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An Johann Kaspar Lavater

Arbeiten und Zerstreuungen haben mich abgehalten dir für den überschikten Gablidon zu danken, welcher mir eine wunderbare Erscheinung gewesen ist. Daß ich die Sache um ein gut Theil roher nehme als du sie nehmen magst begreifst du wohl. Ich laße sie wie billig auf sich beruhen, und wenn ich ia etwas drüber denken oder sagen soll, so muß ich Thunen für einen betrogenen Laffen und die beiden andern für ein paar Schelmen halten. Dieses ist nun freilich keine zierliche und befriedigende Auflösung des Problems, doch zerfallen alle Taschenspielerstreiche in diese grobe Bestandtheile, sobald man an der einen Seite die überraschte Unbesonnenheit und an der andern die vorbereitete gewanndte List hinwegnimmt.

Ich bin geneigter als iemand noch eine Welt außer der Sichtbaren zu glauben und ich habe Dichtungs-und Lebenskraft genug, sogar mein eigenes beschränktes Selbst zu einem Schwedenborgischen Geisteruniversum erweitert zu fühlen. Alsdenn mag ich aber gern, daß das alberne und ekelhafte menschlicher Exkremente durch eine feine Gährung abgesondert und der reinlichste Zustand in den wir versezt werden können, empfunden werde. Was soll ich aber zu Geistern sagen die solchen Menschen gehorchen, solches Zeug vorbringen und solche Handlungen begehen. Ich weiß [214] wohl wie du solche Dinge zusammenhänst und will dich weder widerlegen noch bekehren, mir aber wenden sich die Eingeweide bei dergleichen Thorheiten um, besonders da mir das Schädliche davon so oft sichtbar geworden ist. Zugleich mußt du mir erlauben, daß ich über das Costume, worinnen der Geist sich gemahlt, eine Chicann mache. Es ist dies die gewöhnliche Kleidung in welcher unsere Juden am Schabbeß zu gehen pflegen und ich zweifle sehr, daß die Seher iener Zeiten, woher sich Gablidone schreiben will, in einem solchen Puze aufgetreten seien. Daß die Stükgen vom wahren Kreuze mir nun noch völlig den ganzen Handel verdächtig machen, kannst du dir leicht einbilden. Genug ich kehre von dieser überirrdischen Bekanndtschaft um nichts klüger und um nichts beßer zurük, welches die eizige Bedingung wäre, unter welcher ich einige Ehrfurcht für iene unbekanndte Freunde haben könnte. Außerdem sie mir nach meiner Gedenkungsart äußerst gleichgültig bleiben müßen.

Das mir überschikte Portrait gefällt mir auserordentlich wohl und zeigt von einem männlichen Mahler. Es ist wohl gesehen und wohlangelegt, Schade daß er nicht, Zeit gehabt hat es weiter auszuführen. Der Charakter scheint mir sprechen und die Stellung gut gewählt zu seyn. Nur hat es mich wundern müßen daß einige unbefangene Personen und besonders ein sehr wohl organisirtes, und in allen seinen Urtheilen übersinnliche Dinge höchst zuverläßiges [215] Kind, es nicht erkannt haben. Ich machte dadrüber meine Betrachtungen, besonders da der Knabe auf einige verwandte Gesichter rieth und ich glaube es liegt vorzüglich in der Farbe und in der mehreren Männlichkeit und Stärke der Züge die das Original freilich nicht hat. Genug es gefällt mir so wohl, daß ich es für mich behalten werde und danke dir also auf das beste dafür.

Knebel ist hier weg und wird sich diesen Winter bey den Seinigen aufhalten. Er ist die Ursache daß Tobler so lange gezögert hat. Dieser wird nun bey dir angelangt seyn und dir mehr von uns erzählen können und mögen als ich in vielen Briefen nicht thun dürfte. Ich wünsche daß es ihm bey euch wohl gehen möge, welches, da er, durch den Genuß der weitern Welt ziemlich verwöhnt seyn mag, vielleicht im Anfange schweerer halten wird.

Mit dem nächsten Postwagen geht an Bäben der vollendete zweite Akt meines Taßo ab. Ich wünsche daß er auch für dich geschrieben sein möge.

Die Unruhe in der ich lebe läßt mich nicht über dergleichen vergnüglichen Arbeiten bleiben, und so sehe ich auch noch nicht den Raum vor mir die übrigen Akte zu enden. Es geht mir übrigens, wie du wohl weißt, daß es den Verschwendern geht, die in dem Augenblicke, wenn über Mangel an Einnahme, überspannte Ausgaben und Schulden geklagt wird gleichsam von einem Geiste des Widerspruches außer [216] sich gesezt, sich in neue Verbindungen von Unkosten zu stürzen pflegen.

Auf deinen Pontius Pilatus bin ich sehr begierig schike wenn du kannst und willst ein Stük davon.

Die Frau von der Lühe habe ich in Gotha gesehen. Sie findet sich nach ihrer Art daselbst ganz wohl. Er ist eine sehr gute Art Menschen, verständig und gewißenhaft. Man legt ihm keine Hinderniße bey seiner Erziehung in den Weeg und der Herzog beträgt sich auf das beste gegen ihn.

Auf unserer Zeichenakademie habe ich mir diesen Winter vorgenommen mit den Lehrern und Schülern den Knochenbau des menschlichen Körpers durchzugehen, sowohl um ihnen als mir zu nuzen, sie auf das merkwürdige dieser einzigen Gestalt zu führen und sie dadurch auf die erste Stufe zu stellen, das bedeutende in der Nachahmung sichtlicher Dinge zu erkennen und zu suchen. Zugleich behandle ich die Knochen als einen Text, woran sich alles Leben und alles menschliche anhängen läßt, habe dabey den Vortheil zweimal die Woche öffentlich zu reden und mich über Dinge die mir werth sind mit aufmerksamen Menschen zu unterhalten. Ein Vergnügen welchem man in unserm gewöhnlichen Welt- Geschäffts- und Hofleben gänzlich entsagen muß. Dieienigen Theile die abgehandelt werden zeichnet alsdenn ein ieder und macht sie sich zu eigen. Dabey habe ich mir vorgenommen, das Wort Phisiognomik und Phisiognomie[217] gar nicht zu brauchen, vielmehr die Überzeugung davon durch die ganze Reihe des Vortrages einem ieden einleuchten zu lassen. Vielleicht kann dir etwas von dem was ich bey näherer Betrachtung der thierischen Ökonomie bemerke zu deinen Arbeiten in der Folge einen nüzlichen Beytrag geben.

Weimar den 14. Nov. 1781.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1781. An Johann Kaspar Lavater. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-833E-5