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An Johann Heinrich Meyer

Sie haben mir lieber Meyer durch Ihre wiederhohlten Briefe und durch die beyden Zeichnungen große Freude gemacht. Der Hauch der mir von Süden kommt ist mir immer erquicklich wenn er mich gleich eher traurig macht als erfreut. Besonders angenehm war mir die Nachricht daß Sie Sich wieder wohl befinden und muthig und munter sind. Gesegnet sey die werthe Familie die Sie so gepflegt hat! ich könne ihr, aber auch ihr allein, den Johannes Kopf auf den ich mich so sehr gefreut hatte. Was Sie mir künftig arbeiten wollen, soll mir willkommen seyn, ich sehe in Ihren Arbeiten, mit doppeltem Antheil, den Künstler und den Freund.

Ihre beyden Compositionen haben meinen völligen Beyfall. Sie komponiren aus denselben Grundsätzen[108] wornach ich urtheile und wenn ich recht urtheile; so haben Sie auch recht. Nach meiner Überzeugungen ist die höchste Absicht der Kunst menschliche Formen zu zeigen, so sinnlich bedeutend und schön als möglich ist. Von sittlichen Gegenständen soll sie nur diejenige wählen die mit dem sinnlichen innigst verbunden sind und sich durch Gestalt und Gebärde bezeichnen laßen. Ihre Süjets haben diese Eigenschaften in einem hohen Grade.

Die Zusammensetzung ist nach meinem Begriffe keinen Regeln unterworfen, sie ist die beste, wenn sie bey Beobachtung der zartesten Gesetze der Eurythmie, die Gegenstände so ordnet daß man aus ihrer Stellung schon ihr Verhältniß daraus abspinnen kann. Die schönsten einfachsten Beyspiele geben uns Raphaels Bibel, Domenichins Exorcismus in Grotta Ferrata. Ihre beyden Compositionen haben auch diesen Vorzug. Ich habe beyde genau durchgedacht und glaube Ihre Absichten eingesehen zu haben und finde sie durchaus rein und gründlich. Möchten Sie Lust und Zeit haben sie als größere Zeichnungen auszuarbeiten und sie mir zu bewahren. Es kann niemand Ihre Arbeiten mehr schätzen als ich und niemand arbeitet meinen Wünschen so entgegen wie Sie.

Bey der Homerischen Scene habe ich zu erinnern daß Ulyß beym ersten Anblicke zu klein erscheint. Es mag eine doppelte Ursache haben, theils weil er zusammengebogen [109] ist, theils weil der robuste Charackter die Länge unmercklicher macht. Ich wüßte aber nicht ob und wie etwas zu verändern wäre. Denn die Superiorität der Prinzessinn als Geberinn, seine edle Subordination als Empfangender, kann nicht besser als durch diese Formen und Weite ausgedruckt werden.

Die Maschinen womit die Bälle geschlagen werden wünschte ich weg, sie sehen gar zu modern aus.

Es hat gar nichts zu bedeuten, daß Ihr Oedipus dem Pylades auf der Vase einigermaßen gleicht. In dem Kreise, in welchem Sie arbeiten, liegen die Nüancen gar nah beysammen. Die menschliche Figur ist von den Alten so durchgearbeitet, daß wir schwerlich eine ganz neue Stellung hervorbringen werden, ohne aus den Gränzen des guten Geschmacks zu schreiten. Es kommt nur darauf an daß sie das ausdrucke was wir gedacht haben und daß wir sie zu unsrer Absicht wieder hervorbringen können.

Grüßen Sie alle Guten. Ich habe Lips einen Antrag gethan: er solle sich nach Weimar wenden. Vielleicht bin ich glücklich genug auch einmal einen solchen Antrag an Sie richten zu können.

Leben Sie recht wohl.

W. d. 27. Apr. 89.

G.


Sagen Sie doch Herrn Schütz: es soll mir angenehm seyn, wenn er mir das Siegel gelegentlich senden will.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1789. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-881D-9