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An Johann Heinrich Meyer

Jena den 20. May 1796.

Ihr Brief mein Werthester vom 24. April, der eigentlich Nr. 11 ist, hat mich in Jena angetroffen, wo es mir seit 14 Tagen ganz gut geht. Körners und Graf Geßler waren hier, der letzte ist den 16. dieses Monats, und zwar geradesweges, nach Italien abgereist, Sie werden ihn bald sehen, denn er denkt geschwind zu gehen. Leider ist seine Gesundheit nicht die beste. Körners sind den 17. fort, es ist Ihrer in dieser Gesellschaft oft genug gedacht worden. Auch hab' ich durch die Negotiation dieser Freunde die Wackerische Victorie für einen leidlichen Preis erhalten, sie steht [65] wirklich vor mir und ich bin sehr zufrieden dieses Kunstwerk zu besitzen vielleicht kann ich Ihnen ehe dieser Brief noch abgeht eine kleine Rezension derselben vorlegen.

Aus alles was Sie nachbilden und notiren freue ich mich herzlich, es geht nichts über den Genuß würdiger Kunstwerke wenn er nicht auf Vorurtheil sondern aus wahrer Kenntniß ruht.

Das Hirtische Manuscript hab' ich erhalten, es betrifft einen interessanten Gegenstand, ist aber weitläufig und, unter uns gesagt, ungeschickt geschrieben, so daß es beynah noth thäte, man redigirte das Ganze. In einem beygelegten Briefe hat er auch solche miserable Fragen an mich gethan, worüber ich ihm nächstens eine Auskunft, die keine Auskunft ist, zu geben gedenke.

Zu der Endeckung des jungen Mannes wünsche ich Ihnen Glück, wenn er sich nur erst durch Sie und nach Ihnen gebildet hat, so kann er uns gewiß großen Vortheil bringen, denn freylich auf junge Leute müssen wir denken mit denen man sich in Rapport und Harmonie setzen kann, von älteren, bey denen sich die Ideen schon fixirt und die sich schon eine eigene Lebensweise vorgesetzt haben, ist nichts zu hoffen.

Wilhelm Schlegel ist nun hier und es ist zu hoffen daß er einschlägt. So viel ich habe vernehmen können ist er in ästhetischen Haupt und Grundideen mit uns einig, ein sehr guter Kopf, lebhaft thätig [66] und gewandt. Leider ist freylich schon bemerklich, daß er einige demokratische Tendenz haben mag, wodurch denn manche Gesichtspuncte sogleich verrückt und die Übersicht über gewisse Dinge eben so schlimm als durch die eingefleischt aristokratische Vorstellungsart verhindert wird. Doch mehr von ihm wenn ich ihn näher kenne.

Was die Bilder in dem Pallast Lancelotti betrifft, so wollen wir sie doch im Auge behalten, der Herzog hat keins von den Winklerischen Bildern acquirirt, man denkt die Sammlung im Genzen zu verkaufen. Horchen Sie doch gelegentlich wegen des Guercin und der Carrache und schreiben mir die Größe und etwas Detailliertes über den Werth der Stücke und über den Preis, vielleicht entschließt sich der Herzog zu einem oder dem andern. Ich habe unter den in Kupfer gestochnen merkwürdigen Gemählden, wenn ich nicht irre, auch die im Pallast Lancelotti befindlichen von Guercin und Carrache und kann also, wenn davon die Rede ist, sogleich den anschaulichen Begriff geben, es kommt nur darauf an, daß Sie die Größe, die Erhaltung und was sonst aus dem Kupfer nicht ersichtlich seyn kann, bemerken.

Es ist löblich an die Dauer der Kunstwerke zu denken, wenn nur auch viel entstünde was zu dauern verdiente.

Nachfolgende Fragen wünscht der Herr Coadjutor beantwortet.

[67] 1) Aus welchen verschiedenen Mischungen die Farbenmassen der Römischen Mosaik bestehen?

