9/2819.
An Caroline Herder
Venedig, d. 4. Mai 90.
Ihr Brief vom 19. April, liebe Frau, ist mir gestern in die Hände gekommen; es war das Erste, was ich von Ihnen sah. Nun wird auch mein Blatt mit den Epigrammen angekommen sein und Ihr werdet daraus gesehen haben, daß ich nicht ganz müßig war. Das Büchlein ist schon auf 100 Epigramme angewachsen; wahrscheinlich gibt mir diese Reise noch [203] eins und das andre. Ich bedaure sehr, daß der Mann krank und unbehäglich ist; nur ein paar Zeilen von seiner Hand hätten mich sehr erfreut. Ich kann nicht läugnen, daß manchmal diesen Monat über sich die Ungeduld meiner bemächtigen wollte. Ich habe aber auch gesehen,gelesen, gedacht,gedichtet, wie sonst nicht in einem Jahr, wenn die Nähe der Freunde und des guten Schatzes mich ganz behaglich und vergnügt macht. Seit acht Tagen ist sehr schön Wetter, nur das Grüne fehlt hier dem Frühling.
Der alte Zucchi beträgt sich sehr freundschaftlich gegen mich. Er hält mir Vorlesungen über den Adreßkalender und erklärt mir die wunderliche Constitution dieses Staats, indeß ich die Venetianische Geschichte durchlaufe. An Gemälden habe ich mich fast krank gesehen, und wirklich eine Woche pausiren müssen.
Durch einen sonderbar glückliche Zufall, daßGötze zum Scherz auf dem Judenkirchhof ein Stück Thierschädel aufhebt und ein Späßchen macht, als wenn er mir einen Judenkopf präsentirte, bin ich einen großen Schritt in der Erklärung der Thierbildung vorwärts gekommen. Nun steh' ich wieder vor einer andern Pforte, bis mir auch dazu das Glück den Schlüssel reicht. Die Meerungeheuer habe ich auch nicht versäumt zu betrachten, und habe auch an ihnen einige schöne Bemerkungen gemacht. Sobald ich nach Hause komme, fange ich an zu schreiben und [204] hoffe, daß unterm Schreiben sich mir noch manches darbieten soll. Von anderm Fleiß und Unfleiß, von Abentheuern, Launen und dergl. muß das epigrammatische Büchlein dereinst des mehrern zeugen.
Knebels Lage betrübt auch mich. Sie würde Euch noch mehr betrüben, wenn Ihr das ganze Innere von der Sache wüßtet, das ich aber nicht entdecken kann. Ich habe nach meiner Überzeugung gehandelt, und gewiß mehr als einmal, seine Zufriedenheit zu bewirken, ernstliche Plane gemacht. Es war aber nicht möglich, sie zu vollführen. Was noch zu thun ist, will ich immer gern thun.
Die Herzogin erwarte ich in einigen Tagen. Was sie interessiren kann, hat sie bald gesehen, und auf Neapel kann Venedig nicht schmecken. Vor Pfingsten, hoffe ich, kommen wir hier weg und sind in dem halben Juni zu Hause. Meine Gesinnungen sind häußlicher, als Sie denken.
Grüßen Sie den Mann herzlich und die Kinder. An August liegt ein Blättchen bei. Wenn Sie mir [205] auf diesen Brief bald etwas sagen wollen, so schicken Sie es auf Trent poste restante.
Ich danke Ihnen für die Inlage, die Sie mir schickten; sie enthielt die Nachricht, daß mein Kleiner wieder besser ist; er war 14 Tage sehr übel. Es hat mich sehr beunruhigt, ich bin daran noch nicht gewohnt.
Daß Sie aber in Ihrem Briefe, meine Liebe, diehohen Trümmern und Künste heruntersetzen und uns dafür Fleiß, Mühe und Noth anpreisen, soll als eine Hausfrauenlaune verziehen werden. Diese drei letzten allerliebsten Schwestern sind freilich des Menschen Gefährten, aber warum soll man nicht alles verehren, was das Gemüth erhebt und uns durchs mühselige Leben hindurchhilft! Wenn ihr das Salz wegwerft, womit soll man salzen!
Den 5. Mai.
Meyer ist eben angekommen, und sagt, die Herzogin werde morgen hier sein. Ich schließe den Brief nicht eher, als bis sie angelangt ist. Die Gegenwart des alten auferstandnen Schweizers macht mir die grüßte Freude. Nun kann ich hoffen, daß ihn das Schicksal erhält und in ihm auch für mich eine schöne Zierde des Lebens.
Den 7. Mai.
Gestern Abend ist die Herzogin gesund hier angekommen, gesund ist alles ihr Gefolge. Büry ist auch mit hier. Lebt wohl! Lange bleiben wir nicht aus.
G. [206]