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An Carl Friedrich von Reinhard
Daß Ihr liebes Paket, verehrter Freund, am 16. December glücklich angekommen, hätte ich längst vermelden sollen; allein ich wartete auf Gelegenheit die sich mir jetzt darbietet, indem der geschickte Landschaftmaler von Royden, ein Casseler, der sich eine Zeit lang bey uns aufgehalten, nunmehr wieder zurückgeht, und diesen Brief und was ich ihm vielleicht beylegen kann, sehr gerne mitnehmen wird.
Vor allen Dingen haben Sie herzlichen Dank, daß Sie meinem biographischen Versuch soviel Theilnahme gegönnt, die ich zwar erwarten durfte. Denn indem ich mir jene Zeiten zurückrufe, und die Gegenstände, die sich mir in der Erinnerung darbieten, zusammenarbeite, gedenke ich meiner abwesenden Freunde als wenn sie gegenwärtig wären, glaube meine Reden an sie zu richten und kann wohl für das Geschriebene eine gute Ausnahme hoffen.
[266] Bey der Art, wie ich die Sache behandle, mußte nothwendig die Wirkung erscheinen, daß Jeder der das Büchlein liest, mit Gewalt auf sich selbst und seine jüngern Jahre zurückgeführt wird. Es freute mich diese Wirkung, die ich nicht beyzweckte aber doch voraussah, auch an Ihnen so vollkommen erfolgt zu sehen, und ich danke Ihnen recht sehr, daß sie mich bey dieser Gelegenheit einen Blick in Ihre Jugendjahre thun lassen. Am zweyten Bande ist schon viel geschrieben und in einigen hübschen ruhigen Monaten wird er wohl zu Stande kommen. Es wird schwer seyn ihm die Mannigfaltigkeit und Anmuth des ersten zu geben. Die Epochen die er umfaßt, sind eher stockend als vorschreitend, indessen wollen wir unser Mögliches thun, vorzüglich aber auf den dritten Band verweisen, der desto lustiger werden soll.
Was das Geräms betrifft, wornach Sie fragen, so kann man, wie Sie schon vermuthen, sich den Ursprung desselben am ersten denken, wenn man sich vorstellt, wie zur Sommerzeit Bürgersleute Stühle und Bänke vor ihre Häuser setzten, wo sie unter den weit vorspringenden Überhängen der obern Stockwerke, sogar bey einem mäßigen Regen, ruhig sitzen konnten. Hatte man so durch gedachte Überhänge und durch das oben vorspringende Dach schon in die Rechte der Straße gleichsam Eingriffe gethan; so lag es, besonders in weniger polizeylichen Zeiten, ganz nahe, sich einen hölzernen Käfich herauszubauen, um nicht [267] den Augen jedes Vorübergehenden ausgesetzt zu seyn. Dieses Geräms war wirklich meistentheils oben offen weil es von jenen Überhängen genugsam bedeckt war. Es hing durch eine besondere Thüre mit dem Hausflur zusammen, welche Nachts eben so sorgfältig als die Hausthüre selbst verschlossen wurde. Dieses Geräms war für die Familie um so wichtiger, als man in jenen Zeiten oft die Küchen nach der Straße zu, die Zimmer aber nach den Höfen zu anlegte, wodurch die Häuser sämmltich eine burgartige Gestalt erhielten und man nur durch das gedachte Geräms eine gewisse Communication mit der Straße und dem Öffentlichen gewann. So viel von diesem unarchitectonischen Theil altreichstädtischer Bauart.
Sehr großen Dank bin ich Ihnen zunächst für das Fragment aus dem Werke der Frau von Staël schuldig. Ich hatte davon gehört, es war uns auch versprochen; aber ohne Ihre freundliche Sendung würde ich es bis jetzt noch nicht gesehen haben. Da ich mich selbst ziemlich zu kennen glaube, so finde ich einige recht gute Aperçüs darin, und ich kann es um so mehr nutzen, als sie mir das alles, und zwar noch derber und lebhafter, ins Gesicht gesagt hat. Ihre Gesinnung über meine kleineren Arbeiten kannte ich auch zum Theil, und was sie bey dieser Gelegenheit sagt, ist recht hübsch und dankenswerth, obgleich auf diesem Wege freylich kein erschöpfendes Urtheil zu erwarten ist.
