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An den Grafen Sergej Semenowitschvon Uwarow

Ew. Excellenz

als Vorsitzenden der Petersburger Akademie zu verehren macht mir die größte Freude, denn wenn in Wissenschaften viel gethan ist, so kommen doch Retardationen, ja Rückfälle gelegentlich vor, und sollte man da nicht wünschen den geistreichsten Männern die Aussicht hierüber anvertraut zu sehen besonders in einem so weiten Kreis, als der jetzt Ihrer Sorgfalt übergebene!

Nehmen Sie meine dankbare Erwähnung in beykommendem Hefte freundlich auf! Die hohe Freiheit eines angebornen und durchgeübten Talents wird wohl billig den guten Deutschen vorgeführt, welche wähnen [175] in der Beschränkung liege die Kraft. Welches im strengsten Sinne wohl wahr seyn mag, aber die rollende Zeit will andere Umsichten.

Nun aber lassen Sie sich Wunsch und Bitte nicht verdrießen! Ich habe von einem Grafen Tolstoi ein medaillenartig, wenig erhobenes Kunstwerk in Gipsabguß gesehen, das mich in Verwunderung setzte. Könnten Sie mir von den Arbeiten dieses verdienten Mannes etwas zusenden, auch von seinem Leben und Künstlerbeginnen einige Nachricht vermelden lassen, so würden Sie mich sehr verbinden. Denn wir Scheidenden müssen täglich mit größerer Liebe und Neigung auf dasjenige hinblicken, was wir zunächst thätiges zurücklassen.

Ich lege noch einiges bey, woran Sie Theilnahme haben und erregen. Gar wunderlich wird es Ew. Excellenz auffallen, wenn Sie die Aushänge-Bogen eines Divans finden, der soeben gedruckt wird. In schrecklichen und unerträglichen Zeiten, denen ich persönlich nicht entfliehen konnte, floh ich in jene Gegenden, wo mein Schatz und auch mein Herz ist. Nur kosten und nippen konnt ich an Kewsers Quell, wobey denn doch eine wünschenswerthe Verjungung erreicht ward.

Möge das Ganze Ihnen dereinst gefällig seyn und mir das Zeugniß erwerben, daß ich in ein Reich, wo Sie völlig zu Hause sind, nicht ganz ohne Geschick und Glück hineinstreifte.

[176] Mögen Sie mir auch nur eine Wink zukommen lassen von dem, was Sie thun und vorhaben, so werden Sie mich erfreuen und beleben. Den reinsten Antheil trauen Sie mir zu, so wie ich die von Ihrer Seite mir gegönnte Neigung verehrend mich aufrichtigst unterzeichne

gehorsamst

Weimar [Jena], d. 18. May 1818.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1818. An den Grafen Sergej Semenowitschvon Uwarow. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-78CE-9