31/215.

An den Großherzog Carl August

[Concept.]

Ew. Königlichen Hoheit hätte schon längst pflichtgemäß schriftlich aufgewartet, wenn ich nicht auch zugleich etwas Vollbrachtes aus meinem kleinen Geschäftskreis hätte zu melden gewünscht. Gegenwärtig in Jena fehlt es mir nicht an Stoff, wenigstens sehe ich mich am Schluß einer Epoche, wo man umherschauen muß was zunächst zu thun sey.

1. Sämmtliche Bücher, und was sonst zur Schloßbibliothek gehörig, sind nun in das akademische Gebäude gebracht und in dem medicinischen Hörsaale fächerweise aufgestellt; die letzten leeren Repositorien werden auch noch diese Woche hingeschafft und aufgeschlagen, und so wäre denn der erste Theil des höchsten Auftrages vollbracht, und beyde Bibliotheken wenigstens dem Locale nach vereiniget.

2. Professor Güldenapfel mit seinen Gehülfen, denen noch ein Schreiber beygefügt worden, hat indessen die Arbeit ununterbrochen fortgesetzt. Erst wurden vier Stunden, vom Juny aber sieben Stunden täglich gearbeitet. Und die in dem neuen Arbeitszimmer aufgestellte Glottik wurde nach verschiedenen Absonderungen dieses Faches methodisch geordnet und alphabetisch katalogirt. Ist diese Abtheilung in einigen Wochen völlig zu Stande; so wendet er sich an das [217] medicinische Fach im juristischen Auditorium und behandelt solches auf gleiche Weise. In einigen Monaten werden sich die Fortschritte dieser Rubrik auch beurtheilen lassen.

3. Rath Vulpius hat indessen, bey einem dreywöchentlichen Aufenthalte, die Buderischen und Sagittarischen Manuscripte verzeichnet und wird nach einer vierwöchentlichen ihm gegönnten Badefahrt auf Liebenstein das Geschäft wieder antreten und was alsdann für das Erste und Nothwendigste gehalten wird, vornehmen. Und so gedenken wir bis in den October hinein zu arbeiten, wo sich resumiren und überblicken läßt, was seit zwey wird, was und in welcher Ordnung fernerhin zu thun und zu handeln sey, wo sich nach dem Maaßstabe des bisher Geschehenen ergeben mag, in wie fern eine Beschleunigung und durch welche Mittel sie zu erreichen seyn möchte.

Aus Vorstehendem werden Ew. Königliche Hoheit zu ersehen geruhen: daß das Geschäft seinen stäten und vorgeschriebenen Gang genommen, so daß die wenigen Retardationen ihm nicht schaden können.

Übrigens ist zu Gunsten der sämmtlichen Beauftragten annoch anzuführen, daß die Bibliothek diese Zeit her eifrig wie sonst benutzt worden, wovon das genau geführte Ausleihebuch ein gültiges Zeugniß ablegt; nicht weniger, daß Fremde aller Art, durch den[218] Ruf des neuen Vorhabens angelockt, sich zum Besuch fleißig einfinden, worauf denn der Bibliothekar und seine Gehülfen manche Zeit zu verwenden genöthigt sind, welche dem gegenwärtigen Hauptgeschäft unzersplittert wäre zu widmen gewesen. Der Vortheil aber, daß dieser Bücherschatz immerfort benutzbar bleibt, ist zu groß als daß man sich nicht auch hierin finden sollte.

Weimar den 11. July 1819.

Geheimerath Loder hat den Prosector Homburg, unter bedeutenden Bedingungen, nach Moskau berufen. Es scheint, der so erfahrene Mann habe vergessen was für eine bedenkliche Person dieser Homburg ist, habe auch nicht bedenkliche Person dieser Jahre ein praktisches Talent an Energie gar oft verkürzen. Homburg hat seit seiner großen Krankheit wenig gethan, sein geschickter, aber auch an Sitten dem Vater ähnelnder Sohn mußte für ihn eintreten, und so wird es auch in Moskau werden, denn er ist mitgegangen.

Hofrath Fuchs warf nun sogleich seine Augen auf den bey der Veterinärschule angestellten Schröter; es ist sein Schüler, war bisher Custos des anatomischen Cabinetts und hatte sich auf dem Heinrichsberge unter Renner sehr ausgebildet. Er ist primo loco vorgeschlagen und wir freuen uns diesen jungen Mann so weit herangebracht zu haben.

[219] Glücklicherweise findet sich wieder ein recht guter Schüler von Renner, den wir auf Zeitcontract annehmen, wie solches bey subalternen Stellen zu empfehlen ist. Durch diese Wendung werden die Geschäfte nirgends stocken, vielmehr arbeiten die Angestellten künftig einander in die Hände.

Zu dem venetianischen Pferdekopf ist auch noch der Londner angekommen; sie sind im osteologischen Cabinett aufgestellt, und es ist daraus ersichtlich, wie man in jenen uralten Zeiten gedacht, was man verstanden und zu welchen Zwecken man gearbeitet hat.

Vorstehendes hätte längst abgesendet, wenn ich nicht Tag zu Tag gehofft hätte, die Ankunft Posselts melden zu können; sie ist aber noch nicht erfolgt und der bedeutende Comet hat also keinen entschiedenen astronomischen Empfang erlebt. Körner hat ihm nach seiner Art einige Aufmerksamkeit erwiesen.

Unsere guten Fürstenkinder sind wohl und munter, in dem aufgehellten Garten; sie werden mit mancherley Gutem und Erfreulichem beschäftigt.