2) Wie Sie verfertigt werden?

3) Ob irgend in einem gedruckten Werk davon vollständige Nachrichten enthalten sind?

4) Ob und wie theuer man dergleichen Glasfarben in Rom kaufen kann?

Was Sie hierüber dem Herrn Coadjutor für Zukunft geben könnten, schrieben Sie ja wohl demselben gleich nach Mörsburg am Kostnitzer See und behalten eine Abschrift für unsern Entzweck bey Ihren Papieren.

Sie schreiben daß Sie die Aldobrandinische Hochzeit bald schicken wollen. Sollte es aber nicht besser seyn sie dort zu behalten und sie zuletzt mit dem ganzen Transporte abgehen zu lassen? denn da ich noch im August abzugehen hoffe, so könnte es leicht seyn daß, wenn Sie solche mit Gelegenheit schicken sie mich nicht mehr anträfe, welches ich für einen sehr großen Verlust halten würde.

So eben erhalte ich Ihren Brief Nr. 12. Der vorhergehende ist, wie Sie aus dem Anfange dieses Blattes sehen, glücklich angekommen, mit diesem überschicke ich die Briefe und die Anweisung, von der letzten unten mehr.

Wenn Sie über das was Sie in Ihrem Fach aufzeichnen und leisten sorglich sind, so habe ich bey meiner Natur noch viel mehr Ursache es zu seyn, da ich weit mehr als Sie von der Stimmung abhänge [68] und so selten gerade eben das thun kann, was ich mir vornehme. So geht es mir eben jetzt mit dem Roman, den zu endigen ich abermals hierher gegangen bin, und in 14 Tagen allerley löbliche und erfreuliche Dinge zu Stande gebracht habe, nur gerade das nicht was ich mir vorgenommen hatte. Auch weiß ich recht gut, daß die sammlende Aufmerksamkeit auf äußere Gegenstände bey mir nur eine gewisse Zeit lang dauert und daß die verbindende und wenn Sie wollen poetische Tendenz alsdann desto lebhafter und unaufhaltsamer sich in Bewegung setzt. Wir wollen von der Selbstkenntniß und von der Übung unsere geistigen und leiblichen Kräfte zu leiten und zu nutzen das beste hoffen.

Für die Zeichnungen zu dem Monumente danke zum voraus, ich werde sie gleich copiren lassen, damit sie uns doch auch bleiben. Haben Sie Gelegenheit einige Zeichnungen zu freystehenden ländlichen Brunnen zu finden, so wünschte ich auch daß Sie mir solche zuschickten, es wird einer dergleichen nach Wilhelmsthal gesucht.

Von unsern Anlagen überhaupt kann ich nichts sagen, alles was dabey geschieht, ist dem Zufall unterworfen. Ich hatte noch gestern Gelegenheit mich über die wunderliche und unsichere Art, wie diese Gegenstände behandelt werden, zu verwundern und zu betrüben. Es will kein Mensch die gesetzgebende Gewalt des guten Geschmacks anerkennen und weil er freylich nur durch Individuen spricht und diese auch durch die [69] Eigenheit und Beschränktheit ihrer Natur nicht immer das letzte vollkommene und ausschließlich nothwendige hervorbringen, so verliert man sich in einer Breite und Weite des Zweifels, leugnet die Regel weil man sie nicht findet oder nicht einsieht, geht von den Umständen aus anstatt ihnen zu gebieten, läßt sich vom Material Gesetze vorschreiben anstatt sie ihm zu geben.

