt und entkommt. Ein geringes Korps Preußen besetzt Weimar und will uns glauben machen, wir seien unter seinem Schutze sicher. Die Freiwilligen betragen sich unartig und nehmen nicht für sich ein. Ich reise ab, Begegnisse unterwegs. In Dresden russische Einquartierung, nachts mit Fackeln. Ingleichen der König von Preußen. In Teplitz Vertraulichkeiten. Vorläufige Andeutungen einer allgemeinen [246] Verbindung gegen Napoleon. Schlacht von Lützen. Franzosen in Dresden. Waffenstillstand. Aufenthalt in Böhmen. Lustmanœuvre zwischen Bilin, Ossegg und Dux. Mannigfache Ereignisse in Dresden. Rückkehr nach Weimar. Die jüngste französische Garde zieht ein. General Travers, den ich als jenen Begleiter des Königs von Holland kennengelernt, wird bei mir zu seiner höchsten Verwunderung einquartiert. Die Franzosen ziehen alle vorwärts. Schlacht von Leipzig. Die Kosaken schleichen heran; der französische Gesandte wird hier genommen; die Franzosen von Apolda und Umpferstedt her andrängend. Die Stadt wird vom Ettersberg her überfallen. Die Österreicher rücken ein.

1814

Auf dem Theater sah man »Die Schuld« von Müllner. Ein solches Stück, man denke übrigens davon, wie man wolle, bringt der Bühne den großen Vorteil, daß jedes Mitglied sich zusammennehmen, sein möglichstes tun muß, um seiner Rolle nur einigermaßen gemäß zu erscheinen.

Die Lösung dieser Aufgabe bewirkte mehrere treffliche Vorstellungen von »Romeo und Julie«, »Egmont«, »Wallensteins Lager« und »Tod«. Alle Rollenveränderungen, die in diesen Stücken vorfielen, wurden benutzt zu sorgfältigen Didaskalien, um geübte und ungeübte Schauspieler miteinander in Harmonie zu setzen.

Indem man sich nun nach etwas Neuem, Fremdem und zugleich Bedeutendem umsah, glaubte man aus den Schauspielen Fouqués, Arnims und anderer Humoristen einigen Vorteil ziehen zu können und durch theatermäßige Bearbeitung ihrer öfters sehr glücklichen und bis auf einen gewissen Grad günstigen Gegenstände sie bühnengerecht zu machen: ein Unternehmen, welches jedoch nicht durchzuführen war, sowenig als bei den früheren Arbeiten von Tieck undBrentano.

Der Besuch des Fürsten Radziwill erregte gleich falls eine schwer zu befriedigende Sehnsucht; seine genialische, uns glücklich [247] mit fortreißende Komposition zu »Faust« ließ uns doch nur entfernte Hoffnung sehen, das seltsame Stück auf das Theater zu bringen.

Unsere Schauspielergesellschaft sollte wie bisher auch diesmal der Gunst genießen, in Halle den Sommer durch Vorstellungen zu geben. Der wackere Reil, dem die dortige Bühne ihre Entstehung verdankte, war gestorben; man wünschte ein Vorspiel, das zugleich als Totenfeier für den trefflichen Mann gelten könnte; ich entwarf es beim Frühlingsaufenthalte zu Berka an der Ilm. Als ich aber, durch Iffland unerwartet aufgefordert, »Das Erwachen des Epimenides« unternahm, so wurde jenes durch Riemer nach Verabredung ausgearbeitet. Kapellmeister Weber besuchte mich wegen der Komposition des »Epimenides«, über die wir uns verglichen.

Das Monodram »Proserpina« wurde, nach Eberweins Komposition, mit Madame Wolff eingelernt und eine kurze, aber höchst bedeutende Vorstellung vorbereitet, in welcher Rezitation, Deklamation, Mimik und edelbewegte plastische Darstellung wetteiferten und zuletzt ein großes Tableau, Plutos Reich vorstellend und das Ganze krönend, einen sehr günstigen Eindruck hinterließ.

»Das Gastmahl der Weisen«, ein dramatisch-lyrischer Scherz, worin die verschiedenen Philosophen jene zudringlichen metaphysischen Fragen, womit das Volk sie oft belästigt, auf heitere Weise beantworten oder vielmehr ablehnen, war wohl nicht fürs Theater, doch für gesellschaftliche Musik bestimmt, mußte aber, wegen Anzüglichkeit, unter die Paralipomena gelegt werden.

Musikalische Aufmunterung durch Zelters Gegenwart und durch Inspektor Schützens Vortrag der Bachischen Sonaten.

Die Feierlichkeiten zur Ankunft des Herzogs aus dem glücklichen Feldzug erregten Vorbereitungen zu architektonischer Zierde der Straßen. Redaktion einer Gedichtsammlung, nachher unter dem Titel »Willkommen!« herausgegeben.

Indessen war die neue Ausgabe meiner Werke vorbereitet; der biographische dritte Band gelangte zu Jubilate ins Publikum. [248] Die »Italienische Reise« rückte vor, der »West-östliche Divan« ward gegründet; die Reise nach den Rhein-, Main- und Neckargegenden gewährte eine große Ausbeute und reichlichen Stoff an Persönlichkeiten, Lokalitäten, Kunstwerken und Kunstresten.

In Heidelberg bei Boisserées: Studium der niederländischen Schule in Gefolg ihrer Sammlung. Studium des Kölner Doms und anderer alten Baulichkeiten nach Rissen und Planen. Letzteres fortgesetzt in Darmstadt bei Moller. Alte oberdeutsche Schule in Frankfurt bei Schütz. Von dieser Ausbeute und reichlichem Stoff an Menschenkenntnis, Gegenden, Kunstwerken und Kunstresten mitgeteilt in der Zeitschrift»Rhein und Main«.

Naturwissenschaft wurde sehr gefördert durch gefällige Mitteilung des Bergrat Cramer zu Wiesbaden an Mineralien und Notizen des Bergwesens auf dem Westerwalde. Das Darmstädter Museum, die Frankfurter Museen, Aufenthalt bei Geheimerat von Leonhard in Hanau. Nach meiner Rückkunft Sorge für Jena.

Von öffentlichen Ereignissen bemerke ich die Einnahme von Paris und daß ich der ersten Feier des 18. Oktobers in Frankfurt beiwohnte.

1815

Schon im vorigen Jahre waren mir die sämtlichen Gedichte Hafis' in der von Hammerschen Übersetzung zugekommen, und wenn ich früher den hier und da in Zeitschriften übersetzt mitgeteilten einzelnen Stücken dieses herrlichen Poeten nichts abgewinnen konnte, so wirkten sie doch jetzt zusammen desto lebhafter auf mich ein, und ich mußte mich dagegen produktiv verhalten, weil ich sonst vor der mächtigen Erscheinung nicht hätte bestehen können. Die Einwirkung war zu lebhaft, die deutsche Übersetzung lag vor, und ich mußte also hier Veranlassung finden zu eigener Teilnahme. Alles, was dem Stoff und dem Sinne nach bei mir Ähnliches verwahrt und gehegt [249] worden, tat sich hervor, und dies mit um so mehr Heftigkeit, als ich höchst nötig fühlte, mich aus der wirklichen Welt, die sich selbst offenbar und im stillen bedrohte, in eine ideelle zu flüchten, an welcher vergnüglichen Teil zu nehmen meiner Lust, Fähigkeit und Willen überlassen war.

Nicht ganz fremd mit den Eigentümlichkeiten des Ostens, wandt ich mich zur Sprache, insofern es unerläßlich war, jene Luft zu atmen, sogar zur Schrift mit ihren Eigenheiten und Verzierungen. Ich rief die »Moallakats« hervor, deren ich einige gleich nach ihrer Erscheinung übersetzt hatte. Den Beduinenzustand bracht ich mir vor die Einbildungskraft; »Mahomets Leben« von Oelsner, mit dem ich mich schon längst befreundet hatte, förderte mich aufs neue. Das Verhältnis zu von Diez befestigte sich; das Buch»Kabus« eröffnete mir den Schauplatz jener Sitten in einer höchst bedeutenden Zeit, der unsrigen gleich, wo ein Fürst gar wohl Ursache hatte, seinen Sohn in einem weitläufigen Werke zu belehren, wie er allenfalls bei traurigstem Schicksale sich doch noch in einem Geschäft und Gewerbe durch die Welt bringen könne. »Medschnun und Leila«, als Muster einer grenzenlosen Liebe, ward wieder dem Gefühl und der Einbildungskraft zugeeignet; die reine Religion der Parsen aus dem späteren Verfall hervorgehoben und zu ihrer schönen Einfalt zurückgeführt; die längst studierten Reisenden Pietro della Valle, Tavernier, Chardin absichtlich durchgelesen, und so häufte sich der Stoff, bereicherte sich der Gehalt, daß ich nur ohne Bedenken zulangen konnte, um das augenblicklich Bedurfte sogleich zu ergreifen und anzuwenden. Diez war die Gefälligkeit selbst, meine wunderlichen Fragen zu beantworten; Lorsbach höchst teilnehmend und hülfreich; auch blieb ich durch ihn nicht ohne Berührung mit Sylvestre de Sacy; und obgleich diese Männer kaum ahnen, noch weniger begreifen konnten, was ich eigentlich wolle, so trug doch ein jeder dazu bei, mich aufs eiligste in einem Felde aufzuklären, in dem ich mich manchmal geübt, aber niemals ernstlich umgesehen hatte. Und wie mir die von Hammersche Übersetzung täglich zur Hand war und mir zum [250] Buch der Bücher wurde, so verfehlte ich nicht, aus seinen »Fundgruben« mir manches Kleinod zuzueignen.

Indessen schien der politische Himmel sich nach und nach aufzuklären; der Wunsch in die freie Welt, besonders aber ins freie Geburtsland, zu dem ich wieder Lust und Anteil fassen konnte, drängte mich zu einer Reise. Heitere Luft und rasche Bewegung gaben sogleich mehreren Produktionen im neuen östlichen Sinne Raum. Ein heilsamer Badeaufenthalt, ländliche Wohnung in bekannter, von Jugend auf betretener Gegend, Teilnahme geistreicher, liebender Freunde gedieh zur Belebung und Steigerung eines glücklichen Zustandes, der sich einem jeden Reinfühlenden aus dem »Divan« darbieten muß.

Gegen Ende dieser Wallfahrt fand ich meine Sammlung so bereichert, daß ich sie schon nach gewisser Verwandtschaft sondern, in Bücher einteilen, die Verhältnisse der verschiedenen Zweige ermessen und das Ganze wo nicht der Vollendung, doch dem Abschluß näher bringen konnte. Und so hatt ich in dieser Zerstreuung mehr gewonnen und gefunden, als mir eine gleiche Zeit in den ruhvollsten Tagen hätte gewähren können.

Vor meiner Abreise waren vier Bände der neuen Auflage meiner Werke fortgesendet; ich fing an, die »Sizilianische Reise« zu redigieren, doch riß das orientalische Interesse mein ganzes Vermögen mit sich fort: glücklich genug! denn wäre dieser Trieb aufgehalten, abgelenkt worden, ich hätte den Weg zu diesem Paradiese nie wieder zu finden gewußt.

Wenig Fremdes berührte mich; doch nahm ich großen Anteil an griechischen Liedern neuerer Zeit, die in Original und Übersetzung mitgeteilt wurden und die ich bald gedruckt zu sehen wünschte. Die Herrenvon Natzmer und Haxthausen hatten diese schöne Arbeit übernommen.

In literarischer Hinsicht förderten mich nicht wenig »Göttinger Anzeigen«, deren ich viele Bände auf der Wiesbadner Bibliothek antraf und sie, der Ordnung nach, mit gemütlicher Aufmerksamkeit durchlas. Hier ward man erst gewahr, was man erlebt und durchlebt hatte und was ein solches Werk [251] bedeute, das, mit Umsicht aus dem Tage entsprungen, in die Zeiten fortwirkt. Es ist höchst angenehm, in diesem Sinne das längst Geschehene zu betrachten. Man sieht das Wirkende und Gewirkte schon im Zusammenhange, aller mindere Wert ist schon zerstoben, der falsche Anteil des Augenblicks ist verschwunden, die Stimme der Menge verhallt, und das überbliebene Würdige ist nicht genug zu schätzen.

Zunächst wäre sodann der älteren deutschen Baukunst zu gedenken, deren Begriff sich mir immer mehr und mehr erweiterte und reinigte.

Eine Fahrt nach Köln in der ehrenden Gesellschaft des Herrn Staatsministers von Stein drückte hierauf das Siegel. Ich sah mit vorbereitetem Erstaunen das schmerzenvolle Denkmal der Unvollendung und konnte doch mit Augen das Maß fassen von dem, was es hätte werden sollen, ob es gleich dem angestrengtesten Sinne noch immer unbegreiflich blieb. Auch von altertümlicher Malerei fand sich in Professor Wallrafs Sammlung und anderer Privaten gar viel zu schauen, gar mancher Wert zu erkennen, und der Aufenthalt, so kurz er gewesen, ließ doch unvergängliche Wirkungen zurück. Diese wurden gehegt und erhöht durch die gesellige Nähe von Sulpiz Boisserée, mit dem ich, von Wiesbaden über Mainz, Frankfurt, Darmstadt reisend, fast nur solche Gespräche führte. In Heidelberg angelangt, fand ich die gastfreundlichste Aufnahme und hatte die schönste Gelegenheit, die unschätzbare Sammlung mehrere Tage zu betrachten, mich von ihrer charakteristischen Vortrefflichkeit im einzelnen zu überzeugen und in ebendem Maße historisch wie artistisch zu belehren. Aufgezeichnet ward manches Bemerkte, dem Gedächtnis zu Hülfe und künftigem Gebrauche zum Besten.

Hinsichtlich auf Baukunst, in bezug auf meine Kölner Fahrt, ward gar manches in Gegenwart von Grund- und Aufrissen älterer deutscher, niederländischer und französischer Gebäude besprochen und verhandelt, wodurch man denn sich nach und nach fähig fühlte, aus einer großen, oft wunderlichen und verwirrenden Masse das Reine und Schöne, wohin der menschliche [252] Geist unter jeder Form strebt, herauszufinden und sich zuzueignen. Die zwei Mollerschen ersten Hefte, in dem Augenblick erscheinend, gewährten hierbei erwünschte Hülfe. Das Technische anlangend, gab ein altes gedrucktes Exemplar »Der Steinmetzen Brüderschaft« von der hohen Bedeutsamkeit dieser Gilde ein merkwürdiges Zeugnis. Wie Handwerk und Kunst hier zusammentraf, ließ sich recht gut einsehen.

So wurd ich denn auch auf dieser Reise gewahr, wie viel ich bisher, durch das unselige Kriegs- und Knechtschaftswesen auf einen kleinen Teil des Vaterlandes eingeschränkt, leider vermißt und für eine fortschreitende Bildung verloren hatte. In Frankfurt konnte ich die Städelischen Schätze abermals bewundern, auch der patriotischen Absichten des Sammlers mich erfreuen; nur überfiel mich die Ungeduld, so viel Kräfte ungenutzt zu sehen: denn meinem Sinne nach hätte man bei viel geringerem Vermögen die Anstalt gründen, errichten und die Künstler ins Leben führen können. Dann hätte die Kunst schon seit Jahren schöne Früchte getragen und dasjenige hinreichend ersetzt, was dem Kapital an Interessen vielleicht abgegangen wäre.

Die Brentanosche Sammlung an Gemälden und Kupferstichen und anderen Kunstwerken gab doppelten Genuß bei dem lebhaften Anteil der Besitzer und ihrer freundlichen Aufforderung, soviel Gutes mit zu genießen.

Dr. Grambs, der seine Kunstschätze den Städelischen anzuschließen bedacht war, ließ mehrmals seine trefflichen Besitzungen teilweise beschauen, wobei denn gar manche Betrachtung einer gründlicheren Kenntnis den Weg bahnte. Hofrat Becker in Offenbach zeigte bedeutende Gemälde, Münzen und Gemmen vor, nicht abgeneigt, dem Liebhaber eins und das andere Wünschenswerte zu überlassen.

Auf Naturgeschichte bezüglich, sahen wir die Sammlung von Vögeln bei Hofrat Meyer, nicht ohne neue Belehrung über diesen herrlichen Zweig der Naturkunde.

Das Senckenbergische Stift in Frankfurt fand man in den besten Händen; die Tätigkeit des Augenblicks ließ voraussehen, [253] daß eine neue Epoche dieser schönen Anstalt unmittelbar zu erwarten sei.

In Karlsruhe ward uns durch Geneigtheit des Herrn Gmelin eine zwar flüchtige, aber hinreichende Übersicht des höchst bedeutenden Kabinetts; wie wir denn überhaupt die kurze dort vergönnte Zeit ebenso nützlich als vergnüglich anwendeten.

Bei so manchen Hin- und Widerfahrten konnte die Geognosie auch nicht leer ausgehen. Von Hövels »Gebirge der Grafschaft Mark« wurden, besonders mit Beihülfe dortiger Beamten, auch in der Ferne belehrend. In Holzapfel, bei Gelegenheit des dortigen höchst merkwürdigen Ganges, kam Werners »Gangtheorie« (von 1791) zur Sprache, ingleichen des dort angestellten Schmidt »Verschiebung der Gänge« (von 1810). Diese wichtige, von mir so oft betrachtete und immer geheimnisvoll bleibende Erscheinung trat mir abermals vor die Seele, und ich hatte das Glück, im Lahntal, einer aufgehobenen Abtei ungefähr gegenüber, auf einer verlassenen Halde Tonschieferplatten mit kreuzweis laufenden, sich mehr oder weniger verschiebenden Quarzgängen zu finden, wo das Grundphänomen mit Augen gesehen, wenn auch nicht begriffen, doch wenigstens ausgesprochen werden kann.

Besonderes Glück ereignete sich mir auch zu Biebrich, indem des Herrn Erzherzogs Karl Kaiserliche Hoheit die Gnade hatte, nach einem interessanten Gespräch mir die Beschreibung ihrer Feldzüge mit den höchst genau und sauber gestochenen Karten zu verehren. Auf diesen überaus schätzbaren Blättern fand sich gerade die Umgebung der Lahn von Wetzlar bis Neuwied, und ich machte die Bemerkung, daß eine gute Militärkarte zu geognostischen Zwecken die allerdienlichste sei. Denn weder Soldat noch Geognost fragt, wem Fluß, Land und Gebirg gehöre, sondern jener, inwiefern es ihm zu seinen Operationen vorteilhaft, und dieser, wie es für seine Erfahrungen ergänzend und nochmals belegend sein möchte. Eine Fahrt in verschiedene Gegenden zu beiden Seiten der Lahn, mit Bergrat Cramer begonnen und mit ihm größtenteils durchgeführt, gab manche schöne Kenntnis und Einsicht; auch verdiente [254] sie wohl, unter die kleinen geognostischen Reisen aufgenommen zu werden.

Auch meiner Rückreise werde ich mich immer mit vorzüglichem Anteil erinnern. Von Heidelberg auf Würzburg legte ich sie mit Sulpiz Boisserée zurück. Da uns beiden der Abschied wehe tat, so war es besser, auf fremdem Grund und Boden zu scheiden als auf dem heimischen. Ich reiste sodann über Meiningen, den Thüringer Wald auf Gotha und kam den 11. Oktober in Weimar an, nachdem ich viele Wochen mich auswärts umgesehen.

Zu Hause erwähn ich zuerst den Besuch des Dr. Stolz, des wackern Arztes aus Teplitz, wobei mineralogische und geognostische Unterhaltung, die uns früher in Böhmen belehrt und ergötzt, mit Leidenschaft erneuert wurde. Bei dem nächsten Aufenthalte in Jena leitete mich Professor Döbereiner zuerst in die Geheimnisse der Stöchiometrie; auch machte er zu gleicher Zeit wiederholte Versuche mit dem Weißfeuer, welches, von dem Landgrafen herunter das jenaische Tal erhellend, einen magisch überraschenden Anblick gewährte.

In der »Farbenlehre« ward fortschreitend einiges getan; die entoptischen Farben bleiben beständiges Augenmerk. Daß ich in Frankfurt Dr. Seebeck begegnet war, geriet zu großem Gewinn, indem er außer allgemeiner, ins Ganze greifender Unterhaltung besonders die Lehre des Doppelspats, die er wohl durchdrungen hatte, und das Verhältnis der Achsen solcher doppelt refrangierender Körper Naturfreunden vor Augen zu bringen wußte. Die Tonlehre ward weiter mit der Farbenlehre verglichen; Professor Voigt verfolgte seine Bemerkungen bezüglich auf Farben organischer Körper, und über meiner ganzen naturhistorischen Beschäftigung schwebte die Howardische Wolkenlehre.

Nach soviel Natürlichem ist's doch wohl auch billig, zur Kunst zurückzukehren! Auf dem Weimarischen Theater beschäftigte man sich immerfort mitCalderon; »Die große Zenobia« ward aufgeführt. Die drei ersten Akte gerieten trefflich, die zwei letzteren, auf national-konventionelles und [255] temporäres Interesse gegründet, wußte niemand weder zu genießen noch zu beurteilen, und nach diesem letzten Versuche verklang gewissermaßen der Beifall, der den ersten Stücken so reichlich geworden war.

Das Monodram »Proserpina« ward bei uns mitEberweins Komposition glücklich dargestellt; »Epimenides« für Berlin gearbeitet; zu Schillers und Ifflands Andenken gemeinschaftlich mit Peucer ein kleines Stück geschrieben. In dieser Epoche durfte man wohl sagen, daß sich das Weimarische Theater in Absicht auf reine Rezitation, kräftige Deklamation, natürliches zugleich und kunstreiches Darstellen auf einen bedeutenden Gipfel des inneren Werts erhoben hatte. Auch das Äußere mußte sich nach und nach steigern; so die Garderobe durch Nacheiferung, zuerst der Frauenzimmer, hierauf der Männer. Ganz zur rechten Zeit gewannen wir an dem Dekorateur Beuther einen vortrefflichen, in der Schule von Fuentes gebildeten Künstler, der durch perspektivische Mittel unsere kleinen Räume ins Grenzenlose zu erweitern, durch charakteristische Architektur zu vermannigfaltigen und durch Geschmack und Zierlichkeit höchst angenehm zu machen wußte. Jede Art von Stil unterwarf er seiner perspektivischen Fertigkeit, studierte auf der weimarischen Bibliothek die ägyptische sowie die altdeutsche Bauart und gab den sie fordernden Stücken dadurch neues Ansehn und eigentümlichen Glanz.

Und so kann man sagen, das Weimarische Theater war auf seinen höchsten ihm erreichbaren Punkt zu dieser Epoche gelangt, der man eine erwünschte Dauer auch für die nächste und folgende Zeit versprechen durfte.

Von der eingeschränkten Bretterbühne auf den großen Weltschauplatz hinauszutreten möge nun auch vergönnt sein. Napoleons Wiederkehr erschreckte die Welt, hundert schicksalschwangere Tage mußten wir durchleben; die kaum entfernten Truppen kehrten zurück, in Wiesbaden fand ich die preußische Garde; Freiwillige waren aufgerufen, und die friedlich beschäftigten, kaum zu Atem gekommenen Bürger fügten sich wieder einem Zustande, dem ihre physischen Kräfte nicht gewachsen [256] und ihre sittlichen nicht einstimmig waren; die Schlacht von Waterloo, in Wiesbaden zu großem Schrecken als verloren gemeldet, sodann zu überraschender, ja betäubender Freude als gewonnen angekündigt. In Furcht vor schneller Ausbreitung der französischen Truppen, wie vormals über Provinzen und Länder, machten Badegäste schon Anstalten zum Einpacken und konnten, sich vom Schrecken erholend, die unnütze Vorsicht keineswegs bedauern.

Von Personen habe noch mit Ehrfurcht und Dankbarkeit zu nennen: Erzherzog Karl in Biebrich, Großfürstin Katharina in Wiesbaden, Herzog und Herzogin von Cumberland bei Frankfurt, den Erbgroßherzog von Mecklenburg ebendaselbst; in Karlsruhe die Grafen von Hochberg, Herrn Weinbrenner und Hebel; nach Hause gelangt, Ihro der regierenden Kaiserin von Rußland Majestät sämtliche Umgebung; Graf Barclay de Tolly.

1816

Das mannigfaltig Bedeutende, das ich vor einem Jahr im eigentlichen Mutterlande gesehen, erlebt und gedacht hatte, mußte sich auf irgendeine Weise widerspiegeln. Ein Heft »Kunst und Altertum am Rhein und Main« ward unternommen und dazu am Ende vorigen Jahrs mehr als eine Vorarbeit durchgeführt; die älteren Niederländer, van Eyck und was sich von ihm herschrieb, gründlich erwogen; das frühere problematische Bild »Veronika« zu künftigem Gebrauch verkleinert und gestochen. Büschings »Wöchentliche Nachrichten« arbeiteten zu gleichem Zweck, und in diesem Sinne wandte sich die Pietät der Weimarischen Kunstfreunde gegen alte Heiligenbilder, die wir von Heilsberg am Thüringer Wald kommen und unter unsern Augen reparieren ließen. Weil aber immer in neuerer Zeit eins ins andere wirkt, ja sogar Gegenseitiges durch Gegenseitiges, so war auch ein Heldenbild als Gleichnis von Blüchers Persönlichkeit in Gefolg seiner großen Taten zur Sprache gekommen.

[257] Wenn der Held mit Gefahr seines Lebens und Ruhms die Schicksale der Welt aufs Spiel setzt und der Erfolg ihm glücklicherweise zusagt, so staunt der Patriot und nimmt gern den Künstler zu Hülfe, um für sein Bewundern, sein Verehren irgendeine Sprache zu finden.

