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An Carl Friedrich Zelter

Unterm 19. ist ein Brief an dich abgegangen, worin ich meinen Entschluß nach Baden zu gehen vermeldete, Cotta hatte mir daselbst, im Badischen Hofe, ein Quartier bestellt. Heute erhalte ich deinen lieben Brief, der mir anzeigt, daß du mir in Wiesbaden, in der Rose gleichfalls ein Unterkommen besorgt hast.In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen, wer weiß aber welche ich beziehen werde, da man mir heute durch einen Boten in Tennstedt das dritte bestellt hat. Wende das Blatt um, und lies die lamentable Geschichte. Das der Mensch denkt wird anders gelenkt, es sey nun daß sich die obern oder untern Dämonen darein mischen. Sobald ich in Tennstedt angelangt bin, in Gottes großer Caserne mein Kästerchen, (nach neuer deutscher Mundart meine Kofe) bezogen habe, sende ich einen Brief an dich. Denn dieses Tennstedt liegt nicht außerhalb der Welt; du findest es auf jeder Postcharte, [118] zwischen Langensalze und Weißensee, auf dem Wege nach Leipzig. Ich sehne mich unsäglich in's Wasser, und zwar dießmal in Schwefelwasser, denn weder Gelenke noch Haut wollen mehr dem Willen gehorchen und spielen ihr eignes unbequemes Spiel. Antworte mir sogleich nach genanntem Ort, wohin von Erfurt aus schnelle Spedition ist. Eh ich reise schick ich ein Exemplar deiner Lieder an André nach Offenbach. Ich freue mich sehr, daß meine byzantinische düstre Ableitung dich hat anziehen können, ohne dergleichen Begründung und Ableitung ist alles Urtheil Narrensposse und damit ist's noch nicht gethan, denn es gehört noch ein ganzes Leben Betrachtung und That hinzu, deshalb gönn ich Niemanden die Oberfläche der Erde lieber als dem Pfuscher, der mit behaglicher Heiterkeit Nachsicht fordert, mit scheinbarem Ernst ein aufrichtiges Urtheil verlangt und mit bescheidener Anmaßung rechtviel gelten will. Möge mein Commentar gegen deinen Text dankbar seyn.

Es ist mir diese Tage viel Gutes und Liebes widerfahren. Ältergewordene, seit 25 Jahren nicht gesehene jüngere Freunde kamen unversehens und freuten sich vieles an der alten Stelle und manches Vorgeschrittene vorschreitend zu finden. Am Abende des 20., da ich mit Protest zurückgewiesen wurde, fand ich Chladni, der, die Meteorsteine und die Klangfiguren hartnäckig durcharbeitend, sich ein großes Verdienst macht. Er [119] arbeitet für eine Zeit, wo man sich wieder freuen wird von andern zu lernen und dankbar zu benutzen, was sie, durch Aufopferung ihres Lebens, mehr für andere als für sich gewonnen haben. Wenn man jetzt, sogar vorzüglichen Menschen, von etwas spricht was sie durch Überlieferung lernen sollten, so versichern sie, mit bescheidenem Ernst, sie hätten noch nicht Zeit gehabt es zu untersuchen.

Gebe dir Gott wenig gelehrige Schüler, damit doch etwas von deinen Tugenden auf der Erde bleiben möge, die andern aber, die sich dem Höchsten gleich stellen, indem sie auf den ersten Stufen krabbelnd dem Scheine huldigen, die laß ja in ihrer Behaglichkeit, denn es wäre Sünde ihre Welt zu zerschlagen.

Man sollte eigentlich nicht wiederkehren wenn man abgeschieden ist, doch dießmal gelang es mir noch, der Unterschied war nur um wenig Stunden. Indessen ist es doch wunderbar, das Leben krallt sich gleich wieder an, und ich habe gerade durch die Haft des Zustandes, weil man mich gleich wieder zu verlieren gedenkt, soviel erfahren und gewirkt als sonst in Wochen.

In meinem Hause sieht's ganz freundlich aus. August, wie du ihn kennst, greift in alles ganz verständig ein, wir haben in wenigen Stunden Fundamente zu künftigen Winterunterhaltungen gelegt. Chemische und physische Fördernisse sind mir auch geworden, so daß ich nicht weiß ob ich mich beklagen soll [120] heute Abend nicht in Würzburg einzutreffen. Herrn v. Hundeshagen grüße zum allerschönsten, danke für seinen Brief, ich werde nächstens schreiben.

W. d. 22. Jul. 1816.

G.

Hast du Auslagen wegen des bestellten Quartiers, so erstatte ich sie mit Dank.

Um 20. dieses früh 7 Uhr fuhr ich von hier ab, um 9 Uhr, kurz vor Münchenholzen, warf der ungeschickteste aller Fuhrknechte den Wagen um, die Achse brach und der gute Meyer wurde an der Stirne beschädigt. Das heftige Bluten der Wunde schien mir bedenklich, wir rafften uns so gut wir konnten aus dem Wagen. Hier war nichts zu thun als Succurs von Weimar zu berufen, welcher denn auch nach einigen Stunden ankam, die wir glücklicher Weise bey heiterem Himmel im Freien zubrachten.

Meyers Wunde hat nur die Haut gespalten und ist nicht gefährlich, doch unter vierzehn Tagen an keine vollendete Heilung zu denken, dadurch würde eine ohnehin etwas weit ausgreifende Reise verspätet, und ich habe mich daher, um den besten Monat nicht zu verlieren, ganz kurz entschlossen nach Tennstedt zu gehen. Hofmedicus Rehbein, der diese Wasser genau kennt, bestärkte mich darin und verspricht mir die beste Wirkung.

Hatte man mir doch vor einige Jahren ähnliche Quellen angerathen. Was mir den Gedanken sehr annehmlich [121] machte war die Nähe von Weimar, sobald. Hofrath Meyer geheilt ist folgt er nach.

W. d. 22. Jul. 1816.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-84B9-9