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An Johann Heinrich Lips

Weimar d. 1. Juni 1789.

Da ich aus Ihrem ersten Brief zu sehen glaubte, daß Sie erst gegen den Herbst von Rom abzugehn Lust hätten, wollte ich erst Ihren zweyten erwarten, den Sie mir damals ankündigten und den ich jetzt erhalte.

Ich freue mich, daß ich nun völlige Gewißheit Ihrer Ankunft habe und ob ich gleich nicht gern viel [121] verspreche, so hoffe ich doch, daß Sie Sich Ihres Hierseyns auf manche Weise freuen werden. Sie sind thätig und klug und ich werde Sie gleich in den Stand setzen, Ihre Lage übersehen zu können. Wir wollen manches zusammen denken und arbeiten. Auch werden Sie viele gute und unterrichtete Menschen finden.

Zu Ihren Reisekosten wird Ihnen ein Beytragen gern bewilligt werden und man wird auf alle Weise suchen, Sie zufrieden zu stellen.

Wenn Sie durch Siena gehen, befehlen Sie doch mit Aufmerksamkeit ein Bild des Guido von Siena, ich weiß nicht in welcher Kirche. Es stellt eine Mutter Gottes mit dem Kinde vor und ist das erste Bild worauf eine Jahrzahl steht. Die Figur ist über Lebensgröße und mich deucht in einem großen Sinn gemacht. Die Gewänder scheinen mir fürtrefflich gedacht und wenn das Bild beym ersten Anblick ein gemeines Auge erschröckt, so möchte es bey näherer Untersuchung in einem geübten Auge gewinnen. Finden Sie es so interessant, wie ich es gefunden habe, so machen Sie doch eine kolorirte Zeichnung davon, wenn Sie Sich doch auch in Siena etwas länger aufhalten sollten. Es kommt mir auf den Contour und die Lokalfarben an. auszuführen ist so nichts dran. Es ist auch dieß Bild in der Geschichte der Kunst merckwürdig. Sie müßten aber die Zeichnung schon in einiger Größe machen.

[122] Sonst habe ich Ihnen auf dem Wege nichts zu empfehlen was Ihnen nicht schon empfohlen ist. Leben Sie wohl. Reisen Sie glücklich.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1789. An Johann Heinrich Lips. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8359-7