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An Georg Sartorius

[Concept.]

[28. Februar 1814.]

Und so stehe ich denn, mein Theuerster, gleich mit meinem zweyten Briefe beschämt vor Ihnen, indem ich anstatt meinen dritten Band zu senden, dessen abermalige Retardation vermelden muß. Abgedruckt ist er, und nun haben Verleger und Versender Gott weiß was für Grillen, denen die Zeitläufte zur Beschönigung dienen. Einen jüngeren Autor würde dieß in Verzweiflung setzten, mir wäre es ganz gleichgültig wenn ich nicht meinen entfernten theilnehmenden Freunden auf so mancher Pagina etwas Erfreuliches zu sagen glaubte, das mich ihnen, nach so langer Trennung, schnell wieder näher bringen sollte.

Dieser Verdruß wird noch vermehrt, durch die freundlichen Grüße, welche mir Herr Geheimeregierungsrath von Müller mitgebracht hat, und durch Ihre und seine Versicherung, daß die schönen Kinder auch ihren Theil an der neuen Erscheinung sich zueignen möchten. Denn meine stille eitle Absicht geht eigentlich dahin, daß die liebenswürdigen jungen Schönheiten, sich zwar nicht in meine Zeit, mich aber wohl in die ihre wünschen möchten. Empfehlen Sie mich also aller Orten zum Besten.

Nach diesem Klagelied aber wollen wir Hoffnungslieder anstimmen. Ostern fällt den 10. April und [179] die Ferien gehen doch wohl vierzehn Tage vorher an. Haben Sie die Güte mir zu melden wann Sie bey uns eintreffen werden. Gläubige Christen können sich nicht mehr freuen die lieben Ihrigen nach dem jüngsten Gericht wiederhergestellt zu umarmen, als ich mich zum voraus vergnüge Sie, nach diesen wahrhaft apokalyptischen Tagen, wieder zu begrüßen; die Meinigen sind im gleichen Falle. Das Quartier ist schon bestellt und hielte der liebe Säugling nicht die Frau Gevatterin ab, so wäre auch schon für sie möglichst gesorgt.

Bey unserer lieben kleinen Hoheit habe ich Sie auch schon angekündigt; sie trug mir auf Ihnen zu sagen, daß Sie auch ihr willkommen seyn sollten. Die beyden Schwestern deuten, wie Zwillinge, auf einander hin und machen zusammen eine gar schöne Familiengruppe. Doch kenne ich jene zu wenig um sie mit der unsrigen, die mir bekannter ist, parallelisiren zu können.

Es soll mich freuen, wenn Sie mich ganz wiederfinden und erkennen. Allerley poetische und andere Productionen sollen mitgetheilt werden, wobey nun freylich die Frau Gevatterin nicht fehlen dürfte. Sonst finden Sie mich von Kunst- und Naturgegenständen, die mir glücklich alle erhalten worden sind, wie immer umgeben.

Herrn Hofrath Blumenbach empfehlen Sie mich zum angelegentlichsten, und bereiten ihn vor, daß er[180] eine wiederauflebende freundliche Communication gefällig begünstige. Wir haben einen über tausendjährigen Grabhügel aufgegraben, und ob es gleich dabey nicht ganz methodisch zuging, so ist doch viel Bedeutendes, ja zwey vollkommen erhaltene Schädel (wahrscheinlich ein männlicher und ein weiblicher) in meinen Händen, sogar mit den unteren Kinnladen. Wenn Sie denken, daß ich jenen Grabhügel, von dem man den schönsten Theil des Landes, zwischen der Saale und der Ilm, übersieht, am 20. October besucht habe, an dem heitersten, in der Luft und auf der Erde stillsten tage, und sodann überlegen was sich alles seit der Zeit ereignet hat, so werden Sie wohl glauben, daß sich bis jetzt an vergleichenden Anatomie, der verschiedenen Menschenracen nicht hat denken lassen. Sobald ich etwas weiter bin, schreibe ich unsrem trefflichen Naturfreunde.

Auf Ihre neue Reichsverfassung bin ich sehr verlangend. Es ist löblich wenn einsichtige Männer die Gestalt vorzeichnen, die eigentlich aus der Form heraustreten sollte. Bey'm Erzguß ist es ein Unglück wenn einige Glieder ausbleiben, dießmal hat man das Entgegengesetzte zu befürchten. Die neue Mythologie scheint auf indische und chinesische Gestalten zu deuten, die man nur desto heiliger glaubt, je mehr überflüssige Glieder daran prangen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Georg Sartorius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-89C7-1