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An Friederike Oeser

Franckfurt am 6. Nov. 1768.
Mamsell,
So launisch, wie ein Kind das zahnt;
Bald schüchtern, wie ein Kaufmann den man mahnt,
Bald still, wie ein Hypochondrist,
Und sittig, wie ein Mennonist,
Und folgsam, wie ein gutes Lamm;
Bald lustig, wie ein Bräutigam,
Leb' ich, und binn halb kranck und halb gesund,
Am ganzen Liebe wohl, nur in dem Halse wund;
Sehr missvergnügt, dass meine Lunge
Nicht so viel Ahtem reicht, als meine Zunge
Zu machen Zeiten braucht, wenn sie mit Stolz erzählt,
Was ich bey Euch gehabt, und was mir jetzt hier fehlt.

Da sucht man nun mit Macht mir neues Leben,
Und neuen Muht und neue Krafft zu geben;
Drum reichet mir mein Docktor Medicinä
Extrackte aus der Cortex Chinä,
Die junger Herrn erschlaffte Nerven
An Augen, Fus und Hand,
Auf's neue stärcken, den Verstand,
Und das Gedächtniss schärfen.
[170] Besonders ist er drauf bedacht,
Durch Ordnung wieder einzubringen,
Was Unordnung so schlimm gemacht,
Und heisst mich meinen Willen zwingen.

»Bey Tag, und sonderlich bey Nacht,
Nur an nichts reitzendes gedacht!«
Welch ein Befehl für einen Zeichnergeist,
Den jeder Reitz bis zum Entzücken reisst,
Des Bouchers Mädgen nimmt er mir
Aus meiner Stube, hängt dafür
Mir eine abgelebte Frau,
Mit riesigem Gesicht, mit halbzerbrochnem Zahne,
Vom fleissig kalten Gerhard Dow
An meine Wand, langweilige Tisane
Setzt er mir statt des Weins dazu.

O sage Du,
Kann man was traurigers erfahren?
Am Körper alt, und jung an Jahren,
Halb siech, und halb gesund zu seyn?
Das giebt so melanchol'sche Laune,
Und ihre Pein
Würd' ich nicht los, und hätt' ich sechs Alraune.
Was nützte mir der ganzen Erde Geld?
Kein krancker Mensch geniesst die Welt.

Und dennoch wollt' ich gar nicht klagen,
Denn ich binn schon im Leiden sehr geübt;
[171] Hätt' ich nur das, was uns die Plagen,
Die Last der Kranckheit zu ertragen,
Mehr Krafft als selbst die Tugend giebt;
Verkürzung grauer Regenstunden,
Balsam'sches Pflaster aller Wunden,
Gesellschafftsgeister die man liebt.

Zwar hab ich hier an meiner Seite
Beständig rechte gute Leute,
Die mit mir leiden, wenn ich leide,
Sie sorgen mir für manche Freude,
Es fehlt mir nur an mir, um recht beglückt zu seyn.
Und dennoch kenn' ich niemand, der die Pein
Des Schmerzens, so behende still, die Ruh
Mit Einem Blick der Seele schenckt, wie Du.

Ich kam zu Dir, ein Todter aus dem Grabe,
Den bald ein zweyter Todt zum zweytenmal begräbt;
Und wem er nur einmal recht nah um 's Haupt geschwebt,
Der bebt
Bey der Erinnerung, gewiss so lang er lebt.
Ich weiss wie ich gezittert habe;
Doch machtest Du mit Deiner süssen Gabe,
Ein Blumenbeet mir aus dem Grabe;
Erzähltest mir wie schön, wie kummerfrey,
Wie gut, wie süss Dein sellig Leben sey,
Mit einem Ton von solcher Schmeicheley,
Dass ich, was mir das Elend jemals raubte,
Weil Du's besas'st selbst zu besitzen glaubte.
[172] Zufrieden reisst ich fort, und was noch mehr ist, froh,
Und ganz war meine Reise so.

Ich kam hierher, und fand das Frauenzimmer
Ein bissgen – ja man sagt's nicht gern – wie immer,
Gnug bis hierher hat keine mich gerührt.
Zwar sag ich nicht was einst Herr Schübler
Von Hamburgs Schönen prädicirt,
Doch binn ich auch ein starcker Grübler,
Seitdem Ihr Mädgen mich verführt,
Die ich wohl schweerlich je vergesse;
Und da begreiffst Du wohl, daß jede leicht verliert,
Die ich nach Eurem Maasstab messe.
Du lieber Gott! an Munterkeit ist hie
An Einsicht, und an Witz Dir kein einz'ge gleich,
Und Deiner Stimme Harmonie
Wie käme die heraus in's Reich.