In hergebrachter Denkweise der Vorzeit heroische Gestalt mit angenähertem Kostüm der Neuwelt heranzubringen war nach vorgängigem Schriftwechsel mit Herrn Direktor Schadow zuletzt die Aufgabe und Übereinkunft. Wegen Beschädigung des ersten Modells brachte der Künstler ein zweites, worüber man nach lehrreichen Gesprächen zuletzt bis auf Veränderungen, welche das Vollenden immer herbeiführt, sich treulich vereinigte. Und so steht dieses Bild, wie auf dem Scheidepunkt älterer und neuerer Zeit, auf der Grenze einer gewissen konventionellen Idealität, welche an Erinnerung und Einbildungskraft ihre Forderungen richtet, und einer unbedingten Natürlichkeit, welche die Kunst, selbst wider Willen, an eine oft beschwerliche Wahrhaftigkeit bindet.

Von Berlin erfreuten mich transparente Gemälde nach meinem »Hans Sachs«. Denn wie mich früher Nachbildung der älteren, treulich-ernsten charakteristischen Dichtkunst lange Zeit ergötzt hatte, so war mir es angenehm, sie wieder als vermittelnd gegen neuere Künstler auftreten zu sehen. Zeichnungen zum »Faust« von Cornelius und Retzsch wirkten in ihrer Art das Ähnliche: denn ob man gleich eine vergangene Vorstellungsweise weder zurückrufen kann noch soll, so ist es doch löblich, sich historisch-praktisch an ihr zu üben und durch neuere Kunst das Andenken einer älteren aufzufrischen, damit man, ihre Verdienste erkennend, sich alsdann um so lieber zu freieren Regionen erhebe.

In gesellschaftlichen Kreisen hatte die Lust zu Bilderszenen immer zugenommen und ward von mir, wenn auch nicht unmittelbar gefördert, doch gelegentlich mit einigen Strophen begleitet.

Im Nachklang der rheinischen Eindrücke ward von den Weimarischen Kunstfreunden das Bild des heiligen Rochus, [258] wie er als völlig ausgebeutelt von seinem Palast die Pilgerschaft antritt, erfunden und skizziert, hierauf sorgfältig kartoniert und zuletzt, von zarter Frauenzimmerhand gemalt, in der freundlichen Rochuskapelle günstig aufgenommen. Ein gestochener verkleinerter Umriß ist in dem zweiten »Rhein- und Main«-Heft, wie billig, vorgebunden.

Von Offenbach erhielt ich schöne bronzene Münzen, die mich in den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts wieder zurückführten. Graf Cicognaras »Storia della scultura« kam eben zu rechter Zeit diesen schönen Studien zu Hülfe. In höhere Regionen führte uns der »Olympische Jupiter« von Quatremère de Quincy; hier gab es viel zu lernen und zu denken. Die Ankunft der Elginischen Marmore erregte großes Verlangen unter allen Kunstliebhabern; indessen blieb auch Burtin, »Connaissance des tableaux«, das uns Einsicht in ein anderes bedeutendes Feld gewährte, nicht unbeachtet.

Die Restauration der Dresdner Gemälde kam in Anregung. Welch eine große Anstalt hiezu erforderlich sei, einigermaßen darzustellen, erzählte ich von der Restaurations-Akademie in Venedig, die aus einem Direktor und zwölf Professoren bestand und große Räume eines Klosters zu ihren Arbeiten bezogen hatte. Eine solche Wiederherstellung und Rettung ist wichtiger, als man denkt, sie kann nicht aus dem Stegreif unternommen werden.

Die weimarische Zeichenschule hatte sich in eine große Veränderung zu fügen. Da das alte Lokal zu andern Zwecken bestimmt und kein gleich großes für sie zu finden war, so wurden die Klassen geteilt, für die erste ein Gebäude auf der Esplanade erkauft, die beiden andern aber vor dem Frauentor im sogenannten Jägerhaus eingerichtet. Auch diese Veränderung wie die vorhergehenden verdiente wohl eine besondere Schilderung, indem sie nicht ohne gute Folgen für die Anstalt selbst bleiben sollte.

Gleichzeitig ward ein vorzüglicher Bildhauer namens Kaufmann von Rom berufen, der auch diese Kunst wieder neu zum Leben brachte.

[259] Soll ich meiner eigenen Arbeiten gedenken, so hab ich wohl zuerst des »Divans« zu erwähnen. Er ward immer mehr suppliert, geordnet und einiges davon zum »Damenkalender« bestimmt. Für den historischen und erklärenden Teil sammelte ich immer mehr Vorarbeit. Von Diez' »Denkwürdigkeiten«, dessen Streitigkeit mit Hammer, des letzteren »Orientalische Fundgruben« studierte ich mit Aufmerksamkeit, und überall schöpfte ich frische östliche Luft. Knox' »Ceylon« kam zu rechter Zeit mir in die Hände; besonders wert jedoch erschien mir Hyde, »Persische Religion«; und wie denn, sobald ein bedeutender Stoff mir vor die Seele trat, ich denselben unwillkürlich zu gestalten aufgefordert wurde, so entwarf ich eine orientalische Oper und fing an, sie zu bearbeiten. Sie wäre auch fertig geworden, da sie wirklich eine Zeitlang in mir lebte, hätte ich einen Musiker zur Seite und ein großes Publikum vor mir gehabt, um genötigt zu sein, den Fähigkeiten und Fertigkeiten des einen sowie dem Geschmack und den Forderungen des andern entgegenzuarbeiten.

Wunderliche Menschen, wie es gibt, verlangten, verführt durch die Schillersche Ausgabe in chronologischer Folge, das gleiche von mir und hätten beinahe den schon eingeleiteten Abdruck in Verwirrung gebracht. Meine Gründe, dieses abzulehnen, wurden indes gebilligt, und das Geschäft ging unbehelligt seinen Gang. Der neunte und zehnte Band ward revidiert; die »Italienische Reise«, besonders nach Neapel und Sizilien, gestaltete sich immer mehr, und wie eine Arbeit die andere jederzeit hervorruft, konnt ich nicht unterlassen, an dem vierten, so lange verzögerten und erwarteten Bande von »Wahrheit und Dichtung« wieder einige Hauptmomente zu verzeichnen. Das »Rhein- und Main«-Heft, zweites Stück, ward gefördert, »Reineke Fuchs« durchgesehen und das »Rochusfest« geschrieben.

Die zweite Lieferung meiner Werke kommt an, die Paralipomena werden neuerdings beachtet, ein Lied für das Berliner Künstlerfest geschrieben, wogegen eine beabsichtigte große Kantate zum Lutherfest wegen Mangel an Zeit und Aufmunterung [260] bald nach der Konzeption, aufgestelltem Schema und geringer Bearbeitung liegenblieb und für die Ausbildung verlorenging.

Mein Anteil an fremden Werken bezog sich lebhaft auf Byrons Gedichte, der immer wichtiger hervortrat und mich nach und nach mehr anzog, da er mich früher durch hypochondrische Leidenschaft und heftigen Selbsthaß abgestoßen und, wenn ich mich seiner großen Persönlichkeit zu nähern wünschte, von seiner Muse mich völlig zu entfernen drohte. Ich lese den »Korsaren« und »Lara« nicht ohne Bewunderung und Anteil. Zu gleicher Zeit erschienen Nelsons »Briefe« mit seinem »Leben«, gaben viel zu denken und viel zu trauern. Gries, durch die Ausgabe des zweiten Teils seines »Calderon«, machte uns im Spanien des siebzehnten Jahrhunderts immer einheimischer. »Anatole« versetzte uns nach einem neuern Paris und ließ uns einen schönen Roman bewundern. »Die Friedensgefangenen« von Lawrence, eine der seltsamsten Produktionen, nötigte uns, alle Aufmerksamkeit einem ganz verwünschten Zustand zu schenken. Reisende Engländer, in Verdun festgehalten nach neueren Völkerrechtsmaximen beim Ausbruch eines Krieges mit Albion; republikanische Franzosen, besonders Kommandant und Kommandantin, von geringem Stande, während der Revolution emporgekommen; heimliche, für Engländer gehaltene Emigrierte, verkappte Vornehme, und wer sonst noch zu bemerken wäre, machen ein barockes Bild, das auf die Nachwelt zu kommen verdient, weil es nur unter dieser Bedingung von einem geistreich anschauenden Leidensgenossen konzipiert und mehr mit Haß als Liebe vollendet werden konnte.

Ruckstuhl schrieb über die deutsche Sprache, und das nicht zu erschöpfende Werk Ernestis, »Technologia rhetorica Graecorum et Romanorum«, lag mir immer zur Hand: denn dadurch erfuhr ich wiederholt, was ich in meiner schriftstellerischen Laufbahn recht und unrecht gemacht hatte. Noch aber muß ich einer höchst merkwürdigen, vielleicht einzigen Darstellung gedenken; es ist das Tag- und Stundenbuch der Leipziger [261] Schlacht von Rochlitz, wovon ich anderwo gehandelt habe.

Die jenaischen unmittelbaren Anstalten, der Naturlehre im allgemeinen, der Naturgeschichte im besondern gewidmet, erfreuten sich der aufmerksamsten Behandlung. Fast in allen Abteilungen war die innere Tätigkeit so herangewachsen, daß man sie zwar durch gute Haushaltung sämtlich bestreiten konnte, aber doch an einen neuen, erhöhten Museumsetat notwendig denken und einen neuen Maßstab feststellen mußte. Döbereiners Wohnhaus ward ausgebaut, ein Gartenstück bei der Sternwarte angekauft und zu diesem Besitz hinzugeschlagen. Die Veterinäranstalt in Jena bestätigte sich; Professor Renner begann seinen Kursus, und ich gab meine älteren zersägten und sonst präparierten Pferdeschädel zum didaktischen Anfang hinüber, da sie früher mir auch zum Anfang gedient hatten.

Die lang unterbrochenen Ausgrabungen des uralten Grabhügels bei Romstedt wurden fortgesetzt und gaben uns mehrere Schädel; nicht weniger wurde durch besondere Aufmerksamkeit nach Jena ein ganzes Skelett geschafft und sorgfältig geordnet niedergelegt. Ein durch Knochenaufschwellung merkwürdig monstroser Schädel kam in Gipsabgüssen von Darmstadt durch die Gewogenheit des Herrn Schlichtegroll.

Ich rief mir das Andenken Kaspar Friedrich Wolffs wieder hervor, durchdachte Jägers »Mißbildung der Gewächse«, ingleichen Philipp Rés »Pflanzenkrankheiten«. Von Humboldts Werk über Verteilung der Pflanzengestalten auf dem Erdboden war höchst willkommen, und Nees' von Esenbeck ausführlichste Arbeit über Pilze und Schwämme ließ mich ein treffliches Mikroskop bedauern, das mir ein seltsames Schicksal in den angenehmsten Lebensaugenblicken zerstört hatte.

Aus dem Tierreiche wurde uns ein Wundergeschöpf, der Proteus anguinus, durch Herrn ProfessorConfigliacchi vorgezeigt, der ihn in einem Glase mit Wasser, auf der Reise höchst sorgfältig im Busen verwahrt, lebendig bis zu uns gebracht hatte.

Im Mineralreiche waren wir sehr begünstigt; Geheimerat [262] Heims zu Meiningen wichtige Sammlung gelangte durch sein Wohlwollen für unsere Anstalt nach Jena, wo sie, nach seinem Sinn geordnet, aufgestellt wurde. Von einzelnen Merkwürdigkeiten verdient der Kugelsyenit von Valinco aus Korsika vorzüglich Erwähnung. In meine Sammlung gelangten, in Gefolg eines vorjährigen Reisebesuchs, Mineralien vom Westerwald und Rhein, auch ein Hyalit von Frankfurt als Überzug vielleicht der größesten Fläche, an der er je sich vorgefunden, von sieben Zoll im Durchmesser. Geheimerat von Leonhards »Bedeutung und Stand der Mineralien« bereicherte uns von theoretischer Seite.

Howards Wolkenterminologie ward fleißig auf die atmosphärischen Erscheinungen angewendet, und man gelangte zu besonderer Fertigkeit, sie mit dem Barometerstand zu parallelisieren.

Zu sonstigen physikalischen Aufklärungen war der Versuch einer Gasbeleuchtung in Jena veranstaltet; wie wir denn auch durch Döbereiner die Art, durch Druck verschiedene Stoffe zu extrahieren, kennenlernten.

Im Chromatischen waren die entoptischen Phänomene an der Tagesordnung. Ich nahm zusammen, was ich bis jetzt erfahren hatte, und trug es in einem kurzen Aufsatz vor, dessen bald gefühlte Unzulänglichkeit mich zu weitern Forschungen nötigte und mich immer näher zu dem Wahrhaften hindrängte.

Professor Pfaff sandte mir sein Werk gegen die »Farbenlehre« nach einer den Deutschen angebornen unartigen Zudringlichkeit. Ich legte es zur Seite bis auf künftige Tage, wo ich mit mir selbst vollkommen abgeschlossen hätte. Seinen eigenen Weg zu verfolgen bleibt immer das vorteilhafteste: denn dieser hat das Glückliche, uns von Irrwegen wieder auf uns selbst zurückzuführen.

Dr. Schopenhauer trat als wohlwollender Freund an meine Seite. Wir verhandelten manches übereinstimmend miteinander, doch ließ sich zuletzt eine gewisse Scheidung nicht vermeiden, wie wenn zwei Freunde, die bisher miteinander gegangen, sich die Hand geben, der eine jedoch nach Norden, [263] der andere nach Süden will, da sie denn sehr schnell einander aus dem Gesichte kommen.

Farbenversuche mit vegetabilischen Extrakten dienten wiederholt, die höchste Konsequenz der »Farbenlehre« darzutun.

Nun muß ich aber ein Zwischenspiel im Zusammenhange vortragen, worin mancherlei vorkommt, das ich unter die Rubriken nicht zersplittern mochte. Bei herannahender guter Witterung gedachte ich, nach Wunsch und Neigung die schönen Tage des vorigen Jahrs im Mutterlande abermals zu genießen. Freund Meyer wollte mich begleiten; Natur und Kunst sollten uns mit ihren Schätzen überfüllen. Vorarbeiten waren gemacht, Plane entworfen, wie alles zu genießen und zu nutzen wäre, und so saßen wir wohlgepackt und eingerichtet in einem bequemen Wagen; aber die Hälfte des Erfurter Weges war noch nicht erreicht, als wir umgeworfen wurden, die Achse brach, der Freund sich an der Stirne beschädigte und wir umzukehren genötigt wurden. Aus Unmut und Aberglaube ward die vorgesetzte Reise vielleicht übereilt aufgegeben, und wir verfügten uns ohne langes Besinnen nach Tennstedt, wo ein Thüringer Schwefelwasser gute Wirkung versprach. Dort interessierte mich nach meiner Gewohnheit Lokalität und Geschichte: denn eigentlich bewegt sich die Thüringer Vorwelt viel an der Unstrut. Ich las daher die »Thüringische Chronik«, die an Ort und Stelle gar manches in deutlicher Lokalität erscheinen ließ. Die Lage der Stadt an ihrem Platz und in der Umgegend ward beachtet, und man konnte wohl begreifen, wie hier in der frühsten Zeit sich Wohnungen gesammelt hatten. Wir besuchten Herbsleben an der Unstrut, Klein-Ballhausen und andere nah gelegene Orte, und so fanden wir in der Ebene ausgetrocknete Seen, Tuffsteinbrüche und Konchylien des süßen Wassers in Menge. Fast bei allen Exkursionen hatten wir die Rückseite des Ettersbergs vor Augen und konnten uns leicht nach Hause denken. Die Menge versammelte sich bei einem Vogelschießen, nicht weniger bei einem Brunnenfest, welches durch einen Kinderaufzug recht gemütlich wurde.

»Agamemnon«, übersetzt von Humboldt, war mir soeben in [264] die Hände gekommen und verlieh mir den bequemen Genuß eines Stückes, das ich von jeher abgöttisch verehrt hatte. »Marcus Cornelius Fronto« von Niebuhr suchte mich auf; unerwartet erschien Geheimerat Wolf, die Unterhaltung war bedeutend und förderlich, und Meyer nahm daran eingreifenden künstlerischen Anteil. Zufällig jedoch verließen mich beide Freunde am 27. August, und so hatte ich Zeit genug, meinen Geburtstag abermals in stiller Sammlung zu feiern und den Wert der Kränze zu bedenken, womit ich mein Zimmer von der wohlwollenden Wirtin aufgeschmückt sah. Übrigens war ich der mir an diesem Orte gegönnten Sammlung und Ruhe die ausführliche Darstellung des »Rochusfestes« schuldig geworden.

Ferner hab ich zu rühmen, welchen vorzüglichen Genuß mir ein Hermstedtisches Konzert und Privatexhibition gegeben, da, von musikalischen Freunden lange Zeit entfernt, ich diesem herrlichen Kunst- und Naturelement beinahe entfremdet worden.

Öffentliche Ereignisse, die mich in diesem Jahr nah genug berührten, erwähn ich mit freudiger und trauriger Erinnerung. Am 30. Januar ward der Falkenorden gestiftet und mir zugleich das Großkreuz erteilt. DesHerzog Bernhards Vermählung gab die schönsten Hoffnungen; dagegen versetzte mich der Tod der Kaiserin von Österreich in einen Zustand, dessen Nachgefühl mich niemals wieder verlassen hat. Der Staatsminister von Voigt, ein teurer vieljähriger Mitarbeiter und Beförderer meiner wohlgemeinten Unternehmungen, feierte sein Dienstjubiläum, das ich mit einem Gedicht und den treusten Wünschen begrüßte.

Von Besuchen bemerk ich folgende, sämtlich Erinnerungen früher und frühster Zeiten erweckend: von Mellish, Dr. Hufeland, Max Jacobi, von Laffert, Dr. Chladni, Zelter und Wilken, Graf und Gräfin O'Do nell, Hofrätin Kestner aus Hannover.

Ein solcher innerer Friede ward durch den äußern Frieden der Welt begünstigt, als nach ausgesprochener Preßfreiheit die Ankündigung der »Isis« erschien und jeder wohldenkende [265] Weltkenner die leicht zu berechnenden unmittelbaren und die nicht zu berechnenden weiteren Folgen mit Schrecken und Bedauern voraussah.

1817

Dieses Jahr ward ich auf mehr als eine Weise zu einem längern Aufenthalt in Jena veranlaßt, den ich voraussah und deshalb an eigenen Manuskripten, Zeichnungen, Apparaten und Sammlungen manches hinüberschaffte. Zuvörderst wurden die sämtlichen Anstalten durchgesehen und, als ich gar manches für Bildung und Umbildung der Pflanzen Merkwürdiges vorfand, ein eigenes botanisches Museum eingerichtet und darin sowohl bedeutende Sammlungen getrockneter Pflanzen, Anfänge einer Zusammenstellung von Sämereien, nicht weniger Beispiele dessen, was sich auf Holzbildung bezog, angelegt und in Verbindung gebracht, Monstrositäten aber von besonderer Wichtigkeit in einer großen Reihenfolge aufgestellt.

Die Versetzung des Hofmechanikus Körner von Weimar nach Jena brachte einen geschickt-gewandten, tätigen Mann den dortigen Anstalten in die Nähe. Ein noch in Weimar von demselben verfertigtes Passageinstrument ward, wegen einiger an der Sternwarte zu besorgenden Baulichkeiten, zuerst in dem Schlosse aufgestellt.

Ferner die mannigfaltigen Gaben, welche Serenissimus von der mailändischen Reise mitgebracht, wurden in die verschiedenen Fächer eingeordnet.

Die Ausgaben hatten sich gemehrt, der Etat mußte abermals kapitelweise durchgearbeitet werden; ich schrieb einen umständlichen Aufsatz deshalb, und eine klare Übersicht war sodann höchsten Ortes vorzulegen.

Allein es kam in dem letzten Viertel des Jahres eine mehrjährig besprochene und wegen großer Schwierigkeiten immer verschobene Angelegenheit wieder in Anregung. Unter allen teils auf Serenissimi Betrieb und Kosten allein, teils mit Zuziehung des gothaischen Hofes verbesserten oder gar neu gegründeten[266] Anstalten konnte man leider die akademische Bibliothek noch nicht zählen; sie lag hoffnungslos im argen, ohne daß man deshalb jemand eigentlich die Schuld hätte geben können. Zu den vor dreihundert Jahren gestifteten Anfängen hatte sich nach und nach eine bedeutende Zahl von einzelnen Büchersammlungen durch Vermächtnis, Ankauf und sonstige Kontrakte, nicht weniger einzelne Bücher, auf mannigfaltige Weise gehäuft, daß sie flözartig in dem ungünstigsten Lokale bei der widerwärtigsten, großenteils zufälligen Einrichtung über- und nebeneinander gelagert standen. Wie und wo man ein Buch finden sollte, war beinahe ein ausschließliches Geheimnis mehr des Bibliothekdieners als der höheren Angestellten. Die Räume langten nicht mehr zu, die Buderische Bibliothek stand verschlossen, kaum zugänglich; sie sollte nach dem Willen des Stifters ewig unangetastet bleiben.

Aber nicht nur diese sonderbaren Verhältnisse sollten entwickelt und dieses Chaos geordnet werden, auch die im Schloß befindliche ehmals Büttnerische Bibliothek wollte man gleichfalls der Hauptmasse einverleibt sehen. Überschaute man die Sache im ganzen, durchdrang man das einzelne, so durfte man sich nicht leugnen, daß bei völlig neu zu schaffenden Lokalitäten vielleicht wenig Bände in der alten Ordnung nebeneinander würden zu stehen kommen. Unter diesen Umständen war wohl niemand zu verdenken, wenn er den Angriff des Geschäfts zu beschleunigen Anstand nahm. Endlich aber erhielt ich am 14. Oktober durch gnädigstes Reskript den Auftrag, die Angelegenheit ungesäumt zu behandeln. Hier blieb also nichts übrig, als die Sache nochmals durchzudenken, die Hindernisse für null zu erklären, wie man ja bei jedem bedeutenden Unternehmen tun muß, besonders wenn es unter der Clausul »non obstantibus quibuscunque« mutig anzugreifen ist. Und so begann ich rasch und fuhr unaufhaltsam fort.

Die Feuchtigkeit des untern Saals hatte man jahrelang bejammert; kein Vorschlag aber war ins Werk gesetzt, noch weniger durchgeführt worden. Dies war also zuerst ins Auge zu fassen. Die beschränkende Mauer nach dem Graben zu wurde [267] trotz einer lebhaften, sogar intrigierenden Protestation abgetragen, die vorliegende Erde weggeschafft, vor allen Dingen aber die Expeditionszimmer so eingerichtet, daß man darin gern arbeiten mochte. Indessen andere Baulichkeiten vorbereitet und akkordiert wurden, verfloß das Jahr.

Für die Veterinärschule mußte nun vorzüglich gesorgt werden. Die Einrichtung derselben ging Schritt vor Schritt. Von wissenschaftlicher Seite brachte ich mein Portefeuille der vergleichenden Anatomie nach Jena und stellte, was von Zeichnungen am meisten bedeutend gefunden wurde, unter Glas und Rahmen.

Professor Renner demonstrierte mir verschiedenes, besonders bezüglich auf das lymphatische System. Eine verendete Phoca wird dem herumziehenden Tierwärter abgekauft und seziert, bedeutende Präparate werden verfertigt.

Spix' »Cephalogenesis« erscheint: bei mannigfaltiger Benutzung derselben stößt man auf unangenehme Hindernisse. Methode der allgemeinen Darstellung, Nomenklatur der einzelnen Teile, beides ist nicht zur Reife gediehen; auch sieht man dem Text an, daß mehr Überliefertes als Eigengedachtes vorgetragen werde.

Herold von Marburg macht uns durch »Anatomie der Raupen und Schmetterlinge« ein angenehmes Geschenk. Wieviel weiter in sinniger Betrachtung organischer Naturwesen sind wir nicht seit dem fleißigen und übergenauen Lyonnet gekommen!

Ich bearbeite mit Neigung das zweite Heft der »Morphologie« und betrachte geschichtlich den Einfluß der Kantischen Lehre auf meine Studien.

Geognosie, Geologie, Mineralogie und Angehöriges war an der Tagesordnung. Ich überdachte die Lehre von den Gängen überhaupt, vergegenwärtigte mir Werners und Charpentiers Überzeugungen. Die merkwürdigen Tonschieferplatten aus dem Lahntal stellt ich als Tableau zusammen. Muster des Gerinnens der Felsmassen suchte ich überall auf und glaubte vieles zu finden, was für die porphyrartige Entstehung so mancher [268] Breccien zeugte. Eine von Serenissimo angeschaffte Suite von Chamonix ward im Museum folgemäßig aufgestellt, nicht weniger manche Schweizer Gebirgsarten, Modelle und Panoramen, jedes nach seiner Weise aufbewahrt, benutzt und zur Evidenz gebracht.

Die Umgegenden Badens erregten durch Gimbernats Untersuchung und Behandlung ein wachsendes Interesse, und seine geologische Karte jener Gegend, von hoher Hand mitgeteilt, war dem augenblicklichen Bedürfnis unserer Studien überaus willkommen.Brocchis »Tal von Fassa« forderte uns auf, die Wackenbildung nach ihm und andern zu studieren.

Herr Kammerherr von Preen hatte auf einer Reise dorthin auch für mich die schönsten Exemplare besorgt.

Mawes Aufsatz über Brasilien und die dortigen Edelsteine gab uns von dieser Seite eine nähere Kenntnis jener Länder. Ich aber trat in ein unmittelbares Verhältnis zu ihm und erhielt durch seine Vorsorge eine schöne Sammlung englischer Zinnstufen, wie immer unmittelbar vom Urgebirg gewonnen, und zwar diesmal im Chloritgestein.

Geheimerats von Leonhard große Tabellenwerke, in Gesellschaft mit andern Naturforschern herausgegeben, erleichterten die Anordnung meines Privatkabinetts.