Bald will man abstracte Ideen darstellen und bald bleibt man hinter dem gemeinsten zurück, was sogar das Handwerk schon möglich macht. Bringt man ungeschickte und widerliche Dinge hervor, so sollen sie sogar als Symbol verehrt werden, man arbeitet blos, nach dunkeln Vorstellungen, auf unbestimmte Ideen loß, und weil das was daraus entspringt niemand befriedigen kann, so nimmt man seine Zuflucht zum ändern und abermals zum ändern und so kommt alles zum schwanken, daß man immer von einem Erdbeben geschaukelt zu werden glaubt. Die ewige Lüge von Verbindung der Natur und Kunst macht alle Menschen irre, und die falsche Verbindung der Künste unter einander, wo eine bald oben bald unten steht, bald herschen will bald dienen soll, macht die Confusion vollkommen, besonders wenn die bestimmtesten Künste der Imagination, oder der Empfindung und wills Gott gar am Ende einer sittlichen Cultur unmittelbar zu Hülfe kommen sollen.

Leider wird es Ihnen nicht an Beyspielen zu den verschiedenen Strophen dieser extemporirten Litaney[70] fehlen, diese Klagelieder erstrecken sich freylich, genau besehen über das Gebiet der Kunst weit hinaus und können also an verschiedenen Festen abgefunden werden.

Ich will suchen von denen Steinen, die in meinen Händen sind, wenigstens noch doppelte Abdrücke von dem Gemisch von Trippel und Gips machen zu lassen, sie können alsdann bis zu unserer Rückkunft liegen, und zu gelegener Zeit in Glas ausgedruckt werden.

Hierbey fällt mir ein, daß Facius eine seiner Landsmänninnen aus Gaiz und Horny Mamsel Ortelli geheirathet hat. Ob die Kunst mit der Bevölkerung in gleichem Grade zunehmen werde, daran ist sehr zu zweifeln, indessen ist Horny fleißig und seine radirten Landschaften werden immer besser, so daß er künftig in unsern Plan recht gut eingreifen kann.

Die Krausischen Landschaften von den Boromeischen Inseln sind sehr gut und glücklich gezeichnet, bey der Illumination hingegen der gestochenen Umrisse haben sie viel verloren und wie mich dünkt, weil die Massen, welche die Natur beym ersten Entwurf angab, hier durch kleine Gegenstände und Staffagen, wodurch man das Ganze interessant machen wollte, zerschnitten und zerhackt sind.

Der arme Waitz wird wohl nicht lange mehr leben, ich hoffte ihn diesen Sommer in ein Bad zu bringen, allein ich höre er ist sehr schlecht. So auch scheint Eckebrecht nicht lange mehr zu laufen, ich will sehen, daß er gegen eine Remuneration das mechanische, was [71] er weiß etwa an Horny nach und nach offenbart und überträgt.

Der Herr Geheimde Rath Schnauß leidet auch wieder sehr an seinem Fuße und es ist zu befürchten, daß endlich einmal seine gute Natur unterliegt.

