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An Johann Heinrich Meyer
Weimar den 20. Junius 1796.
Ihren Brief vom 4. Junius habe ich wieder, nach der alten Art, heute und also in 16 Tagen erhalten, [99] wenn die meinigen auch so gegangen sind, so haben Sie zwischen dem 5. und 11. meinen langen Brief, und sodann die Anweisung erhalten. Bertuch, der jetzt nur seine Fränkischen Eisenwerke im Sinne hat, hatte seinem Industrie-Comptoir dazu Befehl gegeben, von dem ich sie erst so spät in Jena erhielt. Lassen Sie sich indessen nicht reuen auch einmal ausgeruht zu haben, Sie haben anhaltend und genugsam gearbeitet, wenn Sie nur glücklich und gesund durch die pontinischen Sümpfe kommen. Sonst ist aber, ich möchte wohl sagen, die Erde überall des Herrn, und wenn Sie sich ja entschließen sollten nach Florenz zu gehen, wie Sie in Ihrem Briefe einige Neigung zeigen, so würde auch da für Sie genug Gewinnst seyn.
Am meisten betrübt mich bey der gegenwärtigen Lage der Sache, daß, indem ich länger Ihres Umgangs entbehre, Sie auch nun länger für sich bleiben und einer freundschaftlichen Theilnahme ermangeln. Es geht uns der ganze Gewinn des Lebens verlohren, wenn wir uns nicht mittheilen können, und eben in den zartesten Sachen, an denen man so selten Theilnehmer findet, wünscht man sie am lebhaftesten.
Bey Ihrer Abwesenheit und bey der ganzen jetzigen Lage tröstet mich das am meisten, daß wir, die mir nun einmal verbunden sind, einander so rein und sicher entgegen arbeiten. Von Schillern bin ich gewiß daß er nicht rückwärts geht, dagegen hat Freund Humanus, in dem achten Bande der Briefe über Humanität, vor [100] kurzem, noch ein böses Beyspiel gegeben was Willkürlichkeit im Urtheil, wenn man sie sich einmal erlaubt, bey dem größten Verstande für traurige Folgen nach sich zieht. Eine Parentation kann nicht lahmer seyn als das, was über deutsche Litteratur in gedachter Schrift gesagt wird. Eine unglaubliche Duldung gegen das Mittelmäßige, eine rednerische Vermischung des Guten und des Unbedeutenden, eine Verehrung des Abgestorbenen und Vermoderten, eine Gleichgültigkeit gegen das Lebendige und Strebende, daß man den Zustand des Verfassers recht bedauern muß, aus dem eine so traurige Composition entspringen konnte. Und so schnurrt auch wieder durch das Ganze die alte, halbwahre Philisterleyer: daß die Künste das Sittengesetz anerkennen und sich ihm unterordnen sollen. Das erste haben sie immer gethan und müssen es thun, weil ihre Gesetze so gut als das Sittengesetz aus der Vernunft entspringen, thäten sie aber das zweyte, so wären sie verloren und es wäre besser daß man ihnen gleich einen Mühlstein an den Hals hinge und sie ersäufte, als daß man sie nach und nach ins nützlich-platte absterben ließe.
Auf die Aldobrandinische Hochzeit freue ich mich unendlich. Es wird mir die Anschauung von Ihrem Thun und Wesen geben und den Vorschmack von so manchem Guten das ich jetzt vielleicht nur später genieße. Der jetzige Moment ist sehr bedeutend und lange kann das Schicksal von Europa nicht unentschieden bleiben.
