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An den Großherzog Carl August

Ew. Königlichen Hoheit

lege, in Bezug auf neuliche Äußerung, einen kurzen Aufsatz vor, den ich niederschrieb um einige Beyspiele des allgemeinen Wurzellebens vor Augen zu bringen. Versuche dieser Art können nicht genug empfohlen [142] werden, indem sie die innern geheimen Absichten der Natur an den Tag fördern.

2) Das vorstehende Seestück ist in jedem Sinn erfreulich, des glücklichen Andenkens wegen und auch als Zeugniß daß von der alten Wogen-Durchsichtigkeit und dem Geschmack malerischer Anordnung in den Niederlanden noch genugsam übrig geblieben.

3) Ich höre von einer interessanten, für Rafael zu haltenden Zeichnung; dürfte ich wohl um Mittheilung derselben Gruppe copirt, sogleich vorbereitend.

unterthänigst
Weimar den 20. März 1825.
J. W. v. Goethe.

[Beilage.]
Blatt und Wurzel.

Blatt und Wurzel haben, als zwey Theile der höheren Pflanzen-Organisation, ein Verhältniß zusammen, welches bey den ausgebildeten Gewächsen nicht so deutlich in die Augen fällt, indem das Blatt sich über der Erde, die Wurzel sich unter derselben entwickelt, und also beide von einander ursprünglich getrennt erscheinen; allein wir sehen schon am Hervortreten der Luftwurzeln, daß auch Stamm und Stengel [143] dergleichen hervorzubringen geartet sind. Nur Weniges zu näherer Aufklärung dieses Punctes.

1) Einsichtige Naturforscher haben schon die Längen-Fasern, wodurch die Blätter sich mit Stamm und Stengel herabwärts verbinden und, an dem Leben des Splintes Theil nehmend, sich entwickeln und ernähren, als Wurzeln angesprochen; auch ist es bey näherer Betrachtung nicht etwa blos die Einbildungskraft, welche hier Ähnlichkeiten finden will, sondern der Verstand, der wirklich Analogien entdeckt.

2) Da aber Blatt und Auge im Gedanken unzertrennlich sind, indem ein jedes Blatt ein Auge hinter sich hat, ein jedes Auge aus schuppig über einander geschobenen Blättern besteht, bey jedem dieser Blätter aber, dem ersten sowohl als dem folgenden, immer die ganze Pflanze zu denken ist; so folgt daraus, daß man sich auch überall einen Wurzelpunkt, die Möglichkeit einer Wurzelerscheinung vorzustellen habe.

3) Vor mehreren Jahren vernahm ich, daß, wenn man die Zwiebel-Blätter der kleinen Fritillaria, die in den Gärten gepflegt wird, geschickt wegnehme und solche zwischen Löschpapier, wie zum Herbarium trockne, nach einer gewissen Zeit sich am untern Ende Zwiebelchen entwickelten, welche wieder fortzupflanzen seyen. Ich erinnere mich, den Versuch selbst gemacht zu haben, obgleich das Resultat mir aus dem Gedächtniß geschwunden ist; doch wäre das Experiment [144] gar leicht zu wiederholen und dessen Erfolg abzuwarten.

4) Eine merkwürdige Wurzel-Entwickelung hat Oberforstmeister von Fritsch vor kurzem zur Aufbewahrung übergeben. Es fand sich nämlich bey dem Umhauen einer alten kernfaulen Linde, daß ein oberer Ast in diese Fäule tiefe Wurzel geschlagen und wie auf Grund Boden fortvegetirt habe. Ich suche mir diese Sache folgendermaßen zu erklären. Bey dem früheren Köpfen der Linde, welches jederzeit ein Absterben des Sturzes nach sich zieht, entwickelte sich aus dem Keim eines frischen Zweiges ein Wurzelpunct; dieser fand in der feuchten, dem Verderben übergebenen Fläche des alten Baumes sogleich Nahrung, wuchs fort, nährte sich an der Kernfäule und half dieselbe vermehren.

Wie reich an jungen Trieben eine alte Linde sey, beweisen die unzähligen von der Wurzel an am Stamme herauf sich immerfort entwickelnden Zweige, und es entstände die Frage, ob man mit geschickter Behandlung nicht eben solche junge Zweiglein zum Wurzelschlagen nöthigen könnte.

5) Die Allgegenwart der Wurzel zeigt sich übrigens an der in neuerer Zeit allgemein durchgeführten Vermehrung durch Stecklinge.

Weimar den 20. März 1825.

J. W. v. Goethe. [145]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1825. An den Großherzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7857-6