10/3011.

An Friedrich Heinrich Jacobi

Auf deine Anfrage wegen Max muß ich dir eilig und nur vorläufig antworten. Ich habe mich genau nach ihm erkundigt, ihn selbst gesehen und gesprochen und finde daß du keine Ursache hast besorgt zu seyn.

Seine Studien treibt er wie es zu Anfange zu gehen pflegt wo man noch nicht weiß wo es hinaus soll. Was ihm einen Begriff giebt interessirt ihn wie billig, weniger das was eigentlich nur Vorbereitung auf ein künstiges seyn kann. Litterargeschichte [106] hat er mit Eifer und Freude gehört, Botanick anfangs auch, zuletzt wollte ihm das vorzählen und analysiren der Pflanzen nicht behagen, vielleicht hat der Lehrer einige Schuld, es ging mehr iungen Leuten eben so. Osteologie hat er gehört wie man sie zum erstenmal hören kann. Von dem übrigen nächstens.

Sonst versichert man mir er bereite sich auf seine künftige Studien fleißig vor im Gespräch und durch Lesen. Vielleicht verfällt er auch hier in den Fehler der meisten jungen Ärzte, daß er zu geschwind ans Ziel will. So hab ich ihn Gaubius Pathologie neulich lesen sehen wie er bey mir war. Doch das ist gewöhnlich und ich sehe alles das als Lectiones cursorias an, ist der Kopf gut so stellt sich alles zurecht. Hat er nur erst diesen Winter Anatomie und Physiologie durchgegangen so wird schon mehr Richtung in seinen Fleiß kommen.

Seine Geselschaft ist eingeschränckt. Reinhart, an dem er sehr hängt, soll ein edler guter Mensch seyn, der Kenntniße besonders im litterarischen Fach hat, ist er nicht so kühl und ausgebildet wie es zu wünschen wäre, so ist das wohl die Eigenschaft der Jugend. Ich will mich näher nach ihm erkundigen. Max scheint den Pylades zu spielen und das ist denn auch nicht so schlimm.

Das Reiseprojeckt betreffend finde ichs freylich weitschichtig, doch was die Reise Lust betrifft; so hätte [107] ich ihn an deiner Stelle nicht so hart angelassen. Ein junger Mensch der aus der Eltern Hauße kommt und in die Academische Freyheit geräth wird gewöhnlich in irgend ein Extrem fallen. Die Reise Passion scheint mir die wenigst gefährliche. Sie zeigt daß er im Orte keine leidenschaftliche Verbindungen tat, daß er was sehen was erfahren will u.s.w.

An deiner Stelle hätte ich ihm daher zwar den weitläufigen Kreuzzug nicht statuirt aber zu einem Theil z.B. Schlossers in Franckfurt zu finden, über Würzburg Bamberg Coburg u.s.w. nach Jena zurückzukehren die Mittel nicht versagt, ihm ein ander Jahr zu einer Reise nach Dresden Aussicht gelassen. So bliebe man im Besitz seine Leidenschaft zu lencken. Man läßt ja so junge Leute reisen wenn sie studirt haben, warum sollten sie es nicht dazwischen thun? und lieber ein Jahr länger auf Akademie bleiben? Die Zerstreuung! – So viel ich habe bemercken können zerstreut eine leidenschaftliche Ordens oder Liebesverbindung mehr als Reise wo man doch immer etwas nützliches sieht, auch als handelnder Mensch mehr geprüft wird.

Dazu kommt noch Maxens Hinderniß am Gehör, das ihn verhindert an größerer Geselligkeit theil zu nehmen. Unter mehreren ist er stumm und zurückgezogen da er mit wenigen gar frey, verständig ja sogar munter ist. Wärest du nicht abgeneigt ihm noch einen Spas auf die Ferien zu erlauben, so wollte [108] ich du thätest es durch mich, daß ich durch mein Mittler verdienst mir noch mehr sein Vertrauen erwürbe.

Ich werde nicht unterlassen ihn zu beobachten und schreibe nur flüchtig dich zu beruhigen. Siehe mehr den Sinn dieses Briefes als die Ausdrücke, denn ich weiß daß man vieles strenger und bänger nehmen kann. Freylich ist schon ein Unterschied wenn der Sohn in des Vaters Metier tritt, wo dieser mehr leiten und vorbereiten kann und doch habe ich gesehen, daß auch da wieder alles auf Umstände ankommt die incalculabel sind. Habe also nur noch diesen Winter Geduld, daß man Maxen als ein selbstständig Wesen kennen lernt, daß man sieht wie er seine Wissenschaft anpackt, wohin er etwa sonst noch sich verbreitet, davon seiner Zeit mehr verlauten soll.

Lebe recht wohl und grüße Schlossern und dein ganz gefülltes Hauß. Ich finde mich nun auch wieder nach und nach in meiner Wohnung, die nach und nach eine anmuthige Gestalt gewinnt. Ich bin auf allen Ecken fleißig. Die chemische Farbenlehre bearbeite ich jetzt, es ist soviel vorgearbeitet daß das Zusammenstellen viel Freude macht und sehr interessante Resultate darbietet.

Von Reinicke schickt ich gern den zweyten Gesang, leider ist es der welcher noch die meiste Arbeit bedarf um präsentabel zu werden.

[109] Das Dekret wird, wills Gott, nun auch bald kommen, es ist endlich vom Lande abgedruckt.

Behalte mich lieb und laß von dir hören.

d. 9. Sept. 93.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1793. An Friedrich Heinrich Jacobi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-89E2-3