[101] Ein Theil dessen, was ich in meinem vorigen Briefe geweissaget, ist geschehen, was Clarfait zuletzt wieder erobert hatte ist alles wieder verloren. Die Franzosen sind, Meister vom ganzen linken Ufer des Rheins, bis aus ein paar Stellungen nahe bey Mainz und Manheim, die Kaiserlichen haben ihre mögliche Gewalt an die Lahn gezogen und wehren sich von Wetzlar bis an den Rhein hinunter was sie können. Den 16. dieses war eine allgemeine Attaque, welche zuletzt günstig für sie ausfiel. Die Chursachsen und unser kleines Contingent stehen auch jetzt in dieser Gegend. Das Preußische und Niedersächsische Observationscorps zieht sich in Westphalen zusammen und jene Gegenden sind also gedeckt. Sollten die Österreicher aber, entweder durch die Übermacht der Franzosen am Niederrhein, oder durch ihr Glück in Tirol genöthigt wer den diese letzte Stellung an der Lahn zu verlassen; so ist das übrige Deutschland im Fall von Unteritalien. Wie hartnäckig sich bis jetzt die kaiserlichen in Tirol gewehrt haben, werden Sie jetzt schon wissen. Leider streiten wir diesseits aus der letzten Linie.
Wir wollen nur sehen aus welche Bedingungen und Kosten Italien zum Frieden gelangt und da wird sich ja wohl eine Lücke finden durch die ich zu Ihnen durchdringen kann.
Für das neue Project zum Grabmale danke ich recht sehr.
Wenn Sie sonst zu nichts besserm aufgelegt sind,[102] so notiren Sie doch auch gelegentlich etwas über Clima, Sitten und Gebräuche, augenblickliche Zustände und was sonst allenfalls wäre, auch etwas von Preisen. Alte solche Notizen haben in der Folge vielen Weth.
Der prismatische Streif unter dem alten Bild ist äußerst bedeutend. Es ist der entgegengesetzte vom Regenbogen, gelb und blau nähmlich stehen außen, und das gelbrothe und blaurothe trifft in der Mitte zusammen und bildet den Purpur. Da nun auch von außen eine gelbrothe Linie das Ganze von beyden Seiten einfaßt, und eine gelbe Schattirung von derselben wieder nach innen geht, so erhält das Ganze dadurch eine besondere Anmuth und Lebhaftigkeit, indem es zugleich das möglichste reine Farbenspiel enthält. Ich will, wenn ich erst Ihre Copie erhalte, den Versuch machen und einen solchen Streifen so rein als möglich auf ein besonderes Papier ziehen lassen und darunter halten, auch dasselbe mit dem umgekehrten eigentlichen Regenbogenstreifen versuchen, auch dasselbe, oder was ähnliches, bey verschiedenen colorirten Zeichnungen anbringen und Ihnen sodann meine Meinung darüber vermelden.
Richter aus Hof, der allzubekannte Verfasser des Hesperus ist hier. Es ist ein sehr guter und vorzüglicher Mensch, dem eine frühere Ausbildung wäre zu gönnen gewesen, ich mußte mich sehr irren, wenn er nicht noch könnte zu den unsrigen gerechnet werden.
[103] Heute über acht Tage schreibe ich wieder und hoffe auch bald von Ihnen zu hören.
Da noch Platz ist, lasse ich Ihnen eine Stelle aus Kant abschreiben, sie schließt den Pharagraph, der überschrieben ist von der Schönheit als Symbol der Sittlichkeit.
Die Rücksicht auf diese Analogie ist, aus dem gemeinen Verstand gewöhnlich und wir benennen schöne Gegenstände der Natur ober der Kunst oft mit Nahmen, die eine sittliche Beurtheilung zum Grunde zu legen scheinen. Wir nennen Gebäude ober Bäume majestätisch und prächtig oder Gefilde lachend und fröhlich; selbst Farben werden unschuldig, bescheiden, zärtlich genannt, weil sie Empfindungen erregen, die etwas mit dem Bewußtseyn eines durch moralische Urtheile bewirkten Gemüthszustandes Analogisches enthalten. Der Geschmack macht gleichsam dem Übergang vom Sinnenreiz zum habituellen moralischen Interesse, ohne einen zu gewaltsamen Sprung, möglich, indem er die Einbildungskraft aus in ihrer Freyzeit als zweckmäßig für den Verstand bestimmbar vorstellt, und sogar an Gegenständen der Sinne auch ohne Sinnenreiz ein freyes Wohlgefallen zu finden lehrt.
G.