Nicht geringe Aufklärungen in Geologie und Geographie jedoch verdankte ich der europäischen Gebirgskarte Sorriots. So ward mir zum Beispiel Spaniens für einen Feldherrn so schikanoser, den Guerillas so günstiger Grund und Boden auf einmal deutlich. Ich zeichnete seine Hauptwasserscheide auf meine Karte von Spanien, und so ward mir jede Reiseroute sowie jeder Feldzug, jedes regelmäßige und unregelmäßige Beginnen der Art klar und begreiflich; und wer gedachte kolossale Karte seinen geognostischen, geologischen, geographischen und topographischen Studien mit Sinn zugrunde legt, wird sich dadurch aufs höchste gefördert sehen.

Die Chromatik beschäftigte mich im stillen unausgesetzt; ich suchte mir den Zustand derselben in England, Frankreich, Deutschland zu vergegenwärtigen, ich studierte vier englische [269] Schriftsteller, welche sich in diesem Fache hervorgetan, suchte mir ihre Leistungen und Sinnesweisen deutlich zu machen; es warenBancroft, Sowerby, Dr. Reade und Brewster. Einerseits bemerkte ich mit Vergnügen, daß sie durch reine Betrachtung der Phänomene sich dem Naturwege genähert, ja ihn sogar manchmal berührt hatten; aber mit Bedauern wurde ich bald gewahr, daß sie sich von dem alten Irrtum, die Farbe sei im Licht enthalten, nicht völlig befreien konnten, daß sie sich der herkömmlichen Terminologie bedienten und deshalb in die größte Verwickelung gerieten. Auch schien besonders Brewster zu glauben, durch eine unendliche Ausführlichkeit der Versuche werde die Sache gefördert, da vielmehr mannigfaltige und genaue Experimente nur Vorarbeiten der wahren Naturfreunde sind, um ein reines, von allen Nebendingen befreites Resultat zuletzt aussprechen zu können.

Das Widerwärtigste aber, was mir jemals vor Augen gekommen, war Biots Kapitel über die entoptischen Farben, dort Polarisation des Lichts genannt. So hatte man denn, nach falscher Analogie eines Magnetstabs, das Licht auch in zwei Pole verzerrt und also nicht weniger wie vorher die Farben aus einer Differenzierung des Unveränderlichsten und Unantastbarsten erklären wollen.

Um nun aber einen falschen Satz mit Beweisen zu verdecken, ward hier abermals die sämtliche mathematische Rüstkammer in Bewegung gesetzt, so daß die Natur ganz und gar vor dem äußern und innern Sinne verschwand. Ich mußte das ganze Ereignis als einen pathologischen Fall ansehen, als wenn ein organischer Körper einen Splitter finge und ein ungeschickter Chirurg, anstatt diesen zu augenblicklicher Heilung herauszuziehen, die größte Sorgfalt auf die Geschwulst verwendete, um solche zu mildern und zu verteilen, indessen das Geschwür innerlich bis zur Unheilbarkeit fortarbeitete.

Und so war es mir denn auch ganz schrecklich, als ein akademischer Lehrer, nach Anleitung eines Programms des Hofrat Mayer in Göttingen, mit unglaublicher Ruhe und Sicherheit vor hohen und einsichtigen Personen den unstatthaftesten [270] Apparat auskramte, da man denn nach Schauen und Wiederschauen, nach Blinzen und Wiederblinzen weder wußte, was man gesehen hatte, noch was man sehen sollte. Ich war indessen bei den ersten Anstalten auf und davon gegangen und hörte den Verlauf dieser Demonstration, als vorausgesehen, bei meiner Rückkunft ohne Verwunderung. Auch erfuhr man bei dieser Gelegenheit unter Vorweisung einiger Billardkugeln, daß die runden Lichtteilchen, wenn sie mit den Polen aufs Glas treffen, durch und durch gehen, wie sie aber mit dem Äquator ankommen, mit Protest zurückgeschickt wer den.

Indessen vermannigfaltigte ich die entoptischen Versuche ins Grenzenlose, da ich denn zuletzt den einfachen atmosphärischen Ursprung entdecken mußte. Zu völliger Überzeugung bestätigte sich der Hauptbegriff am 17. Juni bei ganz klarem Himmel, und ich machte nun Anstalt, die vielen Einzelheiten als Schalen und Hüllen wegzuwerfen und den Kern Natur- und Kunstfreunden mündlich und schriftlich mitzuteilen. Dabei entdeckte sich, daß ein dem Maler günstiges oder ungünstiges Licht von dem direkten oder obliquen Widerschein herrühre. Professor Roux hatte die Gefälligkeit, mir genaue Nachbildungen der entoptischen Farbenbilder zu liefern. Beide Seiten, die helle sowohl als die dunkle, sah man nun in gesteigerter Folge nebeneinander; jeder Beschauende rief aus, daß er die Chladnischen Figuren gefärbt vor sich sehe.

Der Aufsatz Leonardo da Vincis über die Ursache der blauen Farbenerscheinung an fernen Bergen und Gegenständen machte mir wiederholt große Freude. Er hatte als ein die Natur unmittelbar anschauend auffassender, an der Erscheinung selbst denkender, sie durchdringender Künstler ohne weiters das Rechte getroffen. Nicht weniger kam die Teilnahme einzelner aufmerkender und denkender Männer. StaatsratSchultz in Berlin übersandte mir den zweiten Aufsatz über physiologe Farben, wo ich meine Hauptbegriffe ins Leben geführt sah. Ebenso erbaute mich Professor Hegels Zustimmung. Seit Schillers Ableben hatte ich mich von aller Philosophie im stillen entfernt und suchte nur die mir eingeborne Methodik, [271] indem ich sie gegen Natur, Kunst und Leben wendete, immer zu größerer Sicherheit und Gewandtheit auszubilden. Großen Wert mußte deshalb für mich haben, zu sehen und zu bedenken, wie ein Philosoph von dem, was ich meinerseits nach meiner Weise vorgelegt, nach seiner Art Kenntnis nehmen und damit gebaren mögen. Und hierdurch war mir vollkommen vergönnt, das geheimnisvoll klare Licht als die höchste Energie ewig, einzig und unteilbar zu betrachten.

Für die bildende Kunst näherten sich dieses Jahr große Aufschlüsse. Von Elgins Marmoren vernahm man immer mehr und mehr, und die Begierde, etwas dem Phidias Angehöriges mit Augen zu sehen, ward so lebhaft und heftig, daß ich an einem schönen, sonnigen Morgen, ohne Absicht aus dem Hause fahrend, von meiner Leidenschaft überrascht, ohne Vorbereitung aus dem Stegreife nach Rudolstadt lenkte und mich dort an den erstaunenswürdigen Köpfen von Monte Cavallo für lange Zeit herstellte. Nähere Kenntnis der äginetischen Marmore ward mir gleichfalls durch Zeichnungen des in Rom mit der Restauration Beauftragten; und zu einem der herrlichsten Erzeugnisse neuerer Kunst wendete ich mich durch eine gleiche Veranlassung.

Bossis Werk »Über das Abendmahl von Leonardo da Vinci« näher zu betrachten, befähigten mich die Durchzeichnungen, welche unser Fürst aus Mailand mitgebracht hatte; Studium und Vergleichung derselben beschäftigten mich lange, und sonst war noch manches uns zur Betrachtung angenähert. Die architektonischen Überreste von Eleusis, in Gesellschaft unseres Oberbaudirektors Coudray betrachtet, ließen in eine unvergleichliche Zeit hinübersehen. Schinkels große, bewundernswürdige Federzeichnungen, die neusten Münchner Steindrücke, Tierfabeln von Menken, eine Kupferstichsammlung aus einer Leipziger Auktion, ein schätzenswertes Ölbildchen, von Rochlitz verehrt, hielten meine Betrachtung von vielen Seiten fest. Zuletzt fand ich Gelegenheit, eine bedeutende Sammlung Majolika anzuschaffen, welche ihrem Verdienst nach unter neueren Kunstwerken sich allerdings zeigen durften.

[272] Von eignen Arbeiten sag ich folgendes: Um des »Divans« willen setzte ich meine Studien orientalischer Eigenschaften immer fort und wendete viele Zeit darauf; da aber die Handschrift im Orient von so großer Bedeutung ist, so wird man es kaum seltsam finden, daß ich mich, ohne sonderliches Sprachstudium, doch dem Schönschreiben mit Eifer widmete und zu Scherz und Ernst orientalische, mir vorliegende Manuskripte so nett als möglich, ja mit mancherlei herkömmlichen Zieraten nachzubilden suchte. Dem aufmerksamen Leser wird die Einwirkung dieser geistig-technischen Bemühungen bei näherer Betrachtung der Gedichte nicht entgehen.

Die dritte Lieferung meiner Werke, neunter bis zwölfter Band, erscheint zu Ostern; das zweite »Rhein- und Main«-Heft wird abgeschlossen, das dritte angefangen und vollbracht. Die »Reise nach Neapel und Sizilien« wird gedruckt, die Biographie überhaupt wieder vorgenommen. Ich verzeichne die »Meteore des literarischen Himmels« und beschäftige mich, die »Urteilsworte französischer Kritiker« aus der von Grimmischen »Korrespondenz« auszuziehen; einen Aufsatz über die Hohlmünzen, Regenbogenschüsselchen genannt, teil ich den Freunden solcher Kuriositäten mit. Die berühmte Heilsberger Inschrift lasse ich mit einer von Hammerschen Erklärung abdrucken, die jedoch kein Glück macht.

Von Poetischem wüßt ich nichts vorzuzeigen als die »Orphischen Worte« in fünf Stanzen und einen »Irischen Totengesang«, aus »Glenarvon« übersetzt.

Zur Naturkenntnis erwähne ich hier ein bedeutendes Nordlicht im Februar.

Übereinstimmung des Stoffs mit der Form der Pflanzen belebte die Unterhaltung zwischen mir und Hofrat Voigt, dessen »Naturgeschichte«, als dem Studium höchst förderlich, dankbar anzunehmen war. An die Verstäubung der Berberisblume und der dorthin deutenden gelben Auswüchse älterer Zweigblätter wendete ich manche Betrachtung. Durch die Gefälligkeit Hofrat Döbereiners konnte ich mich der stöchiometrischen Lehre im allgemeinen fernerweit annähern. Zufällig [273] macht ich mir ein Geschäft, eine alte Ausgabe des Thomas Campanella, »De sensu rerum«, von Druckfehlern zu reinigen: eine Folge des höchst aufmerksamen Lesens, das ich diesem wichtigen Denkmal seiner Zeit von neuem zuwendete. Graf Boucquoi erfreute auch seine abwesenden Freunde durch fernere gedruckte Mitteilungen, in welchen seine geistreiche Tätigkeit uns um so mehr ansprach, als sie uns die persönliche Unterhaltung desselben wieder vergegenwärtigte.

Da aus näherer Betrachtung der Howardischen Wolkenformen hervorzugehen schien, daß ihre verschiedenen Formen verschiedenen atmosphärischen Höhen eigneten, so wurden sie versuchsweise auf jene frühere Höhentafel sorgfältig eingetragen und so die wechselseitigen Bezüge im allgemeinen versinnlicht und dadurch einer Prüfung angenähert.

Hier schließt sich nun, indem ich von Büchern zu reden gedenke, ganz natürlich die Übersetzung des indischen »Megha-Duta« freundlichst an. Man hatte sich mit Wolken und Wolkenformen so lange getragen und konnte nun erst diesem »Wolkenboten« in seinen tausendfältig veränderten Gestalten mit desto sichrerer Anschauung im Geiste folgen.

Englische Poesie und Literatur trat vor allen andern dieses Jahr besonders in den Vordergrund; Lord Byrons Gedichte, je mehr man sich mit den Eigenheiten dieses außerordentlichen Geistes bekannt machte, gewannen immer größere Teilnahme, so daß Männer und Frauen, Mägdlein und Junggesellen fast aller Deutschheit und Nationalität zu vergessen schienen. Bei erleichterter Gelegenheit, seine Werke zu finden und zu besitzen, ward es auch mir zur Gewohnheit, mich mit ihm zu beschäftigen. Er war mir ein teurer Zeitgenoß, und ich folgte ihm in Gedanken gern auf den Irrwegen seines Lebens.

Der Roman »Glenarvon« sollte uns über manches Liebesabenteuer desselben Aufschlüsse geben; allein das voluminose Werk war an Interesse seiner Masse nicht gleich, es wiederholte sich in Situationen, besonders in unerträglichen; man mußte ihm einen gewissen Wert zugestehen, den man aber [274] mit mehr Freude bekannt hätte, wenn er uns in zwei mäßigen Bänden wäre dargereicht worden.

Von Peter Pindar wünscht ich mir, nachdem ich seinen Namen so lange nennen gehört, endlich auch einen deutlichen Begriff; ich gelangte dazu, erinnere mich dessen aber nur, daß er mir wie ein der Karikatur sich zuneigendes Talent vorkam. »John Hunters Leben« erschien höchst wichtig als Denkmal eines herrlichen Geistes, der sich bei geringer Schulbildung an der Natur edel und kräftig entwickelte. Das »Leben Franklins« sprach im allgemeinen denselben Sinn aus, im besondern himmelweit von jenem verschieden. Von fernen, bisher unzugänglichen Gegenden belehrte uns Elphinstones »Kabul«, das Bekanntere dagegen verdeutlichte Raffles' »Geschichte von Java« ganz ungemein. Zugleich traf das Prachtwerk indischer Jagden, besorgt von Howett, bei uns an und half durch treffliche Bilder einer Einbildungskraft nach, die sich, ohne gerade diesen Punkt der Wirklichkeit zu treffen, ins Unbestimmte würde verloren haben. Auf Nordamerika bezüglich ward uns Vielfaches zuteil.

Von Büchern und sonstigen Druckschriften und deren Einwirkung bemerke folgendes: Hermann, »Über die älteste griechische Mythologie«, interessierte die weimarischen Sprachfreunde auf einen hohen Grad. In einem verwandten Sinne Raynouard, »Grammatik der romanischen Sprache«. »Manuscrit venu de Sainte-Hélène« beschäftigte alle Welt. Echtheit oder Unechtheit, halbe oder ganze Ursprünglichkeit wurde durchgesprochen und durchgefochten. Daß man dem Heroen gar manches abgehorcht hatte, blieb offenbar und unzweifelhaft. »Deutschlands Urgeschichte« von Barth griff in unsere Studien der Zeit nicht ein; dagegen war »Der Pfingstmontag« von Professor Arnold in Straßburg eine höchst liebenswürdige Erscheinung. Es ist ein entschieden anmutiges Gefühl, von dem man wohltut, sich recht klares Bewußtsein zu geben, wenn sich eine Nation in den Eigentümlichkeiten ihrer Glieder bespiegelt: denn ja nur im besondern erkennt man, daß man Verwandte hat, im allgemeinen fühlt man immer nur die [275] Sippschaft von Adam her. Ich beschäftigte mich viel mit gedachtem Stück und sprach mein Behagen daran aufrichtig und umständlich aus.

Von Ereignissen bemerke weniges, aber für mich und andere Bedeutendes. Seit vierzig Jahren zu Wagen, Pferd und Fuß Thüringen kreuz und quer durchwandernd, war ich niemals nach Paulinzelle gekommen, obgleich wenige Stunden davon hin und her mich bewegend. Es war damals noch nicht Mode, diese kirchlichen Ruinen als höchst bedeutend und ehrwürdig zu betrachten; endlich aber mußte ich so viel davon hören, die einheimische und reisende junge Welt rühmte mir den großartigen Anblick, daß ich mich entschloß, meinen diesjährigen Geburtstag, den ich immer gern im stillen feierte, einsam dort zuzubringen. Ein sehr schöner Tag begünstigte das Unternehmen, aber auch hier bereitete mir die Freundschaft ein unerwartetes Fest. Oberforstmeister von Fritsch hatte von Ilmenau her mit meinem Sohne ein frohes Gastmahl veranstaltet, wobei wir jenes von der schwarzburg-rudolstädtischen Regierung aufgeräumte alte Bauwerk mit heiterer Muße beschauen konnten. Seine Entstehung fällt in den Anfang des zwölften Jahrhunderts, wo noch die Anwendung der Halbzirkelbogen stattfand. Die Reformation versetzte solches in die Wüste, worin es entstanden war; das geistliche Ziel war verschwunden, aber es blieb ein Mittelpunkt weltlicher Gerechtsame und Einnahme bis auf den heutigen Tag. Zerstört ward es nie, aber zu ökonomischen Zwecken teils abgetragen, teils entstellt, wie man denn auf dem Brauhause noch von den uralten Kolossalziegeln einige, hart gebrannt und glasiert, wahrnehmen kann; ja ich zweifle nicht, daß man in den Amts- und andern Angebäuden noch einiges von dem uralten Gebälke der flachen Decke und sonstiger ursprünglichen Kontignation entdecken würde.

Aus der Ferne kam uns Nachricht von Zerstörung und Wiederherstellung. Das Berliner Schauspielhaus war niedergebrannt; ein neues ward in Leipzig errichtet. Ein Symbol der Souveränetät ward uns Weimaranern durch die Feierlichkeit, [276] als der Großherzog vom Thron den Fürsten von Thurn und Taxis in seinem Abgeordneten mit dem Postregal belieh, wobei wir sämtlichen Diener in geziemendem Schmuck nach Rangesgebühr erschienen und also auch unsrerseits die Oberherrschaft des Fürsten anerkannten, indessen im Lauf desselben Jahrs eine allgemeine Feier deutscher Studierenden am 18. Juni zu Jena und, noch bedeutender, den 18. Oktober auf der Wartburg eine ahnungsvolle Gegenwirkung verkündigten.

Das Reformationsjubiläum verschwand vor diesen frischen jüngeren Bemühungen. Vor dreihundert Jahren hatten tüchtige Männer Großes unternommen; nun schienen ihre Großtaten veraltet, und man mochte sich ganz anderes von den neuesten öffentlich-geheimen Bestrebungen erwarten.

Persönliche Erneuerung früherer Gunst und Gewogenheit sollte mich auch dieses Jahr öfter beglücken. Die Frau Erbprinzessin von Hessen wußte mich niemals in ihrer Nähe, ohne mir Gelegenheit zu geben, mich ihrer fortdauernden Gnade persönlich zu versichern. Herr Staatsminister von Humboldt sprach auch diesmal wie immer belebend und anregend bei mir ein. Eine ganz eigene Einwirkung jedoch auf längere Zeit empfand ich von der bedeutenden Anzahl in Jena und Leipzig studierender junger Griechen. Der Wunsch, sich besonders deutsche Bildung anzueignen, war bei ihnen höchst lebhaft sowie das Verlangen, allen solchen Gewinn dereinst zur Aufklärung, zum Heil ihres Vaterlandes zu verwenden. Ihr Fleiß glich ihrem Bestreben, nur war zu bemerken, daß sie, was den Hauptsinn des Lebens betraf, mehr von Worten als von klaren Begriffen und Zwecken regiert wurden.

Papadopulos, der mich in Jena öfters besuchte, rühmte mir einst im jugendlichen Enthusiasmus den Lehrvortrag seines philosophischen Meisters. »Es klingt«, rief er aus, »so herrlich, wenn der vortreffliche Mann von Tugend, Freiheit und Vaterland spricht!« Als ich mich aber erkundigte, was denn dieser treffliche Lehrer eigentlich von Tugend, Freiheit und Vaterland vermelde, erhielt ich zur Antwort, das könne er so eigentlich [277] nicht sagen, aber Wort und Ton klängen ihm stets vor der Seele nach: Tugend, Freiheit und Vaterland.

Es ist derselbe, welcher zu jener Zeit meine »Iphigenie« ins Neugriechische übersetzte, und, wunderbar genug, wenn man das Stück in dieser Sprache und in dieser Beziehung betrachtet, so drückt es ganz eigentlich die sehnsüchtigen Gefühle eines reisenden oder verbannten Griechen aus: denn die allgemeine Sehnsucht nach dem Vaterlande ist hier unter der Sehnsucht nach Griechenland als dem einzig menschlich gebildeten Lande ganz spezifisch ausgedrückt.

Eine neue angenehme Bekanntschaft machte ich an einem Fellenbergischen Gehülfen namens Lippe, dessen klare Ruhe, Entschiedenheit seiner Lebenszwecke, Sicherheit von dem guten Erfolg seiner Wirkungen mir höchst schätzbar entgegentraten und mich zugleich in der guten Meinung, so für ihn wie für das Institut, dem er sich gewidmet hatte, bestärkten. Gar mannigfaltig war ein erwünschtes Wiedersehen: Wilhelm von Schütz von Ziebingen erneuerte frühere Unterhaltungen in Ernst und Tiefe. Mit diesem Freunde erging es mir indessen sehr wunderlich: bei dem Anfange jedes Gespräches trafen wir in allen Prämissen völlig zusammen; in fortwährender Unterhaltung jedoch kamen wir immer weiter auseinander, so daß zuletzt an keine Verständigung mehr zu denken war. Gewöhnlich ereignete sich dies auch bei der Korrespondenz und verursachte mir manche Pein, bis ich mir diesen selten vorkommenden Widerspruch endlich aufzulösen das Glück hatte. Doch auch das Umgekehrte sollte mir begegnen, damit es ja an keiner Erfahrung fehle. Hofrat Hirt, mit welchem ich mich, was die Grundsätze betraf, niemals hatte vereinigen können, erfreute mich durch einen mehrtägigen Besuch, bei welchem so im ganzen Verlauf als im einzelnen auch nicht die geringste Differenz vorkam. Betrachtete ich nun das angedeutete Verhältnis zu beiden Freunden genau, so entsprang es daher, daß von Schütz aus dem Allgemeinen, das mir gemäß war, ins Allgemeinere ging, wohin ich ihm nicht folgen konnte, Hirt dagegen das beiderseitige Allgemeine auf sich beruhen ließ und [278] sich an das Einzelne hielt, worin er Herr und Meister war, wo man seine Gedanken gern vernahm und ihm mit Überzeugung zustimmte.

Der Besuch von Berliner Freunden, Staatsrat Hufeland und Langermann, Varnhagen von Ense, blieb mir, wie die Frommen sich auszudrücken gewohnt sind, nicht ohne Segen: denn was kann segenreicher sein, als wohlwollende, einstimmende Zeitgenossen zu sehen, die auf dem Wege, sich und andere zu bilden, unaufhaltsam fortschreiten?

Ein junger Batsch, an seinen Vater durch freundliches, tätiges Benehmen sowie durch übereinstimmende, gefällig-geistreiche Gestalt erinnernd, kehrte von Kairo zurück, wohin er in Geschäften europäischer Kaufleute gegangen war. Er hatte zwar treue, aber keineswegs kunstgemäße Zeichnungen von dortigen Gegenden mitgebracht, so auch kleine Altertümer ägyptischer und griechischer Abkunft. Er schien mit lebendiger Tätigkeit dasjenige im praktischen Handel wirken zu wollen, was sein Vater theoretisch in der Naturwissenschaft geleistet hatte.

1818

Der »Divan« war auch den Winter über mit so viel Neigung, Liebe, Leidenschaft gehegt und gepflegt worden, daß man den Druck desselben im Monat März anzufangen nicht länger zauderte. Auch gingen die Studien immer fort, damit man durch Noten, durch einzelne Aufsätze ein besseres Verständnis zu erreichen hoffen durfte: denn freilich mußte der Deutsche stutzen, wenn man ihm etwas aus einer ganz andern Welt herüberzubringen unternahm. Auch hatte die Probe in dem »Damenkalender« das Publikum mehr irregemacht als vorbereitet. Die Zweideutigkeit, ob es Übersetzungen oder angeregte oder angeeignete Nachbildungen seien, kam dem Unternehmen nicht zugute; ich ließ es aber seinen Gang gehen, schon gewohnt, das deutsche Publikum erst stutzen zu sehen, eh es empfing und genoß.

[279] Vor allen Dingen schien sodann notwendig, die Charaktere der sieben persischen Hauptdichter und ihre Leistungen mir und andern klarzumachen. Dies ward nur möglich, indem ich mich der von Hammerischen bedeutenden Arbeit mit Ernst und Treue zu bedienen trachtete. Alles ward herangezogen: Anquetils »Religionsgebräuche der alten Parsen«, Bidpais »Fabeln«, Freytags »Arabische Gedichte«, Michaelis' »Arabische Grammatik«, alles mußte dienen, mich dort einheimischer zu machen.

Indessen hatten die von unserm Fürsten aus Mailand mitgebrachten Seltenheiten, wovon sich der größere Teil auf Leonardos Abendmahl bezog, im höchsten Grad meine Aufmerksamkeit erregt. Nach eifrigem Studium der Arbeit Bossis über diesen Gegenstand, nach Vergleichung der vorliegenden Durchzeichnungen, nach Betrachtung vieler andern gleichzeitigen Kunstleistungen und Vorkommnisse ward endlich die Abhandlung geschrieben, wie sie im Druck vorliegt, und zugleich ins Französische übersetzt, um den Mailänder Freunden verständlich zu sein. Zu gleicher Zeit ward uns von dorther ein ähnlicher Widerstreit des Antiken und Modernen, wie er sich auch in Deutschland rührt und regt, gemeldet; man mußte von dorther auch über Klassisches und Romantisches polemische Nachrichten vernehmen.

Zwischen allem diesem bei irgendeiner Pause nach dem Griechischen hingezogen, verfolgte ich einen alten Lieblingsgedanken, daß Myrons Kuh auf den Münzen Dyrrhachiums dem Hauptsinne nach aufbehalten sei: denn was kann erwünschter sein als entschiedenes Andenken des Höchsten aus einer Zeit, die nicht wiederkommt? Eben dieser Sinn ließ mich auchPhilostrats Gemälde wieder aufnehmen mit dem Vorsatz, das trümmerhaft Vergangene durch einen Sinn, der sich ihm gleichzubilden trachtet, wieder zu beleben. Womit ich mich sonst noch beschäftigt, zeigt »Kunst und Altertum«, viertes Stück.

