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An Carl Friedrich von Reinhard

Das alte Jahr soll nicht vorübergehen ohne daß ich noch einmal bey Ihnen eintrete und mich Ihrem freundlichen Andenken empfehle. Die Zeitungen hatten mich benachrichtiget, daß Sie nach Hamburg gegangen, und ich wünschte den Hansestädten zu einem solchen Mittelsmanne Glück. Haben Sie recht vielen Dank, daß Sie mir von Ihrer stattlichen Beförderung. Diese ist so wohlverdient, daß ich ohne ein Prophet zu seyn, sie bey meinen heraldischen Versuchen wohl voraus andeuten konnte. Was mich betrifft, so habe ich diese letzten drey Monate still und, im Durchschnitt, fleißig gelebt.

Die Wahlverwandtschaften schickte ich eigentlich als ein Circular an meine Freunde, damit sie meiner wieder einmal an manchen Orten und Enden gedächten. Wenn die Menge dieses Werkchen nebenher auch liest, so kann es mir ganz recht seyn. Ich weiß zu wem ich eigentlich gesprochen habe, und wo ich nicht mißverstanden werde. Mit dieser Überzeugung war auch Ihnen das Büchlein adressirt, und Sie sind [152] sehr liebenswürdig, mich ausdrücklich zu versichern, daß ich mich nicht geirrt habe.

Das Publicum, besonders das deutsche, ist eine närrische Karricatur des dêmos; es bildet sich wirklich ein, eine Art von Instanz, von Senat auszumachen, und im Leben und Lesen dieses oder jenes wegvotiren zu können was ihm nicht gefällt. Dagegen ist kein Mittel als ein stilles Ausharren. Wie ich mich denn auf die Wirkung freue, welche dieser Roman in ein paar Jahren auf manchen beym Wiederlesen machen wird. Wenn ungeachtet alles Tabelns und Geschrey das was das Büchlein enthält, als ein unveränderliches Factum vor der Einbildungskraft steht, wenn man sieht, daß man mit allem Willen und Widerwillen daran doch nichts ändert; so läßt man sich in der Fabel zuletzt auch so ein apprehensives Wunderkind gefallen, wie man sich in der Geschichte nach einigen Jahren die Hinrichtung eines alten Königs und die Krönung eines neuen Kaisers gefallen läßt. Das Gedichtete behauptet sein Recht, wie das Geschehene.

Ist es einigermaßen möglich, so schließe ich meine Arbeit über die Farbenlehre zu Ostern ab, und Sie erhalten im May das Werk mit den Tafeln. Die beyden Bände, die ich nebeneinander ausgearbeitet habe, sind nun schon zusammen auf 65 Bogen gewachsen und wenn gegen das Ende eines Unternehmens alles geschwinder geht; so denke ich der Schluß soll [153] sich zuletzt unvermuthet anfügen. Auch diesem Werke wird es ergehen wie andern: erst wird es blos sein Daseyn und dann seinen Platz behaupten. Von der Gunst des Augenblicks mag ich wenig hoffen; doch soll es mir ganz lieb seyn, wenn mein Unglaube auf eine oder die andere Weise beschämt wird.

Von dem Hassenfratzischen Aufsatze, den ich durch Ihre Gefälligkeit vorläufig kannte, habe ich nunmehr nähere Notiz aus dem Rapport einer Commission des Nationalinstituts. Soviel ich beurtheilen kann, möchte sich der Verfasser gern von der alten Knechtschaft losmachen, verwickelt sich aber wieder in neue Schlingen, und die Herren Rapporteurs sind Stock Newtonianer, die ihn weder zurechtweisen, noch ihm nachhelfen können.

Verzeihen Sie, wenn ich aus meiner Höhle, in der ich von nichts anderm weiß, als von dem worüber ich gerade jetzt brüte, Ihnen von solchen Dingen schreibe, die sich in der großen thätigen politischen Welt nur wie Gespenster ausnehmen mögen. Indessen haben Sie mich durch eine frühere Theilnahme verwöhnt, und so will ich denn auch bey meiner alten Überzeugung verharren, daß Ihnen die Freundschaft ein dauerndes Interesse für solche fremde und ferne Dinge einflößen kann.

Herr von Bourgoing ging vor einigen Tagen hier durch Er war so freundlich mir seinen Namen mit einem Gruße zu senden. Es that mir sehr leid, daß [154] ich ihn nicht einen Augenblick sprechen konnte; doch hat er mir Hoffnung auf seine Wiederkehr gegeben.

Erlauben Sie, daß ich Ihnen meinen braven Göttinger Freund nochmals empfehle. Können Sie ihm irgend etwas Angenehmes und Ersprießliches erzeigen; so werde ich es als mir selbst erwiesen, dankbar empfinden.

Den wachsenden Tagen sehe ich mit Sehnsucht entgegen, da ich dieses Jahr sobald als möglich nach Carlsbad zu gehen gedenke. Möge ich von Zeit zu Zeit erfahren, daß Sie sich recht wohl befinden, und daß die neue Acquisition, die Sie für Ihre Häuslichkeit gemacht haben, wohlgelungen sey,

Weimar den 31. December 1809.

Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1809. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-71EE-6