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An den Großherzog Carl August

[Concept.]

Ew. Königliche Hoheit

wird zwar die freundliche Überbringerin von hiesigen Zuständen genugsam Bericht abstatten, doch halte für Schuldigkeit, auch das, was ich gesehen und bemerkt, einigermaßen, und wenn auch nur theilweise auszusprechen.

Von der emsigen Förderung hiesiger Baulichkeiten giebt das Haus, worin ich wohne, das beste Zeugniß.

Vor fünfzehn Monaten war das Mauerwerk noch nicht vollendet und in dieser Zeit ist das Dach nicht nur aufgesetzt, sondern auch unter dessen Schutz und Schirm das ganze Gebäude völlig angenehm wohnbar [42] eingerichtet, so daß nach vollendeter Curzeit nur noch wenig zu thun übrig bleibt.

Kaum hatte Maurer und Zimmermann ihr Tagewerk geleistet, als ein geschickter Tischler mit vielen Gesellen eintrat und das Haus im Hause fertig machte; wodurch denn in dieser Wüsteney erreicht ward, daß alles gut und erfreulich paßt. Thüren und Fußboden sind nett, auch grüne Schaltern an der ganzen gegen Mittag gelegenen Seite Vorsorglich angepaßt.

Was aber eigentlich Bewunderung erregt sind die Möbels, alle von Nußbaum, die auf einen großen Vorrath dieses Holzes hindeuten. Verständig und klug wurden die verschiedensten Zufälligkeiten der Fourniere [benutzt], und man glaubt bey jedem Möbel ein neues Holz zu sehen.

Das Gebäude selbst, groß und ansehnlich, hat dreyzehn Fenster in der fronte, ein gewölbtes Untergeschoß, darauf das mittlere und obere Stockwerk; stattliche Zimmerhöhe, gute Maaße, anständige Einrichtung; aber auch verhältnißmäßig theuer vermiethet, so daß es für die Badezeit eine bedeutende Summe einbringen muß.

Das Ganze ist, wie sich wohl bemerken läßt, auf Graf Klebelsbergs Casse und Credit unternommen; v. Brösigke macht, wo nicht den Baumeister, doch den ausführenden Inspector, dessen Gattin nimmt sich des Hauswesens an und blieb den ganzen Winter hier, [43] um die Wohnbarkeit zu beschleunigen, die Tochter, Frau von Levezow, die ihre Anmuth, durch manche Jahre und Schicksale durch, noch ganz hübsch gerettet hat, scheint auch ihren Wohnsitz hier aufzuschlagen; man spricht von einer Heirath mit dem Grafen, und was dergleichen mehr seyn mag. Genug, im Ganzen ist es die eigenste Familien-Verkettung, welche übrigens dieser Anstalt glücklichen Fortgang verspricht, da sich viel Plan und folge bemerken läßt.

Soll ich übrigens noch der nächsten Zimmerumgebung erwähnen, so würde ich der völlig ausgetrockneten Wände, der außerordentlich glatt und sauber aufgezogen heitern Wiener Papiertapeten gedenken und eines Staffirmahlers, welcher Hohlkehlen und decken so glücklich stufenweise zu färben und leichte Stucatur zu lügen weiß, als ich nicht viel gesehen.

Wollte es aber schwach und kleinlich erscheinen, daß ich solcher scheinbaren Nebendinge mit umständlicher Gefälligkeit gedenke, so gestehe gern, daß es aus Dankbarkeit geschieht, denn indem die Witterung wiederholt so schlimm ist, daß man aus dem Hause nicht gehen kann und zum Fenster nicht hinaussehen mag, so ist der Einblick auf zierliche Zimmer höchst tröstlich.

Sodann aber habe von unserm Hause so weitläufig gesprochen, weil dadurch die Geschichte aller hiesigen Gebäude umfassen könnte. Mehr oder weniger wohlhabende [44] Personen, angezogen durch den Ruf des hiesigen Wassers, ließen sich in den Strudel des Umschwungs hinreißen, welcher gläubige hoffende Kranke herzieht; die haben eigenes und fremdes Capital zu Gebäuden verwandelt, mit Aussicht, die Interessen gewiß und zunächst auch den Hauptstock, wenn sich die Anstalt zehn bis zwanzig Jahre erhält, herausziehn.