Ein wundersamer Zustand bei hehrem Mondenschein brachte mir das Lied »Um Mitternacht«, welches mir desto [280] lieber und werter ist, da ich nicht sagen könnte, woher es kam und wohin es wollte. Gefordert und deshalb in seiner Entstehung klarer, aber doch ebensowenig in der Ausführung berechenbar, erschien mir zu Ende des Jahrs ein Gedicht, in kurzer Zeit verlangt, erfunden, eingeleitet und vollbracht. Zu Verehrung Ihro Majestät der Kaiserinmutter sollte ein Maskenzug die vieljährigen poetischen Leistungen des weimarischen Musenkreises in einzelnen Gruppen gestalten und diese, einen Augenblick in höchster Gegenwart verweilend, durch schickliche Gedichte sich selbst erklären. Er ward am 18. Dezember aufgeführt und hatte sich einer günstigen Aufnahme und dauernden Erinnerns zu erfreuen.

Kurz vorher war der siebzehnte und achtzehnte Band meiner Werke bei mir angelangt. Mein Aufenthalt in Jena war diesmal auf mehr als eine Weise fruchtbar. Ich hatte mich im Erker der »Tanne« zu Kamsdorf einquartiert und genoß mit Bequemlichkeit bei freier und schöner Aus- und Umsicht besonders der charakteristischen Wolkenerscheinungen. Ich beachtete sie, nach Howard, in bezug auf den Barometer und gewann mancherlei Einsicht.

Zugleich war das entoptische Farbenkapitel an der Tagesordnung. Brewsters Versuche, dem Glase durch Druck, wie sonst durch Hitze, dieselbe Eigenschaft des regelmäßigen Farbenzeigens bei Spiegelung zu erteilen, gelangen gar wohl, und ich meinerseits, überzeugt vom Zusammenwirken des Technisch-Mechanischen mit dem Dynamisch-Ideellen, ließ die Seebeckischen Kreuze auf Damastart sticken und konnte sie nun nach beliebigem Scheinwechsel hell oder dunkel auf derselben Fläche sehen. Dr. Seebeck besuchte mich den 16. Juni, und seine Gegenwart förderte in diesem Augenblick wie immer zur gelegenen Zeit.

In Karlsbad sah ich voll Bedauern ein wohlgearbeitetes messingenes Rohr mit Gradbogen, wodurch die Polarisation des Lichtes erwiesen werden sollte. Es war in Paris gefertigt; man sah aber hier in der Beschränkung nur teilweise, was wir schon längst ganz und völlig in freier Luft darzustellen verstanden.[281] Desto angenehmer war mir ein Apparat zu gleichem Zwecke, verehrt zu meinem Geburtstage, von Professor Schweigger, welcher alles leistet, was man in diesem Kapitel verlangen kann.

Zur Geognosie waren uns auch die schönsten Beiträge gekommen mit bedeutenden Exemplaren aus Italien. Brocchis Werk über italienische Fossilien, Sömmerrings »Fossile Eidechsen und Fledermäuse«. Von da erhuben wir uns wieder in ältere Regionen, betrachteten Werners »Gangtheorie« und Freieslebens »Sächsische Zinnformation«. Eine angekündigte Mineraliensammlung aus Norden kommt an, Versteinerungen von der Insel Rügen durch Kosegarten, Mineralien aus Sizilien und der Insel Elba durch Odeleben. Die Lage des Zölestins bei Dornburg wird erforscht. Durch besondere Gelegenheit kommt die Geognosie der Vereinigten Staaten uns näher. Was für Vorteil daher entspringt, wird auf freundliche und solide Weise erwidert.

In Böhmen war sogleich die allgemeine Geognosie um desto ernster gefördert, als ein junger, weitschreitender Bergfreund namens Riepl auf kurze Zeit mit uns zusammentraf und eine Karte des Königreichs mir zu illuminieren die Gefälligkeit hatte, des Vorsatzes, in einer eigenen Schrift dieses Bestreben weiterzuführen und öffentlich bekanntzumachen. Man besuchteHaidingers Porzellanfabrik in Elbogen, wo man außer dem Material des reinen verwitterten Feldspates auch das ausgebreitete Brennmaterial der Braunkohlen kennenlernte und von dem Fundort der Zwillingskristalle zugleich unterrichtet wurde. Wir besuchten Bergmeister Beschorner in Schlaggenwald, erfreuten uns an dessen instruktiver Mineraliensammlung und erlangten zugleich am Tage eine Art von Übersicht der Lokalität des Stockwerks. Im Granit einbrechende oder vielmehr im Granit enthaltene und sich durch Verwitterung daraus ablösende Teile, wie z.B. Glimmerkugeln, wurden bemerkt und aufgehoben. So wurden mir auch sehr belehrende kristallographische Unterhaltungen mit Professor Weiß. Er hatte einige kristallisierte Diamanten bei sich, deren Entwicklungsfolge er nach seiner höheren Einsicht mich gewahr werden [282] ließ. Eine kleine Müllerische Sammlung, besonders instruktiv, ward zurechtgelegt; Rosenquarz von Königswart gelangte zu mir, so wie ich einige böhmische Chrysolithe gelegentlich anschaffte.

Bei meiner Rückkehr fand ich zu Hause Mineralien von Koblenz und sonstiges Belehrendes dieser Art. Auf die Akademie Jena war die Aufmerksamkeit der höchsten Herren Erhalter ganz besonders gerichtet; sie sollte aufs neue ausgestattet und besetzt werden. Man unternahm, die älteren Statuten der neuen Zeit gemäß einzurichten, und auch ich, insofern die unmittelbaren Anstalten mit der Akademie sich berührten, hatte das Meinige durch diensame Vorschläge beigetragen. Das Bibliotheksgeschäft jedoch heischte seit Anfang des Jahres fortgesetzte und erweiterte Tätigkeit. Das Lokal wurde in genaue Betrachtung gezogen und hauptsächlich, was an Räumlichkeiten ohne großen Aufwand zu gewinnen sei, artistisch und handwerksmäßig überlegt, auch inwiefern demgemäß die Arbeit selbst begonnen und fortgesetzt werden könne, wohl überdacht. Die Vorschläge zu sicherem Gang der Angelegenheit werden durch die höchsten Höfe gebilligt und entschieden und Akkorde mit den Handwerkern sogleich geschlossen. Die Hauptsache blieb immer die Trockenlegung des untern großen Saals. Wie man von außen gegen Graben und Garten zu Luft gemacht hatte, so geschah es nun auch von innen durch Vertiefung des Hofes. Alles andere, was zur Sicherheit und Trocknis des Gebäudes dienen konnte, ward beraten und ausgeführt, daher die äußere Berappung sogleich vorgenommen. Nachdem auch im Innern gewisse Hindernisse mit Lebhaftigkeit beseitigt waren, ward nunmehr die Schloßbibliothek transloziert, welches mit besonderer Sorgfalt und Vorsicht geschah, indem man sie in der bisherigen Ordnung wieder aufstellte, um bis zur neuen Anordnung auch die Benutzung derselben nicht zu unterbrechen. Überhaupt ist hier zu Ehren der Angestellten zu bemerken, daß bei allem Umkehren des Ganzen wie des einzelnen die Bibliothek nach wie vor, ja noch viel stärker und lebhafter, benutzt werden konnte.

[283] Hier finde ich nun eine Schuld abzutragen, indem ich die Männer nenne, welche mir in diesem höchst verwickelten und verworrenen Geschäft treulich und jeder Anordnung gemäß mitwirkend sich erwiesen haben. Professor Güldenapfel, bisheriger jenaischer Bibliothekar, hatte unter dem vorigen Zustand so viel gelitten, daß er zu einer Veränderung desselben freudig die Hand bot und eine gewisse hypochondrische Sorgfalt auch auf die neue Veränderung mit Rätlichkeit hinwendete. Rat Vulpius, Bibliothekar in Weimar, hatte bisher der im Schloß verwahrten Büttnerischen Bibliothek vorgestanden und versagte zu der Translokation derselben seine Dienste nicht, wie er denn auch manche neue, nötig werdende Verzeichnisse mit großer Fertigkeit zu liefern wußte. Dr. Weller, ein junger, kräftiger Mann, übernahm die Obsorge über die oft mißlichen Baulichkeiten, indem sowohl die Benutzung der Lokalitäten zu neuen Zwecken als auch der Wiedergebrauch von Repositorien und andern Holzarbeiten eine sowohl gewandte als fortdauernde Aufsicht und Anleitung erforderten. Der Kanzlist Compter, der bisherige Kustos der Schloßbibliothek Färber taten jeder an seiner Stelle und auf seine Weise das mögliche, so daß ich in diesem Falle die Liebe zur Sache und die Anhänglichkeit an mich sämtlicher Angestellten nicht genugsam zu rühmen wüßte.

Innerhalb dieser arbeitsamen Zeit war der Verkauf der Grunerschen so höchst bedeutenden Bibliothek angekündigt und sogar der Antrag getan, solche im ganzen anzukaufen und die Dubletten in der Folge wieder zu veräußern. Ich, als ein abgesagter Feind solcher Operationen, bei denen nichts zu gewinnen ist, ließ den Grunerschen Katalog mit den Katalogen sämtlicher Bibliotheken vergleichen und durch Buchstaben andeuten, was und wo es schon besessen werde. Durch diese mühselige und in der Zwischenzeit oft getadelte Sorgfalt erschien zuletzt, wieviel Vorzügliches die öffentlichen Anstalten schon besaßen; über das andere, was noch zu akquirieren wäre, ward die medizinische Fakultät gefragt, und wir gelangten dadurch mit mäßigem Aufwand zu dem Inhalt der ganzen Grunerschen [284] Bibliothek. Schon aber konnte sich diese neue, nun eben erst Bestand gewinnende, in Gefolg ihres akademischen Rufes einer auswärtigen Aufmerksamkeit erfreuen, indem mit freundlicher Anerkennung der Herzog von Egerton die von ihm herausgegebenen Werke sämtlich einsendete. Im November erstattete die Behörde einen Hauptbericht, welcher sich höchsten Beifalls um so mehr getrösten sollte, als der umsichtige Fürst persönlich von dem ganzen Geschäftsgange Schritt vor Schritt Kenntnis genommen hatte.

Die Oberaufsicht über die sämtlichen unmittelbaren Anstalten hatte sich im Innern noch einer besondern Pflicht zu entledigen. Die Tätigkeit in einzelnen wissenschaftlichen Fächern hatte sich dergestalt vermehrt, die Forderungen waren auf einen solchen Grad gewachsen, daß der bisherige Etat nicht mehr hinreichte. Dies konnte zwar im ganzen bei guter Wirtschaft einigermaßen ausgeglichen werden; allein das Unsichere war zu beseitigen, ja es mußten mehrerer Klarheit wegen neue Rechnungskapitel und eine neue Etatsordnung eingeführt werden. In diesem Augenblick war der bisherige Rechnungsführer als Rentbeamter von herzoglicher Kammer an eine andere Stelle befördert, und die beschwerliche Arbeit, die alte Rechnung abzuschließen, die Gewährschaft loszuwerden und einen neuen Etat nebst Rechnungsformular aufzustellen, blieb mir, dem Vorgesetzten, der wegen Eigenheit der Lage sich kaum der Mitwirkung eines Kunstverständigen bedienen konnte.

Auch in dieses Jahr fällt ein Unternehmen, dessen man sich vielleicht nicht hätte unterziehen sollen: das Abtragen des Löbertors. Als nämlich das heiter auch von außen hergestellte Bibliotheksgebäude den Wunsch hervorrief, gleicherweise die nächste bisher vernachlässigte Umgebung gereinigt und erheitert zu sehen, so tat man den Vorschlag, sowohl das äußere als innere Löbertor abzutragen, zu gleicher Zeit die Gräben auszufüllen und dadurch einen Marktplatz für Holz- und Fruchtwagen, nicht weniger eine Verbindung der Stadt in Feuersgefahr mit den Teichen zu bewirken. Das letztere ward [285] auch bald erreicht; als man aber an die innern Gebäude kam, durch deren Wegräumung man einen stattlichen Eingang der Stadt zu gewinnen hoffte, tat sich eine Gegenwirkung hervor, gegründet auf die moderne Maxime, daß der einzelne durchaus ein Recht habe, gegen den Vorteil des Ganzen den seinigen geltend zu machen. Und so blieb ein höchst unschicklicher Anblick stehen, den, wenn es glückt, die Folgezeit den Augen unserer Nachkommen entziehen wird.

Für die Einsicht in höhere bildende Kunst begann dieses Jahr eine neue Epoche. Schon war Nachricht und Zeichnung der äginetischen Marmore zu uns gekommen, die Bildwerke von Phigalia sahen wir in Zeichnungen, Umrissen und ausgeführteren Blättern vor uns, jedoch war das Höchste uns noch fern geblieben; daher forschten wir dem Parthenon und seinen Giebelbildern, wie sie die Reisenden des siebzehnten Jahrhunderts noch gesehen hatten, fleißig nach und erhielten von Paris jene Zeichnung kopiert, die, damals zwar nur leicht gefertigt, doch einen deutlichern Begriff von der Intention des Ganzen verschaffte, als es in der neuern Zeit bei fortgesetzter Zerstörung möglich ist. Aus der Schule des Londner Malers Haydon sandte man uns die Kopien in schwarzer Kreide, gleich groß mit den Marmoren, da uns denn der Herkules und die im Schoß einer andern ruhende Figur, auch die dritte dazugehörige sitzende im kleineren Maßstab in ein würdiges Erstaunen versetzte. Einige Weimarische Kunstfreunde hatten auch die Gipsabgüsse wiederholt gesehen und bekräftigten, daß man hier die höchste Stufe der aufstrebenden Kunst im Altertum gewahr werde.

Zu gleicher Zeit ließ uns eine kostbare Sendung von Kupferstichen aus dem sechzehnten Jahrhundert in eine andere, gleichfalls höchst ernsthaft gemeinte Kunstepoche schauen. Die beiden Bände von Bartsch, XIV und XV, wurden bezüglich hierauf studiert und, was wir dahin Gehöriges schon besaßen durchgesehen und nur einiges, wegen sehr hoher Preise, mit bescheidener Liebhaberei angekauft.

Gleichfalls höchst unterrichtend, in einer neuern Sphäre jedoch, [286] war eine große Kupferstichsendung aus einer Leipziger Auktion. Ich sah Jacksons holzgeschnittene Blätter beinahe vollständig zum erstenmal; ich ordnete und betrachtete diese Akquisition und fand sie in mehr als einem Sinne bedeutend. Eine jede Technik wird merkwürdig, wenn sie sich an vorzügliche Gegenstände, ja wohl gar an solche wagt, die über ihr Vermögen hinausreichen.

Aus der französischen Schule erhielt ich viele gute Blätter um den geringsten Preis. Die Nachbarnation war damals in dem Grade verhaßt, daß man ihr kein Verdienst zugestehen und so wenig irgend etwas, das von ihr herkäme, an seinen Besitz heranziehen mochte. Und so war mir schon seit einigen Auktionen gelungen, für ein Spottgeld bedeutende, sogar in der Kunst und Kunstgeschichte wohl gekannte, durch An ekdoten und Eigenheiten der Künstler namhafte große, wohlgestochene Blätter, eigenhändige Radierungen mehrerer im achtzehnten Jahrhundert berühmter und beliebter Künstler, das Stück für zwei Groschen, anzuschaffen. Das gleiche geriet mir mit Sebastian Bourdons geätzten Blättern, und ich lernte bei dieser Gelegenheit einen Künstler, den ich immer im allgemeinen geschätzt, auch im einzelnen wertachten.

Eine Medaille, welche die Mailänder zu Ehren unseres Fürsten als ein Andenken seines dortigen Aufenthalts prägen lassen, gibt mir Gelegenheit, zur Plastik zurückzukehren. Ich akquirierte zu gleicher Zeit eine vorzüglich schöne Münze Alexanders; mehrere kleine Bronzen von Bedeutung wurden mir in Karlsbad teils käuflich, teils durch Freundesgeschenk glücklich zu eigen. Graf Tolstois Basreliefe, deren ich nur wenige kannte, überschickte mir der wohlwollende Künstler durch einen vorübereilenden Kurier, und daß ich noch einiges Zerstreute zusammenfasse: Das Kupferwerk vom Campo Santo in Pisa erneute das Studium jener ältern Epoche, so wie im wunderbarsten Gegensatz das »Omaggio della Provincia Veneta alla S. M. l'Imperatrice d'Austria« von dem wunderlichen Sinnen und Denken gleichzeitiger Künstler ein Beispiel vor Augen brachte. Von den in Paris bestellten zwei Pferdeköpfen, [287] einem venezianischen und athenischen, kam jener zuerst und ließ uns seine Vorzüge empfinden, ehe uns der andere durch überschwengliche Großheit dafür unempfänglich gemacht hätte.

1819

Von persönlichen Verhältnissen wäre folgendes zu sagen: Die Königin von Württemberg stirbt zu Anfang, Erbgroßherzog von Mecklenburg zu Ende des Jahrs. Staatsminister von Voigt verläßt uns den 22. März; für mich entsteht eine große Lücke, und dem Kreise meiner Tätigkeit entgeht ein mitwirkendes Prinzip. Er fühlte sich in der letzten Zeit sehr angegriffen von den unaufhaltsam wirkenden revolutionären Potenzen, und ich pries ihn deshalb selig, daß er die Ermordung Kotzebues, die am 23. März vorfiel, nicht mehr erfuhr noch durch die heftige Bewegung, welche Deutschland hierauf ergriff, ängstlich beunruhigt wurde.

In dem übrigens ganz ruhigen Gang und Zug der Welt trafen Ihro Majestät die regierende Kaiserin von Rußland in Weimar ein; ich sah in dieser Zeit den Grafen Stourdza und den Staatsrat von Köhler.

Erfreuliches begegnete dem fürstlichen Hause, daß dem Herzog Bernhard ein Sohn geboren war, ein Ereignis, das allgemeine Heiterkeit verbreitete. Der Aufenthalt in Dornburg und Jena gab zu mancherlei Vergnüglichkeiten Anlaß. Die Prinzessinnen hatten ihren Garten in Jena bezogen, wodurch denn hin und her viele Bewegung entstand; auch wurde die hohe Gesellschaft dadurch vermehrt, daß Herzog von Meiningen und Prinz Paul von Mecklenburg der Studien wegen in Jena einige Zeit verweilten.

In Karlsbad sah ich Fürst Metternich und dessen diplomatische Umgebung und fand an ihm wie sonst einen gnädigen Herrn. Grafen Bernstorff lernt ich persönlich kennen, nachdem ich ihn lange Jahre hatte vorteilhaft nennen hören und ihn wegen inniger, treuer Verhältnisse zu werten Freunden [288] auch schätzen lernen. Auch sah ich Graf Kaunitz und andere, die mit Kaiser Franz in Rom gewesen waren, fand aber keinen darunter, der von der deutschfrommen Ausstellung im Palaste Caffarelli hätte ein Günstiges vermelden mögen. Den Grafen Karl Harrach, den ich vor soviel Jahren, als er sich der Medizin zu widmen den Entschluß faßte, in Karlsbad genau kannte, fand ich zu meinem großen Vergnügen gegen mich wieder, wie ich ihn verlassen, und seinem Berufe nunmehr leidenschaftlich treu. Seine ganz einfach lebhaften Erzählungen von der beweglichen Wiener Lebensweise verwirrten mir wirklich in den ersten Abenden Sinne und Verstand, doch in der Folge ging es besser; teils wurd ich die Darstellung eines so kreiselhaften Treibens mehr gewohnt, teils beschränkte er sich auf die Schilderung seiner praktischen Tätigkeit, ärztlicher Verhältnisse, merkwürdiger Berührungen und Einflüsse, die eine Person der Art als Standes-, Welt- und Heilmann erlebt, und ich erfuhr in diesem Punkte gar manches Neue und Fremdartige.

Geheimerat Berends von Berlin, ein sogleich Vertrauen erweckender Medikus, ward mir und meinem Begleiter, dem Dr. Rehbein, einem jüngeren, vorzüglich einsichtigen und sorgfältigen Arzte, als Nachbar lieb und wert. Die verwitwete Frau Berghauptmannvon Trebra erinnerte mich an den großen Verlust, den ich vor kurzem in ihrem Gemahl, einem vieljährigen, so nachsichtigen als nachhelfenden Freund, erlitten; und so ward ich auch im Gespräch mit Professor Dittrich von Komotau an frühere Teplitzer Momente hingewiesen, alte Freude, altes Leid wieder hervorgerufen.

Zu Hause sowie in Jena ward mir gar manches Gute durch bleibende und vorübergehende Personen. Ich nenne die Grafen Kanikoff und Bombelles und sodann ältere und neuere Freunde, teilnehmend und belehrend. Nees von Esenbeck, nach Berlin reisend und zurückkehrend, von Stein aus Breslau. Mannigfaltige Mitteilungen dieses tätigen, rüstigen Mannes und früheren Zöglings erfreuten mich. Ein gleiches Verhältnis erneuerte sich zu Bergrat von Herder. Generalsuperintendent Krause erschien als tiefkranker Mann, und man mußte vielleicht [289] manche schwache Äußerung einem inwohnenden unheilbaren Übel zuschreiben. Er empfahl den oberen Klassen des Gymnasiums Tiedgens »Urania« als ein klassisches Werk, wohl nicht bedenkend, daß die von dem trefflichen Dichter so glücklich bekämpfte Zweifelsucht ganz aus der Mode gekommen, daß niemand mehr an sich selbst zweifle und sich die Zeit gar nicht nehme, an Gott zu zweifeln. Seine Gegenwart mutete mich nicht an; ich habe ihn nur einmal gesehen und bedauert, daß er seine gerühmte Einsicht und Tätigkeit nicht auch an weimarischen Kirchen und Schulen habe beweisen können. Lebensheiterer war mir der Anblick der zahlreichen Seebeckischen Familie, die von Nürnberg nach Berlin zog, den glücklichen Aufenthalt an jenem Orte mit innigem Bedauern rühmend, früherer jenaischer Verhältnisse an Ort und Stelle sich lebhaft erinnernd und nach Berlin mit freudiger Hoffnung hinschauend. Ein Besuch Dr. Schopenhauers, eines meist verkannten, aber auch schwer zu kennenden verdienstvollen jungen Mannes, regte mich auf und gedieh zur wechselseitigen Belehrung. Ein junger Angestellter von Berlin, der sich durch Talent, Mäßigung und Fleiß aus bedenklichen Umständen zu einer ansehnlichen Stelle, einem bequemen häuslichen Zustande und einer hübschen jungen Frau geholfen hatte. Major von Luck, der Mainzer Humorist, der ganz nach seiner Weise zum Besuch bei mir unversehens eintritt, sein Bleiben ohne Not verkürzt und gerade aus Übereilung die Reisegelegenheit versäumt. Franz Nicolovius, ein lieber Verwandter, hielt sich länger auf und gab Raum, eine vielversprechende Jugend zu kennen und zu schätzen. Geheimerat von Willemer, der die Folgen einer für ihn höchst traurigen Angelegenheit großmütig abzulenken suchte, reiste nach Berlin, um von Ihro Majestät dem König Verzeihung für den Gegner seines Sohnes zu erflehen. Der Grieche Gigas besuchte mich öfters, auch hatte ich seine Landsleute, die, um höhere Bildung zu gewinnen, nach Deutschland gekommen waren, immer freundlich aufgenommen. Präsident von Welden aus Bayreuth, so sehr wie jeder Vorgesetzte von akademischer Turbulenz beunruhigt, [290] besuchte mich, und man konnte sich über die damals so dringenden Angelegenheiten nichts Erfreuliches mitteilen. Die weimar-und gothaischen Regierungsbevollmächtigten von Conta und von Hoff sprachen gleichfalls wegen akademischer Besorgnisse bei mir ein. Ein Sohn vonBaggesen erfreute mich durch heitere Gegenwart und unbewundenes Gespräch. Ernst von Schiller, dem es hier nicht glücken wollte, ging einer Anstellung im Preußischen entgegen. Sodann lernte ich noch einen jungen Chemikus namens Runge kennen, der mir auf gutem Wege zu sein schien.

Des Anteils hab ich nunmehr zu erwähnen, den man meinem siebzigsten Geburtstage an vielen Orten und von vielen Seiten her zu schenken geneigt war. Durch eine wunderliche Grille eigensinniger Verlegenheit suchte ich der Feier meines Geburtstags jederzeit auszuweichen. Diesmal hatte ich ihn zwischen Hof und Karlsbad auf der Reise zugebracht; am letzten Orte kam ich abends an, und in beschränktem Sinne glaubt ich überwunden zu haben. Allein am 29. August sollte ich zu einem schon besprochenen Gastmahl auf den Posthof eingeladen werden, wovon ich mich in Rücksicht auf meine Gesundheit nicht ohne Grund entschuldigen mußte. Auch überraschte mich aus der Ferne noch gar mannigfaltiges Gute. In Frankfurt am Main hatte man am 28. August ein schönes und bedeutendes Fest gefeiert; die Gesellschaft der deutschen Geschichtkunde hatte mich zum Ehrenmitgliede ernannt; die Ausfertigung deshalb erhielt ich durch ministerielle Gelegenheit. Die mecklenburgischen Herren Stände verehrten mir zu diesem Tage eine goldne Medaille als Dankzeichen für den Kunstanteil, den ich bei Verfertigung der Blücherischen Statue genommen hatte.

1820

Nachdem wir den 29. März eine Mondverdunklung beobachtet hatten, blieb die auf den 7. September angekündigte ringförmige Sonnenfinsternis unser Augenmerk. Auf der Sternwarte [291] zu Jena wurden vorläufige Zeichnungen derselben verfertigt; der Tag kam heran, aber leider mit ganz überwölktem Himmel. In dem Garten der Prinzessinnen waren Einrichtungen getroffen, daß mehrere Personen zugleich eintreten konnten. Serenissimus besuchten ihre lieben Enkel zur guten Stunde, das Gewölk um die Sonne ward lichter, Anfang und Mitte konnten vollkommen beobachtet werden, und den Austritt, das Ende zu sehen, begab man sich auf die Sternwarte, wo Professor Posselt mit andern Angestellten beschäftigt war. Auch hier gelang die Betrachtung, und man konnte vollkommen zufrieden sein, während in Weimar ein bedeckter Himmel jede Ansicht vereitelte.