Da noch einiger Platz übrig ist, will ich eine Recension der neu acquirirten Statue versuchen. Sie ist mit der Wackerischen Sammlung an einen Herrn von Eckendorf in Dresden verkauft worden, der, weil er nur ein Liebhaber von Münzen ist, sie an mich überlassen hat. Es ist eine Figur von Bronze, 7 Zoll hoch, mit der Kugel aber worauf sie steht und der kleinen Platte in welcher die Kugel eingelassen ist, mit den Flügeln, die in die Höhe gerichtet sind, ist sie accurat einen Leipziger Fuß hoch. Eine weibliche bekleidete Figur steht mit dem Vordertheil des linken Fußes auf einer Kugel und trägt den rechten frey und ein wenig hinterwärts, die Linie des Körpers neigt sich ein wenig zur linken Seite, und so steht das Ganze im schönsten Gleichgewicht. Die beyden nackten Arme hält sie gebogen über den Kopf erhoben, so daß die linke Hand etwas höher als die rechte steht, die Flügel sind gerade in die Höhe gerichtet. Die Figur ist sehr gut gezeichnet und das nackte vollkommen verstanden, die Kniescheiden und Muskeln der Schenkel und Füße besonders fürtrefflich ausgedruckt. Von der Drapperie ist vorzüglich zu reden. Die Figur hat eigentlich ein langes Gewand an, das, wenn es nicht[72] zweymal gegürtet wäre, ihr weit über die Füße herabfallen müßte, unter der Brust ist es mit einer Binde zum erstenmal gegürtet, der zweyte Gürtel über der Hüfte ist durch die herabfallenden, schwankenden, in der Mitte bis an den Nabel reichenden, an der Seite aber weiter herunterfallenden Falten bedeckt, die Schenkel sind durch das bis zu den Füßen herabfallende, durch den Wind aber angetriebene Kleid, so wie die Knie, Schienbeine und Waden sichtbar. Dieser dreyfache Faltenwurf ist jeder in seiner Art vortrefflich und mit dem größten Verstande gedacht, an der Brust sind sie fest angeschlossen, um den Leib schwanken sie und um die Füße sind sie in Bewegung. Ohngefähr wie bey meiner Diana, nur daß bey dieser der untere Theil des Gewands viel kürzer ist. Das Gewand selbst scheint als das einfachste von der Welt gedacht zu seyn, es ist auf der einen Seite in seiner ganzen Länge zu und auf der andern offen und wird durch nichts, als durch ein paar Knöpfe auf den Schultern, durch den sichtbaren und den unsichtbaren Gürtel fest und zusammen gehalten. Der beste Standpunct die Figur zu sehen ist, wenn das Auge gerade mit der Kugel in gleicher Höhe steht, das ganze zeigt sich mit der größten Leichtigkeit, ganz en face außerordentlich schön und wenn man sich ein wenig hin und wider bewegt, entsteht eine unglaublich anmuthige Bewegung in allen Theilen der Figur, besonders zeichnen sich die äußern Umrisse aus einer weißen Wand mit der größten [73] Mannigfaltigkeit und Zierlichkeit. Das Oval des Kopfes ist rundlich und wird durch den Haarputz ganz rund, der Ausdruck des Gesichts ist sehr still und edel, die Ecken des halboffnen Mundes ein wenig herunter gezogen. Der als steht mit außerordentlicher Freyheit und Feinheit aus dem Körper, durch ein sonderbares listiges Kunststück siehst man den Hals immer frey, obgleich die Flügel sich von der Seite und von hinten dem Kopfe sehr nähern. Die Flügel sind überhaupt mit der größten Zierlichkeit angesetzt, sie gehen von den Schultern bis in die Weichen, erstrecken sich ein wenig über den Gürtel, und lassen alsdann einen kleinen Raum zwischen sich und den schwankenden Falten der Hüfte. Erhalten sind sehr gut der Kopf und die Brust, welche der edle Grünspan zart überzieht, ingleichen die Flügel, welche in allen ihren Theilen mit großer Eleganz ausgestochen sind. Das untere Gewand tat sowohl als die freyen Arme durch Abblätterung der gesäuerten Metallrinde etwas weniges Epidermis verloren, doch thut sowohl das Ganze in gehöriger Entfernung seine vollkommene Wirkung, als man in der Nähe die feinsten und zartesten Theile noch entdecken kann. Es gehört mit zu den vorzüglichsten Kunstwerken die wir besitzen und ich wünsche daß es auf gute Nachfolge deuten möge. Die Rückseite, qua Rückseite, ist nur im Großen bearbeitet, in so fern sie aber die Conture der Vorderseite enthält und die Leichtigkeit des Hinwegschwebens vielleicht noch [74] mehr als die Vorderseite des Heranschwebens vors Auge bringt, außerordentlich interessant. Soll ich eine Vermuthung angeben, so könnte es eine Victorie seyn, deren Original eine berühmte Gottheit auf der Hand getragen und die nun in dieser Copie als Zierde einer Fahne oder eines andern militarischen Vereinigungszeichen gedient haben mochte.

Abgeg. d. 22ten May.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1796. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8417-4