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An Elisabeth von der Recke

Hochgebohrne Gräfinn
gnädige Frau.

Erlauben Ew. Gnaden daß ich Sie schrifftlich im Carlsbad willkommen heisse, und mich nebst noch einigen Freunden anmelde, die zwar später, doch gewiß das Vergnügen haben werden Sie bey der heilsamen Quelle aufzusuchen. Mögten Sie doch indessen recht gutes Wetter haben und der besten Einflüsse zu Befestigung Ihrer Gesundheit geniessen.

Von dem Befinden Ihrer Heiligen Freunde werden die früher ankommenden Ew. Gnade gute Nachricht geben können, nur wird es Ihrem theilnehmenden Herzen wehe thun zu vernehmen, daß der braven Burgermeister Bohl in Lobeda, welche Sie in Jena kennen lernen, ein trauriger Fall begegnet ist, der die Umstände ihrer Familie gänzlich zu zerrütten droht. Ihr Schwiegersohn Loeber ist von kurzem gestorben und hinterlässt eine Witwe mit sieben Kindern, wovon das älteste neun Jahre das iüngste zwanzig Wochen alt ist. Tochter und Enckel fallen nun wieder, da er ohne Vermögen war, auf die Grosmutter zurück, und diese gute Frau die keinen Wunsch hatte als, bey einer sehr eingeschränckten Haushaltung, ihr Leben anständig und ehrbar zu endigen, sieht sich beynahe in die ängstliche Lage versetzt mit den ihrigen zu darben.

[35] Ich weis daß Ew. Gnaden, bey Ihrem Aufenthalte in Jena, Sich grosmütig erkundigt, ob dieser, würcklich in ihrer Art seltnen Frau irgend eine Hülfe nötig sey. Damals konnte sie mit einem ruhigen Vertrauen auf ihren Zustand sehn und mit danckbarer Beschämung Ew. Gnaden Grosmuth ablehnen.

Wie verschieden steht es ietzo mit ihr! Sie ist in Sorgen für denjenigen von denen sie im Alter selbst Hülfe erwarten konnte, und da sie bereit ist alles mit den ihrigen zu theilen, so kann sie leicht berechnen daß es ihnen bald allen zusammen an dem nothdürftigen fehlen werde.

Unsere gnädigste Herrschafften haben sogleich der wackern Frau einen Theil ihres Kummers weggenommen indem sie einige Kinder versorgt, nun bleibt für Freude auch noch etwas zu thun übrig und ich glaube Ew. Gnaden einen angenehmen Dienst zu erweisen daß Ihr edles Gemüth keine grössere Freude kennt, als würdigen Menschen, die das Glück verletzt, wohlzuthun, und Wunden, die das Schicksal schlägt, zu heilen.

In Hoffnung bald selbst aufzuwarten, unterzeichne ich mich Hochachtungsvoll

Ew. Gnaden

ganz gehorsamster

Diener

Weimar d. 30 May 1785.

Goethe. [36]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1785. An Elisabeth von der Recke. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8261-8