Auf einer Reise nach Karlsbad beobachtete ich die Wolkenformen ununterbrochen und redigierte die Bemerkungen daselbst. Ich setzte ein solches Wolkendiarium bis Ende Juli und weiter fort, wodurch ich die Entwicklung der sichtbaren atmosphärischen Zustände aus einander immer mehr kennenlernte und endlich eine Zusammenstellung der Wolkenformen auf einer Tafel in verschiedenen Feldern unternehmen konnte. Nach Hause zurückgekehrt, besprach ich die Angelegenheit mit Professor Posselt, welcher daran sehr verständigen Teil nahm. Auch wurden nunmehr von Eisenach Wetterbeobachtungen eingesendet. Von Büchern förderte mich am meisten Brandes' »Witterungskunde« und sonstige Bemühungen in diesem Fache. Dittmars Arbeiten wurden benutzt, freilich nicht in dem Sinne, wie es der gute Mann wünschen mochte.

Das Botanische ward nicht außer Augen gelassen; der belvederische Katalog kam zustande, und ich sah mich dadurch veranlaßt, die Geschichte der weimarischen Botanik zu schreiben. Ich ließ hierauf ein französisches Heft übersetzen, das in galantem Vortrag die Vermehrung der Eriken anriet und anleitete.Jäger, »Über Mißbildung der Pflanzen«, de Candolle, »Arzneikräfte« derselben, Henschel, »Gegen die Sexualität«, Nees von Esenbecks »Handbuch«, Robert Brown, »Über die Syngenesisten«, wurden sämtlich beachtet, da ein Aufenthalt [292] in dem Botanischen Garten zu Jena mir dazu die erwünschteste Muße gab.

Bedeutender Honigtau wurde auf der Stelle beobachtet und beschrieben. Herr Dr. Carus teilte von einem Kirchhof in Sachsen ein zartes Geflechte von Lindenwurzeln mit, welche, zu den Särgen hinabgestiegen, diese sowohl als die enthaltenen Leichname wie mit Filigranarbeit umwickelt hatten. Ich fuhr fort, mich mit Wartung des Bryophyllum calycinum zu beschäftigen, dieser Pflanze, die den Triumph der Metamorphose im Offenbaren feiert. Indessen war durch die Reise österreichischer und bayerischer Naturforscher nach Brasilien die lebhafteste Hoffnung erregt.

Auf meiner Reise nach Karlsbad nahm ich den Weg über Wunsiedel nach Alexanderbad, wo ich die seltsamen Trümmer eines Granitgebirges nach vielen Jahren, seit 1785 zum erstenmal, wieder beobachtete. Mein Abscheu vor gewaltsamen Erklärungen, die man auch hier mit reichlichen Erdbeben, Vulkanen, Wasserfluten und andern titanischen Ereignissen geltend zu machen suchte, ward auf der Stelle vermehrt, da mit einem ruhigen Blick sich gar wohl erkennen ließ, daß durch teilweise Auflösung wie teilweise Beharrlichkeit des Urgesteins, durch ein daraus erfolgendes Stehenbleiben, Sinken, Stürzen, und zwar in ungeheuern Massen, diese staunenswürdige Erscheinung ganz naturgemäß sich ergeben habe. Auch dieser Gegenstand ward in meinen wissenschaftlichen Heften wörtlich und bildlich entwickelt; ich zweifle jedoch, daß eine so ruhige Ansicht dem turbulenten Zeitalter genügen werde.

In Karlsbad legte ich die alte geognostische Folge wieder in belehrenden Mustern zusammen, worunter schöne Stücke des Granits vom Schloßberge und Bernhardsfelsen, mit Hornsteinadern durchzogen, gar wohl in die Augen fielen. Eine neue, speziellere Folge, auf Porzellan- und Steingutsfabrikation sich beziehend, zugleich die natürlichen, unveränderten Stücke enthaltend, ward angefügt. Eine solche vollständigste Sammlung zeigte ich dem Fürsten von Thurn und Taxis und seiner Umgebung [293] vor, welcher bei teilnehmendem Besuch mit dem Aufgewiesenen zufrieden schien.

Den pseudovulkanischen Gebirgen schenkte ich gleichfalls erneute Aufmerksamkeit, wozu mir einige behufs des Wegebaues neu aufgeschlossene Bergräume in der Gegend von Dallwitz und Lessau die beste Gelegenheit gaben. Hier war es augenfällig, wie die ursprünglichen Schichten des früheren Flözgebirges, ehmals innigst mit Steinkohlenmasse vermischt, nunmehr durchgeglüht, als bunter Porzellanjaspis in ihrer alten Lage verharrten, da denn z.B. auch eine ganze Schicht stengligen Eisensteins sich dazwischen deutlich auszeichnete und Veranlassung gab, sowohl die Müllerische Sammlung als die eigenen und Freundeskabinette mit großen und belehrenden Stücken zu bereichern.

Als ich nun hierauf den durch den Wegebau immer weiter aufgeschlossenen Kammerberg bei Eger bestieg, sorgfältig abermals betrachtete und die regelmäßigen Schichten desselben genau ansah, so mußt ich freilich zu der Überzeugung des Bergrat Reuß wieder zurückkehren und dieses problematische Phänomen für pseudovulkanisch ansprechen. Hier war ein mit Kohlen geschichteter Glimmerschiefer wie dort spätere Tonflözlager durchglüht, geschmolzen und dadurch mehr oder weniger verändert.

Diese Überzeugung, einem frischen Anschauen gemäß, kostete mich nichts selbst gegen ein eignes gedrucktes Heft anzunehmen; denn wo ein bedeutendes Problem vorliegt, ist es kein Wunder, wenn ein redlicher Forscher in seiner Meinung wechselt.

Die kleinen Basalte vom Horn, einem hohen Berge in der Nähe von Elbogen, denen man bei der Größe einer Kinderfaust oft eine bestimmte Gestalt abgewinnen kann, gaben mir manche Beschäftigung. Der Grundtypus, woraus alle die übrigen Formen sich zu entwickeln schienen, ward in Ton nachgebildet, auch Musterstücke an Herrn von Schreibers nach Wien gesendet.

Auf den jenaischen Museen revidiere ich die Karlsbader [294] Suite mit neuer Übersicht, und da man denn doch immer vorsätzliche Feuer- und Glutversuche anstellt, um zu den Naturbränden parallele Erscheinungen zu gewinnen, so hatte ich in der Flaschenfabrik zu Zwätzen dergleichen anstellen lassen, und es betrübt mich, die chemischen Erfolge nicht in der eingeleiteten Ordnung des Katalogs aufbewahrt zu haben, besonders da einige Gebirgsarten nach dem heftigsten Brande sich äußerst regelmäßig gestalteten. Gleicherweise sandte man von Koblenz aus natürlichen Ton und daraus übermäßig gebrannte Ziegeln, welche auch sich schlackenartig und zugleich gestaltet erwiesen.

Jüngere Freunde versorgten mich mit Musterstücken von dem Urgeschiebe bei Danzig, ingleichen bei Berlin, aus denen man eine völlig systematische Sammlung Gesteinarten, und zwar in ihren härtesten Fels- und Gangteilen, anreihen konnte.

Das Beispiel einer allerletzten Formation zeigte uns der Steinschneider Facius. Er hatte in einem Tuffsteinkonglomerat, welches mancherlei abgerundete Geschiebe enthielt, auch einen geschnittenen Chalzedon gefunden, worauf ein Obelisk mit allerlei nicht ägyptischen Zeichen, ein kniend Betender an der einen, ein stehend Opfernder an der andern Seite, von leidlicher Arbeit. Man suchte sich diese offenbar zufällige Erscheinung aus vorwaltenden Umständen zu erklären, die jedoch hier zu entwickeln nicht der Ort ist. Der mecklenburgische Kammerherr Herr von Preen verehrte mir von einer Reise aus Tirol mitgebrachte bedeutende Mineralien; Graf Bedemar, Königlich Dänischer Kammerherr, schöne Opale von den Färö-Inseln.

An Büchern waren mir sehr angenehm: Nose, »Über Basaltgenese«, ein alter Gleichzeitiger, der auch noch an alten Begriffen hielt; ferner dessen »Symbola«; einen Auszug des ersteren teilt ich im Drucke mit, einer des letzteren liegt noch unter meinen Papieren. Herrn von Schreibers' »Aerolithen« förderten uns auch in diesem Kapitel. Von England waren sehr willkommen »The First Principles of Geology«, by G. B. Greenough, London 1819. Die Wernerischen Ansichten, die man [295] nun schon so viele Jahre gewohnt war, in einer fremden Sprache wieder zu vernehmen, war aufregend ergötzlich. Eine große geologische Karte von England war durch besondere Ausführung und Reinlichkeit einer ernsten Belehrung höchst förderlich. Als selbsttätig lieferte ich »Zur Morphologie und Naturwissenschaft«, des ersten Bandes drittes Heft.

Frische Lust zu Bearbeitung der Farbenlehre gaben die entoptischen Farben. Ich hatte mit großer Sorgfalt meinen Aufsatz im August dieses Jahrs abgeschlossen und dem Druck übergeben. Die Ableitung, der ich in meiner »Farbenlehre« gefolgt, fand sich auch hier bewährt; der entoptische Apparat war immer mehr vereinfacht worden. Glimmer- und Gipsblättchen wurden bei Versuchen angewendet und ihre Wirkung sorgfältig verglichen. Ich hatte das Glück, mit Herrn Staatsrat Schultz diese Angelegenheit nochmals durchzugehen, sodann begab ich mich an verschiedene Paralipomena der »Farbenlehre«. Purkinje, »Zur Kenntnis des Sehens«, ward ausgezogen und die Widersacher meiner Bemühungen nach Jahren aufgestellt.

Von teilnehmenden Freunden wurd ich auf ein Werk aufmerksam gemacht: »Nouvelle Chroagénésie«, par Le Prince, welches als Wirkung und Bestätigung meiner Farbenlehre angesehen werden könne. Bei näherer Betrachtung fand sich jedoch ein bedeutender Unterschied. Der Verfasser war auf demselben Wege wie ich dem Irrtum Newtons auf die Spur gekommen, allein er förderte weder sich noch andere, indem er, wie Dr. Reade auch getan, etwas gleich Unhaltbares an die alte Stelle setzen wollte. Es gab mir zu abermaliger Betrachtung Anlaß, wie der Mensch, von einer Erleuchtung ergriffen und aufgeklärt, doch so schnell wieder in die Finsternis seines Individuums zurückfällt, wo er sich alsdann mit einem schwachen Laternchen kümmerlich fortzuhelfen sucht.

Gar mancherlei Betrachtungen über das Herkommen in den Wissenschaften, über Vorschritt und Retardation, ja Rückschritt, werden angestellt. Der sich immer mehr an den Tag gebende und doch immer geheimnisvollere Bezug aller physikalischen [296] Phänomene aufeinander ward mit Bescheidenheit betrachtet und so die Chladnischen und Seebeckischen Figuren parallelisiert, als auf einmal in der Entdeckung des Bezugs des Galvanismus auf die Magnetnadel durch Professor Oersted sich uns ein beinahe blendendes Licht auftat. Dagegen betrachtete ich ein Beispiel des fürchterlichsten Obskurantismus mit Schrecken, indem ich die Arbeiten Biots über die Polarisation des Lichtes näher studierte. Man wird wirklich krank über ein solches Verfahren; dergleichen Theorien, Beweis-und Ausführungsarten sind wahrhafte Nekrosen, gegen welche die lebendigste Organisation sich nicht herstellen kann.

Der untere große jenaische Bibliotheksaal war nun in der Hauptsache hergestellt; die Repositorien, die sonst der Länge nach den Raum verfinsterten, nahmen nunmehr in der Quere das Licht gehörig auf. Ein buntes, von Serenissimo verehrtes altdeutsches Fenster ward eingesetzt und daneben die Gipsbüsten der beiden Herren Nutritoren aufgestellt, in dem oberen Saal ein geräumiger Pult eingerichtet und so immer mehreren Erfordernissen Genüge geleistet. Um in den allzu einfachen, unverzierten, dem Auge wenig Ergötzliches bietenden Sälen einige Erheiterung anzubringen, dachte man auf symbolische, die verschiedenen geistigen Tätigkeiten bezeichnende Bilder, welche, sonst so beliebt, mit Sinnsprüchen begleitet, in allen wissenschaftlichen Anstalten dem Besucher entgegenleuchteten. Einiges wurde ausgeführt, anderes durch HerrnSchinkels Gefälligkeit vorbereitet, das meiste blieb als Skizze, ja nur als bloßer Gedanke zurück. Die Buderischen Deduktionen wurden durch Vulpius katalogiert, ein böhmisches Manuskript, auf Hussens Zeiten bezüglich, durch Dr. Wloka übersetzt, ein Hauptbibliotheksbericht erstattet, eine übersichtliche Fortwirkung durch ausführliche Tagebücher und Dr. Wellers persönliche Berichterstattung möglich gemacht.

Bei der botanischen Anstalt beschäftigte uns die Anlage eines neuen Glashauses nach dem Befehl Serenissimi und unter dessen besonderer Mitwirkung. Riß und Anschlag wurden geprüft, [297] die Akkorde abgeschlossen und zu gehöriger Zeit die Arbeit vollendet. Auch war der Ankauf der Starkischen Präparatensammlung für das anatomische Kabinett gebilligt und abgeschlossen, der Transport derselben aber, welcher ein neues Lokal forderte, noch aufgeschoben. Der untere große Saal im Schlosse, der seit Entfernung der Büttnerischen Bibliothek noch im Wuste lag, ward völlig wiederhergestellt, um verschiedene Kuriosa darin aufzubewahren. Ein bedeutendes Modell des Amsterdamer Rathauses, das bei mehrmaligem Umstellen und Transportieren höchst beschädigt worden war, ließ sich nun, repariert, ruhig wieder aufrichten.

In Weimar ging alles seinen Gang; das Münzkabinett war an Vulpius zu endlicher Einordnung übergeben worden; auch kam die Aktenrepositur völlig in Ordnung.

Zu meinem Geburtstagsfeste hatte voriges Jahr die angesehene Gesellschaft der Deutschen Altertümer in Frankfurt am Main die Aufmerksamkeit, mich unter die Ehrenmitglieder aufzunehmen. Indem ich nun ihre Forderungen näher betrachtete und welche Teilnahme sie allenfalls auch von mir wünschen könnte, so ging mir der Gedanke bei, es möchte wohl auch ein Vorteil sein, in spätern Jahren bei höherer Ausbildung in ein neues Fach gerufen zu werden. Es lag auf der jenaischen Bibliothek ein geschätztes Manuskript von der »Chronik« des Otto von Freisingen, auch einige andere, welche nach dem Wunsch jener Gesellschaft sollten beschrieben werden. Nun hatte der Bibliothekschreiber Compter ein besonderes Talent zu dergleichen Dingen, es glückte ihm die Nachahmung der alten Schriftzüge ganz besonders, deswegen er auch die genaueste Aufmerksamkeit auf so etwas zu legen pflegte. Ich verfertigte ein sorgfältiges Schema, wornach die Codices Punkt für Punkt verglichen werden sollten. Hiernach fing er an, gedachtes Manuskript des Otto von Freisingen mit dem ersten Straßburger Abdruck desselben zu vergleichen, eine Arbeit, die nicht fortgesetzt wurde. Im ganzen ward jedoch die Beschäftigung eine Zeitlang fortgesetzt sowie das Verhältnis zu Herrn Büchler in Frankfurt unterhalten.

[298] Zu gleicher Zeit erkaufte die Frau Erbgroßherzogin aus der Auktion des Kanonikus Pick zu Köln eine wohlerhaltene silberne Schale, deren eingegrabene Darstellung sowohl als Inschrift sich auf einen Taufakt Friedrich des Ersten beziehen und auf einen Paten, Otto genannt. Es wurde in Steindruck für Frankfurt kopiert, daselbst und an mehreren Orten kommentiert; aber eben hieraus zeigte sich, wie unmöglich es sei, antiquarische Meinungen zu vereinigen. Ein deshalb geführtes Aktenheft ist ein merkwürdiges Beispiel eines solchen antiquarisch-kritischen Dissensus, und ich leugne nicht, daß mir nach solcher Erfahrung weitere Lust und Mut zu diesem Studium ausging. Denn meiner gnädigsten Fürstin hatte ich eine Erklärung der Schale angekündigt, und da immer ein Widerspruch dem andern folgte, so ward die Sache dergestalt ungewiß, daß man kaum noch die silberne Schale in der Hand zu halten glaubte und wirklich zweifelte, ob man Bild und Inschrift noch vor Augen habe.

Der Triumphzug Mantegnas, von Andreas Andreani in Holz geschnitten, hatte unter den Kunstwerken des sechzehnten Jahrhunderts von jeher meine größte Aufmerksamkeit an sich gezogen. Ich besaß einzelne Blätter desselben und sah sie vollständig in keiner Sammlung, ohne ihnen eine lebhafte Betrachtung ihrer Folge zu widmen. Endlich erhielt ich sie selbst und konnte sie ruhig neben- und hintereinander beschauen; ich studierte den Vasari deshalb, welcher mir aber nicht zusagen wollte. Wo aber gegenwärtig die Originale seien, da sie, als auf Tafeln gemalt, von Mantua weggeführt worden, blieb mir verborgen. Ich hatte meine Blätter eines Morgens in dem jenaischen Gartenhause vollständig aufgelegt, um sie genauer zu betrachten, als der junge Mellish, ein Sohn meines alten Freundes, hereintrat und sich alsobald in bekannter Gesellschaft zu finden erklärte, indem er kurz vor seiner Abreise aus England sie zu Hamptoncourt wohlerhalten in den königlichen Zimmern verlassen hatte. Die Nachforschung ward leichter, ich erneuerte meine Verhältnisse zu Herrn Dr. Noehden, welcher auf die freundlichste Weise bemüht war, allen meinen [299] Wünschen entgegenzukommen. Zahl, Maß, Zustand, ja die Geschichte ihres Besitzes von Karl dem Ersten her, alles ward aufgeklärt, wie ich solches in »Kunst und Altertum«, vierter Band, zweites Heft, umständlich ausgeführt habe. Die von Mantegna selbst in Kupfer gestochenen Originalblätter aus dieser Folge kamen mir gleichfalls durch Freundesgunst zur Hand, und ich konnte alle zusammen, mit den Nachweisungen von Bartsch verglichen, nunmehr ausführlich erkennen und mich über einen so wichtigen Punkt der Kunstgeschichte ganz eigens aufklären.

Von Jugend auf war meine Freude, mit bildenden Künstlern umzugehen. Durch freie, leichte Bemühung entstand im Gespräch und aus dem Gespräch etwas vor unsern Augen; man sah gleich, ob man sich verstanden hatte, und konnte sich um desto eher verständigen. Dieses Vergnügen ward mir diesmal in hohem Grade: Herr Staatsrat Schultz brachte mir drei würdige Berliner Künstler nach Jena, wo ich gegen Ende des Sommers in der gewöhnlichen Gartenwohnung mich aufhielt. Herr Geheimerat Schinkel machte mich mit den Absichten seines neuen Theaterbaues bekannt und wies zugleich unschätzbare landschaftliche Federzeichnungen vor, die er auf einer Reise ins Tirol gewonnen hatte. Die Herren Tieck und Rauch modellierten meine Büste, ersterer zugleich ein Profil von Freund Knebel. Eine lebhafte, ja leidenschaftliche Kunstunterhaltung ergab sich dabei, und ich durfte diese Tage unter die schönsten des Jahres rechnen. Nach vollbrachtem Modell in Ton sorgte Hofbildhauer Kaufmann für eine Gipsform. Die Freunde begaben sich nach Weimar, wohin ich ihnen folgte und die angenehmsten Stunden wiederholt genoß. Es hatte sich in den wenigen Tagen so viel Produktives – Anlage und Ausführung, Plane und Vorbereitung, Belehrendes und Ergötzliches – zusammengedrängt, daß die Erinnerung daran immer wieder neu belebend sich erweisen mußte.

Von den berlinischen Kunstzuständen ward ich nunmehr aufs vollständigste unterrichtet, als HofratMeyer mir das Tagebuch eines dortigen Aufenthaltes mitteilte; so wie die [300] Betrachtung über Kunst und Kunstwerke im allgemeinen durch dessen Aufsätze in bezug auf Kunstschulen und Kunstsammlungen bis zu Ende des Jahrs lebendig erhalten wurde. Von moderner Plastik erhielt ich die vollständige Sammlung der Medaillons, welche Graf Tolstoi zu Ehren des großen Befreiungskrieges in Messing geschnitten hatte. Wie höchlich lobenswert diese Arbeit angesprochen werden mußte, setzten die Weimarischen Kunstfreunde in »Kunst und Altertum« mehr auseinander.

Leipziger Auktionen und sonstige Gelegenheiten verschafften meiner Kupferstichsammlung belehrende Beispiele. Braundrücke, nach Raffaelin da Reggio, einer Grablegung, wovon ich das Original schon einige Zeit besaß, gaben über die Verfahrungsart der Künstler und Nachbildner erfreulichen Aufschluß. Die »Sakramente« von Poussin ließen tief in das Naturell eines so bedeutenden Künstlers hineinschauen. Alles war durch den Gedanken gerechtfertigt, auf Kunstbegriff gegründet; aber eine gewisse Naivetät, die sich selbst und die Herzen anderer aufschließt, fehlte fast durchaus, und in solchem Sinne war eine Folge so wichtiger und verehrter Gegenstände höchst förderlich.

Auch kamen mir gute Abdrücke zu von Haldenwangs Aquatinta nach sorgfältigen Nahlischen Zeichnungen der vier Kasseler Claude Lorrains. Diese setzen immerfort in Erstaunen und erhalten um so größeren Wert, als die Originale, aus unserer Nachbarschaft entrückt, in dem hohen Norden nur wenigen zugänglich bleiben.

Der wackere, immer fleißige, den Weimarischen Kunstfreunden immer geneigt gebliebene FriedrichGmelin sendete von seinen Kupfern zum Virgil der Herzogin von Devonshire die meisten Probeabdrücke. Sosehr man aber auch hier seine Nadel bewunderte, so sehr bedauerte man, daß er solchen Originalen habe seine Hand leihen müssen. Diese Blätter, zur Begleitung einer Prachtausgabe der »Aeneis« von Annibale Caro bestimmt, geben ein trauriges Beispiel von der modernen realistischen Tendenz, welche sich hauptsächlich bei den Engländern [301] wirksam erweist. Denn was kann wohl trauriger sein, als einem Dichter aufhelfen zu wollen durch Darstellung wüster Gegenden, welche die lebhafteste Einbildungskraft nicht wieder anzubauen und zu bevölkern wüßte? Muß man denn nicht schon annehmen, daß Virgil zu seiner Zeit Mühe gehabt, sich jenen Urzustand der lateinischen Welt zu vergegenwärtigen, um die längst verlassenen, verschwundenen, durchaus veränderten Schlösser und Städte einigermaßen vor den Römern seiner Zeit dichterisch aufzustutzen? Und bedenkt man nicht, daß verwüstete, der Erde gleichgemachte, versumpfte Lokalitäten die Einbildungskraft völlig paralysieren und sie alles Auf- und Nachschwungs, der allenfalls noch möglich wäre, sich dem Dichter gleichzustellen, völlig berauben?

Die Münchener Steindrücke ließen uns die unaufhaltsamen Fortschritte einer so hochwichtigen Technik von Zeit zu Zeit anschauen. Die Kupfer zum »Faust«, von Retzsch gezeichnet, erschienen im Nachstich zu London höchst reinlich und genau. Ein historisches Blatt, die versammelten Minister beim Wiener Kongresse darstellend, ein Geschenk der Frau Herzogin von Kurland, nahm in den Portefeuillen des größten Formats seinen Platz.

Der älteste Grundsatz der Chromatik, die körperliche Farbe sei ein Dunkles, das man nur bei durchscheinendem Lichte gewahr werde, betätigte sich an den transparenten Schweizer Landschaften, welcheKönig von Schaffhausen bei uns aufstellte. Ein kräftig Durchschienenes setzte sich an die Stelle des lebhaft Beschienenen und übermannte das Auge so, daß anstatt des entschiedensten Genusses endlich ein peinvolles Gefühl eintrat.

Schließlich habe ich noch dankbar eines Steindrucks zu gedenken, welcher von Mainz aus, meinen diesjährigen Geburtstag feiernd, mit einem Gedicht freundlich gesendet wurde. Auch langte der Riß an zu einem Monument, welches meine teuren Landsleute mir zugedacht hatten. Als anmutige Verzierung einer idyllischen Gartenszene, wie der erste Freundesgedanke die Absicht aussprach, wär es dankbar anzuerkennen [302] gewesen, aber als große architektonische, selbständige Prachtmasse war es wohl geziemender, sie bescheiden zu verbitten.

Aber zu höheren, ja zu den höchsten Kunstbetrachtungen wurden wir aufgefordert, indem die Bau- und Bildwerke Griechenlands lebhafter zur Sprache kamen. An das Parthenon wurden wir aufs neue geführt, von den Elginischen Marmoren kam uns nähere Kunde, nicht weniger von den phigalischen. Die äußersten Grenzen menschlicher Kunsttätigkeit im höchsten Sinne und mit natürlichster Nachbildung wurden wir gewahr und priesen uns glücklich, auch dies erlebt zu haben.

Auch ein gleichzeitiger Freund fesselte Trieb und Einbildungskraft am Altertum; das neueste Heft vonTischbeins Bildwerken zum Homer gab zu manchen Vergleichungen Anlaß. Der mailändische Kodex der »Ilias«, obgleich aus späterer Zeit, war für die Kunstbetrachtungen von großem Belang, indem offenbar ältere herrliche Kunstwerke darin nachgebildet und deren Andenken dadurch für uns erhalten worden.

