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An Dorothea von Chassepot,geb. von Knabenau

[Concept.]

Ihr liebes Schreiben, meine theure Freundin, kam so ganz zu rechter Stunde. Das Gefühl seine ältesten, ganz zunächst mitlebenden Gönner und Freunde verloren zu haben, tritt freylich manchmal hervor und [29] so fühlt man es um sich her gar zu hohl und zu leer, besonders, wenn irgend ein Umstand eintritt, den man ihnen mitzutheilen, worüber man sich mit ihnen zu berathen viele Jahre gewohnt war.

Sieht man nun aus der weiten Welt ein freundliches Licht erscheinen, nähert sich's und erkennt man eine geliebte geprüfte Freundin; so ist es gewiß ein glänzender Stern, der uns aus einer düsteren Wolkennacht entgegen leuchtet. Vernimmt man nun zu gleicher Zeit daß es der Geliebten wohl geht, so ist man in diesem Sinne wieder aufgerichtet; denn gar oft drücken uns, bey eigenen Übeln, auch noch die Übel der Herzens-und Geistesverwandten noch mehr herunter.

In Erwiderung aber Ihren lieben guten Worten darf ich wohl sagen: daß in dieser letzten Zeit unsre neu eintretenden jungen Herrschaften alles zu thun sich geneigt erweisen was mir, wie in jenen früheren Zuständen, alles Behagen gewähren können. Die Frau Großherzogin besonders weiß die mir noch anvertrauten Geschäfte, und was mich sonst berührt, auf die zarteste und sinnigste Weise zu fördern und mich dadurch zu überzeugen, daß manches von mir gestiftete Gute mich überleben soll. Hieran werden Sie sich gewiß theilnehmend erfreuen, wie ich mich an der [Darstellung?] Ihrer Zustände gefühlt habe.

Die guten Reisenden, die mich besuchen, bringen mir doch manches, wenn sie mir schon die Stunde nehmen. [30] Auch an der Stunde wäre nichts gelegen, wenn ich nicht gerade einen bedeutenden Faden, ich will nicht sagen abschneiden, aber doch müßte stocken lassen, um zu vernehmen wie es auf irgend einem Puncte der bewohnten Welt aussieht, der mich nicht in Geringsten angeht. Wollte man aber billig seyn und könnte man zuletzt eine Bilance aufstellen, so würde ich doch immer als der Gewinnende erscheinen; denn es ist doch keine Kleinigkeit, so viel Personen als Repräsentanten ihrer Völkerschaft an sich vorübergehen zu sehen und darunter sehr bedeutende Menschen gewahr zu werden.

Inwiefern ich die französischen Ankömmlinge freundlich aufnehme, davon kann Herr David, der vorzüglich Bildhauer, ein Zeugniß geben. Er kam an mit dem Wunsch meine Büste zu bilden; ich ließ mir's gefallen, weil dieß in drey, vier Tagen wohl abgethan seyn konnte. Da beliebte es aber dem werthen Manne eine Masse Thon in's Haus zu schaffen, woraus Gott der Herr, mit aller Bequemlichkeit, einen ganzen Adam herausgeknetet hätte. Wir widmeten daher einige Wochen diesem Geschäft. Genug, dieses ungeheuere Gebilde steht nun, wie ich höre, in Paris, in der Werkstatt des genannten vortrefflichen Mannes, und ich wünschte nichts mehr als daß die liebe Freundin sich dorthin verfügte. Findet sie Ähnlichkeit mit dem ihr längst Ergebenen und spricht sie es aus, so wird es dem werthen Künstler gewiß zur [31] Freude gereichen. Denn es kommt am Ende doch darauf an: ob ein solches Contrefey, das dauern soll, dem entschwundenen vergänglichen Wesen einigermaßen zu vergleichen seyn möchte.

Weimar den 21. April 1830.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An Dorothea von Chassepot,geb. von Knabenau. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-74A6-0