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An Carl Friedrich von Reinhard

Die heutig Post will ich nicht abgehen lassen, ohne für Ihren früheren lieben Brief vom 14. September vorigen Jahres zu danken, den mir Herr Sieveking gestern überreicht hat. Ich höre mit Zufriedenheit, daß Sie sich in Cassel befinden und nicht nach Göttingen gekommen sind: denn mein lebhaftester Wunsch war, Sie an dem letzten Orte zu sehen, und seit Ihrem letztern Briefe bin ich mit innern und äußern Umständen soviel zu Rathe gegangen, ob eine [315] Tour dahin für mich möglich seyn könnte, daß ich bis jetzt nicht geantwortet habe. Was hätte mir erfreulicher begegnen können, als Sie, die lieben Ihrigen, unsern Müller und so manchen alten Freund und Wissenschafts Verwandten an dem merkwürdigen Orte zu treffen, der auch jetzt noch so vieles verwahrt und erhält.

Das waren alles aber nur fromme Wünsche, wie man beynahe jetzt nichts thun kann, als fromm und unfromm zu wünschen. Indessen habe ich diesen Winter meine Thätigkeit nach innen, so gut es gehen wollte, fortgesetzt. Ich bin nicht aus Weimar, ja kaum aus der Stube gekommen. Vorzüglich habe ich an der Geschichte der Farbenlehre gearbeitet und bin nun bald mit dem siebzehnten Jahrhundert zu Rande.

Der junge Sieveking hat mir recht wohl gefallen. Ich habe mit ihm über manches was ihn zu interessiren schien, gesprochen, freylich nur fragmentarisch und aphoristisch, und da kommt man denn leider in den Fall misverstanden zu werden. Die Lage der Welt ist so wunderlich und der Zustand eines jungen Mannes der gerade in diese Zeit kommt, bedenklich, und kaum läßt sich, bey diesem Hin- und Widerschwancken, selbst bey anhaltendem Umgange, etwas bedeutendes wirken. Während seines Hierseyns gedenk' ich ihn öfter zu sehen. Daß Jemand von den Ihrigen in meiner Nähe ist, soll mir den Verlust ersetzen, daß ich Sie nicht habe erreichen können. Und [316] soviel für dießmal, mit meinen herzlichsten Wünschen und Empfehlungen.

Weimar den 17. April 1809.

Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1809. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-751B-4