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An Thomas Carlyle

Weimar den 6. Juni 1830.

Ihr werther Brief, mein Theuerster, vom 23. May, gerade nur 14 Tage gelaufen um zu mir zu kommen, wodurch ich aufgeregt werde alsobald zu antworten, weil ich hoffen kann der meinige werde Sie an einem schönen Junitag begrüßen. Es ist wirklich höchst erfreulich daß die Einrichtungen unsrer gesitteten Welt, nach und nach, die Entfernung zwischen gleichgesinnten [89] Wohldenkenden geschäftig vermindern, wogegen wir derselben manches nachsehen können.

Zuvörderst also will ich aussprechen daß an dem Plane, wie Sie die Geschichte Literatur zu behandeln gedenken, nichts zu erinnern ist, und daß ich nur hie und da einige Lücken finde, auf die ich Ihre Aufmerksamkeit zu richten gedenke. Durchaus aber werden Sie sich überzeugen daß die erste Edition eines solchen Werkes nur als Concept zu betrachten ist, welches in den folgenden immer mehr gereinigt und bereichert hervortreten soll; Sie haben Ihr ganzes Leben daran zu thun und erfreuen sich gewiß eines entschiedenen Vortheils für mich und andere.

Zu Förderung dieses Ihres Zweckes werde ich die Absendung eines intentionirten Kästchen sogleich besorgen, welches die gute Jahrszeit bald genug Ihnen zubringen wird. Es enthält:

1) Vorlesung über die Geschichte der deutschen National-Literatur von Dr. Ludwig Wachler, 2 Theile. 1818.

Dieses Werk schenkt ich, als höchst brauchbar, im Jahre 1824 dem guten Dr. Eckermann, dieser, der so eben mit meinem Sohne nach Süden gereist ist, läßt mir solches als eine Gabe für Sie zurück, mit den besten Grüßen und Segnungen. Ich sende es, mit um so mehr Zufriedenheit, weil ich überzeugt bin daß Sie, diesem Faden folgend, nicht irren können. Von dem meisten Einzelnen haben Sie sich ja schon eigene[90] Überzeugung ausgebildet, mögen Sie über dieses und jenes nachfragen, so werde suchen treulich Antwort zu geben.

2) Ein höchst wichtiges Heftchen, unter dem Titel: Über Werden und Wirken der Literatur, zunächst [in Beziehung] auf Deutschlands Literatur unserer Zeit, von Dr. Ludwig Wachler, Breslau 1829. Es gibt zu mancherlei Betrachtungen Anlaß wie derselbe Mann, nach 10 Jahren, sich wieder über Gegenstände kürzlich ausdrückt, deren Betrachtung er sein ganzes Leben gewidmet. Durch obengemeldete zwey Bände werden Sie vollkommen in den Stand gesetzt, das was er hier gewollt und ausgesprochen aufzunehmen und zu benutzen.

3) Vier Bände meiner Correspondenz mit Schiller, und also das Ganze abgeschlossen. Dabey sey Ihnen völlig überlassen es, nach Ihrer reinen und wohl empfindende Weise sich zuzueignen und den Freunden, die sich hier unterhalten, noch immer näher zu treten. In der Folge sende ich manches von der freundlichen und höchst sinnigen Aufnahme, welcher diese Bände in Deutschland sich erfreuen; auch wird Ihnen daraus zu Ihren Zwecken gar manches deutlich werden.

4) Zwey Bände meiner Farbenlehre, mit einem Hefte Tafeln. Auch diese werden Ihnen nicht ohne Frucht seyn. Das Werk ist gar zu sehr Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein, als daß es Ihnen nicht anmuthen sollte. Sagen Sie mir einiges darüber. Das Allgemeine paßt gewiß in Ihre [91] Denkweise, wünschten Sie wegen des Besondern einige Aufklärung, so will ich suchen sie zu geben.

5) Sie finden ferner in dem Kästchen den Abschluß der Übersetzung Ihres Leben Schillers, die Herausgabe hat sich verzögert, und ich wollte, dem Verleger so wie der Sache zu Nutz, das Werklein eigenes ausputzen; dem Publicum hab ich es gewiß recht gemacht, wenn Sie es nur verzeihen.

Das Titelkupfer stellt Ihre Wohnung dar in der Nähe, die Titelvignette dasselbe in der Ferne. Nach den gesandten Zeichnungen, wie ich hoffe, so gestochen daß es auch in England nicht mißfallen kann. Außen auf dem Hefte sieht man vorn Schillers Wohnung in Weimar, auf der Rückseite ein Gartenhäuschen, das er sich selbst erbaute, um sich von seiner Familie, von aller Welt zu trennen. Wenn er sich daselbst befand, durfte niemand herantreten. Es war auch kaum für einen Schreibtisch Platz. Sehr leicht gebaut, drohte es in der Folge zu verfallen und ward abgetragen; versteht sich nachdem er den Garten weggegeben und nach Weimar gezogen war.

Nun aber wäre noch manches zu sagen von einem Vorwort das ich dazu geschrieben, doch wird es besser seyn Sie selbst, wenn Sie es gelesen, empfinden und urtheilen zu lassen, ob ich des Guten zu viel gethan, oder ob mir das Zweckmäßige gelungen sey. In jedem Falle war nöthig zu interessiren und aufzuregen. Was weiter erfolgen kann erwarten wir, [92] was weiter zu thun ist sey ich ziemlich schon voraus.

Ihrer lieben Gattin das Allerfreundlichste! durch die übersendete Silhouette ist sie uns schon viel näher getreten; so viel vermag der genaue Schatten des edlen Wirklichen! Möge Sie nun auch uns das Bildniß Ihres Gemahls auf gleiche Weise senden. Es freut mich das jenes famose Mährchen auch dort seine Wirkung nicht verfehlt. Es ist ein Kunststück das zum zweytenmale schwerlich gelingen würde. Eine geregelte Einbildungskraft fordert unwiderstehlich den Verstand auf ihr etwas Gesetzliches und Folgerechtes abzugewinnen, womit er nie zu Stande kommt. Indessen habe ich doch zwey Auslegungen, die ich aufsuchen und, wo möglich, dem Kästchen beylegen will.

Da ich nun, um the single sheet nicht zu überschreiten, auch auf die äußere Seite des Blatts gelangt bin, so will ich diesen Raum noch benutzen um Folgendes zu melden. Gleich nach Abgang des ersten Kästchens, welcher bald erfolgen soll, bereite sogleich ein neues vor, in welchem Sie denn die Übersetzung Ihres Schillerischen Lebens und die siebente Lieferung meiner Werke erhalten sollen, worin enthalten sind 1) Tag- und Jahreshefte, Ergänzung meiner sonstigen Bekenntnisse 2 Bände. 2) Recensionen und einiges Ältere 1 Band. 3) Cellini 2 Bände. Was indessen noch zu erinnern wäre, soll in dem Kästchen selbst bemerkt werden. Mit dem Wunsch daß Gegenwärtiges [93] Sie in heitern Tagen und guter Gesundheit treffen möge, schließe ich mit Versicherung treuster, unwandelbaren Theilnahme.

Abgesendet den 7. Juni 1830.

J. W. v. Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An Thomas Carlyle. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6FCB-5