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An Sulpiz Boisserée

Ihr lieber Brief, mein Werthester, vom 28. März war mir höchst erfreulich. Da in den irdischen Dingen soviel vorüber geht, so muß man festhalten an dem Bleibenden, wozu ich denn Ihre Freundschaft vorzüglich zu rechnen habe.

Der unglückliche Brand traf mich im physischen und psychischen Gleichgewicht, deshalb ich an den Folgen weniger leide; auch ist über die Art der Wiederherstellung so eine vollkommene Einigkeit, daß in dem Gang dieses Geschäfts nichts Widerwärtiges zu fürchten ist.

Der Lithograph Heinrich Müller ist nach Carlsruhe gezogen; besucht er Sie auf der Rückreise, oder in der Zwischenzeit, so seyn Sie ihm freundlich. Es ist ein gar guter junger Mann, auch gelingt ihm das Porträt ganz wohl.

Einige Handschriften für die Pariser Freundin erhalten Sie nächstens und zwar mit einer Beylage.

Das kleine sitzende Modell steht auch bey uns in Duplo. Es ist auf alle Fälle für eine glückliche Skizze zu halten, und bey der Ausführung einer größern Abbildung wird dem Künstler gewiß jede Erinnerung angenehm seyn; läßt r sie auch nicht geradezu gelten, so hält sie doch immer Einbildungskraft und Werkthätigkeit in Bewegung. Bey uns ergab sich folgendes [170] Angenehme. Der Kopf war unterwegs angebrochen und beym Aufsetzen wurde er zufällig mehr nach der linken Seite gewendet, so daß die perpendikulare Linie des Gesichts fast mit der perpendikularen des Buchs zusammenfällt, wodurch, wie uns scheint, Leben und Anmuth ganz besonders erhöht wird. Möge das alles zum glücklichen Schlusse gelangen!

Indessen aber hab ich die Theilnahme meiner Freunde auf's neue ernstlich anzusprechen. Die Hoffnung von sämmtlichen Bundesstaaten Privilegien für meine Werke zu erhalten erneuert meine Verbindlichkeit für eine würdige Ausführung zu sorgen. Die Anlage hiezu beschäftigt mich schon einige Jahre und es ist um nichts weniger zu thun als einen, so gut als stereotypen Abdruck zu liefern, an welchem künftig keine Veränderung gemacht werden soll. Es tritt eine kleine Societät zusammen die, so lange ich lebe unter meiner Leitung, später unter Anleitung meines Sohnes für einen kritisch-grammatisch gesäuberten Text sorgt, wozu schon der Anfang mit mehrern revidirten Bänden gemacht ist. Das Archiv, worauf jetzt und künftig ein solches Werk zu gründen ist, steht geordnet, jungen Männern, die es catalogirt haben, bekannt und so möchte der Klarheit und Sicherheit wohl nichts im Wege stehn.

Möchten die württembergischen höchsten Gönner und werthesten Freunde sich mit dem übrigen Deutschland auch hierüber vereinigen und meinen abermaligen [171] geziemenden herzlichen Dank sich eigen machen. Ihnen aber, mein Bester, darf ich sagen, daß Ihre geregelte Thätigkeit mir bey diesem Unternehmen zum Muster gedient hat und dient; wie es denn ganz billig ist daß der Jüngere dem Älteren mit gutem Beyspiel zur Seite gehe.

treu anhänglich

Weimar d. 4 Apr. 1825.

Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1825. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8120-4