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An Christoph Ludwig Friedrich Schultz

Von meinem unerfreulichen Zustand in den ich bald nach Ihrer Abreise verfiel und von dessen Besserung wird Zelter genugsame Nachricht überbracht haben. Seit seiner Abreise bin ich, in gewissen Sinne, recht wünschenswerth wieder hergestellt, wenn ich mich für krank angebe. Die eigene Lebensweise, die ich in diesem Sinne ergriffen und mit Standhaftigkeit fortsetze, gibt mir die besten Hoffnungen wenigstens für die nächste Zeit. Meine gewohnten Thätigkeiten vermag ich zu verfolgen; nächstens erscheint ein neues Heft Kunst und Alterthum, worin der Zufall mich den Paria in seiner höchsten Würde vorführen läßt, gerade im Augenblick da er Berlin vom Theater herunter interessirt; dieß ist ein Gegenstand den ich gewiß vierzig Jahre mit mir herumtrage ohne ihn zur poetischen Erscheinung gebracht zu haben. Dasselbe Heft bietet noch manches dem ich Gunst wünsche, es[14] ist kein Artikel drinne dem es nicht Ernst sey etwas zu geben oder zu versprechen was nächstens zu halten ist.

Das naturwissenschaftliche Heft ruckt langsam vor, indessen hab ich Glück; denn es sind mir fast in allen Capiteln von außen günstig-correspondirende Andeutungen entgegen gekommen, die mich aufregen, ja nöthigen, mit Entschiedenheit über gewisse Puncte mich abschließlich zu erklären. Mögen Sie mir nicht über den nach außen wirksamen Phosphor des Auges die bedeutenden Erfahrungen mit wenigen weiteren Hinweisungen zu meinen Zwecken mittheilen.

Die Erinnerung, wie Sie sehen, an manches unter uns Behandelte thut sich hervor in den einsamen Abenden wie ich jetzt zu meiner Beruhigung im Stillen hinbringe. Eben vor wenig Tagen waren bey einem naturgeschichtlichen Gespräche Ihre Seepflanzen zur rechten Zeit zu Hand.

Nun muß ich aber vor allen Dingen nach dem Exeterstein fragen, dessen lebensgroßes Basrelief im kleinen charakteristischen Eisenguß mir diese Zeit gar manches zu denken gegeben hat. Die in den bunten Sandstein eingearbeitete Einsiedeley findet sich in der Grafschaft Lippe. Nun wünscht ich zu vernehmen, welcher Künstler ist dort gewesen? Wer hat gedachte Kreuzabnahme abgebildet und in's Kleine gebracht? Nach welcher Himmelsseite steht das Basrelief? da es für sein hohes vielleicht tausendjähriges Alter noch so leidlich erhalten ist. Hat es vielleicht [15] einen chalcedonartigen Überzug gewonnen? welches diesem Sandstein zu begegnen pflegt, wenn er sehr lange der freyen Luft ausgesetzt ist. Hat irgend jemand über de Gegenstand in Berlin gedacht und geforscht?

An meine neue Ausgabe denk ich ernstlich; Eckermann wohnt in Weimar und ist fleißig an der Redaction meiner Acten und Papiere, er fühlt mit Behagen dadurch seine Bildung beschleunigt und mir ist es kein geringer Vortheil. Cotta erklärt sich willig; aber in welcher peinlichen Lage steht ein deutscher Autor gegen Verleger und Publicum. Freylich haben jene Vorfragen, die sie mir neulich mittheilten, schon so manches Bedenkliche was in dem alten Verhältnisse wegfällt. Das Nähere zu seiner Zeit. Bei eintretendem Frost empfehle dringend den schwarzen Glasspiegel auf die Fensterbank zu legen, und die aufthauenden baumförmigen gestalteten Eisrinden darin zu beschauen; nach Anlaß des naturwissenschaftlichen Heftes B. II. S. 96. Es ist wohl eins der angenehmsten Schauspiele in der ganzen Chromatik.

treulichst.

Weimar den 9. Januar 1824.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1824. An Christoph Ludwig Friedrich Schultz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-743F-7