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An Friedrich Theodor von Müller

Ew. Hochwohlgeboren

glückliche, genuß- und gewinnreiche Fahrt, wie solche die verschiedenen Briefe darstellen, hat allen Ihren Freunden viel Zufriedenheit gebracht. Ihre Frau Gemahlin beklagt sich, daß mehrere Briefe von hier aus Dieselben nicht genau angetroffen, ein Schicksal worin Reisende sich zu fügen haben, und immer schön ist es wenn Sie Ihrerseits fleißig schreiben. Was zu Hause [98] begegnet kann man sich in fremden Landen gar wohl vorstellen, die Zurückgebliebenen wünschen von dem Schicksal der Entfernten benachrichtigt zu seyn.

So schreib ich denn auch gegenwärtig zum erstenmal mit dem Wunsch, dieses Blatt möge Sie auf Ihrer Rückreise irgendwo freundlichst begrüßen und das Wenige, was ich zu vermelden habe, getreulichst darbringen. Nur drey schöne Tage habe ich diesem unfreundlichen Jahr abgewonnen: einen um den lieben Prinzen in Jena zu besuchen, den andern mit denen Herren Zelter und Ternite die heitere Aussicht von Dornburg auf wenige Stunden zu genießen, den dritten nach Bergern, wo ich mich der hübschen häuslichen Einrichtung, der heitern weit umsichtigen Lage und manches sonstigen Schönen und Guten bey geneigter Bewirthung der Bewohnerinnen zu erfreuen hatte.

Das theure gräflich Reinhardsche Ehepaar gönnte darauf uns einige Tage seine so liebe als bedeutende Gegenwart. Zum wiederholten Geburtstage des würdigen Freundes hatten wir unsre Treppenflur festlich mit Gewinden und Kränzen geschmückt und bey'm heitern Mahle der abwesenden Geliebten als gegenwärtig gedacht.

Nach ihrem Scheiden bin ich in meine alte Geschäftigkeit eingetreten, erwarte die sechste Lieferung meiner Werke von der Messe vollständig. Die sechs Bände der Schillerischen Correspondenz besitze ich auch schon (wenigstens in Aushängebogen) und bereite mich, [99] die siebente Lieferung abzuschicken. Indessen schwärmt eine Masse von Engländern um unsre jungen Damen, und um hiezu bessere Gelegenheit zu finden veranstalten sie zunächst einen großen Ball auf dem Stadthause. Dabey aber ist das Wunderlichste, daß unsre junge schöne Welt sich vereinigt hat wöchentlich ein Druckblatt herauszugeben, wovon die Redaction unter meinem Dache geschieht. Es sind schon drey Blätter herausgegeben; der Titel ist: Chaos, es darf nur noch die Nacht hinzutreten so ist auch der Eros schon geboren. Ich behauptete, sie sollten diesem gemäß den Titel von Zeit zu Zeit verändern. Übrigens darf ich dem Reisenden versichern, daß man stark auf seine Mitwirkung zählt, und es wäre sehr schön wenn er bey seiner Rückkunft schon erwünschte Beyträge in seinem Taschenbuch mitbrächte, oder gar etwas vorausschickte, da er sich denn in guter Gesellschaft gedruckt bey seiner Wiederkehr ehrenvoll begrüßen könnte.

Und so will ich nur zum Schlusse noch vermelden daß die beiden Preußischen Prinzen mit ihren Gemahlinnen, Prinzessin Carl mit zwey Kindern glücklich angekommen sind, woraus denn große und wahrhafte Familienfreunde entspringen. Möge dieß alles zum besten und schönsten bleiben und verharren, damit der ersehnte Freund allgemein von heitern Gesichtern empfangen werde.

Treu verpflichtet

Weimar den 11. October 1829.

J. W. v. Goethe. [100]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Friedrich Theodor von Müller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-85F5-8