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An Carl Friedrich Zelter

Schloß Dornburg den 26. Juli 1828.

Drey deiner Briefe liegen nun vor mir, der vom 10. Kam zuletzt durch Herrn v. Vitzthum; der erinnert denn freylich an die letzten Lebenstage unsres Verewigten und man findet ihn bewundernswerth, wie oft, daß er bey einem so tiefen Mißbehagen, welches er dort schon empfinden mußte, sich doch noch gegen[224] die Welt stark und stemmte und auch die Gewalt eurer Töne noch ertragen wollte.

Hier bin ich nun schon in der dritten Woche unter dem Einfluß eines wahrhaften Lusthauses. Die ganze Anlage, durch Jahrhunderte her, erst aus Noth, dann aus Verstand, zu sinnlicher Lust mit Kunst und Geschmack angelegt und in den letzten Jahren durch die Acquisition eines nachbarlich am Ende der Felsreihe gelegenen Freygutes, wo ich jetzt wohne, erweitert. Hier fragt sich's gar nicht ob man lustig ist oder seyn will, das Ganze ist heiter, munter, verständig, schön, weitläufig und doch übersehbar. Ich erinnere mich recht gut daß du mir von deinem Entzücken über das Saalthal von Naumburg bis Jena mittheiltest, auch gedenk ich deiner vom Anfang an im besten. Die Terrassen sind, als herrschaftlicher Garten, seinen Gebieter jeden Augenblick erwartend, sorgfältig rein und gepflegt, alle Sommerblumen blühen auf's munterste, und die Traubengeländer hängen so voll daß man darüber zu erstaunen hat.

Ein Kupferblatt lege dir bey das ich nicht rühmen will, das aber doch mehr als alle Beschreibung einen schnellen Begriff gibt. Die Unterschriften bezüglich auf die oberen Buchstaben geben dir die nöthige Abdeutung. Dein Freund aber dictirt Gegenwärtiges hinter den letzten, in's Unsichtbare verschwindenden Fenstern des kleinen Schlößchens am letzten Felsende linker Hand; es ist eben dieß [225] von der Herrschaft erst kurz acquirirte Privat-Erblehngut.

Weiter gehen nun aber meine Kräfte nicht, dich mir näher zu bringen, und so vollführe was noch zu wünschen ist durch Neigung und Einbildungskraft. Es gibt noch hübschere Darstellungen von Dornburg, die aber jetzt nicht in meinem Bereich sind.

Daß ich in diesen zwanzig Tagen aus Unruhe, Neigung, Trieb und Langerweile gar manches geleistet habe, wirst du wohl glauben; leider ist es sehr vielerlei, dergestalt daß es nicht leicht zur Erscheinung kommen wird. Meine nahe Hoffnung, euch zu Michael die Fortsetzung von Faust zu geben, wird mir denn auch durch diese Ereignisse vereitelt. Wenn dieß Ding nicht fortgesetzt auf einen übermüthigen Zustand hindeutet, wenn es den Leser nicht auch nöthigt, sich über sich selber hinauszumuthen, so ist es nichts werth. Bis jetzt, denk ich, hat ein guter Kopf und Sinn schon zu thun, wenn er sich will zum Herrn machen von allem dem was da hineingeheimnisset ist. Dazu bist du denn gerade der rechte Mann, und es wird dir auch deshalb die Zeit bis auf die erscheinende Folge nicht zu lange werden.

Der Anfang des zweyten Acts ist gelungen; wir wollen dieß ganz bescheiden aussprechen, weil wir ihn, wenn er nicht dastünde, nicht machen würden. Es kommt nun darauf an, den ersten Act zu schließen, der bis auf's letzte Detail erfunden ist und ohne [226] dieses Unheil auch schon in behaglichen Reimen ausgeführt stünde. Das müssen wir denn auch der vorschwebenden Zeit überlassen.

Von der allgemeinen Gesinnung kann ich dir soviel sagen: daß jeder Treugesinnte vorerst nur darauf denkt, in den Wegen fortzuwandeln die der Abgeschiedene bezeichnet und eingeleitet hat; dadurch wird denn auch wohl das allenfalls sich Abändernde erträglich seyn und in einigen Puncten vielleicht Beyfall verdienen. Allen Ankündigungen gemäß sollte der neuantretende Fürst heut in Wilhelmsthal eintreffen; nächstens seine Gemahlin. Daß sich unsre bisher so bewährte Fürstin auch immerfort gleichmäßig erweis't, wirst du dir ohne meine Betheuerung selbst genugsam versichern.

Doch will ich hier, obgleich zu Ende eilend, nicht schließen ohne zu bemerken, daß mein Aufenthalt auch dadurch angenehm ist daß ich zwar vor jedem An- und Überlauf sicher bin, die jenaischen Freunde aber bey sehr gutem Weg nur ein Stündchen hierher haben, da sie sich denn mit einer leichten Erfrischung begnügend nach angenehmer Unterhaltung wieder zurückbegeben. Auch von Weimar aus sind sie schon früh ausgefahren, haben den Mittag froh bey mir zugebracht und Abends wieder zurückgekehrt; man braucht immer vier Stunden zur Fahrt.