Das große vortreffliche Blumenstück ist glücklich angekommen, und dient schon zu mancher künstlerischen Betrachtung und Nachbildung. Auch darf ich nicht verhehlen, daß Adam und Eva von Frankfurt gesund [220] in ihrer ganz nackten Vortrefflichkeit angelangt. Es ist gewiß ein höchst bedeutendes Werk und auf alle Fälle das Beste was unser Museum in dieser Art besitzt. Es möchte etwas später seyn als Albrecht Dürer, doch nicht weit in die zweyte Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts hineinreichen.

So eben kündigt mir Director von Schreibers die Spedition der osteologischen Kiste mit angelegentlichster Empfehlung, das verspätete Absenden entschuldigend, getreulich an. Der brave Mann war krank gewesen und mag in seinen laufenden Geschäften sehr zurückgekommen seyn. Die Jenaischen Naturfreunde erfreuen sich höchlich über den nun bald zu hoffenden Biber und Consorten.

Ein Himmelsereigniß, dergleichen sich niemand erinnert, hat und vom 8. auf den 9. July wach erhalten. Bey einem hohen Barometerstand, 28" und etwas drüber, bey ganz vollkommen klarem Himmel, fing es nach 9 Uhr an im Westen zu wetterleuchten, man glaubte, daß nach drey, vier unerträglich heißen Tagen sich die Atmosphäre auf diese Weise abkühlen würde. Allein das Wetterleuchten wuchs um 10 Uhr dergestalt, daß es den vollkommenen Halbkreis von Westen nach Süden, ohne Pause aufflammend, einnahm. Um es zu beobachten fuhr ich erst zum Neuthor, dann zum Erfurterthor hinaus, wo das Phänomen [221] immer gewaltsamer erschien. Die zu uns her nach Osten ziehenden Wolken waren nicht gewitterartig schwer, sie strebten leicht vor und erschienen keineswegs drohend. Von halb 11 Uhr an hatte man wohl Donner gehört, aber sehr Ferne, und die ganze atmosphärische Operation ging, wie auch schon die Barometerhöhe andeutete, in den höchsten Lustregionen vor. Gegen Mitternacht gelangt es endlich hierher, Sturm und Regen waren in Jena nicht der Erwartung gemäß, die Saale weiter hinauf, besonders in Drakendorf, wurden viel Bäume umgerissen und Äste der ältesten zerbrochen.

In Weimar war das Gewitter viel stärker, in Gotha aber gewaltsam überraschend, indem ein unerwarteter Donnerschlag die Landlustigen auf Mühlen und Dörfern aufschreckte und sie unter fortwährendem Blitz und Donner nach der Stadt trieb. Sturm und Regen haben viel Schaden angerichtet.

Nees von Esenbeck meldet mit Freunden Ihren gnädigen Besuch, Depositum und Mittheilung. Von Ihro Frau Gemahlin erfahre daß eine schöne Fächerpalme in Eisenach angekommen. Es wird mich freuen diese merkwürdige Pflanze, die ich vor soviel Jahren in Padua bewundert (die stufenweise Ausbildung der Blätter bis zur Blüthe bewahre noch getrocknet), wieder in Belvedere lebendig zu erblicken.

[222] Bey der hiesigen Anstalt macht Voigt seine Sachen mit einem belvederischen Gartenknechte (der Geselle Wimmer hatte uns sehr bald verlassen) so gut, daß ich wünsche es möge bey dieser Einrichtung künftig sein Bewenden haben. Nach einer Übereinkunft mit ihm habe das Gartenhaus zur oberaufsichtlichen Wohnung genommen und sehe also täglich was geschieht und was Noth ist. Genau betrachtet erscheint diese Anstalt so klein, daß außer dem Director ein gelernter Kunstgärtner eher hinderlich als förderlich wird. Voigt ist jetzt immer im Garten, ordnet an, alles geschieht nach seinem Sinne und keine Mißhelligkeit ist denkbar. Die Studenten wenden sich an ihn, sie attachiren sich an den Lehrer, weil keine Mittelsperson Entfremdung verursacht.

Die beyden Prinzen leben geregelt, besuchen und repetiren ihre Stunden fleißig. Ihre Führer scheinen sehr kluge und diesem Geschäft recht gewachsene Männer zu seyn.

Canzleyrath von Schmidt besitzt sehr schöne Kupfer und seine Freude daran vermehrt unsere Theilnahme. Er konnte bey seinem Aufenthalt in Genf, in der Nähe von nicht allzutheuren Kunsthändlern, in weniger Zeit viel zusammen bringen.

Vorstehendes, seit zehen Tagen schon Begonnenes, hat so lange gezaudert daß ich nun auch das medicinische Auditorium als ganz fertig ankündigen kann. In wenig Tagen hoffe das Bild unseres verdienten [223] von Voigt daselbst an einem, zwar etwas wunderlichen, doch höchst schicklichen Platze, aufzuhängen.

Darf ich, nach soviel anderem, auch noch häuslicher Zustände gedenken, so vermelde: daß meine Kinder, bey einem fünfwöchentlichen Aufenthalt in Berlin, sehr wohl und freundlich behandelt wurden. Man gab ihnen Gelegenheit, alles zu sehen, und bey der Vorstellung einiger Scenen aus dem Fürst Radziwillischen Faust in Monbijou zugelassen, wurden sie Ihro Majestät dem König und sämmtlicher Familie vorgestellt. Auch waren sie Zeuge von dem überraschenden Manövre, das sich in die Stadt zog und die Bürger nicht wenig in Verwunderung setzte, als ihre, die königlichen und prinzlichen Fenster vor dem Kanonendonner in Stücke sprangen. Die einige Tage darauf erfolgte Parade soll sehr imposant gewesen seyn.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1819. An den Großherzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-78E7-F