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An Johann Heinrich Meyer

Ihr Brief mit den Beylagen hat mir großes Vergnügen gemacht, denn da ich Ihre tägliche Unterhaltung[326] entbehren muß, so ward mir dadurch ein Ersatz, indem ich Sie auf Ihrer Reise in Gedanken begleiten und die mancherley interessanter Gegenstände mit Ihnen genießen konnte.

Nürnberg hoff' ich bereinst mit Ihnen zu sehen und glaube selbst daß man von da, und von Augsburg aus, den alten deutschen Kunsthorizont recht gut werde überschauen können.

Die Art, wie Sie die Merkwürdigkeiten in und um München gesehen und beschreiben, zeigt zum voraus was vor eine reiche Erndte jenseits der Alpen zu erwarten ist. Lassen Sie sich nicht reuen auch in Buchstaben freygebig zu seyn. Die Worte des guten Beobachters sind keine Buchstaben mehr; sein Urtheil spricht unmittelbar zu unserm Bessern Selbst, lehrt uns aufmerken, genau und bescheiden seyn.

Merkwürdig ist der Fall mit dem Bilde das sie Julius Roman zuschreiben; allein wenn man bedenkt, wie viel Menschen in der Kunst sich redlich bemüht und unsäglichen Fleiß aufgewendet haben, so kann freylich der Fall öfter kommen, daß einer durch besonderes Glück und Anstrengung in einem einzelnen Falle etwas vorzügliches geleistet habe, dessen Nahme durch keinen Complex von Arbeiten berühmt geworden ist.

Die Tabellarische Methode finde ich auch in ihrer Ausführung fürtrefflich, besonders wird sie dem kunstrichterlichen Gedächtniß auf das beste zu Hülfe kommen [327] und ich sollte denken, wenn man sich einmal hieraus geübt hat, so müßte es auch so viel Zeit nicht wegnehmen, denn es verlangte doch mehr Stimmung und Anstrengung, zu einem jeden Bilde die eigenthümliche Formel der Beschreibung zu erfinden die dazu paßte und gehörte. Übrigens wird es immer auf Sie ankommen wie viel Bilder Sie auf diese Weise genau durchgehen und welche Sie nur oben hin mit einigen Worten berühren wollen. Bey Hauptbildern wird es immer, wie mich däucht von großem Nutzen seyn.

Ich habe indessen auch mancherley zu unserm Zweck zusammmen getragen und hoffe die Base zu unserm Gebäude breit und hoch und dauerhaft genug aufzuführen. Ich sehe schon die Möglichkeit vor mir einer Darstellung der physicalischen Lage, im allgemeinen und besondern, des Bodens und der Cultur, von der ältesten bis zur neuesten Zeit, und des Menschen in seinem nächsten Verhältnisse zu diesen Naturumgebungen. Auch ist Italien eins von denen Ländern wo Grund und Boden bey allem was geschieht immer mit zur Sprache kommt. Höhe und Tiefe, Feuchtigkeit und Trockne sind bey Begebenheiten viel bedeutender und die entscheidenden Abwechslungen der Lage und der Witterung haben auf Cultur des Bodens und der Menschen, auf Einheimische, Colonisten, Durchziehende mehr Einfluß als in nördlichen und breiter ausgedehntern Gegenden.

[328] Durch einen äußern Anlaß bin ich bewogen worden über die Baukunst Betrachtungen anzustellen und habe versucht mir die Grundsätze zu entwickeln nach welchen ihre Werke beurtheilt werden können. Ich habe Schillern meinen ersten Entwurf mitgetheil, der ganz wohl damit zufrieden ist, wenn die Arbeit mehr gereinigt ist werde ichs Ihnen auch zur Beurtheilung vorlegen.

Von Antonio Labacco lege ich eine Nachricht bey. Wenn Sie das Werk dieses Mannes, entweder ganz oder in einzelnen Abdrücken, finden können, so nehmen Sie es ja mit, denn es findet sich nicht leicht etwas besser gearbeitet und gestochen. Auch hat Palladio, außer seinem Werk über die Architectur, das wir besitzen, noch römische Alterthümer herausgegeben, die uns nicht entgehen dürfen, denn theils ist es sehr interessant, was die Menschen noch damals fanden, dessen Spuren jetzt völlig verschwunden sind, theils sind auch ihre Restaurationen und Bemerkungen immer wichtig.