[268] Breguets Mémoire war mir sehr merkwürdig, da ich selbst eben wieder in solchen hyperphysischen Betrachtungen stak. Es weht eine gewisse deutsch Luft darin, und wie sollte nicht, bey so mannigfaltiger Communication einiges, oder vielmehr das eigentlich Tüchtige und Zulängliche, was wie besitzen, hinüberbringen und wirken. Es würde mich zu weit führen auch nur einigermaßen darüber zu sprechen; doch ist es merkwürdig, die von Jahrhundert zu Jahrhundert sich alles mehr begeistet und belebt, eins ins andere greift und keins ohne das andre bleiben will. Von Spinoza, der das Ganze aus Gedanke und Ausdehnung bildet, bis zu diesem Freunde, der es durch Bewegung und Willen hervorbringt, welche hübsche Filiation und Steigerung der Denkweisen würde sich aufzeichnen lassen! Ich breche ab, um nicht weiter in dieses Labyrinth einzulassen, in welchem man eigentlich nur an seinen eigenen Faden von einem geliebten Knaul abgebunden sich ein- und ausfinden kann.
Damit Sie aber nicht glauben, daß ich mich allzusehr in jene abstrusen Regionen verliere, so will ich berichten, daß ein Theil des Winters damit zugebracht worden das Shakespearische Stück Romeo und Julie zu concentriren, und diesen in seinen Haupttheilen so herrlich behandelten Stoff von allen Fremdartigen zu reinigen: welches, obgleich an sich sehr schätzbar, doch eigentlich einer frühern Zeit und einer fremden[269] Nation angehört, die es gegenwärtig selbst nicht einmal mehr brauchen kann. Zum 30. Januar, als dem Geburtstag der Herzoginn, haben wir es zum erstenmal und nachher wieder mit vieler Theilnahme des Publicums gegeben; welche sich um so mehr erwarten ließ, als die Rollen durchaus, besonders aber die Hauptrollen, den Schauspielern recht auf den Leib paßten. Diese Arbeit war ein großes Studium für mich, und ich habe wohl niemals dem Spakespear tiefer in sein Talent hineingeblickt; aber er, wie alles Letzte, bleibt denn doch unergründlich.
Nun folgte ich gerne Ihrem Beyspiel und legte auch etwas bey, was Ihnen Freude machen könnte; ich finde aber nichts bey der Hand und kann mir auch nichts ausdenken. Verzeihen Sie daher, wenn ich gerade das Umgekehrte thue, und eine Bitte hinzufüge. Aus beyliegendem Verzeichniß sehen Sie, daß meine Sammlung von Handschriften ziemlich angewachsen ist; ja ich habe deren noch ein paar Hundert mehr. Wäre es möglich, durch Ihre so mannigfaltigsten Connexionen mir besonders zu einigen Blättchen bedeutender älterer und neuerer Franzosen zu verhelfen; so würden Sie mich sehr glücklich machen. Die Sammlung ist nun schon so groß, daß man über die Handschriften der Nationen, der Zeiten so wie der Individuen, welche solche modificiren, einiges aussprechen kann; und alles ist zu unserer Zeit noch einmal so viel werth, was uns im Stillen [270] mit vertrauten Freunden zu geistreicher Unterhaltung dient.
Nun das wichtigste zum Schluß, daß Herr Baron von St. Aignan als bevollmächtigter Minister an den Herzogl. Sächsischen Höfen angelangt und bey uns sein Creditiv zuerst producirt hat.
Eigenhändig füge ich noch einiges Vertrauliche hinzu.
Herr v. St. Aignan zeigt sich in diesen ersten Tagen seinem Rufe gemäß als ein angenehmer, ernst-still aufmerckender Mann, seine ersten Schritte sind würdig, mäßig und lassen das Beste hoffen.
Den Zweck seiner Sendung kennen Sie am besten, da Sie eine gleiche an die Anhältischen, Lippischen pp. Häuser haben. Aufrichtig gesprochen; so glaube ich daß alles darauf ankommt daß man sich mit der Truppenstellung willfährig und thätig erzeige und dann möchte das Übrige alles gut seyn. Wollten Sie mir gelegentlich einige Wincke geben; so würde ich sie zum Besten benutzen. Ich habe mich zwar von den Geschäften losgesagt, aber mit einiger Kenntniß und gutem Willen läßt sich doch manches lencken und befördern. Leben Sie recht wohl, mein verehrtester Freund und erhalten mir Ihre Liebe und Zutrauen.
W. d. 13. Febr. 1812.
G. [271]