46/70.

An Johann Friedrich Rochlitz

Die letzten Wochen bin ich, im Drange eigenen Thuns und äußeren Einwirkens, in die Unmöglichkeit verletzt worden mich nach entfernten Freunden umsehen; auch habe deswegen Ihren lieben, mir sehr willkommenen Brief nicht erwidert. Ich möchte Sie ersuchen mit Betrachtungen über die Wandeljahre fortzufahren und mir von dem Einzelnen was besonders auf Sie gewirkt, was ein Weiteres aufgeregt, wo sich's angeschlossen und wie man alle solche gute Folgen [67] nennen möchte, gelegentlich ohnschwer Kenntniß zu geben. Es ist mir dies, wenn es von Freunden geschieht, die größte Belohnung für die Aufmerksamkeit die ich dieser Arbeit gewidmet. Die Umbildung der darin enthaltenen, schon einmal in anderer Form erschienenen Elemente war für mich ein ganz neues Unternehmen, wozu mich nur die Liebe zu einzelnen Theilen, welche, mehr und mehr, auf eine zierliche Weise, einander anzunähern hoffte, bewegen und mich in einer anhaltenden thätigen Aufmerksamkeit freudig erhalten konnte.

Schon werd ich von manchen Seiten her, von zart aufnehmenden Lesern wirklich auf die anmuthigste Weise belohnt, von solchen die, was ihren Gesinnungen und Gefühlen gemäß ist, ergreifen und sich als Menschen gegen den Autor, insofern er menschlich ist, verhalten.

Nun wird es mich sehr freuen auch von Ihnen, mein Theuerster, der sich übersichtlich, denkend und vergleichend in solchem Falle verhält, manches gute Wort zu hören. Denn dem Autor in solchem Falle muß dran gelegen seyn zu erfahren, daß ihm seine Absichten nicht mißglückt, sondern daß vielmehr die geistigen Bolzen und Pfeile dahin gereicht und da getroffen, wohin er sie gerichtet und beabsichtigt.

Nun aber verpflichteten Dank für die ausführliche Kenntniß, die Sie mir von der Aufführung Fausts geben. Es ist wunderlich genug daß diese seltsame[68] Frucht erst jetzo gleichsam vom Baume fällt. Auch hier hat man ihn gegeben, ohne meine Anregung, aber nicht wider meinen Willen und nicht ohne meine Billigung der Art und weise wie man sich dabey benommen. Mögen Sie mir die Folge der Scenen wie man sie dort beliebt gelegentlich wissen lassen, so geschieht mir ein Gefalle; denn es ist immer wichtig zu beobachten wie man es angegriffen um das quasi Unmögliche, zum Trutz aller Schwierigkeiten, möglich zu machen.

Liebenswürdig ist es von den Deutschen daß sie das Werk nicht zu entstellen brauchten um es von dem Theater herab erdulden zu können. Die Franzosen mußten es umbilden und an die Sauce noch starkes Gewürz und scharfe Ingredienzien verschwenden. Nach der Kenntniß, die uns davon gegeben ist, kann man begreifen wie das Machwerk dort große Wirkung thun mußte.

Soviel für jetzt und nicht weiter, damit dieses Blatt baldigst zu Ihnen gelange.

und so fort an!

Weimar den 2. September 1829.

Goethe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Johann Friedrich Rochlitz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-812B-E