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An Heinrich Gustav Hotho

[Concept.]

Nicht länger will ich säumen, Ihnen, mein Theuerster, zu sagen daß Ihre liebe Sendung mir sehr wohlthätig geworden ist. Denn was konnte ich mir wünschen als, nach langem Streben und Mühen, den Gang meines Lebens und Wirkens so innig durchdrungen und erkannt zu sehen. Denn es ist ja, bey einem fortschreitenden Thun und Handeln nicht die Frage was einzeln lobens- oder tadelnswerth, bedeutend oder unbedeutend sey? sonder was im Ganzen für eine Richtung genommen worden und was daraus zuletzt für das Individuum selbst, für seine nächsten Zeitgenossen, irgend für ein Resultat sich ergeben, und was daher für die Zukunft zu hoffen sey.

Hat man auch im Einzelnen die Freude hie und da einen Geist aufgeklärt, ein Gemüth bestätigt zu haben, so bleibt doch zuletzt immer höchst wünschenswerth: jenes innige was in uns lebte, strebte, suchte, oft ohne Bewußtseyn nach langem Tasten und Irren das Rechte fand; eben jenes unbegreifliche Wir endlich, in seinem Verlauf, von einem wohlwollendem Geiste, günstig abgespiegelt zu sehen.

Aufmerksam hab ich von jeher gesucht auch aus dem Feindseligen selbst bedeutenden Vortheil zu ziehen, denn dadurch lernt ja eben erst Menschen und[26] Welt kennen, indem ich einsehen lernte wie und warum sie sich mir entgegenstellten: mit Recht und Unrecht, mit Überzeugung oder Mißwollen, heimlich oder öffentlich, tückisch oder gewaltsam. Genug, ich erfuhr nach und nach wie es mit mir und andern beschaffen sey. Doch hörte dieß zuletzt auf mich zu interessiren, da sich immerfort das Gleiche auf eine oder die andere Art wiederholte, und nun zuletzt stellt man mich gar mir selbst als Plus und Minus entgegen, zum Versuch, ob es nicht anginge eines durch das andere aufzuheben und in Zero zu verwandeln.

Man sagt vom Alter, es sey geschwätzig, aber ich dächte doch es dürfte gesprächig seyn; man hat viel zu sagen, und sagt's auch wohl kühnlich was man früher weislich dahin gehen ließ.

Hier würde ich nun leider abbrechen müssen weil dringende Geschäfte meine nächsten Stunden und Tage fordern. Da entschließ ich mich denn, Ihnen die Stelle eines Briefs an einen geprüften Freund abschreiben zu lassen. Denn wie sollte es mich nicht freuen dasjenige, was ich einem vieljährigen Freund erwiderte, auch einem jüngern Manne, der es um mich so wohl verdient, gleichfalls aneignen zu können.

Nehmen Sie dieses Blatt geneigt auf und empfangen, so wie im Allgemeinen, als wie im Besondern den schönsten Dank daß Sie dem Mann von funfzig Jahren sich günstig erwiesen. Ihnen am wenigsten konnte verborgen bleiben, daß ich mit [27] Vorliebe und Sorgfalt diesen kleinen Bezirk durchgefühlt, durchsonnen und ausgestattet. Und hier hätt ich denn noch manches anzuführen, dessen herzliche geistreiche Auffassung mir besonders wohlgethan, wenn ich auf dem Fluß Ihrer Theilnahme meine früheren Zustände mir nochmals zu durchschiffen schien.

Möge Ihnen alles nach Wunsch ergehen, welches um so mehr zu hoffen ist, als Ihre Ansichten im heiteren Himmel des Wohlwollens behaglich walten.

Guter Wille ist die beste Augensalbe, Mißwollen ist eine falsche Brille, welche die Gegenstände entstellt und die Sehkraft verdirbt.

Wünschen Sie über eins und andere Auskunft und Aufklärung, so gebe solche insofern es möglich und thulich ist. Aufrichtig theilnehmend und das Beste wünschend.

Weimar den 19. April 1830.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An Heinrich Gustav Hotho. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7DE1-2