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An Carl Philipp von Martius

Ew. Hochwohlgeboren

reichhaltige Sendung traf so genau zu einer bey meinen Arbeiten empfundenen Lücke, daß es wirklich mehr als Zufall schien, was Sie bewogen hatte, eben gerade jetzt mir zu schreiben. Ich stehe nämlich im Begriff, mich über die atmosphärischen Erscheinungen zu beruhigen, und zwar in dem Sinne wie ich (zur Naturwissenschaft, Bd. II, S. 62 und folgende) mich vielleicht etwas paradox schon ausgelassen habe. Ich bin aber über alles, was man solchen gewagten Ansichten zu Unliebe sprechen könnte, immer getrösteter. Was bleibt dem Naturforschenden, ja einem jeden Betrachtenden endlich übrig, als die Erscheinungen der Außenwelt mit sich in Harmonie zu setzen. Und werden wir nicht alle Tage überzeugt, daß dasjenige, was dem einen Menschen gemäß und [94] angenehm ist, dem andern widerwärtig und unlustig erscheine?

Im Gefolg dieses find ich nun ganz am Platze auszusprechen, wie sehr mich die Art und Weise, womit Sie zu Werke gehen, anmuthet und wie gern ich Sie auf Ihrem Weg begleite. Was mir aus allen bisher bekannten Ihrer öffentlich erschienenen und besonders mitgetheilten Arbeiten und Äußerungen entgegenkommt, ist: daß Sie geneigt sind nach Analogien zu verfahren, welches auf der Höhe, wo sich gegenwärtig wissenschaftliche, ästhetische, sittliche Cultur begegnen und ergreifen, unvermeidlich wird. Ich darf Sie daher wohl aufmuntern, ja auffordern, in Ihren vertraulichen Mittheilungen sich nicht im geringsten zu geniren, sondern, wie Sie es dem Augenblick gemäß finden, aus jeder Region der großen unerschöpflichen Totalität den analogen Ausdruck zu ergreifen.

An dem originellen Gedanken, überall Parasiten aufzusuchen und sie als Repräsentanten selbständiger Pflanzen zu betrachten, kann ich gegenwärtig nur mit allgemeinem Wohlgefallen theilnehmen; um mir aber auch das Einzelne zur Anschauung gebracht zu sehen, thue folgenden Vorschlag: haben Sie die Güte, insofern es möglich ist, die Abbildungen fraglicher Pflanzen in ein Portefeuille zusammenzulegen und mir solche wohlgepackt zuzusenden, wodurch ich dann schnell und unmittelbar mich mit Ihren Gedanken befreundet sehen würde.

[95] Sollte dieses auch nur mit den Parasiten thunlich seyn, so würde ich mir, was die Phanerogamen betrifft, im Curtis und sonstigen Bildwerken der großherzoglichen Bibliothek wohl nachhelfen können. Selbst von einem Theil der parasitischen wäre eine Anzeige, Wo sie zu finden sind, schon hinreichend. Wie denn schon eine Zeichnung von der Rafflesia in meiner Nähe liegt. Überhaupt also bitte zu überlegen, wie meine Absicht, mich von Ihren Gedanken zu penetriren, am schnellsten und sichersten erreicht werden könnte.

Die mitgetheilten Nationallieder vermehrten meine Sammlung gar charakteristisch; wundersam contrastiren die heiterderbgesitteten Tyroler mit den roh- und düster-genaturten Brasilianern; ist uns doch auch schon ein ähnliches Stammeln von Australien her bekannt geworden. Beykommendes Gedicht (das ich mir sowie die Beylage gelegentlich zurückerbitte) weist auf eine höhere Cultur unter trübem, undankbarem Himmel. Die vier Puncte auf dem Planiglobium betrachtet, deuten auf wundersame Erd- und Himmelsformen.

Mit vielen Empfehlungen an die theuern Ihrigen leg ich ein Blatt meiner Tochter an Ihre Frau Gemahlin bey.

Bemerke schließlich, daß von hier aus schon einige Commissionen zu der ansehnlichen Kupferstich-Auction gegeben sind. Bey einem so reichlichen Besitz, dessen [96] wir uns schon erfreuen, würde eine Anschaffung im Ganzen nicht räthlich seyn.

Und so darf ich denn auch nicht vergessen, daß ich die beiden Musterblätter, die hier bey Maler Müller sich befinden, angesehen und sehr erfreulich gefunden habe; ich bin nun neugierig, wie sich unsere Illuminirenden in diesem Falle verhalten werden.

Was ich in Kunst und Alterthum von serbischen Gedichten mitgetheilt, ist wohl noch im frischen Andenken; nächstens noch einige bedeutende Musterstücke und einen kurzen Aufsatz, den ich schnellerer Mittheilung wegen in Aushängebogen bald übersende. Alle diese Mannichfaltigkeiten werden endlich zu einer gar schönen Übersicht zusammengereiht erscheinen.

In treulichster Theilnahme

Weimar den 29. Januar 1825.

J. W. v. Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1825. An Carl Philipp von Martius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7A1A-F