Der Aufenthalt Herrn Raabes in Rom und Neapel war für uns nicht ohne Wirkung geblieben. Wir hatten auf höhere Veranlassung demselbigen einige Aufgaben mitgeteilt, wovon sehr schöne Resultate uns übersendet wurden. Eine Kopie der »Aldobrandinischen Hochzeit«, wie der Künstler sie vorfand, ließ sich mit einer älteren, vor dreißig Jahren gleichfalls sehr sorgfältig gefertigten, angenehm vergleichen. Auch hatten wir, um das Kolorit der pompejischen Gemälde wieder ins Gedächtnis zu rufen, davon einige Kopien gewünscht, da uns denn der wackere Künstler mit Nachbildung der bekannten Zentauren und Tänzerinnen höchlich erfreute. Das chromatische Zartgefühl der Alten zeigte sich ihren übrigen Verdiensten völlig gleich, und wie sollt es auch einer so harmonischen Menschheit an diesem Hauptpunkte gerade gemangelt haben? Wie sollte, statt dieses großen Kunsterfordernisses, eine Lücke in ihrem vollständigen Wesen geblieben sein?

Als aber unser werter Künstler bei der Rückreise nach Rom diese seine Arbeit vorwies, erklärten sie die dortigen Nazarener für völlig unnütz und zweckwidrig. Er aber ließ sich dadurch [303] nicht irren, sondern zeichnete und kolorierte auf unsern Rat in Florenz einiges nach Peter von Cortona, wodurch unsere Überzeugung, daß dieser Künstler besonders für Farbe ein schönes Naturgefühl gehabt habe, sich abermals bestätigte. Wäre seit Anfang des Jahrhunderts unser Einfluß auf deutsche Künstler nicht ganz verlorengegangen, hätte sich der durch Frömmelei erschlaffte Geist nicht auf ergrauten Moder zurückgezogen, so würden wir zu einer Sammlung der Art Gelegenheit gegeben haben, die dem reinen Natur- und Kunstblick eine Geschichte älteren und neueren Kolorits, wie sie schon mit Worten verfaßt worden, in Beispielen vor Augen gelegt hätte. Da es aber einmal nicht sein sollte, so suchten wir nur uns und die wenigen zunächst Verbündeten in vernünftiger Überzeugung zu bestärken, indes jener wahnsinnige Sektengeist keine Scheu trug, das Verwerfliche als Grundmaxime alles künstlerischen Handelns auszusprechen.

Mit eigenen künstlerischen Produktionen waren wir in Weimar nicht glücklich. Heinrich Müller, der sich in München des Steindrucks befleißigt hatte, ward aufgemuntert, verschiedene hier vorhandene Zeichnungen, worunter auch Carstenssche waren, auf Stein zu übertragen; sie gelangen ihm zwar nicht übel, allein das unter dem Namen Weimarische Pinakothek ausgegebene erste Heft gewann bei überfülltem Markt, wo noch dazu sich vorzüglichere Ware fand, keine Käufer. Er versuchte noch einige Platten, allein man ließ das Geschäft innehalten in Hoffnung, bei verbesserter Technik in der Folge dasselbe wieder aufzunehmen.

Als mit bildender Kunst einigermaßen verwandt, bemerke ich hier, daß meine Aufmerksamkeit auf eigenhändige Schriftzüge vorzüglicher Personen dieses Jahr auch wieder angeregt worden, indem eine Beschreibung des Schlosses Friedland mit Faksimiles von bedeutenden Namen aus dem Dreißigjährigen Kriege herauskam, die ich an meine Originaldokumente sogleich ergänzend anschloß. Auch erschien zu derselben Zeit ein Porträt des merkwürdigen Mannes in ganzer Figur von der leichtgeübten Hand des Direktor Langer in Prag, wodurch [304] denn die Geister jener Tage zwiefach an uns wieder herangebannt wurden.

Von gleicher Teilnahme an Werken mancher Art wäre soviel zu sagen: Hermanns Programm »Über das Wesen und die Behandlung der Mythologie« empfing ich mit der Hochachtung, die ich den Arbeiten dieses vorzüglichen Mannes von jeher gewidmet hatte: denn was kann uns zu höherem Vorteil gereichen, als in die Ansichten solcher Männer einzugehen, die mit Tief- und Scharfsinn ihre Aufmerksamkeit auf ein einziges Ziel hin richten? Eine Bemerkung konnte mir nicht entgehen: daß die spracherfindenden Urvölker bei Benamung der Naturerscheinungen und deren Verehrung als waltender Gottheiten mehr durch das Furchtbare als durch das Erfreuliche derselben aufgeregt worden, so daß sie eigentlich mehr tumultuarisch zerstörende als ruhig schaffende Gottheiten gewahr wurden. Mir schienen, da sich denn doch dieses Menschengeschlecht in seinen Grundzügen niemals verändert, die neuesten geologischen Theoristen von ebendem Schlage, die ohne feuerspeiende Berge, Erdbeben, Kluftrisse, unterirdische Druck- und Quetschwerke (πιεσματα), Stürme und Sündfluten keine Welt zu erschaffen wissen.

Wolfs »Prolegomena« nahm ich abermals vor. Die Arbeiten dieses Mannes, mit dem ich in näheren persönlichen Verhältnissen stand, hatten mir auch schon längst auf meinem Wege vorgeleuchtet. Beim Studieren des gedachten Werkes merkt ich mir selbst und meinen innern Geistesoperationen auf. Da gewahrt ich denn, daß eine Systole und Diastole immerwährend in mir vorging. Ich war gewohnt, die beiden Homerischen Gedichte als Ganzheiten anzusehen, und hier wurden sie mir jedes mit großer Kenntnis, Scharfsinn und Geschicklichkeit getrennt und auseinandergezogen, und indem sich mein Verstand dieser Vorstellung willig hingab, so faßte gleich darauf ein herkömmliches Gefühl alles wieder auf einen Punkt zusammen, und eine gewisse Läßlichkeit, die uns bei allen wahren poetischen Produktionen ergreift, ließ mich die bekannt gewordenen Lücken, Differenzen und Mängel wohlwollend [305] übersehen. Reisigs Bemerkungen über den Aristophanes erschienen bald darauf; ich eignete mir gleichfalls, was mir gehörte, daraus zu, obgleich das Grammatische an sich selbst außerhalb meiner Sphäre lag. Lebhafte Unterhaltungen mit diesem tüchtigen jungen Manne, geistreich wechselseitige Mitteilungen verliehen mir bei meinem diesmaligen längeren Aufenthalt in Jena die angenehmsten Stunden.

Die französische Literatur, ältere und neuere, erregte auch diesmal vorzüglich mein Interesse. Den mir zum Lesen fast aufgedrungenen Roman »Anatole« mußt ich als genügend billigen. Die Werke der Madame Roland erregten bewunderndes Erstaunen. Daß solche Charaktere und Talente zum Vorschein kommen, wird wohl der Hauptvorteil bleiben, welchen unselige Zeiten der Nachwelt überliefern. Sie sind es denn auch, welche den abscheulichsten Tagen der Weltgeschichte in unsern Augen einen so hohen Wert geben. Die Geschichte der Johanna von Orleans in ihrem ganzen Detail tut eine gleiche Wirkung, nur daß sie in der Entfernung mehrerer Jahrhunderte noch ein gewisses abenteuerliches Helldunkel gewinnt. Ebenso werden die Gedichte Mariens von Frankreich durch den Duft der Jahre, der sich zwischen uns und ihre Persönlichkeit hineinzieht, anmutiger und lieber.

Von deutschen Produktionen war mir »Olfried und Lisena« eine höchst willkommene Erscheinung, worüber ich mich auch mit Anteil aussprach. Das einzige Bedenken, was sich auch in der Folge einigermaßen rechtfertigte, war: der junge Mann möchte sich in solchem Umfang zu früh ausgegeben haben. Werners »Makkabäer« und Houwalds »Bild« traten mir, jedes in seiner Art, unerfreulich entgegen; sie kamen mir vor wie Ritter, welche, um ihre Vorgänger zu überbieten, den Dank außerhalb der Schranken suchen. Auch enthielt ich mich von dieser Zeit an alles Neueren, Genuß und Beurteilung jüngeren Gemütern und Geistern überlassend, denen solche Beeren, die mir nicht mehr munden wollten, noch schmackhaft sein konnten.

In eine frühere Zeit jedoch durch Blumauers »Aeneis« versetzt, erschrak ich ganz eigentlich, indem ich mir vergegenwärtigen [306] wollte, wie eine so grenzenlose Nüchternheit und Plattheit doch auch einmal dem Tag willkommen und gemäß hatte sein können.»Touti Nameh« von Iken zog mich unerwartet wieder nach dem Orient. Meine Bewunderung jener Märchen, besonders nach der älteren Redaktion, wovon Kosegarten in dem Anhange uns Beispiele gab, erhöhte sich, oder vielmehr sie frischte sich an: Lebendige Gegenwart des Unerforschlichen und Unglaublichen ist es, was uns hier so gewaltsam erfreulich anzieht. Wie leicht wären solche unschätzbare naive Dinge durch mystische Symbolik für Gefühl und Einbildungskraft zu zerstören. Als völligen Gegensatz erwähne ich hier einer schriftlichen Sammlung lettischer Lieder, die, ebenso begrenzt wie jene grenzenlos, sich in dem natürlichsten, einfachsten Kreise bewegten.

In ferne Länder ward mein Anteil hingezogen und in die schrecklichsten afrikanischen Zustände versetzt durch Dumont, »In marokkanischer Sklaverei«, in Verhältnisse älterer und neuerer steigender und sinkender Bildung durch Labordes »Reise nach Spanien«. An die Ostsee führte mich ein geschriebenes Reisetagebuch von Zelter, das mir aufs neue die Überzeugung betätigte, daß die Neigung, die wir zum Reisenden hegen, uns aufs allersicherste entfernte Lokalitäten und Sitten vergegenwärtigt.

Bedeutende Persönlichkeiten, ferner und näher, forderten meine Teilnahme. Des SchweizerhauptmannLandolts Biographie von Weiß, besonders mit einigen handschriftlichen Zusätzen, erneuerten Anschauung und Begriff des wundersamsten Menschenkindes, das vielleicht auch nur in der Schweiz geboren und groß werden konnte. Ich hatte den Mann im Jahre 1779 persönlich kennengelernt und als Liebhaber von Seltsamkeiten und Exzentrizitäten die tüchtige Wunderlichkeit desselben angestaunt, auch mich an den Märchen, mit denen man sich von ihm trug, nicht wenig ergötzt. Hier fand ich nun jene früheren Tage wieder hervorgehoben und konnte ein solches psychisches Phänomen um so eher begreifen, als ich seine persönliche Gegenwart und die Umgebung, worin ich ihn kennengelernt, [307] der Einbildungskraft und dem Nachdenken zu Hülfe rief.

Näher berührte mich die zwischen Voß und Stolberg ausbrechende Mißhelligkeit, nicht sowohl der Ausbruch selbst als die Einsicht in ein vieljähriges Mißverhältnis, das klügere Menschen früher ausgesprochen und aufgehoben hätten. Aber wer entschließt sich leicht zu einer solchen Operation? Sind doch Ortsverhältnisse, Familienbezüge, Herkömmlichkeiten und Gewohnheiten schon abstumpfend genug; sie machen in Geschäften, im Eh- und Hausstande, in geselligen Verbindungen das Unerträgliche ertragbar. Auch hätte das Unvereinbare von Vossens und Stolbergs Natur sich früher ausgesprochen und entschieden, hätte nicht Agnes als Engel das irdische Unwesen besänftigt und als Grazioso eine furchtbar drohende Tragödie mit anmutiger Ironie durch die ersten Akte zu mildern gesucht. Kaum war sie abgetreten, so tat sich das Unversöhnliche hervor, und wir haben daraus zu lernen, daß wir zwar nicht übereilt, doch baldmöglichst aus Verhältnissen treten sollen, die einen Mißklang in unser Leben bringen, oder daß wir uns ein für allemal entschließen müssen, denselben zu dulden und aus anderm Betracht mit Weisheit zu übertragen. Eins ist freilich so schwer als das andere, indessen schicke sich jeder, so gut er kann, in das, was ihm begegnet in Gefolg von Ereignissen oder von Entschluß.

Mich besuchte Ernst Schubarth, dessen persönliche Bekanntschaft mir höchst angenehm war. Die Neigung, womit er meine Arbeiten umfaßt hatte, mußte mir ihn lieb und wert machen, seine sinnige Gegenwart lehrte mich ihn noch höher schätzen, und ob mir zwar die Eigenheit seines Charakters einige Sorge für ihn gab, wie er sich in das bürgerliche Wesen finden und fügen werde, so tat sich doch eine Aussicht auf, in die er mit günstigem Geschick einzutreten hoffen durfte.

Eigene Arbeiten und Vorarbeiten beschäftigten mich auf einen hohen Grad. Ich nahm den »Zweiten Aufenthalt in Rom« wieder vor, um der »Italienischen Reise« einen notwendigen Fortgang anzuschließen; sodann aber fand ich mich bestimmt, [308] die »Kampagne von 1792« und die »Belagerung von Mainz« zu behandeln. Ich machte deshalb einen Auszug aus meinen Tagebüchern, las mehrere auf jene Epochen bezügliche Werke und suchte manche Erinnerungen hervor. Ferner schrieb ich eine summarische Chronik der Jahre 1797 und 98 und lieferte zwei Hefte von »Kunst und Altertum« als Abschluß des zweiten Bandes und bereitete das erste des dritten vor, wobei ich einer abermaligen sorgfältigen Entwicklung der Motive der »Ilias« zu gedenken habe. Ich schrieb den »Verräter sein selbst«, die Fortsetzung des »Nußbraunen Mädchens« und förderte den ideellen Zusammenhang der»Wanderjahre«. Die freie Gemütlichkeit einer Reise erlaubte mir, dem »Divan« wieder nahe zu treten; ich erweiterte das »Buch des Paradieses« und fand manches in die vorhergehenden einzuschalten. Die so freundlich von vielen Seiten her begangene Feier meines Geburtstages suchte ich dankbar durch ein symbolisches Gedicht zu erwidern. Aufgeregt durch teilnehmende Anfrage, schrieb ich einen Kommentar zu dem abstrusen Gedicht »Harzreise im Winter«.

Von fremder Literatur beschäftigte mich »Graf Carmagnola«. Der wahrhaft liebenswürdige Verfasser, Alexander Manzoni, ein geborner Dichter, ward wegen theatralischer Ortsverletzung von seinen Landsleuten des Romantizismus angeklagt, von dessen Unarten doch nicht die geringste an ihm haftete. Er hielt sich an einem historischen Gange, seine Dichtung hatte den Charakter einer vollkommenen Humanität, und ob er gleich wenig sich in Tropen erging, so waren doch seine lyrischen Äußerungen höchst rühmenswert, wie selbst mißwollende Kritiker anerkennen mußten. Unsere guten deutschen Jünglinge könnten an ihm ein Beispiel sehen, wie man in einfacher Größe natürlich waltet; vielleicht dürfte sie das von dem durchaus falschen Transzendieren zurückbringen.

Musik war mir spärlich, aber doch lieblich zugemessen. Ein Kinderlied, zum Nepomuksfeste in Karlsbad gedichtet, und einige andere von ähnlicher Naivetät gab mir Freund Zelter in angemessener Weise und hohem Sinne zurück. Musikdirektor [309] Eberwein wandte sein Talent dem »Divan« mit Glück zu, und so wurde mir durch den allerliebsten Vortrag seiner Frau manche ergötzliche gesellige Stunde.

Einiges auf Personen Bezügliche will ich, wie ich es bemerkt finde, ohne weiteren Zusammenhang aufzeichnen. Der Herzog von Berry wird ermordet zum Schrecken von ganz Frankreich. Hofrat Jagemann stirbt zur Bedaurung von Weimar. Herrn von Gagerns längst ersehnte Bekanntschaft wird mir bei einem freundlichen Besuche, wo mir die eigentümliche Individualität des vorzüglichen Mannes entgegentritt. Ihro Majestät der König von Württemberg beehren mich in Begleitung unserer jungen Herrschaften mit Ihro Gegenwart. Hierauf habe ich das Vergnügen, auch seine begleitenden Kavaliere, werte Männer, kennenzulernen. In Karlsbad treff ich mit Gönnern und Freunden zusammen. Gräfin von der Recke und Herzogin von Kurland find ich wie sonst anmutig und teilnehmend gewogen. Mit Dr. Schütze werden literarische Unterhaltungen fortgesetzt. LegationsratConta nimmt einsichtigen Teil an den geognostischen Exkursionen. Die auf solchen Wanderungen und sonst zusammengebrachten Musterstücke betrachtet der Fürst von Thurn und Taxis mit Anteil, so wie auch dessen Begleitung sich dafür interessiert. Prinz Karl von Schwarzburg-Sondershausen zeigt sich mir gewogen. Mit Professor Hermann aus Leipzig führt mich das gute Glück zusammen, und man gelangt wechselseitig zu näherer Aufklärung.

Und so darf ich denn wohl auch zuletzt in Scherz und Ernst einer bürgerlichen Hochzeit gedenken, die auf dem Schießhause, dem sogenannten kleinen Versailles, gefeiert wurde. Ein angenehmes Tal an der Seite des Schlaggenwalder Weges war von wohlgekleideten Bürgern übersäet, welche sich, teils als Gäste des jungen Paars unter einer alles überschallenden Tanzmusik mit einer Pfeife Tabak lustwandelnd oder bei oft wieder gefüllten Gläsern und Bierkrüglein sitzend, gar traulich ergötzten. Ich gesellte mich zu ihnen und gewann in wenigen Stunden einen deutlichern Begriff von dem eigentlich städtischen Zustande Karlsbads, als ich in vielen Jahren [310] vorher mir nicht hatte zueignen können, da ich den Ort bloß als ein großes Wirts- und Krankenhaus anzusehen gewohnt war.

Mein nachheriger Aufenthalt in Jena wurde dadurch sehr erheitert, daß die Herrschaften einen Teil des Sommers in Dornburg zubrachten, wodurch eine lebhaftere Geselligkeit entstand, auch manches Unerwartete sich hervortat, wie ich denn den berühmten indischen Gaukler und Schwertverschlucker Krtom Balahja seine außerordentlichen Künste mit Erstaunen bei dieser Gelegenheit vortragen sah.

Gar mancherlei Besuche beglückten und erfreuten mich in dem alten Gartenhause und dem daran wohlgelegenen wissenschaftlich geordneten Botanischen Garten: Madame Rodde, geborne Schlözer, die ich vor vielen Jahren bei ihrem Vater gesehen hatte, wo sie als das schönste, hoffnungsvollste Kind zur Freude des strengen, fast mißmutigen Mannes glücklich emporwuchs. Dort sah ich auch ihre Büste, welche unser Landsmann Trippel kurz vorher in Rom gearbeitet hatte, als Vater und Tochter sich dort befanden. Ich möchte wohl wissen, ob ein Abguß davon noch übrig ist und wo er sich findet; er sollte vervielfältigt werden: Vater und Tochter verdienen, daß ihr Andenken erhalten bleibe. Von Both und Gemahlin aus Rostock, ein wertes Ehepaar, durch Herrn von Preen mir näher verwandt und bekannt, brachten mir eines Natur- und Nationaldichters, D. G. Babsts, Produktionen, welche sich neben den Arbeiten seiner Gleichbürtigen gar wohl und löblich ausnehmen. Höchst schätzbar sind seine Gelegenheitsgedichte, die uns einen altherkömmlichen Zustand in festlichen Augenblicken neu belebt wieder darstellen. Graf Paar, Adjutant des Fürsten von Schwarzenberg, dem ich in Karlsbad mich freundschaftlich verbunden hatte, versicherte mir durch unerwartetes Erscheinen und durch fortgesetzte vertrauliche Gespräche seine unverbrüchliche Neigung. Anton Prokesch, gleichfalls Adjutant des Fürsten, ward mir durch ihn zugeführt. Beide, von der Hahnemannischen Lehre durchdrungen, auf welche der herrliche Fürst seine Hoffnung gesetzt hatte, machten mich damit [311] umständlich bekannt, und mir schien daraus hervorzugehen, daß, wer, auf sich selbst aufmerksam, einer angemessenen Diät nachlebt, bereits jener Methode sich unbewußt annähert.

Herr von der Malsburg gab mir Gelegenheit, ihm für so manches aufklärende Vergnügen und tiefere Einsicht in die spanische Literatur zu danken. EinFellenbergscher Sohn brachte mir die menschenfreundlich bildenden Bemühungen des Vaters deutlicher zu Sinn und Seele. Frau von Helvig, geborne von Imhoff, erweckte durch ihre Gegenwart angenehme Erinnerungen früherer Verhältnisse, so wie ihre Zeichnungen bewiesen, daß sie auf dem Grund immer fortbaute, den sie in Gesellschaft der Kunstfreunde vor Jahren in Weimar gelegt hatte. Graf und GräfinHopffgarten sowie Förster und Frau brachten mir persönlich die Versicherung bekannten und unbekannten treuen Anteils an meinem Dasein. Geheimerat Rudolphi von Berlin sowie Professor Weiß gingen allzu schnell vorüber, und doch war ihre kurze Gegenwart mir zur aufmunternden Belehrung.

Für unsern Kreis erwarteten wir zu dieser Zeit Herrn Generalsuperintendenten Röhr. Welche große Vorteile durch ihn für uns sich bereiteten, war gleich bei seinem Eintritt zwar nicht zu berechnen, aber doch vorauszusehen. Mir kam er zur glücklichen Stunde; seine erste geistliche Handlung war die Taufe meines zweiten Enkels, dessen unentwickeltes Wesen mir schon manches Gute vorzudeuten schien. Geheimer Hofrat Blumenbach und Familie erfreuten uns einige Tage durch ihre Gegenwart, er immer der heitere, umsichtige, kenntnisreiche Mann von unerloschnem Gedächtnis, selbständig, ein wahrer Repräsentant der großen gelehrten Anstalt, als deren höchst bedeutendes Mitglied er so viele Jahre gewirkt hatte. Die lieben Verwandten, Rat Schlosser und Gattin, von Frankfurt am Main kommend, hielten sich einige Tage bei uns auf, und das vieljährig tätige freundschaftliche Verhältnis konnte sich durch persönliche Gegenwart nur zu höherem Vertrauen steigern. Geheimerat Wolf belebte die gründlichen literarischen [312] Studien durch seinen belehrenden Widerspruchsgeist, und bei seiner Abreise traf es sich zufällig, daß er den nach Halle berufenen Dr. Reisig als Gesellschafter mit dahin nehmen konnte, welchen jungen Mann ich nicht allein um meinetwillen sehr ungern scheiden sah. Dr. Küchelbecker von Petersburg, von Quandt und Gemahlin, von Arnim und Maler Ruhl brachten durch die interessantesten Unterhaltungen große Mannigfaltigkeit in unsere geselligen Tage.

Von seiten unserer fürstlichen Familie erfreute uns die Gegenwart Herzog Bernhards mit Gemahlin und Nachkommenschaft; fast zu gleicher Zeit aber sollten durch eine unglückliche Beschädigung unserer Frau Großherzogin, indem sie bei einem unversehenen Ausgleiten den Arm brach, die sämtlichen Ihrigen in Kummer und Sorge versetzt werden.

Nachträglich will ich noch bemerken, daß Ende Septembers die Revolution in Portugal ausbrach; daß ich persönlich einem Geschäft entging, dessen Übernahme bei großer Verantwortlichkeit mich mit unübersehbarem Verdruß bedrohte.

1821

Zu eigenen Arbeiten fand ich manche Veranlassung. Vieljährige Neigung und Freundschaft des GrafenBrühl verlangte zu Eröffnung des neuen Berliner Schauspielhauses einen Prolog, der denn wegen dringender Zeit gleichsam aus dem Stegreife erfunden und ausgeführt werden mußte. Die gute Wirkung war auch mir höchst erfreulich: denn ich hatte die Gelegenheit erwünscht gefunden, dem werten Berlin ein Zeichen meiner Teilnahme an bedeutenden Epochen seiner Zustände zu geben.

Ich faßte darauf die Paralipomena wieder an. Unter dieser Rubrik verwahre ich mir verschiedene Futterale, was noch von meinen Gedichten ungedruckt oder ungesammelt vorhanden sein mag. Sie zu ordnen und, da viel Gelegenheitsgedichte darunter sind, sie zu kommentieren pflegte ich von Zeit zu [313] Zeit, indem eine solche Arbeit in die Länge nicht anziehen kann.

Auch »Zahme Xenien« bracht ich zusammen, denn ob man gleich seine Dichtungen überhaupt nicht durch Verdruß und Widerwärtiges entstellen soll, so wird man sich doch im einzelnen manchmal Luft machen; von kleinen auf diese Weise entstehenden Produktionen sonderte ich die läßlichsten und stellte sie in Pappen zusammen.

Schon seit einigen Jahren hatte mich die Wolkenbildung nach Howard beschäftigt und große Vorteile bei Naturbetrachtungen gewährt. Ich schrieb ein »Ehrengedächtnis« in vier Strophen, welche die Hauptworte seiner Terminologie enthielten; auf Ansuchen Londoner Freunde sodann noch einen Eingang von drei Strophen zu besserer Vollständigkeit und Verdeutlichung des Sinnes.

Lord Byrons Invektive gegen die Edinburger, die mich in vielfachem Sinne interessierte, fing ich an zu übersetzen, doch nötigte mich die Unkunde der vielen Partikularien, bald innezuhalten. Desto leichter schrieb ich Gedichte zu einer Sendung von Tischbeins Zeichnungen und eben dergleichen zu Landschaften, nach meinen Skizzen radiert.

