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An den Herzog Carl August

Durchlauchtigster Herzog,
Gnädigster Fürst und Herr!

Euer Durchlaucht haben geruht, über das hier wieder beygebogene Gesuch der Intestat-Erben des jüngst verstorbenen Raths Kraus von Unterzeichnetem einen gutachtlichen Bericht zu erfordern, welchen derselbe nicht besser zu erstatten glaubt, als wenn er das ihm bekannte Verhältniß umständlich schildert.

Obgleich über die der Fürstlichen Zeichen-Schule zuständigen Musterzeichnungen und andre Kunstwerke niemals ein förmliches Inventarium gefertigt worden; so hat doch Rath Kraus selbst in der letzten Zeit, vor einer von ihm unternommenen Reise, alle dergleichen Blätter in einen Schrank gebracht und solche dem Kupferstecher Müller, welcher überhaupt mit seinen Verhältnissen bekannt gewesen, übergeben, wodurch denn die Hauptsache ziemlich ins Reine gekommen.

Jedoch befinden sich unter der Krausischen Verlassenschaft noch manche Dinge an Gemählden und Kupferstichen, vielleicht auch Zeichnungen, welche früher aus Euer Durchlaucht Schatulle angeschafft und bey demselben niedergelegt worden. Diese sind theils mir selbst, theils dem Legationsrath Bertuch, nicht weniger den Unterlehrern bekannt; und so würden sich die- [255] selben, bey der Entsiegelung, leicht von dem übrigen Nachlaß absondern lassen.

Was nun, wenn dieses geschehen, an Plänen, Zeichnungen und Musterblättern, welche dem Rath Kraus eigenthümlich angehört, noch übrig bleiben würde, und in wiefern die Abtretung derselben der Zeichen-Schule nützlich seyn könne, darüber läßt sich, ohne nähere Einsicht in die Dinge, kein Urtheil fällen.

So viel jedoch mir und andern von dem eigentlichen Kunstnachlasse des Rath Kraus bekannt ist, so möchte derselbe, außer dem was von seiner eigenen Hand sich darunter befindet, von keinem hohen Werthe seyn, auch eine Inventarisation und Taxation dieser Gegenstände Unbequemlichkeit und Zeit- und Kostenaufwand verursachen, ohne daß dadurch ein bedeutender Zweck erreicht würde; so daß man wohl anrathen kann, diesen Kunstnachlaß den Erben sogleich ohne Weiteres zu freyer Disposition zu überlassen.

Ob aber das übrige von dem verstorbenen Rath Kraus in hiesigen Landen besessene Vermögen von einiger Bedeutung sey, in wiefern solches durch die Plünderung vermindert worden, und ob die angeboten 100 Thaler Collateralgelder ein hinlängliches Äquivalent für den zu erlassenden zehnten Pfennig seyn möchten, darüber wagt Unterzeichneter, bey einem gänzlichen Mangel von Kenntniß, nicht zu entscheiden.

Es hängt daher ganz von euer Durchlaucht groß-[256] müthigen Gesinnungen ab, in wiefern die Verdienste des Verstorbenen, dem wir so Manches verdanken, auch seinen Erben zu Gute kommen dürfen; oder ob etwa eine nähere Einsicht in die Krausische Verlassenschaft vor allen Dingen noch zu verlangen wäre; welches aber außerhalb meines Kreises liegt. Was das eigentliche Interesse der Zeichenschule betrifft, werde ich bey Resignation des Krausischen Quartiers auf das gewissenhafteste zu besorgen nicht verfehlen.

Ew. hochfürstl. Durchlaucht

unterthänigst treugehorsamster

Joh. Wolfg. v. Goethe.

Weimar
den 26. Dec. 1806.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1806. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-77C9-C