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An Charlotte von Stein

Mittwoch d. 12ten Jul. So weit sind wir und noch alles stille; es ist eine gute Geduldsprobe für uns alle. Stein hat die besten Hoffnungen und für Mutter und Kind sind wir ruhig. Sehr sonderbar ists mir daß ich durch diese Verzögerung gebunden werde, da ich aber einmal auf diese Entbindung wie auf einen Orackelspruch compromittirt habe; so soll mich nichts zur Unruhe, nichts ausser Fassung bringen. Es scheint ich werde gezwungen Lavatern zu erwarten, es kommen Briefe an ihn schon bey uns an. Wie gerne wär ich ihm auf seinem apostolischen Zug aus dem Wege gegangen, denn aus Verbindungen, die nicht bis in's innerste der Existenz gehn, kann nichts kluges werden. So wie ich dein bin, ists die alleinige Freude iemanden anzugehören; wenn ein Verhältniß nicht aufgehoben werden kann.

Was hab ich mit dem Verfasser des Pontius Pilatus zu thun, seiner übrigen Qualitäten unbeschadet. Wir wollens abwarten und unser Auge Licht seyn lassen.

[246] Fritz setzt sich eben zu mir und läßt sich gekochte Kirschen mit einer recht süßen Sauce herrlich schmecken; er grüsst dich da er hört daß ich an dich schreibe und will auch ein Blatt beylegen. Es sind auch schöne Kirschen und Melonen angekommen, wie sehr wünscht ich sie dir. Ich will sie der Schwester schicken damit die sich erfreue die deine Abwesenheit so sehr fühlt.

Fritz freut sich sehr daß ich ihn an's Camin zu mir sitzen lasse, das nicht immer gestattet wird weil er unruhig ist und Unfug macht. So sitzen wir zusammen, die deinigen.


Freytag d. 14ten.

So geht ein Tag nach dem andern hin und Geburt stockt mit der Wiedergeburt. Diese Tage sind noch an Begebenheiten schwanger, der Himmel weis ob es gute Hoffnungen sind.

Im Vertrauen! – Herder ist sondirt worden ob er einen Ruf nach Hamburg an die Ober-Pfarrerstelle annähme. Er will es nicht ablehnen, und ich kann nichts dagegen sagen. Er verbessert sich nicht, aber er verändert sich doch, und seines Bleibens ist hier nicht. Laß niemanden nichts mercken, es ist auch noch entfernter Antrag. Ich verliere viel wenn er geht, denn ausser dir und ihm wäre ich hier allein.

Ich habe viele, viele Gedancken und bin ein wenig dunckel drum wirst du heute nicht mehr von mir hören.

Lebe wohl. Grüse die zu grüsenden. Ich mag [247] gar nicht dran dencken wie viel Zeit von deiner Curzeit verstreicht. Richte dich ia ein, daß du mit mir noch bleiben kannst.

Ich höre ungerne auf, muß aber doch enden denn es wird späte. Leb wohl und liebe.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1786. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7BF4-C