Zwar gehört noch immer darzu, daß in den Cur- Monaten persönliche Thätigkeit und Gastwirthsgeschick obwalte. Diese Mühe wird noch vermehrt, da bey hiesiger Lage und Örtlichkeit mehr Hausgenossen sich entschließen mußten, ihren Hausgenossen Frühstück, Tafel, Wein und alles Nöthige zu reichen, dadurch gleicht manches Gebäude einer Insel, und für den zeitigen Bewohner ist es sehr angenehm, seine Bedürfnisse unmittelbar unter Einem Dach zu finden; desto schätzbarer, als die weit aus einander liegenden Häuser durch kein Straßenpflaster verbunden sind, auch hierum. Der Tisch ist vortrefflich, der Wein gut, auch ist Abends zum Thee immer eine große Gesellschaft da.

Daß diese Privatunternehmungen von dem Prälaten auf verschiedene Weise begünstigt sind, kann man als gewiß annehmen.

Hier finde mich aber veranlaßt, von dem Prälaten zu sprechen. Sein Wirkungskreis ist groß und bedeutend und er behandelt die verschiedenen Zweige desselben mit Freudigkeit. Als junger wohlgestalteter Mann läßt er im Umgange nur etwas mehr Zurückhaltung [45] wünschen, wodurch ohne Schade seiner Natürlichkeit eine gewisse Würde sich einfände, welche jetzt von der Menge vermißt wird. Bey'm längeren Zusammenleben würde ich darauf aufmerksam machen, und es kostete ihn nichts, etwas mehr zu repräsentieren, da sein gegenwärtiges Betragen auch eine Repräsentation ist, nur nicht recht berechnet. Im Innern halte ich ihn für tüchtig, klug und seiner Stelle gewachsen. Mehr besehen lebt er in einem gebundenen Zustande, und es will immer viel heißen, unter solchen Bedingungen soviel zu thun.

Der Grund-Plan des Badeorts, mit ruhe und Überlegung betrachtet, und alle Bedingungen dieser Localität erwogen, gewinnt Zustimmung und Beyfall. Indessen ist die übereilte Tadelsucht der Menschen so herkömmlich, daß man von jedem, der nur herantritt, andere Wünsche, andere Vorschläge vernimmt. Nach einigen Jahren wird Absicht und Zusammenhang besser in die Augen fallen.

Ebenso wiederholt man angelegentlich: Fürst Metternich werde sich die ganze reiche Pfründe zueignen, und Herzog von Töpel genannt werden, welches man deshalb wahrscheinlich findet, weil die Herrschaft Königswarth (nach der Schlacht vom weißen Berge denen aufrührischen v. Zedtwitz entrissen, und der Metternich'schen Familie überlassen) angrenzt und freylich durch diese Fort- und Zurundung vielfacher Vortheil zu erwarten wäre.

[46] Ob nun diese Rede absichtlich in das Publicum gebracht ist, damit man sich an den Gedanken gewöhne, oder ob es eine Einbildung sey Anänderungen liebender Menschen, muß die Zeit lehren.

Geologische Betrachtungen lassen sich manichfalti ge anstellen, Entschiedener Granit findet sich an mehreren Stellen und macht die Base der ganzen Localität, die Ab- und Ausweichungen, die Übergänge desselben sind unterhaltend, wie man denn auch aller Art Gneis mit und ohne Almandinen begegnet, Schriftgranit mit Hornblende, u.s.w. Eine Sammlung von Varietäten würde in's Unendliche gehn. Auch aus der Nachbarschaft hat man mir manches herbeygebracht, welches im Zusammenhange noch nicht übersehe.