Hierauf ward mir das unerwartete Glück, Ihro des Großfürsten Nikolaus und Gemahlin Alexandra Kaiserliche Hoheit im Geleit unsrer gnädigsten Herrschaften bei mir in Haus und Garten zu verehren. Der Frau Großfürstin Kaiserliche Hoheit vergönnten, einige poetische Zeilen in das zierlichprächtige Album verehrend einzuzeichnen.

Auf Anregung eines teilnehmenden Freundes suchte ich meine in Druck und Manuskript zerstreuten naturwissenschaftlichen Gedichte zusammen und ordnete sie nach Bezug und Folge.

Endlich ward eine indische, mir längst im Sinne schwebende, von Zeit zu Zeit ergriffene Legende wieder lebendig, und ich suchte sie völlig zu gewältigen.

Geh ich nun von der Poesie zur Prosa hinüber, so habe ich zu erzählen, daß die »Wanderjahre« neuen Anteil erregten. [314] Ich nahm das Manuskript vor, aus einzelnen, zum Teil schon abgedruckten kleinen Erzählungen bestehend, welche, durch Wanderungen einer bekannten Gestalt verknüpft, zwar nicht auseinem Stück, aber doch in einem Sinn erscheinen sollten. Es war wenig daran zu tun, und selbst der widerstrebende Gehalt gab zu neuen Gedanken Anlaß und ermutigte zur Ausführung. Der Druck war mit Januar angefangen und in der Hälfte Mai beendigt.

»Kunst und Altertum«, dritten Bandes zweites Heft, behandelte man zu gleicher Zeit und legte darin manches nieder, was gebildeten Freunden angenehm sein sollte.

Sonderbar genug ergriff mich im Vorübergehen der Trieb, am vierten Bande von »Wahrheit und Dichtung« zu arbeiten; ein Dritteil davon ward geschrieben, welches freilich einladen sollte, das übrige nachzubringen. Besonders ward ein angenehmes Abenteuer von Lilis Geburtstag mit Neigung hervorgehoben, anderes bemerkt und ausgezeichnet. Doch sah ich mich bald von einer solchen Arbeit, die nur durch liebevolle Vertraulichkeit gelingen kann, durch anderweitige Beschäftigung zerstreut und abgelenkt.

Einige Novellen wurden projektiert: die gefährliche Nachlässigkeit, verderbliches Zutrauen auf Gewohnheit und mehr dergleichen ganz einfache Lebensmomente aus herkömmlicher Gleichgültigkeit heraus-und auf ihre bedeutende Höhe hervorgehoben.

In der Mitte November ward an der »Kampagne von 1792« angefangen. Die Sonderung und Verknüpfung des Vorliegenden erforderte alle Aufmerksamkeit; man wollte durchaus wahr bleiben und zugleich den gebührenden Euphemismus nicht versäumen. »Kunst und Altertum«, dritten Bandes drittes Heft, verfolgte gleichfalls seinen Weg; auch leichtere Bemühungen, wie etwa die Vorreden zum »Deutschen Gil Blas«, kleinere »Biographien zur Trauerloge«, gelangen freundlich in ruhigen Zwischenzeiten.

Von außen, auf mich und meine Arbeiten bezüglich, erschien gar manches Angenehme. Eine Übersetzung von »Howards [315] Ehrengedächtnis« zeigte mir, daß ich auch den Sinn der Engländer getroffen und ihnen mit der Hochschätzung ihres Landsmannes Freude gemacht. Dr. Noehden, bei dem Museum in London angestellt, übersetzte kommentierend meine Abhandlung über da Vincis Abendmahl, die er in trefflicher Ausgabe, auf das zierlichste gebunden, übersendet. »Rameaus Neffe« wird in Paris übersetzt und einige Zeit für das Original gehalten, und so werden auch meine Theaterstücke nach und nach übertragen. Meine Teilnahme an fremder wie an deutscher Literatur kann ich folgendermaßen bewähren.

Man erinnert sich, welch ein schmerzliches Gefühl über die Freunde der Dichtkunst und des Genusses an derselben sich verbreitete, als die Persönlichkeit des Homer, die Einheit des Urhebers jener weltberühmten Gedichte, auf eine so kühne und tüchtige Weise bestritten wurde. Die gebildete Menschheit war im tiefsten aufgeregt, und wenn sie schon die Gründe des höchst bedeutenden Gegners nicht zu entkräften vermochte, so konnte sie doch den alten Sinn und Trieb, sich hier nur eine Quelle zu denken, woher soviel Köstliches entsprungen, nicht ganz bei sich auslöschen. Dieser Kampf währte nun schon über zwanzig Jahre, und es war eine Umwälzung der ganzen Weltgesinnung nötig, um der alten Vorstellungsart wieder einigermaßen Luft zu machen.

Aus dem Zerstörten und Zerstückten wünschte die Mehrheit der klassisch Gebildeten sich wiederherzustellen, aus dem Unglauben zum Glauben, aus dem Sondern zum Vereinen, aus der Kritik zum Genuß wieder zu gelangen. Eine frische Jugend war herangewachsen, unterrichtet wie lebenslustig; sie unternahm mit Mut und Freiheit, den Vorteil zu gewinnen, dessen wir in unsrer Jugend auch genossen hatten, ohne die schärfste Untersuchung selbst den Schein eines wirksamen Ganzen als ein Ganzes gelten zu lassen. Die Jugend liebt das Zerstückelte überhaupt nicht, die Zeit hatte sich in manchem Sinne kräftig hergestellt, und so fühlte man schon den früheren Geist der Versöhnung wiederum walten.

Schubarths »Ideen über Homer« wurden laut, seine geistreiche [316] Behandlung, besonders die herausgehobene Begünstigung der Trojaner, erregten ein neues Interesse, und man fühlte sich dieser Art, die Sache anzusehn, geneigt. Ein englischer Aufsatz über Homer, worin man auch die Einheit und Unteilbarkeit jener Gedichte auf eine freundliche Weise zu behaupten suchte, kam zu gelegener Zeit, und ich, in der Überzeugung, daß, wie es ja bis auf den heutigen Tag mit solchen Werken geschieht, der letzte Redakteur und sinnige Abschreiber getrachtet habe, ein Ganzes nach seiner Fähigkeit und Überzeugung herzustellen und zu überliefern, suchte den Auszug der »Ilias« wieder vor, den ich zu schnellerer Übersicht derselben vor vielen Jahren unternommen hatte.

Die Fragmente »Phaëtons«, von Ritter Hermann mitgeteilt, erregten meine Produktivität. Ich studierte eilig manches Stück des Euripides, um mir den Sinn dieses außerordentlichen Mannes wieder zu vergegenwärtigen. Professor Göttling übersetzte die Fragmente, und ich beschäftigte mich lange mit einer möglichen Ergänzung.

»Aristophanes« von Voß gab uns neue Ansichten und ein frisches Interesse an dem seltsamsten aller Theaterdichter. Plutarch und Appian werden studiert, diesmal um der Triumphzüge willen, in Absicht, Mantegnas Blätter, deren Darstellungen er offenbar aus den Alten geschöpft, besser würdigen zu können. Bei diesem Anlaß ward man zugleich in den höchst wichtigen Ereignissen und Zuständen der römischen Geschichte hin und her geführt. Von Knebels Übersetzung des Lukrez, welcher nach vielfältigen Studien und Bemühungen endlich herauskam, nötigte zu weiteren Betrachtungen und Studien in demselben Felde; man ward zu dem hohen Stande der römischen Kultur ein halbes Jahrhundert vor Christi Geburt und in das Verhältnis der Dicht- und Redekunst zum Kriegs- und Staatswesen genötigt. Dionys von Halikarnaß konnte nicht versäumt werden, und so reizend war der Gegenstand, daß mehrere Freunde sich mit und an demselben unterhielten.

Nun war der Anteil an der englischen Literatur durch vielfache [317] Bücher und Schriften, besonders auch durch die Hüttnerischen höchst interessanten handschriftlichen Berichte, von London gesendet, immer lebendig erhalten. Lord Byrons früherer Kampf gegen seine schwachen und unwürdigen Rezensenten brachte mir die Namen mancher seit dem Anfange des Jahrhunderts merkwürdig gewordener Dichter und Prosaisten vor die Seele, und ich las daher Jacobsens biographische Chrestomathie mit Aufmerksamkeit, um von ihren Zuständen und Talenten das Genauere zu erfahren. Lord Byrons »Marino Faliero« wie sein »Manfred«, in Dörings Übersetzung, hielten uns jenen werten, außerordentlichen Mann immer vor Augen. »Kenilworth« von Walter Scott, statt vieler andern seiner Romane aufmerksam gelesen, ließ mich sein vorzügliches Talent, Historisches in lebendige Anschauung zu verwandeln, bemerken und überhaupt als höchst gewandt in dieser Dicht- und Schreibart anerkennen.

Unter Vermittlung des Englischen, nach Anleitung des werten Professor Kosegarten, wandte ich mich wieder eine Zeitlang nach Indien. Durch seine genaue Übersetzung des Anfangs von »Kamarupa« kam dieses unschätzbare Gedicht mir wieder lebendig vor die Seele und gewann ungemein durch eine so treue Annäherung. Auch »Nala« studierte ich mit Bewunderung und bedauerte nur, daß bei uns Empfindung, Sitten und Denkweise so verschieden von jener östlichen Nation sich ausgebildet haben, daß ein so bedeutendes Werk unter uns nur wenige, vielleicht nur Leser vom Fache sich gewinnen möchte.

Von spanischen Erzeugnissen nenne ich zuvörderst ein bedeutendes Werk: »Spanien und die Revolution«. Ein Gereister, mit den Sitten der Halbinsel, den Staats-, Hof- und Finanzverhältnissen gar wohl bekannt, eröffnet uns methodisch und zuverlässig, wie es in den Jahren, wo er selbst Zeuge gewesen, mit den innern Verhältnissen ausgesehen, und gibt uns einen Begriff von dem, was in einem solchen Lande durch Umwälzungen bewirkt wird. Seine Art, zu schauen und zu denken, sagt dem Zeitgeist nicht zu; daher sekretiert dieser das Buch [318] durch ein unverbrüchliches Schweigen, in welcher Art von Inquisitionszensur es die Deutschen weit gebracht haben.

Zwei Stücke von Calderon machten mich sehr glücklich: der absurdeste Gegenstand in »Aurora von Copacabana«, der vernunft- und naturgemäßeste, »Die Tochter der Luft«, beide mit gleichem Geist und überschwenglichem Talent behandelt, daß die Macht des Genies in Beherrschung alles Widersprechenden daraus aufs kräftigste hervorleuchtet und den hohen Wert solcher Produktionen doppelt und dreifach beurkundet.

Eine spanische Blumenlese, durch Gefälligkeit des Herrn Perthes erhalten, war mir höchst erfreulich; ich eignete mir daraus zu, was ich vermochte, obgleich meine geringe Sprachkenntnis mich dabei manche Hinderung erfahren ließ.

Aus Italien gelangte nur wenig in meinen Kreis:»Ildegonda« von Grossi erregte meine ganze Aufmerksamkeit, ob ich gleich nicht Zeit gewann, öffentlich darüber etwas zu sagen. Hier sieht man die mannigfaltigste Wirksamkeit eines vorzüglichen Talents, das sich großer Ahnherren rühmen kann, aber auf eine wundersame Weise. Die Stanzen sind ganz fürtrefflich, der Gegenstand modern unerfreulich, die Ausführung höchst gebildet nach dem Charakter großer Vorgänger: Tassos Anmut, Ariosts Gewandtheit, Dantes widerwärtige, oft abscheuliche Großheit, eins nach dem andern wickelt sich ab. Ich mochte das Werk nicht wieder lesen, um es näher zu beurteilen, da ich genug zu tun hatte, die gespensterhaften Ungeheuer, die mich bei der ersten Lesung verschüchterten, nach und nach aus der Einbildungskraft zu vertilgen.

Desto willkommener blieb mir »Graf Carmagnola«, Trauerspiel von Manzoni, einem wahrhaften, klar auffassenden, innig durchdringenden, menschlich fühlenden, gemütlichen Dichter.

Von der neuern deutschen Literatur durft ich wenig Kenntnis nehmen; meist nur, was sich unmittelbar auf mich bezog, konnt ich in meine übrige Tätigkeit mit aufnehmen. Zaupers »Grundzüge einer deutschen theoretisch-praktischen Poetik« brachten mich mir selbst entgegen und gaben mir, wie aus einem Spiegel, zu manchen Betrachtungen Anlaß. Ich sagte [319] mir: Da man ja doch zum Unterrichte der Jugend und zur Einleitung in eine Sprache Chrestomathien anwendet, so ist es gar nicht übel getan, sich an einen Dichter zu halten, der mehr aus Trieb und Schicksal denn aus Wahl und Vorsatz dahin gelangt, selbst eine Chrestomathie zu sein: denn da findet sich im ganzen doch immer ein aus dem Studium vieler Vorgänger gebildeter Sinn und Geschmack. Dieses beschränkt keineswegs den jüngeren Mann, der einen solchen Gang nimmt, sondern nötigt ihn, wenn er sich lange genug in einem gewissen Kreise eigensinnig umhergetrieben hat, zum Ausflug in die weite Welt und in die Ferne der Zeitalter, wie man an Schubarth sehen kann, der sich eine ganze Weile in meinem Bezirk enthielt und sich dadurch nur gestärkt fand, nunmehr die schwierigsten Probleme des Altertums anzugreifen und eine geistreiche Lösung zu bewirken. Dem guten Zauper sagte ich manches, was ihm förderlich sein konnte, und beantwortete seine »Aphorismen«, die er mir im Manuskript zusendete, mit kurzen Bemerkungen, für ihn und andere nicht ohne Nutzen.

Die Neigung, womit Dr. Kannegießer meine »Harzreise« zu entziffern suchte, bewog mich, in meine frühste Zeit zurückzugehen und einige Aufschlüsse über jene Epoche zu geben.

Ein Manuskript aus dem funfzehnten Jahrhundert, die Legende der Heiligen Drei Könige ins Märchenhafteste dehnend und ausmalend, hatte mich, da ich es zufällig gewann, in manchem Sinne interessiert. Ich beschäftigte mich damit, und ein geistreicher junger Mann, Dr. Schwab, mochte es übersetzen. Dieses Studium gab Anlaß zu Betrachtung, wie Märchen und Geschichten epochenweise gegen- und durcheinander arbeiten, so daß sie schwer zu sondern sind und man sie durch ein weiteres Trennen nur weiter zerstört.

Jedesmal bei meinem Aufenthalt in Böhmen bemüht ich mich einigermaßen um Geschichte und Sprache, wenn auch nur im allgemeinsten. Diesmal las ich wieder Zacharias Theobaldus' »Hussitenkrieg« und ward mit Stransky, »Respublica Bohemiae«, mit der Geschichte des Verfassers selbst und dem Werte des Werks zu Vergnügen und Belehrung näher bekannt. [320] Durch die Ordnung der akademischen Bibliothek zu Jena wurde auch eine Sammlung fliegender Blätter des sechzehnten Jahrhunderts dem Gebrauch zugänglich: einzelne Nachrichten, die man in Ermangelung von Zeitungen dem Publikum mitteilte, wo man unmittelbar mit dem ursprünglichen Faktum genauer bekannt wurde als jetzt, wo jedesmal eine Partei uns dasjenige mitteilt, was ihren Gesinnungen und Absichten gemäß ist, weshalb man erst hinterdrein die Tagesblätter mit Nutzen und wahrer Einsicht zu lesen in den Fall kommt.

Die unschätzbare Boisseréesche Sammlung, die uns einen neuen Begriff von früherer niederdeutscher Kunstmalerei gegeben und so eine Lücke in der Kunstgeschichte ziemlich ausgefüllt hat, sollte denn auch durch treffliche Steindrücke dem Abwesenden bekannt und der Ferne sogleich angelockt werden, sich diesen Schätzen persönlich zu nähern. Strixner, schon wegen seiner Münchner Arbeiten längst gerühmt, zeigte sich auch hier zu seinem großen Vorteil; und obgleich der auffallende Wert der Originalbilder in glänzender Färbung besteht, so lernen wir doch hier den Gedanken, den Ausdruck, die Zeichnung und Zusammensetzung kennen und werden, wie mit den oberdeutschen Künstlern durch Kupferstiche und Holzschnitte, so hier durch eine neuerfundene Nachbildungsweise auch mit den bisher unter uns kaum genannten Meistern des funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts vertraut. Jeder Kupferstichsammler wird sich diese Hefte gern anschaffen, da in Betracht ihres innern Wertes der Preis für mäßig zu achten ist.

So erschienen uns denn auch die Hamburger Steindrücke, meist Porträts, in Vortrefflichkeit von zusammen lebenden und arbeitenden Künstlern unternommen und ausgeführt. Wir wünschen einem jeden Liebhaber Glück zu guten Abdrücken derselben.

Vieles andere, was die Zeit hervorbrachte und was wohl für grenzenlos angesprochen werden kann, ist an anderem Orte genannt und gewürdigt.

Nun wollen wir noch einer eigenen Bemühung gedenken, [321] eines weimarisch-lithographischen Heftes mit erklärendem Text, das wir unter dem Titel einer »Pinakothek« herausgaben. Die Absicht war, manches bei uns vorhandene Mitteilungswerte ins Publikum zu bringen. Wie es aber auch damit mochte beschaffen sein, dieser kleine Versuch erwarb sich zwar manche Gönner, aber wenig Käufer und ward nur langsam und im stillen fortgesetzt, um den wackeren Künstler nicht ohne Übung zu lassen und eine Technik lebendig zu erhalten, welche zu fördern ein jeder Ort, groß oder klein, sich zum Vorteil rechnen sollte.

Nun aber brachte die Kupferstecherkunst nach langem Erwarten uns ein Blatt von der größten Bedeutung. Hier wird uns in schönster Klarheit und Reinlichkeit ein Bild Raffaels überliefert, aus den schönsten Jünglingsjahren; hier ist bereits soviel geleistet als noch zu hoffen. Die lange Zeit, welche der überliefernde Kupferstecher Longhi hierauf verwendet, muß als glücklich zugebracht angesehen werden, so daß man ihm den dabei errungenen Gewinn gar wohl gönnen mag.

Von Berlin kamen uns fast zu gleicher Zeit Musterblätter für Handwerker, die auch wohl einem jeden Künstler höchst willkommen sein müßten. Der Zweck ist edel und schön, einer ganzen großen Nation das Gefühl des Schönen und Reinen auch an unbelebten Formen mitzuteilen; daher ist an diesen Mustern alles musterhaft: Wahl der Gegenstände, Zusammenstellung, Folge und Vollständigkeit – Tugenden, welche zusammen, diesem Anfange gemäß, sich in den zu wünschenden Heften immer mehr offenbaren werden.

Nach so trefflichen ins Ganze reichenden Arbeiten darf ich wohl eines einzelnen Blattes gedenken, das sich zunächst auf mich bezieht, doch als Kunstwerk nicht ohne Verdienst bleibt; man verdankt es der Bemühung, welche sich Dawe, ein englischer Maler, bei seinem längeren hiesigen Aufenthalt um mein Porträt gegeben; es ist in seiner Art als gelungen anzusprechen und war es wohl wert, in England sorgfältig gestochen zu werden.

In die freie Welt wurden wir durch Landschaftszeichnungen [322] des Herrn David Heß aus Zürich hinausgeführt. Eine sehr schön kolorierte Aquatintenfolge brachte uns auf den Weg über den Simplon, ein Kolossalbau, der zu seiner Zeit viel Redens machte.

In ferne Regionen versetzten uns die Zeichnungen zu des Prinzen von Neuwied Durchlaucht brasilianischer Reise: das Wundersame der Gegenstände schien mit der künstlerischen Darstellung zu wetteifern.

Noch einer Künstelei muß ich gedenken, die aber als rätselhaft jeden guten erfinderischen Kopf in Anspruch nahm und beunruhigte: es war die Erfindung, eine Kupfertafel nach Belieben größer oder kleiner abzudrucken. Ich sah dergleichen Probeblätter bei einem Reisenden, der solche soeben als eine große Seltenheit von Paris gebracht hatte, und man mußte sich, ungeachtet der Unwahrscheinlichkeit, doch bei näherer Untersuchung überzeugen: der größere und kleinere Abdruck seien wirklich als eines Ursprungs anzuerkennen.

Um nun auch von der Malerei einiges Bedeutende zu melden, so verfehlen wir nicht zu eröffnen, daß, als auf höhere Veranlassung dem talentreichen Hauptmann Raabe nach Italien bis Neapel zu gehen Mittel gegönnt waren, wir ihm den Auftrag geben konnten, verschiedenes zu kopieren, welches zur Geschichte des Kolorits merkwürdig und für diesen wichtigen Kunstteil selbst förderlich werden möchte. Was er während seiner Reise geleistet und ins Vaterland gesendet sowie das nach Vollendung seiner Wanderschaft Mitgebrachte war gerade der lobenswürdige Beitrag, den wir wünschten. Die »Aldobrandinische Hochzeit« in ihrem neusten Zustande, die unschätzbaren Tänzerinnen und bacchischen Zentauren, von deren Gestalt und Zusammensetzung man allenfalls im Norden durch Kupferstiche unterrichtet wird, sah man jetzt gefärbt und konnte auch hier den großen antiken Geschmacksinn freudig bewundern. Solche Bemühung wollte freilich deutschen, von modernem Irrsal befangenen Kunstjüngern nicht einsichtig werden, weshalb man denn sowohl sich selbst als den verständigen Künstler zu beruhigen wußte.

[323] Angenähert dem antiken Sinne, erschien uns darauf Mantegnas »Triumphzug« abermals höchst willkommen; wir ließen, gestützt auf den eigenhändigen Kupferstich des großen Künstlers, das zehnte hinter den Triumphwagen bestimmte Blatt in gleicher Art und Größe zeichnen und brachten dadurch eine höchst lehrreich abgeschlossene Folge zur Anschauung.

Mit größter Sorgfalt in Zeichnung und Farbe nachgebildete Kopien alter Glasmalereien der Sankt Gereonskirche in Köln setzten jedermann in Verwunderung und gaben einen merkwürdigen Beleg, wie sich eine aus ihren ersten Elementen auftretende Kunst zu Erreichung ihrer Zwecke zu benehmen gewußt.

Anderes dieser niederdeutschen Schule, weiter heraufkommend und ausgebildeter, ward uns durch die Freundlichkeit des Boisseréeschen Kreises zuteil, wie uns denn auch später von Kassel ein neueres, zu dem Alten zurückstrebendes Kunstbemühen vor Augen kam: drei singende Engel von Ruhl, welche wir wegen ausführlicher Genauigkeit besonderer Aufmerksamkeit wertzuachten Ursache hatten.

Im Gegensatz jedoch von dieser strengen, sich selbst retardierenden Kunst kam uns von Antwerpen ein lebenslustiges Gemälde: Rubens als Jüngling, von einer schönen, stattlichen Frau dem alternden Lipsius vorgestellt, und zwar in dem unverändert aus jener Zeit her verbliebenen Zimmer, worin dieser auf seine Weise vorzügliche Mann als Revisor der Plantinischen Offizin gearbeitet hatte.

Unmittelbar stimmte hiezu eine Kopie nach den Söhnen Rubens' in Dresden, welche Gräfin Julie von Egloffstein vor kurzem lebhaft und glücklich vollendet hatte. Wir bewunderten zu gleicher Zeit ihr höchst geübtes und ausgebildetes Talent in einem Zeichenbuche, worin sie Freundesporträte sowie landschaftliche Familiensitze mit so großer Gewandtheit als Natürlichkeit eingezeichnet.

Endlich kam auch mein eigenes stockendes Talent zur Sprache, indem bedeutende und werte Sammler etwas von meiner Hand verlangten, denen ich denn mit einiger Scheu [324] willfahrte, zugleich aber eine ziemliche Anzahl von mehr als gewohnt reinlichen Blättern in einen Band vereinigte: Es waren die vom Jahre 1810, wo mich zum letzten Male der Trieb, die Natur nach meiner Art auszusprechen, monatelang belebte; sie durften für mich, des sonderbaren Umstands halber, einigen Wert haben.

Im Bezug auf die Baukunst verhielt ich mich eigentlich nur historisch, theoretisch und kritisch. Oberbaudirektor Coudray, gründlich, gewandt, so tätig als geistreich, gab mir Kenntnis von den bei uns zu unternehmenden Bauten, und das Gespräch darüber war mir höchst förderlich. Wir gingen manche bedeutende Kupferwerke zusammen durch, das neue von Durand: »Partie graphique des cours d'architecture etc.«, an kurz vergangene Zeit erinnernd; Richardson: »The New Vitruvius Britannicus«, und im einzelnen die stets musterhaften Zieraten Albertollis und Moreaus.

Höchst vollkommen in diesem Fache war eine Zeichnung, mir von Berlin durch das Wohlwollen des Herrn Theaterintendanten zugesendet, die Dekoration, innerhalb welcher bei Eröffnung des Theaters der von mir verfaßte Prolog gesprochen worden.

Boisserées Abhandlung über den Kölner Dom rief mich in frühere Jahrhunderte zurück; man bedurfte aber das Manuskript eher, als mir lieb war, und der mit augenblicklichem Interesse angesponnene Faden der Reflexionen zerriß, dessen ebenso eifriges Anknüpfen jedoch manchen Zufälligkeiten unterworfen sein möchte.

Hatte man nun dort die altdeutsche Baukunst auf ihrem höchst geregelten Gipfel erblickt, so ließen andere Darstellungen, wie z.B. die alten Baudenkmale im österreichischen Kaisertume, nur eine beim Hergebrachten ins Willkürliche auslaufende Kunst sehen.

An eine gute Zeit dieser Bauart erinnerte jedoch eine uralte jüdische Synagoge in Eger, einst zur christlichen Kapelle umgewandelt, jetzt verwaist vom Gottesdienste des Alten und Neuen Testaments. Die Jahrzahl einer alten hebräischen [325] Inschrift hoch am Pfeiler war selbst einem durchreisenden studierten Juden nicht zu entziffern. Dieselbe Zweideutigkeit, welche sowohl die Jahres- als Volkszahlen der Ebräer höchst unsicher läßt, waltet auch hier und hieß uns von fernerer Untersuchung abstehen.

