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An August von Goethe

Durch die wunderlichsten Zufälligkeiten las ich erst heut dein kleines Billetchen, Mayland den 2. Juni. Darum auch desselben in meinem Schreiben vom 27. nicht gedacht ist.

Demohngeachtet erhelle aus diesem, daß ich eine Sendung an dich nach Rom vorbereite, und also du werdest dahin gehen voraussetze. Wahrscheinlich erhältst du diesen und jenen Brief zu gleicher Zeit und ich erkläre also hiermit ausdrücklichst und feyerlichst: daß es mir sehr angenehm seyn wird in deinen Tagebüchern deinen Einzug in der Porta del Popolo zu vernehmen. Du mußt dir in jedem Fall, da du so großen Vortheil von deiner Reise körperlich und geistig schon empfunden hast, jetzt, mit immer freyerem Gemüth und Sinn, überlegen was dir fernerhin nützlich seyn kann.

Nach deinem Brieflein gingst du von Venedig über Florenz und Genua nach Mailand zurück; nach meiner Einsicht kannst du nun entweder schneller oder durch einen andern Weg nach Rom gelangen. Aus der Ferne ist gar nicht zu rathen. Die Hauptsache bleibt, daß du von fremden Gegenständen und von fremden Menschen berührt werdest. Überlege daher mit dir selbst und den werthen Freunden Mylius das Vortheilhafteste. Begib dich zu denen Orten, die du noch nicht gesehen [114] hast, an denen die du sahst halte Nachlese, wozu jeder Ort die größten Reichthümer beut.

Ob du nunmehr bey deiner südlichen Tour über Lodi, Piacenza, Parma, Reggio, Bologna, Ravenna an's adriatische Meer gehen magst, von Rimini an demselben her, auf Loretto und dann auf Rom dich wendest, das ist deine Sache welches du bedenken und nach Einsicht verständigen wie bisher ausführen wirst. Du mußt dir immer sagen: deine Absicht sey, eine große Welt in dich aufzunehmen und jede in dir verknüpfte Beschränktheit aufzulösen. Überzeugen dich nur daß es, in diesem Sinne, keineswegs von Bedeutung sey, wenn du auch ein paar Achatkugeln aus dem belobten Rosenkranze vermissen solltest. Du kannst daher das Myliusische Haus in meinem Namen versichern: daß ich allen und jeden Credit, den Sie dir zugestehen, honoriren und ihre hierauf zu stellenden Anweisungen ungesäumt bezahlen werde.

Die von Venedig angekündigte Reise möchte in vier Wochen kaum zu vollenden seyn, deswegen dieses Blatt wahrscheinlich dich in Mayland empfangen wird.

Sollte Eckermann, wie's wohl möglich ist, an dem bisherigen Genüge haben, so gib ihm die Mittel bequem zurückzukehren; er soll uns willkommen seyn, mit allem was er aufgeladen hat. Auf die Ankunft der Medaillen freue ich mich; wenn du dergleichen findest, so laß dich die Auslage nicht reuen. Wir haben zwar fürtreffliche Dinge; es schweben aber dergleichen, [115] erkannt und unerkannt, noch viel in der Welt herum. Wie die Medaille Mahomet des Zweyten von Bertholdo mich nunmehr täglich belehrt und erfreut. Indessen du dich in der weiten und breiten Welt umsiehst ergötzen mich wieder um einen mäßigen Preis angeschaffte Radirungen und Zeichnungen, wo doch immer der Geist des Künstlers hervorleuchtet wenn auch seine Thaten viel größer waren. Herr v. Müller grüßt schönstens und freut sich daß du das Original der Maria in Venedig rühmst, da ihn eine Copia in Bologna schon glücklich gemacht hat. Ottilie grüßt besonders, wenn gleich leidend immer lieb und gut. Das kleine Mädchen wird alle Tage neckischer.

und so fortan!

Weimar den 29. Juni 1830.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-77A7-9