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An Johann Friedrich Rochlitz

Ja, und so wäre es ganz recht und vertraulichem Verhältnisse wohl angemessen, daß man sich zur Unterhaltung ohne eigentlichen entschiedenen Zweck niedersetze [165] und das Schreiben beginne. Veranlaßt durch Ihren lieben Brief fühle ich mich geneigt, nicht gerade in Beantwortung, vielmehr in Erwiderung einiges ergehen zu lassen.

Über das Allgemeine was in den Wanderjahren etwa beabsichtigt, in welchem Sinne sie geschrieben, haben Sie, mein Theuerster, gar manches Gute und Ausreichende gesagt. Mit solchem Büchlein aber ist es wie mit dem Leben selbst: es findet sich in dem Complex des Ganzen Nothwendiges und Zufälliges, Vorgesetztes und Angeschlossenes, bald gelungen, bald vereitelt, wodurch es eine Art von Unendlichkeit erhält, die sich in verständige und vernünftige Worte nicht durchaus fassen noch einschließen läßt. Wohin ich aber die Aufmerksamkeit meiner Freunde gerne lenke und auch die Ihrige gern gerichtet sähe, sind die verschieden, sich von einander absondernden Einzelnheiten, die doch, besonders im gegenwärtigen Falle, den Werth des Buches entscheiden. Da würden Sie denn mir eine besondere erzeigen, wenn Sie bemerken wollten, was Sie vorzüglich, (wie man zu sagen pflegt) angesprochen, was Ihnen als neu oder erneut gegolten, was mit Ihrer Denk- und Empfindungsweise zusammen getroffen, was derselben widersprochen, was Sie, in Gefolg dessen, einstimmig oder im Gegensatz, weiter bey sich auszuführen geneigt gewesen. Das Büchlein verläugnet seinen collectiven Ursprung nicht, erlaubt und fordert mehr als jedes [166] andere die Theilnahme an hervortretenden Einzelnheiten. Dadurch kommt der Autor erst zur Gewißheit, daß es ihm gelungen sey, Gefühl und Nachdenken in den verschiedenen Geistern aufzuregen. Hierüber habe ich in Briefen die anmuthigsten Äußerungen, und wie selbst junge und weibliche Seelen von ganz gelinden aber gründlichen Zügen ergriffen werden. Wollen auch Sie auf diese Weise mit wohlthätig seyn, so erkenne es mit verbindlichem Dank. Nicht leicht unterhält man sich über dergleichen mündlich; eine gewisse Scheu hält uns ab; dagegen ist man im Schreiben freyer, und man vertraut wohl sein Innerstes gern in die Ferne.

Gar manches Wechselseitige, Wirksamkeit zu erregen entschieden geeinigt, verspare für nächste Mittheilungen. Herr Kanzler ist so eben aus Italien zurück und hat wohlgethan dem Zug nach Rom nicht zu widerstehen; er wird sich selbst anmelden und des freundlichen Empfangs auch von Ihnen gewiß seyn.

Da noch Raum übrig ist füge einiges hinzu:

Handle besonnen, ist die praktische Seite von: Erkenne dich selbst. Beides darf weder als Gesetz noch als Forderung betrachtet werden; es ist ausgestellt wie das Schwarze der Scheibe, das man immer auf dem Korn haben muß wenn man es auch nicht immer trifft. Die Menschen würden verständiger und glücklicher seyn wenn sie zwischen dem unendlichen Ziel und dem bedingten Zweck den Unterschied zu finden[167] wüßten und sich nach und nach ablauerten, wie weit ihre Mittel denn eigentlich reichen.

Soweit! die treuesten Wünsche für Ihre Zufriedenheit aussprechend; was Sie für Unterhaltung für den Winter sich ausgedacht haben wünsche zu erfahren.

herzlichst

Weimar den 23. November 1829.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Johann Friedrich Rochlitz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-87E4-D