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An Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling

Der werthe und gewiß auch Ihnen, noch von Alters her, höchst schätzbare Freund, Hofrath Meyer, hat mir das Verlangen, wieder in Ihrer Nähe zu seyn, lebhaft rege gemacht, welches ich oft im Stillen empfinde, da ich nach so langen Jahren wohl einmal hres aufmunternden und auferbauenden Gesprächs theilhaft werden, die herrlichen Kunstschätze mit Ihnen genießen, vor allem aber mich Ihres häuslichen Glücks erfreuen möchte. Indessen sucht meine Einbildungskraft eine so theuere und geliebte Freundin an Ihrer Seite. Ich lasse mir gern erzählen, daß es Ihnen wohlgeht, und schon hat Freund Meyer mir die individuelle Lage Ihres Glücks schildernd wiederholen müssen.

Bey seinen willkommenen Erzählungen empfand ich sogleich die Nerigung, mich auch wieder einmal[235] schriftlich mit Ihnen zu unterhalten, und nun giebt mir die Abreise eines jungen Künstlers, Namens Müller, erwünschte Gelegenheit, diesem Verlangen sogleich Genüge zu leisten. Mögen Sie diesem jungen Manne auf seinem Kunstgange einige Aufmerksamkeit schenken, so werden Sie mich verbinden. Es fehlt ihm nicht an angebornem Talent. Sein zartes und einigermaßen melancholisches Gemüth bedarf Theilnahme und Aufmunterung, so wie ihm die strengen Kunstforderungen seiner neuen Lehrer gewiß förderlich seyn werden.

Und nun leben Sie recht wohl, gedenken Sie meiner in Ihrem Familien- und Freundeskreise, bleiben Sie überzeugt, daß ihm allem, was Sie öffentlich zu äußern für gut finden, die größte Aufmerksamkeit schenke, um mich einigermaßen für den Verlust zu entschädigen, den ich dadurch erleide, daß ich mich schon seit so langer Zeit nicht mehr so schnell wie vormals durch Ihre geistreiche und gründliche Unterhaltung über die Angelegenheiten zurechte finden kann, die mich immerfort auf meine eigene Weise beschäftigen.

Mit den aufrichtigsten Wünschen mich empfehlend

Weimar, den 28. April 1814.

Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-71B6-2