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An Christoph Ludwig Friedrich Schultz

Durch die Reise unserer jungen Herrschaft in Begleitung der Kaiserin Frau Mutter, Majestät, hat sich mir wieder ein Bild von Berlin aufgethan und ein lebhaftes Gefühl ist wieder entstanden, was alles dort, auch für mich, Gutes wes't und webt. Zelter schrieb mir, manche andere Grüße sind mir geworden. Auch Johann Schulze, sonst der unserige, jetzt bei Ihnen ehrenvoll angestellt, besuchte mich und regte manche Erinnerung auf. Da will ich denn, mein Verehrter, zum neuen Jahr gleich auch ein Wort vernehmen lassen.

Ihr theurer Brief aus Breslau ist mir zu rechter Zeit geworden; Carlsbad hat mir einen guten Winter verschafft. Unter die bedeutenden Bekanntschaften darf ich wohl den Geheimenrath Berends rechnen, der mir besonders durch meinen ärtzlichen Begleiter, dem er viele Güte durch meinen bekannt geworden. Empfehlen Sie mich ihm zum allerschönsten. Daß ich dort vorher und nachher fleißig gewesen, erfahren Sie [53] nach und nach. Es erwachsen allerley Hefte zu 12 bis 16 Bogen, die zu Ostern erscheinen sollen; ich wäre weiter damit vorgerückt, hätten diese letzten sechs Wochen nicht gefordert, daß ich alle Wirksamkeit nach innen kehrte und zu den angeordneten Festen das Meinige beytrüge. Was, indem sich die Haupterscheinung dem Auge entzog, an Worten übrig geblieben, erfahren Sie auch und vergegenwärtigen sich wohl dabei das Vorübergehende. – Für den Augenblick mache eine nothgedrungene Reise nach dem Orient: der westöstliche Divan läßt sich nicht wohl ohne Vor-und Mitwort in die Welt senden. – Mein Carlsbader Aufenthalt hat die alte Berg- und Felsenfreundschaft wieder aufgeregt. Die gefälligste Belehrung des Herrn Professor Weiß, den ich freundlich zu grüßen bitte, hat mich in gesunden Tagen bedeutend angeregt und in kranken (denn auch an solchen sollte es zuletzt nicht fehlen) aufrecht erhalten.

Ganz eigen ist es, daß ich wirklich, nach Art des Enceladus, die Urgebirge berührend, ein neuer Mensch werde und immer wieder frisch gewahre, in wie schönem und doch wie seltsamen Verhältniß wir zur Natur stehen. Jeder spricht sich nur selbst aus, indem er von der Natur spricht, und doch darf niemand die Anmaßung aufgeben wirklich von der Welt zu sprechen.

Und so glaub ich denn auch die entoptischen Farben nunmehr in meiner Gewalt zu haben. Das [54] atmosphärische Verhältniß, auf dem Umschlag meines morphologischen Heftes ausgesprochen, bleibt der Grund von allem, bleibt, wie Glas zum Harz, wie Kupfer- und Zinkerscheinung, immer dasselbige. Die mannigfaltigen Umwendungen aber dieser abermaligen Polarität am Licht und durch's Licht, aber nicht in und aus dem Licht, werden Sie gewiß erfreuen, ja ich hoffe überraschen. Ich sehne mich nach den ersten freien Wochen, wo ich dieß mit Liebe und Genuß zu behandeln gedenke. Dagegen hoffe ich, daß Sie Ihr wissenschaftliches Thun und Lassen, das auf mein Wesen und Treiben so günstigen Einfluß hat, nicht ganz hintan setzen werden.

Von gar manchem andern sollte ich sagen, denn es ist diese Zeit auf vielerley Weise für mich liebreich und bedeutend geworden, darauf will ich mich aber nicht einlassen, damit nur dieser Brief zu Ihnen gelange und, wo nicht die Verjährung, doch die Vermonatung unterbreche, die sich so leicht zwischen Briefwechsel hineinlegt.

Möcht ich von Ihrem Befinden und Ihrer Thätigkeit bald das Beste vernehmen. Empfehlen Sie mich Herrn Minister von Altenstein auf das angelegentlichste und lassen mich von Freund Langermann bald etwas Tröstliches hören, man will seinen Gesundheitszustand nicht zum Besten schildern.

Übrigens entschuldigen Sie mich, wenn Sie hören sollten, daß ich mehreren Freunden Briefe schuldig[55] bin. Es ist mir nicht möglich einzelne Zahlungen zu leisten, zum Staatsbanquerout soll es aber hoffentlich auch nicht kommen.

Erhalten Sie mir Neigung und Andenken!

gehorsamst

Weimar den 8. Januar 1819.

Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1819. An Christoph Ludwig Friedrich Schultz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8323-0