Die Reliquie

Ich kenn, o Jüngling, deine Freude,
Erwischest du einmal zur Beute
Ein Band, ein Stückchen von dem Kleide,
Das dein geliebtes Mädchen trug.
Ein Schleier, Halstuch, Strumpfband, Ringe
Sind wirklich keine kleinen Dinge,
Allein mir sind sie nicht genug.
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Mein zweites Glücke nach dem Leben,
Mein Mädchen hat mir was gegeben;
Setzt eure Schätze mir darneben,
Und ihre Herrlichkeit wird nichts.
Wie lach ich all der Trödelware!
Sie schenkte mir die schönsten Haare,
Den Schmuck des schönen Angesichts.
Soll ich dich gleich, Geliebte, missen,
Wirst du mir doch nicht ganz entrissen:
Zu sehn, zu tändeln und zu küssen
Bleibt mir der schönste Teil von dir.
Gleich ist des Haars und mein Geschicke:
Sonst buhlten wir mit einem Glücke
Um sie, jetzt sind wir fern von ihr.
Fest waren wir an sie gehangen;
Wir streichelten die runden Wangen
Und gleiteten oft mit Verlangen
Von da herab zur rundern Brust.
O Nebenbuhler, frei vom Neide,
Reliquie, du schöne Beute,
Erinnre mich der alten Lust.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Werke. Gedichte. (Gedichte. Nachlese). Neue Lieder. Die Reliquie. Die Reliquie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6511-6