So ein Gespräch, wie unsers war, im Garten,
Und in der Loge noch, mit diesem seltnen Zug,
So aufgeweckt, und doch so klug,
Ja, darauf kann ich warten.

Binn ich bey Mädgen launisch froh;
So sehn sie sittenrichtrisch sträflich,
Da heisst's: der Herr ist wohl aus Bergamo?
Sie sagen's nicht einmal so höflich.
Zeigt man Verstand, so ist auch das nicht recht.
Denn will sich einer nicht bequemen
[173] Des Grandisons ergebner Knecht
Zu seyn, und alles blindlings anzunehmen
Was der Dicktator spricht,
Den lacht man aus, den hört man nicht.

Wie seyd Ihr nicht so gut, so Euch zu bessern willig,
Auf eigne Fehler streng, und gegen fremde billig,
Und zum Gefallen ohnbemüht,
Ist niemand den Ihr nicht gewönnet.
Ah, man ist Euer Freund, so wenig man Euch kennet,
Man liebt Euch, eh man's sich versieht;
Mit einem Mädgen hier zu Lande,
Ist's aber ein langweilig Spiel,
Zur Freundschafft fehlt's ihr am Verstande,
Zur Liebe fehlt's ihr am Gefühl.

Drauf ging ich ganz gewiss, hätt ich nicht soviel Laune,
Bräch' ich mir nicht gar manche Lust vom Zaune,
Lacht ich nicht da wo keine Seele lacht.
Und dächt ich nicht, dass Ihr schon offt an mich gedacht.

Ja, dencken müsst Ihr offt an mich, das sage
Ich Euch, besonders an dem Tage
Wenn Ihr auf Euerm Landgut seyd,
Dem Ort der mir so manche Plage
Gemacht, dem Ort der mich so sehn erfreut.

Doch Du verstehst mich nicht, ich will es Dir erklären,
Ich weiss doch Du verzeihst es mir.
[174] Die Lieder die ich Dir gegeben, die gehören
Als wahres Eigentuhm dem schönen Ort und Dir.

Wenn mich mein böses Mädgen plagte,
Wenn der Verdruss mich aus den Mauern jagte,
War ich verwegen gnug, und wagte
Dich aufzusuchen eh es tagte,
Auf Deinen Feldern die Du liebst,
Die Du mir offt so schön beschreibst.

Da ging ich nun in Deinem Paradiese,
In jedem Holz, auf jeder Wiese,
Am Fluss, am Bach, das hoffende Gesicht
Vom Morgenstrahl geschminckt, und sucht' und fand Dich nicht.

Dann schlug ich, angereitzt von launischem Verdrusse,
Den armen Frosch, am sonnbestrahlten Flusse,
Dann jagt' ich ringsumher, und fing
Bald einen Rein bald einen Schmetterling.

Und mancher Reim, und mancher Schmetterling
Entging
Der ausgestreckten Hand, die mitten
In ihrem Haschen stille stand,
Wenn aus dem Wald, von Stimmen ober Tritten
Den Schall, mein lauschend Ohr empfand.

Am Tage sang ich diese Lieder,
Am Abend ging ich wieder heim,
[175] Nahm meine Feder, schrieb sie nieder
Den guten und den schlechten Reim.

Offt kehrt ich noch mit immer schlechterm Glücke
Auf die fatale Flur zurücke,
Biss mir zuletzt das günstige Geschicke
Noch einen Tag den ich nicht hoffte gab.
Doch ich genoss sie kaum die süssen letzten Stunden,
Sie waren gar zu nah am Grab.
Ich sage nicht, was ich empfunden,
Denn mein prosaisches Gedicht
Stimmt diesesmal sehr zur Empfindung nicht.

Du hast die Lieder nun, und zur Belohnung
Für alles was ich für Dich litt,
Besuchst Du Deine seelge Wohnung;
So nimm sie mit;
Und sing sie manchmal an den Orten
Mit Lust wo ich aus Schmerz sie sang,
Dann denck an mich, und sage: dorten
Am Flusse wartete er lang,
Der Arme der so offt mit ungewognem Glücke
Die schönen Felder fühllos sah!
Käm er in diesem Augenblicke,
Eh nun, jetzt wär' ich da.

Jetzt, dächt ich nun, wär's hohe Zeit zum Schliessen,
Denn wenn man so zwey Bogen Reime schreibt,
Da wollen sie zuletzt nicht fliessen.
[176] Doch warte nur wenn mich die Laune treibt,
Und Deine Gunst mir sonst versichert bleibt,
So schreib ich Dir noch manchen Brief wie diesen.

Willst Du mir die Geschwister grüssen,
So schliesse Richtern auch mit ein.
Leb wohl! Und wird das Glück Dein Freund beständig seyn
Wie ich; so wirst Du steets des schönsten Glücks geniessen.
Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1768. An Friederike Oeser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7092-9