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An die juristische Facultätder Universität Jena

[7. December 1825.]

Einer hochansehnlichen juristischen Facultät, zu der ich, meinen früh'sten Studien und Bestimmungen zu Folge, mich anzuschließen geeignet bin, finde ich mich für die Aufmerksamkeit, welche sie an dem gnädigst angeordneten Festtage mir geneigt erzeigen wollen, dankbar verpflichtet.

Auch noch in gegenwärtigem Zeitmomente muß es mich höchlich freuen, in frühester Jugend dasjenige gewahrt zu haben, was in den Folgejahren als Grund aller rechtlichen Einsicht, als Regel des gesetzlichen Denkens und Urtheilens ohne Widerrede anerkannt wird. Ja ich darf wohl hinzufügen: wäre dieses Fach zu jener Zeit aus Akademieen wie gegenwärtig behandelt worden, so würde ich mich dem selben ganz mit dem größten Eifer gewidmet haben.

Denn die Geschichte des Rechts und dessen Herankommen aus den früh'sten Zuständen, aus jenen der rohen und einfachen Natur, wie zu solchen die schon eine National- und Localbildung wahrnehmen lassen, blieb von jeher der Gegenstand meiner angelegent lichsten Betrachtungen.

Die römischen Antiquitäten, durchaus nicht begreiflich ohne Vergegenwärtigung des strengen Formelwesens [156] dieser Nation, welches zuletzt der Anarchie und Tyranney selbst noch eine gewisse legale Gestalt zu geben trachtete, verfehlten ihre Wirkung nicht auf meinen jugendlich strebsamen Geist; aber nur jetzt, nach dem Verlauf von so vielen Jahrzehnten, wird mir durch die Bemühungen der außerordentlichsten Männer im Einzelnen klar, was ich im Ganzen keineswegs übersah, obwohl ahnungsvoll mir die Stelle bezeichnete, wo solches zu finden und zu entdecken seyn möchte.

Ebenfalls ward ich früh genug durch den Zeitsinn aufmerksam für das Verhältniß der Staatsgewalt aus Sitte und Unsitte, nicht minder für den kaum auszugleichenden Antagonismus des Geistlichen und Weltlichen, zweyer Kräfte, die vereint das Heil der Welt bewirken sollten.

Nur mit Lächeln kann ich an die Versuche denken, die ich damals in diesem Fache, blos geleitet durch allgemeine Ansichten, in einer, zwar nicht tadelnswerthen, aber doch nur in's Ferne gehenden Richtung entworfen, begonnen und ausgeführt: Alles Bestrebungen, die ich weder mißbilligen noch schelten kann, da ich in diesen Anfängen nichts gehwahr werde, was meinen gegenwärtigen Überzeugungen und der Überzeugung verdienter, mitlebender Männer geradezu widersprechen möchte. Wie mich denn auch diese Gesinnungen und Grundsätze in einem langen, vielfachen Geschäftsleben, theils zu eigner Leitung, theils zu [157] Beurtheilung fremden Beginnens, niemals ohne Anweisung und Beyhülfe gelassen haben.

Möge dieses vielleicht zu umständlich Ausgesprochene von einsichtigen Männern verziehen seyn, indem dadurch nur angedeutet werden sollte, wie ich von allem was auch in diesem Fache aus der jenaischen Akademie gewirkt worden und in fremde Länder ausgegangen, mir zu Nutzen und Frommen den geziemenden Theil anzueignen, nicht verfehlt habe.

Der ich mir, so lange es in meinem Kreise zu wirken vergönnt seyn wird, das Wohlwollen des ganzen hochansehnlichen Körpers, wie der einzelnen Glieder, dankbar anerkennend erbitte.

Weimar den 24. November 1825.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1825. An die juristische Facultätder Universität Jena. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-81DD-D