9/2817.

An Charlotte Sophie Juliane von Kalb

Ihr freundliches Schreiben war das erste Wort was nach meiner Abreise zu mir von Hause kam. Von Herders hab ich noch gar nichts gehört. Hier schicke ich ein Blättchen Epigrammen welche ich den Freunden mitzutheilen bitte. Es sind dieses Früchte die in einer großen Stadt gedeihen, überall findet man Stoff und es braucht nicht viel Zeit sie zu machen. Ich habe mich recht umgesehen, indeßen ist es immer nur unvollkommen wie ein Reisender seyn kann. In Gesellschaft Durchlaucht der Herzoginn [201] werde ich manches wiedersehen und mein Aufenthalt in Venedig wird mir in mehr als einem Betracht nützlich sein, da er vergnüglich genug war. Wenn ich nur auch diese vergangene sechs Wochen einen Freund oder eine Freundinn bei mir gehabt hätte! Unter andern löblichen Dingen die ich auf dieser Reise gelernt habe ist auch das: daß ich auf keine Weise mehr allein seyn, und nicht außerhalb des Vaterlandes leben kann. Erhalte uns ein gut Geschick den Frieden und gebe uns zusammen eine freundliche Wohnung.

Sagen Sie Herdern daß ich der Thiergestalt und ihren mancherley Umbildungen um eine ganze Formel näher gerückt bin und zwar durch den sonderbarsten Zufall. Auch habe ich durch die Betrachtung der Fische und der Seekrebse viel gewonnen.

Noch ist mir der Aufenthalt hier von einer andern Seite merckwürdig geworden. Da man jetzt immer von Constitution spricht, die wunderlichste und complicirteste Constitution in der Nähe, mit lebendigerem Interesse zu sehen.

Ich habe wie Sie bemercken können meine Thätigkeit auf allerley Gegenstände ausgedehnt und so meine Zeit mannichfaltig zu nutzen gesucht, es sind die vier Wochen gar schön herumgegangen, nur manchmal zeigten sich kleine Bewegungen der Ungedult. Kommt nun Durchlaucht die Herzoginn, so wird eine neue Lebensart angehen, neue Freuden eintreten die uns hoff ich bald zurückführen sollen. Mein sehnlichster [202] Wunsch ist Weimar bald wiederzusehen und die schöne Jahrszeit mit meinen Freunden zuzubringen. Empfehlen Sie mich Ihrem Herrn Gemahl und den übrigen Freunden. Bleiben Sie mir gewogen. Die Herzoginn wird den 6ten oder 7. Mai hier ankommen.

Venedig, d. 30. Apr. 90.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1790. An Charlotte Sophie Juliane von Kalb. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7E15-4