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An Carl Friedrich von Reinhard

Um 4. November ist mein zweyter Band von Jena an Sie abgegangen; am 7. führten Sie Sich freundlich gedrungen, mir wieder einmal mit heiterer Zutraulichkeit zu schreiben. Darauf will ich sogleich dankbarlich erwidern, und zwar wie es mir nicht oft geschieht, [148] Ihren Brief vor den Augen und punctweise wie Sie gesprochen haben.

Was ich Ihnen jedesmal schreibe ist eigentlich nur zwischen uns beyden. Mögen Sie etwas davon irgend jemandem mittheilen, so werde ich so wenig dazu scheel sehen, als wenn Sie ein zwischen uns zweyen angefangenes Gespräch in Gegenwart eines dritten fortsetzen. Das Recht, das Sie ihm geben, gestehe ich ihm gern zu.

Von der Kaiserinn von Östreich habe ich mir abgewöhnt zu reden. Es ist immer nur ein abstracter Begriff, den man von solchen Vollkommenheiten ausdrückt, und da mich im Innersten eigentlich nur das Individuelle in seiner schärfsten Bestimmung interessirt, wovon mein zweyter Band wohl auch wieder ein Beleg seyn wird; so fühle ich mich im Stillen glücklich, eine solche ungemeine Personalität im Busen immerfort wieder aufzubauen und mir selbst wieder darzustellen, da ich das Glück gehabt habe, ihre besonderen Züge mir zu vergegenwärtigen und sie festzuhalten.

Mein allerliebstes Abenteuer mit Fräulein Sophie giebt zu sehr ernsthaften Betrachtungen Anlaß. Die wahren Tugenden und die wahren Mängel eines Menschen kommen nie zur Evidenz, und was man von ihm hin und wieder trägt, sind alberne Mährchen. Bey sehr vielen Gebrechen, die ich wohl eingestehe, war Undankbarkeit gegen schöne Augen und [149] Gefräßigkeit nie mein Fehler. Es sind mir oft Geschichten erzählt worden, was ich sollte gethan und gesagt haben, und habe ich auch nicht eine darunter gefunden, die mich gefreut hätte, die im Guten oder Bösen, zu meinem Vortheil oder Nachtheil, in dem Sinn meiner Natur und meiner Art zu seyn wäre erfunden gewesen.

Ich könnte diesen Halb-Ernst mit einem Ganz-Ernst schließen. – Grüßen Sie indessen das schöne Kind und lassen Sie uns allseits auf ein fröhliches Wiedersehen hoffen.

Die Barmeciden wäre ich neugirig zu sehen. Es ist nicht das erste Mal, daß jemand, von dem Interesse eines ganz besondern Zustands penetrirt, sich gedrungen fühlt, dieses Complicirte, Unaussprechliche in dramatischer, theatralischer Form darzustellen. Aus diesem letzten Gesichtspunct betrachtet, kann die ganze Arbeit vielleicht nicht viel taugen, und doch hat der Mann uns wohl etwas überliefert, was er discursiv und narrativ nicht geben können. Ich müßte mich sehr irren, wenn das Stück nicht von dieser Seite für mich einiges Verdienst hätte.

Ihr Oppositonair muß in Weimar bey'm Aufstehen mit dem linken Fuß in den Pantoffel geschlüpft seyn. Im Theater und sonst war er mit allem recht wohl zufrieden, theilnehmend und liberal. Ich gab ihm mit dem besten Willen Renseignements [150] über alles, wornach er nur irgend fragen mochte und hätte mein freundliches Benehmen um Ihret- und seinetwillen recht gerne länger fortgesetzt. Wir können uns jetzt alle als Strandbewohner ansehen und täglich erwarten, daß einer vor unserer Hüttenthüre, wo nicht mit seiner Existenz doch mit seinen Hoffnungen scheitert. Milde zu seyn kostet mich nichts, da meine Härte und Strenge nur factice und Selbsvertheidigung ist.

Fürst Kurakin hat sich länger in Weimar aufgehalten als erst seine Absicht war. Seine Gegenwart konnte man unserer lieben Hoheit wohl gönnen. Ich habe ihn einige Male bey Hofe gesehen und seine Heiterkeit und Facilität nach so viel Brand- und andern Leiden angestaunt. Seit dem 1. November aber bin ich hier mit der lieben Einsamkeit vertraut, der ich denn auch danke, daß ich mich mit Ihnen wieder einmal brieflich weitläuftig unterhalten kann.