In der Plastik zeigte sich auch einige Tätigkeit, wenn nicht im Vielen, doch im Bedeutenden; einige Büsten in Gips und Marmor vom Hofbildhauer Kaufmann erhalten Beifall, und eine kleinere Medaille mit Serenissimi Bild, in Paris zu fertigen, ward besprochen und beraten.

Theorie und Kritik, auch sonstiger Einfluß verfolgte seinen Gang und nützte bald im Engeren, bald im Breiteren. Ein Aufsatz des Weimarischen Kunstfreundes für Berlin, Kunstschulen und Akademien betreffend, ein anderer, auf Museen rücksichtlich, nach Überzeugung mitgeteilt, wenn auch nicht allerorten mit Billigung aufgenommen; eine Abhandlung über den Steindruck, die Meister solcher Kunst belobend, ihnen gewiß erfreulich: alles dieses zeigte von dem Ernst, womit man das Heil der Kunst von seiner Seite zu fördern mannigfaltig bedacht war.

Eine sehr angenehme Unterhaltung mit auswärtigen Freunden gewährte, durch Vermittelung von Kupferstichen, manche Betrachtung über Konzeption, höhere sowie technische Komposition, Erfinden und Geltendmachen der Motive. Der hohe Wert der Kupferstecherkunst in diesem historischen Sinne ward zugleich hervorgehoben und sie für ein Glück gehalten.

Die Musik versprach gleichfalls in meinem häuslichen Kreise sich wieder zu heben; Alexander Boucher und Frau mit Violine und Harfe setzten zuerst einen kleinen Kreis versammelter Freunde in Verwunderung und Erstaunen, wie es ihnen nachher mit unserm und dem so großen und an alles Treffliche gewöhnten Berliner Publikum gelang. Direktor Eberweins und seiner Gattin musikalisch-produktive und ausführende Talente wirkten zu wiederholtem Genuß, und in der Hälfte Mai konnte schon ein größeres Konzert gegeben werden. Rezitation und rhythmischen Vortrag zu vernehmen und [326] anzuleiten war eine alte, nie ganz erstorbene Leidenschaft. Zwei entschiedene Talente dieses Faches, Gräfin Julie Egloffstein und Fräulein Adele Schopenhauer, ergötzten sich, den Berliner Prolog vorzutragen, jede nach ihrer Weise, jede die Poesie durchdringend und ihrem Charakter gemäß in liebenswürdiger Verschiedenheit darstellend. Durch die kenntnisreiche Sorgfalt eines längst bewährten Freundes, Hofrat Rochlitz, kam ein bedachtsam geprüfter Streicherischer Flügel von Leipzig an, glücklicherweise: denn bald darauf brachte uns Zelter einen höchste Verwunderung erregenden Zögling, Felix Mendelssohn, dessen unglaubliches Talent wir ohne eine solche vermittelnde Mechanik niemals hätten gewahr werden können. Und so kam denn auch ein großes, bedeutendes Konzert zustande, wobei unser nicht genug zu preisende Kapellmeister Hummel sich gleichfalls hören ließ, der sodann auch von Zeit zu Zeit durch die merkwürdigsten Ausübungen den Besitz des vorzüglichen Instrumentes ins Unschätzbare zu erheben verstand.

Ich wende mich zur Naturforschung, und da hab ich vor allem zu sagen, daß Purkinjes Werk über das subjektive Sehen mich besonders aufregte. Ich zog es aus und schrieb Noten dazu und ließ in Absicht, Gebrauch davon in meinen Heften zu machen, die beigefügte Tafel kopieren, welche mühsame und schwierige Arbeit der genaue Künstler gern unternahm, weil er in früherer Zeit durch ähnliche Erscheinungen geängstigt worden und nun mit Vergnügen erfuhr, daß sie als naturgemäß keinen krankhaften Zustand andeuteten.

Da auf dem reinen Begriff vom Trüben die ganze Farbenlehre beruht, indem wir durch ihn zur Anschauung des Urphänomens gelangen und durch eine vorsichtige Entwicklung desselben uns über die ganze sichtbare Welt aufgeklärt finden, so war es wohl der Mühe wert, sich umzusehen, wie die verschiedenen Völker sich hierüber ausgedrückt, von wo sie ausgegangen und wie sie, roher oder zarter, in der Beziehung sich näherer oder entfernterer Analogien bedient. Man suchte gewisse Wiener Trinkgläser habhaft zu werden, auf welchen [327] eine trübe Glasur das Phänomen schöner als irgendwo darstellte.

Verschiedenes Chromatische wurde zum vierten Hefte aus früheren Papieren hervorgesucht, Bernardinus Telesius sowohl überhaupt als besonders der Farbe wegen studiert. Seebecks Vorlesung »Über die Wärme im prismatischen Sonnenbilde« war höchst willkommen, und die früheren eigenen Vorstellungen über diese merkwürdigen Erscheinungen erwachten wieder.

Hofmechanikus Körner beschäftigte sich, Flintglas zu fertigen, stellte in seiner Werkstatt nach französischen Vorschriften ein Instrument auf zu den sogenannten Polarisationsversuchen; das Resultat derselben war, wie man sich schon lange belehrt hatte, kümmerlich, und merkwürdig genug, daß zu gleicher Zeit eine Fehde zwischen Biot und Arago laut zu werden anfing, woraus für den Wissenden die Nichtigkeit dieser ganzen Lehre noch mehr an den Tag kam.

Herr von Henning von Berlin besuchte mich, er war in die »Farbenlehre«, dem zufolge, was ich mit ihm sprach, vollkommen eingeweiht und zeigte Mut, öffentlich derselben sich anzunehmen. Ich teilte ihm die Tabelle mit, woraus hervorgehen sollte, was für Phänomene und in welcher Ordnung man bei einem chromatischen Vortrag zu schauen und zu beachten habe.

In der Kenntnis der Oberfläche unsres Erdbodens wurden wir sehr gefördert durch Graf Sternbergs »Flora der Vorwelt«, und zwar deren erstes und zweites Stück. Hiezu gesellte sich die »Pflanzenkunde« von Rhode in Breslau. Auch des Urstiers, der aus dem Haßleber Torfbruch nach Jena gebracht und dort aufgestellt wurde, ist wohl als eines der neuesten Zeugnisse der früheren Tiergestalten hier zu erwähnen. Das »Archiv der Urwelt« hatte schon eines gleichen gedacht, und mir ward das besondere Vergnügen, mit Herrn Körte in Halberstadt bei dieser Gelegenheit ein früheres freundliches Verhältnis zu erneuern.

Die Absicht Kefersteins, einen geologischen Atlas für [328] Deutschland herauszugeben, war mir höchst erwünscht; ich nahm eifrig teil daran und war gern, was die Färbung betrifft, mit meiner Überzeugung beirätig. Leider konnte durch die Gleichgültigkeit der ausführenden Techniker gerade dieser Hauptpunkt nicht ganz gelingen. Wenn die Farbe zu Darstellung wesentlicher Unterschiede dienen soll, so müßte man ihr die größte Aufmerksamkeit widmen.

Die Marienbader Gebirgsarten sammelte man mit Sorgfalt; in Jena geordnet, wurden sie dann versuchsweise dem Publikum mitgeteilt, sowohl um mich selbst bei Wiederkehr eines Anhaltens zu versichern, als auch Nachfolgern dergleichen an die Hand zu geben. Sartorius übergab dem jenaischen Museum eine Folge der Gebirgsarten, von der Rhön sich herschreibend, als Beleg zu seiner dem Vulkan gewidmeten Abhandlung.

Auch in diesem Jahre lenkte ich die Aufmerksamkeit meiner schlesischen Freunde auf den Prieborner gegliederten Sandstein, oder wie man diese wundersame Gebirgsart nennen will, sowie auf die in früherer Zeit häufigen, aber nicht erkannten Blitzröhren bei Massel, an einem endlichen Gelingen nicht verzweifelnd.

Im allgemeinsten wurde ich gefördert durch d'Aubuisson de Voisins' »Geognosie« und durch Sorriot, »Höhenkarte von Europa«.

Meteorologie ward fleißig betrieben; Professor Posselt tat das Seinige; Kondukteur Schrön bildete sein Talent immer mehr aus; Hofmechanikus Körner war in allen technischen Vorrichtungen auf das sorgfältigste behülflich, und alles trug bei, die Absichten und Anordnungen des Fürsten möglichst zu befördern. Eine Instruktion für die sämtlichen Beobachter im Großherzogtum ward aufgesetzt, neue Tabellen gezeichnet und gestochen; die atmosphärischen Beobachtungen in der Mitte April waren merkwürdig sowie der Höherauch vom 27. Juni. Der junge Preller brachte meine Wolkenzeichnungen ins reine, und damit es an keinerlei Beobachtungen fehlen möge, beauftragte man den jenaischen Türmer, auf gewisse[329] Meteore aufmerksam zu sein. Indessen gaben die Dittmarischen Prophezeiungen viel zu reden, woraus aber weder Nutzen noch Beifall hervorging.

Wollte man ausführlicher von der belvederischen Tätigkeit in der Pflanzenkultur sprechen, so müßte man hiezu ein eigenes Heft verwenden. Erwähnt sei nur, daß ein Palmenhaus zustande kam, welches zugleich dem Kenner genügen und den Geschmack eines jeden Besuchenden befriedigen muß. Das entgegengesetzte Ende der tropischen Vegetation gaben getrocknete Pflanzenexemplare von der Insel Melville, welche durch Kummer und Dürftigkeit sich besonders auszeichneten und das letzte Verschwinden einer übrigens bekannten Vegetation vors Auge setzten. Der Klotz eines beschädigten und wieder zusammengewachsenen Baumstammes gab zu manchen Untersuchungen über die Wiederherstellungskraft der Natur Anlaß.

In Jena fing der Botanische Garten an, sich neu belebt zu zeigen; der demselben vorgesetzte Hofrat Voigt, imgleichen der dabei angestellte Kunstgärtner Baumann machten eine Reise nach Berlin, woher sie nicht ohne Vorteil für sich und die Anstalt zurückkehrten.

Ich ließ mir angelegen sein, die beiden Bände »Morphologie« und »Wissenschaftslehre« durch das vierte Heft abzuschließen, und behielt noch so viel Vorrat übrig, um auch wohl ein folgendes vorzubereiten.

1822

Zur altdeutschen Baukunst, zur Prüfung ihres Charakters durch Schätzung ihres Sinnes, zum Begriff der Zeit, worin sie entstand, führten mich zwei bedeutende Werke. Mollers »Deutsche Baudenkmale«, deren erstes Heft nun geschlossen, lagen uns vor. Nach mehreren Probedrücken erschien auch das erste Heft des Boisseréeschen Domwerks. Ein großer Teil des Textes, den ich vorher im Manuskript studiert hatte, lag bei, [330] und die Überzeugung bestätigte sich, daß zu richtiger Einsicht in dieser Sache Zeit, Religion, Sitte, Kunstfolge, Bedürfnis, Anlage der Jahrhunderte, wo diese Bauart überschwenglich ausgedehnt in Anwendung blühte, alles zusammen als eine große lebendige Einheit zu betrachten sei. Wie sich nun an das Kirchtum auch das Rittertum anschloß zu anderm Bedürfnis in gleichem Sinne, wollte ebenmäßig wohl erwogen sein.

Die Plastik brachte wenig, aber Bedeutendes. Die kleinere Medaille mit Serenissimi Bild und der Inschrift »Doctarum frontium praemia« ward in Paris von Barre geschnitten. Ein kleiner Bacchus von Bronze, echt antik und von der größten Zierlichkeit, ward mir durch die Geneigtheit des Herrn Major von Staff. Er war auf dem Feldzuge nach Italien durch Welschland bis nach Kalabrien gekommen und hatte manches hübsche Kunstwerk anzuschaffen Gelegenheit. Meine Vorliebe für solche Werke kennend, verehrte er mir das kleine Bild, welches, wie ich es ansehe, mich zu erheitern geeignet ist.

Tischbein, aus alter guter Neigung, überraschte mich durch eine Gemme mit Storch und Fuchs, die Arbeit roh, Gedanke und Komposition ganz vortrefflich.

Ich erhalte Howards »Klima von London«, zwei Bände. Posselt schreibt eine Rezension. Die inländischen Beobachtungen gehen nach allen Rubriken fort und werden regelmäßig in Tabellen gebracht. Direktor Bischóf von Dürrenberg dringt auf vergleichende Barometerbeobachtungen, denen man entgegenkommt. Zeichnungen der Wolkengestalten wurden gesammelt, mit Aufmerksamkeit fortgesetzt. Beobachten und Überlegen gehen gleichen Schrittes, dabei wird durch synoptisch-graphische Darstellung der gleichförmige Gang so vieler, wo nicht zu sagen aller Barometer, deren Beobachtungen sich von selbst parallel stellten, zum Anlaß, eine tellurische Ursache zu finden und das Steigen und Fallen des Quecksilbers innerhalb gewisser Grenzen einer stetig veränderten Anziehungskraft der Erde zuzuschreiben.

Bei meinem diesmaligen Aufenthalt in Böhmen ward die [331] geologische Sammlung der Marienbader Gegend wieder aufgenommen und vervollständigt in bezug auf die Akten und das in den Druck gegebene Verzeichnis. In einem Schranke wurden solche, wohlgeordnet, bei der Abreise Dr. Heidler übergeben als Grundlage für künftige Naturforscher. Das Tepler Museum verehrt mir schönen Kalkschiefer mit Fischen und Pflanzen von der Herrschaft Waltsch. Angenehmes und lehrreiches Einsprechen des Herrn von Buch. In Eger traf ich den für Naturkunde aufmerksamen Herrn Rat Grüner beschäftigt, eine uralte kolossale Eiche, die quer über das Flußbett im Tiefen gelegen hatte, hervorziehen zu lassen. Die Rinde war völlig braunkohlenartig. Sodann besuchten wir den ehemaligen Kalkbruch von Dölitz, wo der Mammutszahn sich herschrieb, der, lange Zeit als merkwürdiges Erbstück der besitzenden Familie sorgfältig aufbewahrt, nunmehr für das Prager Museum bestimmt wurde. Ich ließ ihn abgießen, um ihn zur nähern Untersuchung an Herrn d'Alton mitzuteilen.

Mit durchreisenden Fremden wurde das Gesammelte betrachtet wie auch der problematische Kammerberg wieder besucht. Bei allem diesem war Dlask, »Naturgeschichte von Böhmen«, förderlich und behülflich.

Herr von Eschwege kommt aus Brasilien, zeigt Juwelen, Metalle und Gebirgsarten vor. Serenissimus machen bedeutenden Ankauf. Bei dieser Gelegenheit wird mir die Edelsteinsammlung übergeben, welche früher aus der Brückmannischen Erbschaft erkauft wurde. Mir war höchst interessant, eine solche von einem früheren passionierten Liebhaber und für seine Zeit treuen und umsichtigen Kenner zusammengestellte Folge zu revidieren, das später Akquirierte einzuschalten und dem Ganzen ein fröhliches Ansehn zu geben. Eine Zahl von funfzig rohen Demantkristallen, merkwürdig einzeln, noch mehr der Reihe nach betrachtet, jetzt von Herrn Soret nach ihrer Gestaltung beschrieben und geordnet, gab mir eine ganz neue Ansicht über dieses merkwürdige und höchste Naturereignis. Ferner teilte Herr von Eschwege brasilianische [332] Gebirgsarten mit, die abermals bewiesen, daß die Gebirgsarten der Neuen Welt mit denen der Alten in der ersten Urerscheinung vollkommen übereinstimmen; wie denn auch sowohl seine gedruckten als handschriftlichen Bemerkungen hierüber dankenswerten Aufschluß verleihen.

Zur Pflanzenkunde verfertigte ich das »Schema zur Pflanzenkultur im Großherzogtum Weimar«. Ein wunderbar gezeichnetes Buchenholz gewann ich als pathologisches Phänomen. Ein gespaltener Klotz war es von einem Buchstamme, in welchem sich entdeckte, daß vor mehreren Jahren die Rinde regelmäßig mit einem eingeschnittenen Kreuze bezeichnet worden, welches aber, vernarbend überwachsen, in den Stamm eingeschlossen, sich nunmehr in der Spaltung als Form und Abdruck wiederholt.

Das Verhältnis zu Ernst Meyer gab mir neues Leben und Anregung. Das Geschlecht Juncus, von demselben näher bestimmt und durchgeführt, bracht ich mir mit Beihülfe von Host, »Gramina Austriaca«, zur Anschauung.

Und so muß ich noch zum Schluß eines riesenhaften Cactus melocactus, von Herrn Andreä zu Frankfurt gesendet, dankbar erwähnen.

Für das Allgemeine erschienen mehrere bedeutende Werke. Die große naturgeschichtliche Karte von Wilbrand und Ritgen in bezug auf das Element des Wassers und auf Bergeshöhe, wie sich die Organisation überall verhalte. Ihr Wert ward sogleich anerkannt, die schöne augenfällige Darstellung an die Wand geheftet, zum täglichen Gebrauch vorgezeigt und kommentiert in geselligen Verhältnissen und immerfort studiert und benutzt.

Kefersteins »Geognostisches Deutschland« war in seiner Fortsetzung gleichfalls sehr förderlich und wäre es bei genauerer Färbung noch mehr gewesen. Man wird sich's in solchen Fällen noch öfter wiederholen müssen, daß da, wo man durch Farben unterscheiden will, sie doch auch unterscheidbar sein sollten.

Das vierte Heft meiner morphologischen und naturwissenschaftlichen [333] Bemühungen ward sorgfältig durchdacht und ausgeführt, da mit ihm die beiden Bände für diesmal geschlossen sein sollten.

»Die Veränderung der Erdoberfläche« von Herrnvon Hoff gab neuen Reiz. Hier liegt ein Schatz, zu welchem man immer etwas hinzutun möchte, indem man sich daran bereichert.

Ich erhielt zu Anfrischung der Berg- und Gesteinlust bedeutende Pflanzenabdrücke in Kohlenschiefer durch den sorgfältigen und diesen Studien ergebenen Rentamtmann Mahr. Fichtelbergische Mineralien erhalte ich von Redwitz, manches andere von Tirol, wogegen ich den Freunden verschiedenes zusende. HerrSoret vermehrt meine Sammlung durch manches Bedeutende sowohl aus Savoyen als aus der Insel Elba und fernern Gegenden. Seine kristallographische Kenntnis war höchst förderlich in Bestimmung der Diamanten und anderer näher zu bezeichnenden Mineralien, wobei er denn die von ihm in Druck verfaßten Aufsätze willig mitteilte und besprach.

Im Chromatischen ward mir großer Gewinn, indem endlich die Hoffnung erschien, daß ein Jüngerer die Pflicht über sich nehmen wolle, dieses wichtige Kapitel durchzuführen und durchzufechten. Herr von Henning besuchte mich und brachte höchst glücklich geratene entoptische Gläser, auch schwarze Glasspiegel mit, welche verbunden durchaus alle wünschenswerten Phänomene ohne viel weitere Umständlichkeit vor die Augen bringen. Die Unterhaltung war leicht, er hatte das Geschäft durchdrungen, und manche Frage, die ihm übrigblieb, konnt ich ihm gar bald beantworten. Er erzählte von seinen Vorlesungen, wie er es damit gehalten, und zu denen er mir schon die Einleitung mitgeteilt. Wechselseitig tauschte man Ansicht und Versuche; einen älteren Aufsatz über Prismen in Verbindung mit Linsen, die man im bisherigen Vortrag zu falschen Zwecken angewendet, überlieferte ich ihm, und er dagegen regte mich an, die chromatischen Akten und Papiere nunmehr vollkommener und sachgemäßer zu ordnen. Dieses alles geschah im Herbst und gab mir nicht wenig Beruhigung.

Ein entoptischer Apparat war für Berlin eingerichtet und [334] fortgesendet, indessen die einfachen entoptischen Gläser mit schwarzen Glasspiegeln auf einen neuen Weg leiteten, die Entdeckungen vermehrten, die Ansicht erweiterten und sodann zu der entoptischen Eigenschaft des schmelzenden Eises Gelegenheit gaben.

Die »Farbentabelle« wurde revidiert und abgedruckt; ein höchst sorgfältiges Instrument, die Phänomene der Lichtpolarisation nach französischen Grundsätzen sehen zu lassen, ward bei mir aufgestellt, und ich hatte Gelegenheit, dessen Bau und Leistung vollkommen kennenzulernen.

In der Zoologie förderte mich Carus' »Urwirbel«, nicht weniger eine Tabelle, in welcher die Filiation sämtlicher Wirbelverwandlungen anschaulich verzeichnet war. Hier empfing ich nun erst den Lohn für meine früheren allgemeinen Bemühungen, indem ich die von mir nur geahnte Ausführung bis ins einzelne vor Augen sah. Ein gleiches ward mir, indem ich d'Altons frühere Arbeit über die Pferde wieder durchnahm und sodann durch dessen »Pachyderme und Raubtiere« belehrt und erfreut wurde.

Der hinter dem Ettersberg im Torfbruche gefundene Urstier beschäftigte mich eine Zeitlang. Er ward in Jena aufgestellt, möglichst restauriert und zu einem Ganzen verbunden. Dadurch kam ich wieder mit einem alten Wohlwollenden in Berührung, Herrn Dr. Körte, der mir bei dieser Gelegenheit manches Angenehme erwies.

Heinroths »Anthropologie« gab mir Aufschlüsse über meine Verfahrungsart in Naturbetrachtungen, als ich eben bemüht war, mein naturwissenschaftliches Heft zustande zu bringen.

Herr Purkinje besuchte uns und gewährte einen entschiedenen Begriff von merkwürdiger Persönlichkeit und unerhörter Anstrengung und Aufopferung.

Indem ich zu meiner eigenen Aufklärung Kunkels »Glasmacherkunst«, die ich bisher in düsterem Vorurteil und ohne wahre Schätzung betrachtet hatte, genauer zu kennen und anschaulicher zu machen wünschte, hatte ich manche Kommunikation mit Herrn Dr. Döbereiner, welcher mir die neusten [335] Erfahrungen und Entdeckungen mitteilte. Gegen Ende des Jahrs kam er nach Weimar, um vor Serenissimo und einer gebildeten Gesellschaft die wichtigen Versuche galvanisch-magnetischer wechselseitiger Einwirkung mit Augen sehen zu lassen und erklärende Bemerkungen anzuknüpfen, die bei kurz vorher erfreuendem Besuche des Herrn Professor Oersted nur um desto erwünschter sein mußten.

Was gesellige Mitteilungen betrifft, war dieses Jahr unserem Kreise gar wohl geraten; zwei Tage der Woche waren bestimmt, unsern gnädigsten Herrschaften bei mir einiges Bedeutende vorzulegen und darüber die nötigen Aufklärungen zu geben. Hiezu fand sich denn jederzeit neuer Anlaß, und die Mannigfaltigkeit war groß, indem Altes und Neues, Kunstreiches und Wissenschaftliches jederzeit wohl aufgenommen wurde.

Jeden Abend fand sich ein engerer Kreis bei mir zusammen, unterrichtete Personen beiderlei Geschlechts; damit aber auch der Anteil sich erweiterte, setzte man den Dienstag fest, wo man sicher war, eine gute Gesellschaft an dem Teetisch zusammen zu sehen; auch vorzügliche, Geist und Herz erquickende Musik ward von Zeit zu Zeit vernommen. Gebildete Engländer nahmen an diesen Unterhaltungen teil, und da ich außerdem gegen Mittag gewöhnlich Fremde auf kurze Zeit gern annahm, so blieb ich zwar auf mein Haus eingeschränkt, doch immer mit der Außenwelt in Berührung, vielleicht inniger und gründlicher, als wenn ich mich nach außen bewegt und zerstreut hätte.

Ein junger Bibliothek- und Archivsverwandter macht ein Repertorium über meine sämtlichen Werke und ungedruckten Schriften, nachdem er alles sortiert und geordnet hatte.

Bei dieser Gelegenheit fand sich auch ein vorläufiger Versuch, die Chronik meines Lebens zu redigieren, der bisher vermißt war, wodurch ich mich ganz besonders gefördert sah. Ich setzte gleich darauf mit neuer Lust die Arbeit fort durch weitere Ausführung des Einzelnen.

Van Brée aus Antwerpen sendete seine Hefte »Zur Lehre [336] der Zeichenkunst«. Tischbeins »Homer«, siebentes Stück, kam an. Die große Masse lithographischer Zeichnungen von Strixner und Piloty sonderte ich nach Schulen und Meistern, wodurch denn die Sammlung zuerst wahrhaften Wert gewann. Steindrücke von allen Seiten dauerten fort und brachten manches gute Bild zu unsrer Kenntnis. Einem Freund zuliebe erklärte ich ein paar problematische Kupfer, Polidors »Manna« und ein Tizianisches Blatt, Landschaft, Sankt Georg mir dem Drachen und der ausgesetzten Schönheit; »Mantegnas Triumphzug« ward fernerweit redigiert.

Maler Kolbe von Düsseldorf stellte hier einige Arbeiten aus und vollendete verschiedene Porträte; man freute sich, diesen wackern Mann, den man schon seit den weimarischen Kunstausstellungen gekannt, nunmehr persönlich zu schätzen und sich seines Talents zu freuen. Gräfin Julie Egloffstein machte bedeutende Vorschritte in der Kunst. Ich ließ die Radierungen nach meinen Skizzen austuschen und ausmalen, um sie an Freunde zu überlassen.

Meyers »Kunstgeschichte« ward schließlich mundiert und dem Druck angenähert. Dr. Carus gab einen sehr wohlgedachten und wohlgefühlten Aufsatz über Landschaftsmalerei in dem schönen Sinne seiner eigenen Produktionen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Werke. Autobiographisches. Tag- und Jahreshefte. Tag- und Jahreshefte. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-601E-1