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An den Herzog Carl August

Mein Erinnerungsbrief an Scherer hat ihn in Hamburg angetroffen, in beyliegenden Briefen erklärt und entschuldigt er sich über die Langsamkeit seiner Reise. Das an Sie, bester Fürst, gerichtete Schreiben habe ich aufzuschneiden mir die Freyheit genommen weil ich seinem Volum nach eine ausführlichere Relation erwartete. Leider fand ich mich getäuscht, eine Landkarten Anzeige machte den Brief stärcker.

Graf Beust hat mir das andre, hier beyliegende Schreiben übergeben, mit der Bitte Ihnen solches nebst seinem Inhalte zu empfehlen, welches hiermit geschieht. Sollte gegen den Supplikanten nichts zu erinnern seyn, so werden Sie ja wohl denselben bey dem kühnen Schritte den er thut durch ein solches Ehrenzeichen aufmuntern. Wahrscheinlich ist Ihnen schon bekannt daß er die Gräfinn Beust heyrathet.

[234] Wie es mir übrigens geht enthält ein dictirtes Blat das ich, mit Bitte um Ihr fortdaurendes Wohlwollen, hier beylege. Franckfurt d. 15. Aug. 97.

Goethe.


Gestern habe ich die Oper Palmira aufführen sehen, die im Ganzen genommen sehr gut und anständig gegeben ward. Ich habe auch dabey vorzüglich die Freude gehabt einen Theil ganz vollkommen zu sehen, nämlich die Decorationen; sie sind von einem Mailänder Fuentes, der sich gegenwärtig hier befindet. Bey der Theaterarchitektur ist die große Schwierigkeit, daß man die Grundsätze der ächten Baukunst einsehen, und von ihnen doch wieder zweckmäßig abweichen soll. Die Baukunst im höhern Sinne soll ein ernstes, hohes, festes Daseyn ausdrucken, sie kann sich, ohne schwach zu werden, kaum auf's Anmuthige einlassen, auf dem Theater aber soll alles eine anmuthige Erscheinung seyn. Die theatralische Baukunst muß leicht, geputzt, mannigfaltig seyn, und sie soll doch zugleich das Prächtige, Hohe, Edle darstellen. Die Decorationen sollen überhaupt, besonders die Hintergründe, Tableaus machen, der Decorateur muß noch einen Schritt weiter thun als der Landschaftsmahler, der auch die Architektur nach seinem Bedürfniß zu modificiren weiß. Die Decorationen zu Palmira geben Beyspiele woraus man die Lehre der Theatermahlerey abstrahiren könnte. Es sind 6 Decorationen die auf einander in zwey Akten folgen, ohne daß eine wiederkommt, sie sind mit sehr kluger Abwechslung und Gradation erfunden. Man sieht ihnen an daß der Meister alle Moyens der ernsthaften Baukunst kennt, selbst da, wo er baut wie man nicht bauen soll und würde, behält doch alles den Schein der Möglichkeit bey und alle seine Constructionen gründen sich auf den Begriff dessen was im wirklichen gefordert wird, seine Zierrathen sind sehr reich, aber mit reinem Geschmack angebracht und vertheilt, diesen sieht man die große Stukaturschule an, die sich in Mailand befindet und die man aus den Kupferstichwerken des Albertolli kann kennen lernen. Alle Proportionen gehen ins schlanke, alle Figuren, Statuen, Basreliefs, gemalte Zuschauer gleichfalls, aber die übermäßige Länge und die gewaltsamen Gebärden mancher Figuren sind nicht Manier, sondern die Nothwendigkeit und der Geschmack haben sie so gefordert, das Colorit ist untadelhaft und die Art zu mahlen äußerst frey und bestimmt. Alle die perspectivischen Kunststücke, alle die Reize der nach Directionspuncten gerichteten Massen zeigen sich in diesen Werten. Die Theile sind völlig deutlich und klar ohne hart zu seyn, und das ganze hat die lobenswürdigste Haltung. Man sieht die Studien einer großen Schule und die Überlieferungen mehrerer Menschenleben in dem unendlichen Detail und man darf wohl sagen daß diese Kunst hier auf dem höchsten Grade steht. Nur Schade daß der Mann so kränklich ist, daß man an seinem Leben verzweifelt. Ich will sehen daß ich das was ich hier nur flüchtig hingeworfen habe, besser zusammenstelle und ausführe.

NB. Der Garten, die vorletzte Dekoration, ist ein Meisterstück der Erfindung und Ausführung.

Das Hauptinteresse sollte eigentlich gegenwärtig, für die Frankfurter die Wiederbezahlung ihrer Kriegsschulden und die einstweilige Verinteressirung derselben seyn, da aber die Gefahr vorbey ist, haben Wenige Lust thätig mitzuwirken. Der Rath ist hierüber in einer unangenehmen Lage; er und der wackere Theil der Bürger, der sein baares Geld, sein Silbergeschirr, seine Münzkabinette und was sonst noch des edlen Metalls vorräthig war, freywillig hingab, hat nicht allein damals hierdurch und durch die persönliche Leiden der weggeführten Geisel die Stadt und den egoistischen flüchtigen Theil der Reichen vertreten und gerettet, sondern ist auch gutmüthig genug gewesen, für die nicht Schutzverwandten, als die Stifter, Klöster, deutschen Orden u.s.w. die Contributionen in der Masse mit zu erlegen. Da es nun zum Ersatz kommen soll, so existirt weder ein Fuß wornach, noch ein Mittel wodurch man eine so große Summe, als [235] zu dem Interesse und dem Amortisationsfond nöthig ist, beybringen könnte. Der bisherige Schatzungsfuß ist schon für den ordinairen Zustand völlig unpassend, geschweige für einen außerordentlichen Fall. Jede Art von neuer Abgabe drückt irgend wohin und unter den hundert und mehr Menschen die mitzusprechen haben, findet sich immer ein und der andere, der die Last von seiner Seite wegwälzen will. Die Vorschläge des Raths sind an das bürgerliche Collegium ergangen; ich fürchte aber sehr, daß man nicht einig werden wird und daß, wenn man einig wäre, der Reichshofrath doch wieder anders sentiren würde. Indessen bettelt man von Gutwilligen Beyträge, die künftig berechnet werden und, wenn man bey erfolgender Repartition zu viel gegeben hat, verinteressirt werden sollen, einstweilen zusammen, weil die Interessen doch bezahlt werden müssen. Ich wünsche, daß ich mich irre, aber ich fürchte daß diese Angelegenheit so leicht nicht in Ordnung kommen wird.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7508-E