Die Welt ist größer und kleiner als man denkt. Sie erhalten zu bedenklicher Zeit einen Paß in Osten und geben wieder zu gleich- und mehrbedenklicher Zeit einen Paß im Westen, nicht gerade an denselben, aber doch an einen Nahverwandten. Wer sich bewegt berührt die Welt und wer ruht, den berührt sie. Deswegen müssen wir immer bereit seyn zu berühren, oder berührt zu werden.

Daß Moskau verbrannt ist, thut mir gar nichts. Die Weltgeschichte will künftig auch was zu erzählen haben. Delhi ging auch erst nach der Eroberung [151] zu Grunde, aber durch die ††††† der Eroberer, Moskau geht zu Grunde nach der Eroberung, aber durch die ††††† der Eroberten. Einen solchen Gegensatz durchzuführen würde mir außerordentlichen Spaß machen, wenn ich ein Redner wäre. Wenn wir nun aber auf uns selbst zurückzukehren und Sie in einem so ungeheuern, unübersehbaren Unglück Bruder und Schwester und ich auch Freunde vermisse, die mir am Herzen liegen, so fühlen wir denn freylich, in welcher Zeit wir leben und wie hochernst wir seyn müssen, um nach alter Weise heiter seyn zu können.

Hier muß ich Lodern nennen, mit dem ich in einer sehr schönen Lebensepoche vertraut und glücklich war; der von Jena nach Halle zog und von da wegen irgend einer chirurgischen Operation auf kurze Zeit nach Polen reiste und dadurch zufällig dem 14. October und den übrigen sämmtlichen angenehmen October Tagen entging, und sich deshalb glücklich pries, nicht zurückkehrte, erst in Petersburg verweilte, dann in Moskau fußte und jetzt von dem Strome des Zeitgeschicks dort so wunderlich als fürchterlich ereilt wird.

Was mir in meinem Leben Ähnliches begegnete ist nur eine Comödie dagegen. Ich zog mich mit den unbesiegt-krebsgängigen Preußen von Valmy auf Hans, und von da immer so fort über die Aisne und Mosel nach Luxemburg und Trier [152] bis Koblenz zurück. Da mochte ich dieses brillante kriegerische Schicksal nicht mehr theilen und ging den Rhein hinab nachDüsseldorf. Kaum hatte ich da vierzehn Tage in seligen Familienscenen zugebracht, so wurde ich mit der großen Emigranten Masse (lauter Edel- und guten Leuten die kein schwarz Brod aßen) über Münster und Paderborn dergestalt ungeschickt in das Herz von Deutschland getrieben, daß ich, in Cassel, des Nachts im Wirthshaus anfahrend, deutsch reden mußte, um von Kellner aufgenommen zu werden.

Verzeihen Sie diese Reminiscenzen und geben Sie den langen Jenaischen Abenden die Schuld, daß ich Ihnen solche vorerzähle: denn was haben Sie nicht aus jenen Zeiten zu entgegnen!

Wie mir nach solchen Betrachtungen die Legenden– und Sagen Almanache munden, ermessen Sie von selbst am besten. Die Talente der Dichterinnen und des bildenden Künstlers müssen wir wohl gelten lassen. Daß sie aber unter einander gerade ihre Fehler und Mängel hegen und pflegen, kann ich nicht gut heißen. Verargen darf ich es jedoch um so weniger, als das deutsche Publicum, ein ägyptischer Brut Ofen, über solchen Windeyern am liebsten brütet.

Möge Ihnen und den Ihrigen der feste Grund und Boden wie den Nachkommen jener alten Heiligen gedeihen!

[153] So weit war ich mit den redlichen Commentar, der Paraphrase Ihres lieben Schreibens gelangt, als mir einfiel, noch etwas Eignes hinzufügen.

wie immer

Jena den 14. November 1812.

G.


[Beilage.]

Groß ist die Diana der Epheser.


Daß manches im Literarischen vorgeht, was mir nicht gefällt, darf ich wohl nicht betheuern, daß ich mich manchmal darüber auch wohl äußern könnte und sollte, da ich denn doch auch ein public character bin, will ich nicht in Abrede seyn. Dieß ich nun aber einmal nicht meine Art, dagegen meine größte Lust, ein Schnippchen, nicht in der Tasche, sondern am Kamin zu schlagen, wenn ich mir's mit guten Freunden so leidlich als möglich behagen lasse. Soviel zu Entschuldigung des vorstehenden Spaßes! Und nun kein Wort mehr, als daß ich Ihnen herzlich ergeben bin.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6D05-6