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An Philipp Seidel

[9. December.]

Deinen Brief erhalte ich heute Abend, d. 9. Dec. also richtig nach deiner Ausrechnung. Nur noch Ein Wort weil die Post geht. In der Zwischen Zeit habe ich meinen Freunden geschrieben wo ich binn. Kaum war ich in Rom angekommen als ich erkannt wurde doch führ ich mein Incognito durch, sehe nur die Sachen und lehne alle andern Verhältniße ab. Man ist auch diese Sonderbarkeit schon gewohnt, der erste Sturm ist vorüber und man läßt mich so ziemlich meines Wegs gehn. Du hast deine Sachen gut gemacht, deine Relation ist recht brav und ich freue mich deines Wohlseyns. Hier ist köstliches Wetter, das nur manchmal von zwey bis drey Regentagen unterbrochen wird. Ich kann alles mit der größten Bequemlichkeit sehen. Jeder Teutsche schreibt nach Hause daß ich hier bin, also ists wenn du diesen Brief erhältst kein Geheimniß mehr, du schweigst indessen und lässest dich auf nichts ein.

Cioja war bankrutt wie ich hierherkam; ich habe wiederholt bey seinem Concurs nachfragen lassen, ob ein Brief an meine fingirte Adresse da sey, und immer die Antwort mit Nein erhalten. Morgen will ich also wieder fragen laßen. Göschen hab ich an Hrn. Herder gewießen.

[80] Ich genieße hier köstliche Tage. Man kann sich nichts dencken, was man nicht gesehen hat, Rom am Wenigsten. Dem denckenden und fühlenden Menschen geht ein neues Leben, ein neuer Sinn auf, wenn er diesen Ort betritt, ja allen Menschen, jedem nach seinem Maase.

Lebe wohl. Mit dem nächsten Posttag mehr, auch über die Geschäfft Sachen und sonst. Welch ein Unterschied! ihr steckt im Schnee und Eis und hier ist alles grün. Die immergrünen Bäume, alles Gras und Kraut, das sich nach der langen Sommer Dürrung, erst erhohlt da die warmen Regen kommen. Kaum vermißt man das abgefallne Laub der übrigen Bäume. Leb wohl.

Schicke mir den Voigtischen Brief in Extenso. Es müssen noch andere Geschäftssachen drinne stehn von der Steuer Commission pp die mich interessiren.

Es versteht sich von selbst, daß du meinen nächsten Freunden in Weimar nun meine Adreße geben oder mir ihre Briefe selbst zuschicken kannst. Ich tadle dich nicht, daß du die ersten eröffnetest.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1786 [2]. An Philipp Seidel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8483-1