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An Christian Friedrich Tieck

Weimar den 23. April 1828.

Ew. Wohlgeboren

angenehme Nachricht gelangt so eben in den Tagen zu mir, wo die größeren Räume meines Hauses wieder zugänglich, die darin enthaltenen werthen und würdigen Sachen auf's neue genießbar sind, wobey denn auch das liebenswürdige Rauch'sche Basrelief und Ihre anmuthig-scheue Nymphe erst recht zur Evidenz kommen.

Betracht ich nun die Hindernisse, die Sie zu überwinden hatten, um meinen dringenden Wunsch nach dem Besitz des Antinous zu erfüllen, so hätte ich, wären [72] sie mir früher bekannt geworden, schwerlich gewagt denselben auszusprechen; damit Sie aber, theuerster Mann, vollkommen unterrichtet seyen, welchen Gefallen Sie mir erweisen, auch daß es nicht eine bloße Grille sey, so vermelde Folgendes.

Es hat nämlich mit diesem Kopfe die Bewandtniß wie mit einigen andern Antiken, z.B. der Meduse vonRondanini, welche ich seit einigen Jahren durch die ausgezeichnete Gnade Ihro Majestät des Königs von Bayern besitze, daß sie nämlich, neben ihrem Kunstwerthe, mir gewisse Zustände vergegenwärtigen, gewisse Empfindungen erneuern, welche zu den besten und harmlosesten zu zählen sind die uns das Leben gewähren kann.

Und so macht ich denn in den schönsten heitersten Tagen des Decembers 1787 mit einigen jungen Freunden eine Fußreise nach Frascati und in jene herrlichen Umgebungen; wir gelangten nach Mondragone und fanden in diesem wundersamen Feenschloß das kolossale Bild des Antinous. Bury, der sich in seiner heiteren Naivetät thätig und gefällig untrennbar zu mir hielt, zeichnete sorgfältig einen bis ohngefähr auf Lebensgröße verkleinten reinlichen Umriß, welcher sich noch bey mir erhielt und schon oft den Wunsch erregte, das edle Bild in seiner natürlichen Größe und Großheit noch einmal vor mir zu sehen. Der Katalog des abgeschiedenen Kohlrausch verrieth mir den Aufenthalt meines Lieblings in Berlin, den weiteren Verlauf [73] verdank ich nun Ihrer und Herrn Rauchs Geneigtheit, die mir bey künftigem Beschauen des Bildes lebenslänglich gegenwärtig bleiben wird.

Soviel für dießmal in Erwartung des lieben Gastes mit tausendfältigen Empfehlungen.

treulichst J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Christian Friedrich Tieck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7AED-6