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An Johann Heinrich Meyer

Ich kann Ihnen nicht ausdrucken wie sehr es mich erfreut daß Sie Sich wieder hergestellt fühlen und daß ich hoffen kann Sie bey mir zu sehen. Mein Gedancke wäre dieser: Sie blieben den Sommer noch im Vaterlande, genößen der schönen Gegend und der guten Jahrszeit. Ich werde diesen Sommer wenig zu Hause seyn, Sie kämen etwa im September und vergnügten uns den Winter zusammen. Sie sollen völlige Freyheit haben zu arbeiten was Sie [247] wollen, ich freue mich recht darauf mit Ihnen so manches durchzusprechen was uns beyde gleich interessirt.

Auf einen Canon männlicher und weiblicher Proportion loszuarbeiten, die Abweichen zu suchen wodurch Characktere entstehen, das anatomische Gebäude näher zu studiren und die schönen Formen welche die äussere Vollendung sind zu suchen, zu so schweren Unternehmungen wünschte ich daß Sie das Ihrige beytrügen wie ich von meiner Seite manches vorgearbeitet habe.

In dem Stücke von Albr. Dürers Wercke das Sie mir anzeigen stehen wahrhaft goldne Sprüche, es wäre schön wenn man sie einmal zusammenrückte und in neuere Sprache übersetzte.

Hierbey schicke ich Ihnen 47 Stück Laubth. als den Betrag einer halbjährigen Pension. Ich habe weil der Termin Michael einmal falsch angegeben war für Weyhnachten und Ostern quittiren müssen, es fehlt Ihnen also noch das Joh. Quartal vorigen Jahrs ich will sehen wie ichs ins gleiche bringe.

Leben Sie recht wohl. Schreiben Sie mir den Empfang und zugleich daß Sie wohl und fleißig sind und mich lieben. W. d. 13. Merz 1791.

Goethe.


Hierbey liegen einige Worte über Ihre Arbeiten, da ich ein höchstfauler Schreiber bin habe ich sie dicktirt.

[248] Ich habe Ihnen schon in einem Briefe vorläufig angezeigt, daß ich Ihr Gemälde zur rechten Zeit erhalten habe, nunmehr ist auch die Zeichnung der Aurora angekommen, beide sind mir die angenehmsten Zeugnisse Ihres Nachdenkens und Fleißes gewesen.

Ich wünsche sehr, mich dereinst mit Ihnen mündlich auch über diese Arbeit unterhalten zu können, es ist schwer über eine so complizierte Sache als ein gutes Kunstwerck ist, sich schriftlich zu erklären.

Die Entzwecke welche Sie sich beym Oedipus vorgesetzt, und das Raisonnement das Sie in Ihrem Briefe vom 22. Dec. führen, muß ich vollkommen billigen, und ich kann wohl sagen: Sie haben nach meiner Einsicht Ihre Absichten sehr schön erreicht. Der erste Eindruck den das Bild macht, ist angenehm und reizend, die glückliche Wahl der Farben bringt diese Wirkung zu wege, Klarheit und Deutlichkeit des Ganzen hält sogleich die Aufmerksamkeit fest. Es ist so angenehm wenn wir bey Erblickung eines Bildes sogleich wahrnehmen der Künstler wolle uns nicht nur bestechen, oder wie ein Taschenspieler täuschen sondern es sey ihm Ernst wirklich etwas zu leisten, er wolle uns Rechenschaft geben von dem was er gethan hat und uns durch Klarheit und Genauigkeit in den Stand setzen ihn zu beurtheilen.

Die Haupt-Figur ist Ihnen sehr glücklich gerathen sowohl in Absicht auf den Gedanken und die Natürlichkeit der Stellung und des Ausdrucks als [249] auch der Ausführung der einzelnen Theile wovon ich besonders Kopf Brust und Leib mehr zu schätzen weiß als die Extremitäten von denen ich überhaupt einen entschiedenen und ganz klaren Begriff noch nicht habe. Was die Figur der Minerva betrifft; so scheinen Sie selbst mit derselben nicht ganz einig, doch ist immer hier zu bedenken daß sie als untergeordnet erscheint und eigentlich da ist den Helden durch ihre Gegenwart zu erheben. Die Gewänder und die Farben derselben sind mit vieler Kenntniß und Nachdenken angelegt. Was die Figur des Sphinx betrifft so hätte ich dabey wohl einiges zu erinnern: Zum Exempel, daß Kopf und Brust, deren wilden und frechen Charakter ich sehr wohl gedacht finde etwas kleiner seyn möchten damit das Ganze eine schlankere Gestalt erhielte und die Flügel proportionirlich größer werden könnten. Allein da hier von Bildung eines Ungeheures die Rede ist wo so mancherley Betrachtungen eintreten und Sie wohl mit Vorbedacht diese Gestalt überhaupt gröber und roher gehalten haben, um die menschlichen und göttlichen Gestalten desto zierlicher erscheinen zu machen; so mag das in der Folge wenn wir uns sprechen der Gegenstand einer kritischen Unterredung werden. Sie wissen wie sehr ich die Compositionen der Alten schätze, und da Sie auf einem Wege gehen der auch von mir für den rechten gehalten wird; so wird es uns künftig zu großer Zufriedenheit gereichen, wenn [250] wir uns wechselseitig darüber erklären und unsere Meynungen durch Beyspiele erläutern werden. Ich bin überzeugt, daß der Künstler, der diese Gesetze kennt und sich ihnen unterwirft eben so wenig beschränkt genannt werden kann als der Musikus der auch nicht aus den bestimmten Verhältnissen der Töne und der Tonarten herausgehen, sich aber innerhalb derselben ins Unendliche bewegen kann.

Was die Composition der Aurora betrifft so bin ich mit derselben vollkommen zufrieden, wenn Sie gleich bey der Verarbeitung dieser Idee ihr wohl noch eine größere Vollkommenheit geben können so kann ich doch nichts daran finden was ich verändert wünschte. Was die Erfindung betrifft so haben Sie dünkt mich die glückliche Linie getroffen worüber die Allegorie nicht hinaus gehen sollte. Es sind alles bedeutende Figuren, sie bedeuten aber nicht mehr als sie zeigen und ich darf wohl sagen nicht mehr als sie sind. Die Symmetrie und Manigfaltigkeit, geben der Composition eine gar schöne Wirkung, und der Reiz der sich sowohl in Formen als Farben über das Ganze verbreiten kann, ist wirklich ohne Gränzen. Die verschiedenen Figuren der Menschen und der Thiere, heben einander ohne einander zu contrastiren und es ist eben alles beysammen um ein glückliches Bild zu machen. Die Schwierigkeiten der Farben und des Helldunkels sind groß aber eben deswegen ist desto reizender sie [251] zu überwinden. Es muß Ihnen ganz überlassen bleiben wie Sie die Figur der Aurora mehr in die Höhe zu bringen denken, die Gruppe des ganzen würde dadurch freilich leichter und edler und Sie werden alsdenn die Zwischenräume die dadurch entstehen wieder zu benutzen wissen. Es wäre schön wenn Sie dieses Bild zu Ihrer Sommerarbeit machten.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1791. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8534-9