Seit meinem letzten Besuch in dem reichen, bewunderungswürdigen Palmenhause zu Belvedere sehe mich leider von der ärmlichsten Flore umgeben. Erst im Rehauer Wald fand ich die Arnica montana, welche nun auf den hiesigen Höhen in ihrer ganzen Vollkommenheit erscheint. Erfreulich für Auge und Sinn war Parnassia palustris, die ich seit so langer Zeit nicht gesehen, welches Blümchen überhaupt alle Aufmerksamkeit verdient, dessen Rectarium aber billig zu den Wunderbarsten gezählt wird, was das Pflanzenreich hervorbringen kann. Ich erinnere mich mikroskopischer Abbildungen derselben, wie es denn auch unter einem Mikroskop am herrlichsten erscheint. [47] Bey'm Eintrocknen, fürchte ich, möchte das Anmuthige verloren gehen, doch sind einige hier beygefügt.

Mit diesem Pflänzchen kommt auch Gentiana auf abgemähten Wiesen zum Vorschein, wie bey uns die Zeitlosen. Nur so wenig ist mir gegönnt aus eigner Anschauung zu vermelden; Doctor Rehbein wird ein Verzeichniß der hiesigen Flora überreicht haben.

Witterungsbeobachtungen sind hier keineswegs reizend. Nebelgebäude, wie sie uns in früherer Zeit aus den Ilmenauer Fichten hervorstiegen, erscheinen Morgens und Abends und verdüstern den Tag.

Ein Gewitterhimmel aber am 2. August war so merkwürdig, als schwer zu beschreiben. Der ganze obere Himmel mit vielfachem Grau bedeckt, auf einem helleren Grunde zogen einzelne wie mit Besen gestrichenen Partien dunkler geschattet hin.

Nun aber zeigte sich über den Fichtenwäldern von Norden nach Süden ein heller Streif durch die ganze Atmosphäre durchreichend. Die oberen Luftgebilde zogen für sich von Westen nach Osten und zog blitzend und donnernd bald vorüber.

Die rollenden Donner dauern hier sehr lange wegen gebirgischem Wiederhall.

Leider kann man an den hiesigen Barometern keine in's Allgemeine greifende Beobachtung anstellen; es sind solche wie sie die herumziehenden Italiener auf[48] gut Glück verfertigen, doch scheinen sie ihr Schön-Wetter-Täfelchen der Barometerhöhe gemäß ziemlich an den rechten Ort geschoben zu haben.

Eben als ich so weit gekommen, vernehme, daß ein astronomisches Observatorium sich in dem Stift Töpel befinde; ich werde davon nähere Kenntniß nehmen und die Verbindung zu stiften suchen. Alles kommt freylich darauf an, daß man gewiß werde, nach welchem Maaßstab die Instrumente eingerichtet und berichtigt sind. Hiervon läßt dich doch das Beste hoffen, weil man hier mit Prag zunächst und dadurch auch mit Wien in Verhältniß steht.

Und so genehmigen denn Ew. Königliche Hoheit, daß eine in dieser Wüste mich überraschende Schreibseligkeit sich an Höchstdieselben wende und eine kurze Schilderung hiesigen Zustandes einem lebendigern Commentar als Text überliefere.

Übergehen darf ich zum Schlusse nicht, daß Prinz Friedrich von Gotha in sehr traurigen Umständen hier angekommen, welcher, von seinem Herrn Bruder besucht, mir die Ehre der Tafel gönnen wollen.

Nicht weniger ward ich dem Großfürst Michael vorgestellt, welcher von dem Befinden hoher Verwandten Kenntniß gab und Nachricht verlangte.

Zum Schlusse darf ich nun wohl den Wunsch noch anführen, Höchst Ihrer Frau Gemahlin empfohlen zu seyn, so wie die Bitte, bey'm rückkehrenden erfreulichsten Geburtsfeste meiner als eines immer gegenwärtigen [49] treuen Diener zu gedenken. Vieljährige fromme Wünsche erneuernd.

[Marienbad] den 16. August 1821.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An den Großherzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7984-5