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An Friedrich Schiller

Ich danke Ihnen für Ihre fortgesetzten Betrachtungen über das epische Gedicht, ich hoffe, Sie werden bald nach Ihrer Art, in einer schönen Folge, die Natur und Wesen desselben entwickeln, hier indessen einige meiner Vermuthungen.

Ich suchte das Gesetz der Retardation unter ein höheres unterzuordnen, und da scheint es unter dem zu stehen, welches gebietet: daß man von einem guten Gedicht den Ausgang wissen könne, ja wissen müsse und daß eigentlich das Wie blos das Interesse machen dürfe. Dadurch erhält die Neugierde gar keinen Antheil an einem solchen Werke und sein Zweck kann, wie Sie sagen, in jedem Puncte seiner Bewegung liegen.

Die Odysse ist in ihren kleinsten Theilen beynah retardirend, dafür wird aber auch vielleicht funfzigmal versichert und betheuert daß die Sache einen glücklichen Ausgang haben werde. So viele den Ausgang anticipirende Vorbedeutungen und Weissagungen stellen, wie mich dünkt, das Gleichgewicht gegen die ewige Retardation wieder her. In meinem Herrmann bringt die Eigenschaft des Plans den besondern Reiz hervor daß alles ausgemacht und fertig scheint und durch die retrograde Bewegung gleichsam wieder ein neues Gedicht angeht.

[92] So hat auch das epische Gedicht den großen Vortheil daß seine Expositon, sie mag noch so lang seyn, den Dichter gar nicht genirt, ja daß er sie in die Mitte des Werks bringen kann, wie in der Odyssee sehr künstlich geschehen ist. Denn auch diese retrograde Bewegung ist wohlthätig; aber eben deßhalb dünkt mich macht die Exposition dem Dramatiker viel zu schaffen, weil man von ihm ein ewiges Fortschreiten fordert und ich würde das den besten dramatischen Stoff nennen wo die Exposition schon ein Theil der Entwicklung ist.

Daß ich aber nunmehr dahin zurückkehre wo ich angefangen habe, so wollte ich Ihnen folgendes zur Prüfung unterwerfen:

Mein neuer Stoff hat keinen einzigen retardirenden Moment, es schreitet alles von Anfang bis zu Ende in einer graden Reihe fort, allein er hat die Eigenschaft daß große Anstalten gemacht werden, daß man viele Kräfte mit Verstand und Klugheit in Bewegung setzt, daß aber die Entwicklung auf eine Weise geschieht, die den Anstalten ganz entgegen ist und auf einem ganz unerwarteten jedoch natürlichen Wege. Nun fragt sich ob sich ein solcher Plan auch für einen epischen ausgeben könne, da er unter dem allgemeinen Gesetz begriffen ist: daß das eigentliche Wie und nicht das Was das Interesse macht, oder ob man ein solches Gedicht nicht zu einer subordinirten Classe historischer Gedichte rechnen müsse. Sehen Sie nun,[93] mein Werther, wie sich etwa diese zerstreute und flüchtige Gedanken besser ausarbeiten und verknüpfen. Ich habe jetzt keine interessantere Betrachtung als über die Eigenschaften der Stoffe in wie fern sie diese oder jene Behandlung fordern. Ich habe mich darinnen so oft in meinem Leben vergriffen, daß ich endlich einmal in's Klare kommen möchte um wenigstens künftig von diesem Irrthum nicht mehr zu leiden. Zu mehrerer Deutlichkeit schicke ich nächstens meinen neuen Plan.

Noch über einige Puncte Ihrer vorigen Briefe.

Woltmanns Menschengeschichte ist freylich ein seltsames Werk. Der Vorbericht liegt ganz außer meinem Gesichtskreise, das ägyptische Wesen kann ich nicht beurtheilen, aber wie er bey Behandlung der Israelitischen Geschichte das alte Testament, so wie es liegt, ohne die mindeste Kritik, als eine reine Quelle der Begebenheiten annehmen konnte, ist mir unbegreiflich. Die ganze Arbeit ist auf Sand gebaut, und ein wahres Wunderwerk, wenn man bedenkt daß Eichhorns Einleitung schon zehen Jahre alt ist und die Herderischen Arbeiten schon viel länger wirken. Von den unbilligen Widersachern dieser alten Schriften will ich gar nicht einmal reden.

Die Duisburger Fabrik, von der ich auch ein Musterbild erhalten habe, ist ein curioses Unternehmen, das durch unsere Freunde im Modejournal verdient gelobt zu werden. Es ist ein Kunstgriff diese [94] Arbeiten für mechanisch auszugeben, den die Engländer auch schon einmal mit ihrer Polygraphischen Gesellschaft versucht haben. Es ist eigentlich nichts mechanisches daran, als daß alles was dazu gehört mit der größten Reinlichkeit und in Menge durch einige mechanische Hülfsmittel gemacht wird, und so gehört freylich eine große Anstalt dazu, aber die Figuren sind nichts desto weniger gemahlt. Anstatt daß sonst Ein Mensch alles thut, so concurriren hier viele. Das Wachstuch des Grundes wird erst mit großer Sorgfalt bereitet und alsdann die Figur, wahrscheinlich von Blech ausgeschnitten, draufgelegt; nun streicht man den Raum umher sorgfältig mit einer andern Farbe über, und nun werden subalterne Künstler angestellt um die Figur auszumahlen, das denn auch in großen Parthien geschieht, bis zuletzt der Geschickteste die Contoure rectificirt und das Ganze vollendet. Sie haben artige Kunstgriffe um den Pinsel zu verbergen und machen allerley Späße, damit man glauben solle das Werk könne gedruckt seyn. Langer, ein Inspector von der Düsseldorfer Galerie, ein guter und geschickter Mann, ist dabey interessirt und sie mögen immer auch in ihrer Art dem Publiko das Geld abnehmen. Nur weiß ich nicht recht wie die Sachen gebraucht werden sollen, sie sind nicht gut genug um in Rahmen aufgehängt zu werden, und dergleichen schon fertige Bilder in die Wände einzupassen hat große Schwierigkeiten. Zu Thürstücken [95] möchte es noch am ersten gehen. Zu loben ist daran die wahrhaft englische Accuratesse. Man muß das weitere abwarten.

Ich wünsche daß Sie bald in Ihren Garten ziehen und von allen Seiten beruhigt seyn mögen. Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau auf's beste, sowie auch Humboldt dem ich eine baldige Wiederherstellung wünsche.

W. d. 22. Apr. 97.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-70BB-F