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An Christoph Wilhelm Hufeland

[Concept.]

[5. September 1817.]

Ew. Hochwohlgeb.

gewogene Sendung findet mich eben in dem Augenblick, da ich durch manche Zufälligkeiten über die wichtige Materie die Sie behandeln nachzudenken veranlaßt bin. Ich habe Ihnen daher vielen Dank zu sagen für die kurzgefaßte Darstellung dessen, was man als frühere und spätere Erfahrung anerkennen und als Factum zugestehen kann und muß.

Sobald etwas in den Complex der Wirklichkeit hineintritt, in welchem wir leben und wirken, ohne alles genau zu kennen, wo wir gar manches auf Treu und Glauben gelten lassen, so hört für mich das Wunderbare sogleich auf. Während dem Laufe unseres Lebens fielen Steine häufig vom Himmel, mehrere Personen stiegen dagegen in die Lüfte, und der thierische Magnetismus bethätigte sich durch unzählige Phänomene. Nichts von allem diesem beunruhigt mich, sie stehen in dem Kreise der Erfahrung und ob ich gleich bey keinem Falle persönlich zugegen war, so freue ich mich doch daß solche Kräfte entdeckt und benutzt werden.

Nun bin ich bey der Anwendung dieser, dem Menschen inwohnenden, auf den Menschen wirkenden, in ihm zu erregenden Kraft gleichfalls der Meinung, [242] daß jedem Individuum welches sich damit hervorthun will gesetzliche Einwilligung ertheilt werden müsse. Soll Magnetismus als Heilmittel gelten; so habe blos der geprüfte, angestellte Arzt das Recht hiezu.

Was jedoch die Aufsicht darüber betrifft, so scheint mir daß es nicht wohlgethan sey einer Ober-Medizinalbehörde die einzelnen Curen zur Beurtheilung zu unterwerfen. Ist eine solche Behörde der Sache ungünstig', so kann sie hindern, ist sie ihr günstig, mehr als billig fördern. Meo voto würde der privilegirte Arzt sich zu melden haben, daß er den Magnetismus als Heilmittel anzuwenden beabsichtige. Hierauf erhielte derselbige Erlaubniß mit der Auflage: die genausten Tagebücher zu führen, die er jedoch nicht eher vorzulegen brauche als in dem Fall einer gegen ihn angebrachten Beschwerde; er würde sich alsdann in dem Fall eines Handelsmanns befinden, von dessen Büchern niemand als im streitigen Falle Kenntniß erlangt. Was mich zu diesem Vorschlage besonders bestimmt, ist die Überzeugung daß jede magnetische Cur für den Practicirenden selbst etwas Geheimnißvolles behalten wird, so daß er weder sich noch andern Schrittweise vollkommen Rechenschaft ablegen kann. Sollte er dieß gegen Vorgesetzte zu leisten verpflichtet seyn, so würde er Gefahr laufen an der Wahrheit zu rücken und zu beugen. Wie ich denn überhaupt nicht billigen kann, daß die Sache aus dem heilsamen Esoterischen in das allzubreite [243] Exoterische geführt worden, woran jedoch alle Wissenschaften in unserm communicativen Jahrhundert zu leiden haben. Ich erbitte diesen Äußerungen Nachsicht und Prüfung, so wie der Beylage geneigte Aufnahme.

Weimar d. July 1817.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Christoph Wilhelm Hufeland. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-87CF-0