Im Serlio habe ich auch die Risse verschiedener merkwürdiger Ruinen gefunden, die sonst nicht überall vorkommen; auch habe ich den Scamozzi durchlaufen, ein fürtreffliches Werk, das wohl wenige seines gleichen hat. Vielleicht bin ich bald im Stande Ihnen eine Charakteristik dieser beyden Männer und Werke zu liefern. Worauf ich Sie aufmerksam machen wollte sind die alten Vorschläge zur Erbauung der Peterskirche, [329] vielleicht giebt es gut gestrochne Blätter von den Ideen des Bramante, des Baltasar von Siena, vielleicht findet sich eine Spur von den Thürmen, welche Bernini aufsetzen wollte, ja wovon einer schon stand und wieder abgetragen werden mußte. Die Geschichte der Peterskirche interessirt mich mehr als jemals, es ist wirklich eine kleine Weltgeschichte und ich wünsche, daß mir die Belege dazu sammeln. Gewiß war Labacco nicht der einzige der sich in jenen Zeiten beschäftigte dergleichen Werke durch Kupferstich auszubreiten.

Besonders auf alles was von Bramante sich auffinden ließe bitte ich aufmercksam zu seyn.

Ich erhalte Ihnen Brief von Mantua und sehe mit vieler Freunde daß es Ihnen daselbst recht wohl gefallen hat. Was werden wir nicht alles erfahren haben wenn wir einmal diese Wercke zusammen sehen und werden wir zu diesem Glück gelangen? Doch das sey der Zeit überlaßen, die wir indessen so gut als möglich nutzen wollen. Ich lese viel und excerpire und sammle. Möge Sie dieses Blatt in Rom gesund antreffen. Grüßen Sie Angelika tausendmal und sagen ihr von meiner schönen Hoffnung, sie in einem Jahre wieder zu sehen. Grüßen Sie alle Freunde der vorigen Zeit und schreiben mir fleißig. Ein kleiner Ankömmling hat uns schon wieder verlassen. Sonst ist alles wohl in meinem Hause und grüßt.

W. d. 16. Nov. 1795.

G.


[330] [Beilage.]

Antonio Labacco war ein Schüler des Antonio San Gallo, er scheint einer von den subalternen Naturen gewesen zu seyn, die noch immer auf einen sehr hohen Grad der Kunst gelangen, wenn die Meister vortrefflich sind. Er arbeitete das große Modell der Peterskirche das im Vatikan steht, und stach es wahrscheinlich selbst in Kupfer. Sein besonderes Vergnügen war die Ausmessung alter Gebäude und deren Restauration auf dem Papier, daher entstand sein Werk:

Libro d'Antonio Labacco appartenente al Architettura nel quale si figurano alcune notabili antiquita di Roma

ohne Jahrzahl, welches aus 27 Blättern besteht. Es sollte dieses nur Vorläufer eines größern seyn. Ob das letztere zu Stande gekommen, ist eine Frage. In der Vorrede zu dem Werke (dessen Nachdruck ich, Venedig 1584, vor mir habe) spricht er von der Liebhaberey der Ausmessung und Restaurationen und von seinen Sammlungen der Art; er erzählt daß sein Sohn Mario, gleichfalls im Kupferstechen geübt, ihn veranlaßt habe die Sachen zu ediren, weil sich aber die Ausgaben eines solchen weitläuftigen Werks verziehen können so wolle er einstweilen das was vorräthig ist herausgeben.

Der Nachstich ist gegen das Original schlecht. Außer dem Titelkupfer sind die übrigen Blätter von der Gegenseite.

[331] Er soll das Hauptportal des Pallasts Sciarra erbauet haben, wahrscheinlich Sciarra Colonna im Cors, das doch darauf anzusehen wäre es ist, so viel ich mich erinnere von guter Architectur. Eine Kirche von feiner Invention in seinem Werke ist nicht vom besten Geschmacke. Er war ein Römer von Geburt und wahrscheinlich einer von denen die mit Michel Angelo sehr unzufrieden waren, als dieser, nach St. Gallo Tode, das Modell desselben völlig verwarf. Vielleicht läßt sich sonst noch etwas von diesem Manne und seinen Arbeiten auffinden.

Sein Werck soll 1552 herauskommen seyn. Auf dem Titel steht die Jahrzahl nicht, vielleicht unter der Vorrede die mir fehlt. Das Werck ist wunderlich paginirt deßwegen hält man es nach den einzelne Blättern für stärcker als es ist.

Wenn Sie künftig Ihre Briefe numerirten, so wäre es gut. Ich will das gleiche thun, denn da Sie nichts von Ihrer Reise von München nach Mantua sagen, konnte ich vermuthen daß ein Brief verlohren gangen ist.

G. [332]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1795. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7870-C