Damit dir nun nichts Nothwendiges und Nützliches zuletzt verborgen bleibe, so muß ich dir sagen [227] daß mein Tisch gut versorgt ist, durch einen sonderbaren Zufall, daß der Castellan, mein gegenwärtiger Wirth, ehmals ein Hofküchenverwandter gewesen ist und seinem frühern Beruf noch immer Ehre zu machen weiß.

– Das klingt ja ganz bequem und behaglich! wirst du sagen, und das wär es auch, erschiene nicht sogleich im Hintergrunde der düstere Katafalk, der alle jene Betrachtungen aufregt die der Mensch in heiterer Stunde mit Recht beseitigt. Das Menschen- und Weltwesen dreht sich um einen herum daß man schwindlig werden möchte.

Und so halte dich denn auf deinen Füßen so gut es gehen will, ich muß das Gleiche versuchen.

Allen wohlwollenden Dämonen bestens empfohlen,

Dornburg d. 27. Jul. 1828.

Goethe.


Eben als ich Beykommendes abschließe, empfange ich deinen werthen Brief vom 22. Juli, da ich dir denn gleich berichten will, daß ich am 20. Abends, auf einer Rückkehr von Jena, in einen Regenguß gekommen bin dergleichen ich auch nie erlebt habe; ohne Donner und Blitz, aber mit solcher Heftigkeit wohl eine Stunde anhaltend, daß einem wirklich bange werden mußte, besonders wenn man sich dachte, welche Landesbreite er einnahm, und zu befürchten hatte es möchte sich Hagel drein mischen, da denn alles weit und breit zu Grunde gegangen wäre. Man wird genöthigt, sogleich [228] an Hannover zu denken und nun an euch. Ich habe nach meiner Himmelskenntniß gewaltige Wasserströme für diesen Sommer verkündigt und ich fürchte, es wird noch schlimmer. Das Merkwürdigste ist daß diese Wetter sich in flachen Gegenden entladen, die vor'm Jahr auf Berggipfel sich stürzend so großen Schaden gethan haben.

Nun aber wend ich mich zu menschlichen Dingen und freue mich daß du meiner Anmahnung ein Ohr geliehen und dich zu Moliéren gewendet hast. Die lieben Deutschen glauben nur Geist zu haben, wenn sie paradox, d.h. ungerecht sind. Was Schlegel in seinen Vorlesungen über Moliére sagte hat mich tief gekränkt; ich schwieg viele Jahre, will aber doch nun eins und das andere nachbringen, um zum Trost mancher vor- und rückwärts denkenden Menschen, jetziger und künftiger Zeit, dergleichen Irrsale aufzudecken.

Die Franzosen selbst sind über den Misanthrop nicht ganz klar; bald soll Moliére das Muster dazu von einem genannten, derbauftretenden Hofmann genommen, bald sich selbst geschildert haben. Freylich mußte er das aus seinem eigenen Busen nehmen, er mußte seine eignen Beziehungen gegen die Welt schildern; aber was für Beziehungen! Die allgemeinsten die es nur geben kann. Ich wollte wetten, du hast dich auf mehr als einer Stelle auf der That ertappt. Und spielst du nicht dieselbe Rolle gegen deine Tagsgenossen? [229] Ich bin alt genug geworden und hab es doch noch nicht so weit gebracht, mich an die Seite der epikurischen Götter zu setzen.

Dieß also sey für dießmal genug! Ich schließe mit den treusten Hoffnungen, die Besserung deiner anmuthigen Louise möge sich bestätigen. Schreibe von Zeit zu Zeit, wie es vor den Schnabel deiner Feder kommt; in meiner Einsamkeit find ich manche Stunde zur Erwiderung und ich möchte da wohl zutraulich aussprechen was sonst ungesagt bliebe.

wie oben und immer

Dornburg den 27. Juli 1828.

G.


Noch zwey Wünsche füge hinzu.

Wolltest du mir auch fernerhin freundlich vermelden was dich Einzelnes in meinem letzten Hefte berührt und aufgeregt, ich könnte sodann manches was nur laconisch angedeutet ist erweitern und erläutern.

Alsdenn wäre mir angenehm, wenn du mir auf einen Autor deuten könntest, welcher mich belehrte was für ein musikalisches System in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts gegolten und dergestalt ausgesprochen gewesen, daß es ein Hamburger Rector jener Zeit seinen Schülern auf drey gedruckten Bogen überliefern können. Ich bin so eben mit Betrachtung über jene bedeutende Epoche, der mir soviel schuldig sind, beschäftigt.

[230]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8069-8